Edmund G. Gardner
Die hl. Caterina von Siena
Eine Studie über Religion, Literatur und Geschichte
des 14. Jahrhunderts in Italien
7. Kapitel
Unter verfinstertem Himmel
Caterina hielt sich zu dieser Zeit nicht mehr in Siena auf. Andere toskanische Städte beanspruchten nun ihre geistliche Fürsorge, und ihr großes politisches Werk hatte damit begonnen.
Vermutlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1374 kehrte Birgittas Beichtvater, der Einsiedler-Bischof Alfonso da Vadaterra, aus Avignon nach Italien zurück. Er kam nach Siena und suchte im Namen des Papstes, von dem er ihr den apostolischen Segen überbrachte, eine Unterredung mit Caterina, um ihren ständig wachsenden geistlichen Einfluss für die Anliegen des Papstes zu gewinnen. „Der Papst“, schreibt Caterina an Fra Bartolommeo und Fra Tommaso Caffarini, die sich damals in Pisa aufhielten, „hat einen seiner Vikare hierher gesandt – den geistlichen Vater der Gräfin, die in Rom gestorben ist. Es ist derjenige, der die Bischofswürde aus Liebe zur Tugend zurückgelegt hat, er kam zu mir im Namen des Heiligen Vaters mit dem Auftrag, besondere Gebete für ihn und für die heilige Kirche zu verrichten. Als Zeichen brachte er mir den heiligen Ablass. Freut euch also und seid froh, denn der Heilige Vater hat begonnen, sich der Ehre Gottes und der heiligen Kirche zu widmen. Ich habe einen Brief an den Heiligen Vater geschrieben und ihn flehentlich gebeten, uns aus Liebe zu diesem süßesten Blut zu erlauben, unsere Körper allen Leiden auszusetzen. Betet zur höchsten ewigen Wahrheit, dass sie – wenn es so sein soll – uns und Euch diese Gnade gewähren möge, damit wir alle zusammen unser Leben für ihn hingeben dürfen.“[1] Alfonso musste es so vorgekommen sein, als würde der Geist seiner verstorbenen Freundin in dieser sienesischen Jungfrau weiterleben, und er verband sich nun mit ihrer geistlichen Gemeinschaft.
Die beiden Dominikaner hatten Caterinas Ruf in Pisa verbreitet, und sie erhielt wiederholt Einladungen, dorthin zu kommen, insbesondere von einigen Nonnen, die sie unbedingt sehen und hören wollten und die ihr versicherten, dass sie in dieser Stadt viele Seelen für Gott gewinnen könne – Einladungen, die durch einen Brief von keinem Geringerem als Piero Gambacorti, dem Herrscher der Republik Pisa, selbst unterstützt wurden. Ihre Antwort an letzteren, in der sie den aufrechten Mann, der die irdische Herrschaft unter so ungewissen und unbeständigen Verhältnissen innehatte, ermahnte, sich von den Annehmlichkeiten der Welt zu lösen und beim Regieren seine Augen auf die göttliche Gerechtigkeit zu richten, ist überliefert. Am Ende entschuldigt sie ihr Kommen mit dem Hinweis auf ihre schlechte Gesundheit und die Gefahr, einen Skandal zu verursachen. Die Beziehungen zwischen Messer Piero und den Sienesen waren nämlich damals etwas angespannt, weil die Pisaner sich weigerten, ihren nominellen Verbündeten gegen die rebellischen Salimbeni beizustehen, während Florenz und Lucca ihren Verpflichtungen in loyaler Weise nachgekommen waren.[2]
Zu Beginn des Jahres 1375 glaubte Caterina jedoch, einen göttlichen Auftrag erhalten zu haben, es nicht länger hinauszuzögern, und brach nach Pisa auf. Mit ihr zogen Alessa, Lisa, Cecca und andere zu ihr gehörige Frauen, ebenso ihre Mutter, Monna Lapa, die sich nicht mehr von ihrer Tochter trennen wollte. Fra Raimondo, Fra Tommaso della Fonte und Fra Bartolommeo begleiteten sie, um die Beichten derer zu hören, die sie zu Gott bekehren sollte.
In Pisa wurde der kleinen Gruppe aus Siena ein königlicher Empfang bereitet; Piero Gambacorti selbst erwartete sie, ebenso der Erzbischof (Francesco Moricotti di Vico) und die wichtigsten kirchlichen und politischen Würdenträger des Staates. Caterina wurde im Haus des Gherardo Buonconti bewirtet und untergebracht, eines führenden Bürgers von Pisa und Angehörigen einer großen Familie von Brüdern und Schwestern, von denen einige ihre Schüler wurden. Das Haus stand am Arno, nahe der kleinen Kirche oder Kapelle von Santa Cristina. Hier geschahen die gleichen Wunder wie in Siena: Kranke wurden geheilt, Menschen mit schlechtem Lebenswandel zur Buße bewegt. „Ich sah, wie sie zu einigen Sündern sprach“, schrieb Giovanni Dominici, der berühmte Kardinal von Ragusa, damals ein junger Dominikanernovize, an seine Mutter, „und ihre Worte waren so tiefgründig, so feurig und kraftvoll, dass sie diese Gefäße der Schande sogleich in Kristallgefäße verwandelten, wie wir im Hymnus der heiligen Maria Magdalena das Wirken Jesu an ihr besingen.“[3] Ein neuer Hauch geistlichen Lebens schien durch diese verfallende Stadt zu wehen, deren Tage politischer Unabhängigkeit sich dem Ende zuneigten.
Wie üblich gab es einige, die murrten, und andere, die sich über Caterinas Lebensweise und die Ehrenbezeugungen, die man ihr erwies, empört zeigten – insbesondere über die Art und Weise, in der viele Männer und Frauen, die sich näherten, niederknieten und ihre Hände küssten. Zwei gelehrte Männer der Stadt, Magister Giovanni Gutalebraccia, ein Arzt, und Ser Pietro di Messer Albizzo, ein angesehener Jurist, der einer der führenden Köpfe unter den Anhängern der Gambacorti war, kamen zu ihr – ähnlich wie es Fra Lazzarino und Magister Gabriele in Siena getan hatten – und versuchten, sie mit theologischen Problemen zu verwirren. Auf alle ihre Fragen antwortete sie einfach, dass nur eines notwendig sei: zu wissen, dass Christus, der wahre Sohn Gottes, zu unserem Heil die Menschennatur angenommen habe und zu unserer Rettung gelitten habe und gestorben sei. Und sie sprach zu ihnen so innig von der Liebe zu ihm, dass beide zu Tränen gerührt waren. Aber die feindseligen Bemerkungen über die ihr erwiesene Ehrerbietung nahmen zu, bis Fra Raimondo (in Anwesenheit von Fra Bartolommeo) ihr den Rat gab, sie möge das abstellen, und er sie fragte, ob dies nicht ihren Geist zur Eitelkeit verführen könnte: „Ich bemerke kaum, was sie tun“, antwortete sie, „und durch Gottes Gnade finde ich auch kein Gefallen daran. Doch wenn sie mit solchem Eifer zu mir kommen, denke ich nur an ihre gute Absicht und danke der Güte Gottes, die sie dazu bewogen hat, und ich bete, dass er die Wünsche, die er ihnen eingegeben hat, vollenden und erfüllen möge. Ich wundere mich, wie ein Geschöpf, das sich als Geschöpf erkennt, in sich noch das Verlangen nach eitlem Ruhm haben könnte.“[4]
Aber es gab einen, den Bartolommeo als „einen Mann von nicht geringem Ansehen unter den geistlichen Personen“ bezeichnet, der allen Ernstes um Caterinas Seelenheil bangte. Es handelt sich um den Dichter der Gesuati, Bianco dall‘ Anciolina, der als „El Bianco da Siena“ bekannt ist, aber manchmal auch „El Bianco da Firenze“ oder „El Bianco da Città di Castello“ genannt wird, nach dem Ort, an dem er nach dem Tod seines Meisters, Giovanni Colombini, als Einsiedler gelebt hatte. „Nimm dich in Acht, Caterina, meine Schwester“, dichtete er, „dass du nicht ins Verderben stürzt. Wenn du die göttliche Gnade besitzt, so trachte, sie zu bewahren. Hüte dich, dass du durch deinen Ruhm nicht hungrig danach wirst. Wenn du tatsächlich die Braut Christi bist, darfst du dich wahrhaft als gesegnet betrachten. Aber wenn dir solche Ehre gefällt, fürchte ich, dass der Dämon sich freut. Hüte dich, dass du nicht in seine Schlinge gerätst. Es gab schon viele Heilige, zu denen die Menschen hinströmten; aber damit sie nicht durch Stolz entehrt würden, flohen sie in ihre Zelle. Ich höre, dass du für dich in Anspruch nimmst, vom Heiligen Geist geleitet zu sein. Wenn es wahr ist, danke ich Gott, der dich so erhöht hat. Hüte, hüte, hüte dich, damit du nicht aus Eitelkeit feige oder zum Lügner wirst. Hüte dich, dass die Versuchung zu prophetischer Rede dich nicht gefangen nimmt. Lass ab von den Fantasien der eitlen Prophetie; wenn du ihren Wegen folgst, wirst du dich getäuscht finden. Du wirst gerühmt, ein heiliges Leben zu führen; du wirst sogar schon eine Heilige genannt. Wenn der Heilige Geist dich führt, suche nicht irdischen Ruhm, der die Seele vernichtet, die danach verlangt. Solltest du fallen, werden viele ihren Glauben verlieren. Hüte dich, armes Weib, damit du nicht gestürzt wirst. Möge dich das liebevolle göttliche Licht auf dem Weg so führen, dass deine Seele allein in der Wahrheit ihren Halt findet.“[5] Dieses Gedicht bzw. diese Lauda scheint El Bianco tatsächlich an Caterina nach Pisa gesandt zu haben, zusammen mit einem langen Brief, in dem er ihr schwere Vorwürfe macht, weil sie es zulässt, dass ihr solche Ehrungen erwiesen werden, und worin er ihre Lebensweise insgesamt als gefährlich und anstößig tadelt, indem er sie auffordert, die Öffentlichkeit zu meiden und die Einsamkeit zu suchen, da dies der Weg der Heiligen sei, während ihr Weg jener der Heuchler und derjenigen sei, die ihren eigenen Ruhm suchen. Raimondo und Bartolommeo versuchten, den Brief vor Caterina zu verbergen, und wollten im eigenen Namen mit einer scharfen Antwort reagieren. Aber sie bestand darauf, ihn zu hören, zeigte dem Verfasser innigste Dankbarkeit für seine Sorge um das Heil ihrer Seele und tadelte die beiden Mönche für ihre unbarmherzige Auslegung seiner guten Absichten. Ihre schriftliche Antwort ist vorhanden; sie schreibt ihm in dem Verlangen, uns in jener süßen, ewigen und reinen Wahrheit vereint und verwandelt zu sehen, die uns alle Falschheit und Lüge nimmt:
„Liebster Vater, ich danke Euch von Herzen für den heiligen Eifer und die Besorgnis, die Ihr für meine Seele hegt. Ihr scheint sehr in Zweifel darüber zu sein, was Ihr über meinen Lebenswandel gehört habt. Ich bin gewiss, dass Euch nichts anderes treibt als das Verlangen nach der Ehre Gottes und nach meiner Rettung, weil Ihr befürchtet, ich könnte vom Teufel angegriffen und getäuscht werden. Ich bin nicht verwundert über diese Furcht, Vater, besonders was das Essen angeht. Denn nicht nur Ihr seid darüber besorgt, sondern ich selbst zittere vor Furcht, vom Teufel getäuscht zu werden. Aber ich vertraue auf die Güte Gottes und misstraue mir selbst, weil ich weiß, dass ich mich auf mich selbst nicht verlassen kann. Nicht nur in diesem Punkt, sondern in allem, was ich tue, fürchte ich stets meine eigene Schwachheit, und zwar wegen der List des Teufels, weil ich glaube, ich könnte betrogen werden. Ich weiß und sehe, dass der Teufel zwar die Seligkeit, nicht aber die Klugheit verloren hat und dass er mich mit Klugheit oder eher mit List betrügen könnte. Aber dann wende ich mich um und halte mich am Stamm des heiligsten Kreuzes Christi, des Gekreuzigten, fest und dort will ich befestigt sein. Und ich zweifle nicht daran, dass – wenn ich durch Liebe und tiefe Demut mit ihm darauf befestigt und festgenagelt bin – der Teufel keine Macht gegen mich haben wird, nicht um meiner Kraft willen, sondern um der Kraft Christi, des Gekreuzigten, willen. Ihr heißt mich Gott insbesondere anflehen, dass ich essen könne. Ich versichere Euch, mein Vater, und ich versichere es Euch im Angesicht Gottes, dass ich stets auf jede nur denkbare Art und Weise versucht habe, ein oder zweimal täglich Nahrung zu mir zu nehmen. Ich habe unausgesetzt gebetet – und bete noch immer zu Gott und werde es tun –, dass er mir die Gnade schenken wolle, in dieser Hinsicht wie alle anderen Geschöpfe zu leben, wenn es sein Wille ist – denn der ist auch der meine. Ich bitte Euch, zur erhabenen ewigen Wahrheit zu beten, dass – wenn es seiner Ehre und dem Heil meiner Seele besser dient – er mir die Gnade erweisen und mich befähigen möge, Nahrung zu mir zu nehmen, wenn es ihm gefällt. Und ich bin gewiss, dass Gottes Güte Eure Gebete nicht verachten wird. Ich bitte Euch, mir zu schreiben, welches Heilmittel Ihr dafür kennt, und wenn es nur der Ehre Gottes dient, will ich es gerne anwenden. Aber ich bitte Euch auch, nicht voreilig zu urteilen, wenn Ihr nicht ganz sicher seid, dass die Dinge so sind, wie Gott sie sieht.“[6]
Der Wunsch, den Caterina in diesem Brief ausgesprochen hatte, aus Liebe und in tiefer Demut mit dem gekreuzigten Christus am Baum des heiligsten Kreuzes „angeheftet und festgenagelt zu werden“, sollte sich nun auf mystische Weise erfüllen. Die Kirche Santa Cristina steht am Lungarno, nicht weit vom kleinen gotischen Juwel Santa Maria della Spina, das Caterina, die die Dornenkrone der Perlenkrone vorgezogen hatte, in ihrer ganzen frischen Schönheit gesehen haben muss. Obwohl Santa Cristina in seiner gegenwärtigen Gestalt im Wesentlichen ein Bauwerk des neunzehnten Jahrhunderts ist – gleichermaßen nüchtern von seiner Umgebung her wie in seinem Inneren –, steht neben dem ersten Altar rechts vom Eingang noch ein Fragment einer Säule der ursprünglichen Kirche mit der Inschrift: Signavit Dominus servam suam Catharinam hic signis redemptionis nostrae: „Hier bezeichnete der Herr seine Dienerin Caterina mit den Malen unserer Erlösung.“ Denn hier empfing Caterina von Siena am vierten Fastensonntag 1375, dem Sonntag, der nach dem Jesaja-Text des Introitus („Freut euch mit Jerusalem und seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr sie liebt“) als Laetare–Sonntag bekannt ist, während sie nach dem Empfang der heiligen Kommunion in Ekstase fiel, gewissermaßen dieselbe mystische Offenbarung, die hundertfünfzig Jahre zuvor den Gliedern des Franz von Assisi in ihrer ganzen Fülle eingeprägt worden war. Fra Raimondo und die anderen sahen, wie sie sich langsam aus ihrer liegenden Position auf die Knie erhob, mit leuchtendem Gesicht, die Arme ausstreckte und dann, nachdem sie eine Zeit lang in dieser Haltung verharrte, plötzlich wie tödlich verwundet zu Boden fiel. „Ich sah“, sagte sie, „den gekreuzigten Herrn in einem hellen Licht zu mir herabsteigen, und durch den Antrieb des Geistes, der seinem Schöpfer entgegeneilen wollte, wurde mein Körper gezwungen, sich zu erheben. Dann sah ich aus den Malen Seiner heiligsten Wunden fünf blutrote Strahlen auf mich herabkommen, die auf die Hände und Füße und auf mein Herz gerichtet waren. Da ich das Mysterium erkannte, rief ich sofort aus: O Herr mein Gott, ich flehe Dich an, lass die Male nicht äußerlich auf meinem Körper sichtbar werden. Während ich noch sprach, bevor die Strahlen mich erreichten, verwandelte sich ihre blutrote Farbe in Glanz, und in der Erscheinung reinen Lichtes drangen sie an fünf Stellen, an den Händen, den Füßen und in das Herz meines Körpers ein. Der Schmerz, den ich an allen diesen fünf Stellen, besonders aber in meinem Herzen, empfinde, ist so groß, dass es mir unmöglich scheint – wenn der Herr nicht ein neues Wunder wirkt –, dass das Leben unter solchen Qualen in meinem Körper bleiben kann und nicht binnen weniger Tage endet.“
Sie brachten sie zurück in ihr Zimmer, in einem Zustand, in dem sie zu sterben schien. Aber es zeigte sich, dass auf die vereinten Gebete ihrer gesamten Gefolgschaft dieses neue Wunder gewirkt wurde, und als sie am folgenden Sonntag das Allerheiligste Sakrament wieder aus den Händen von Fra Raimondo empfing, war ihre Kraft gleichsam auf übernatürliche Weise erneuert. „O unendlich barmherziger Vater“, schreibt der gute Raimondo, „was wirst Du erst für Deine treuen Diener und Deine geliebten Kinder tun, wenn Du Dich schon so gnädig uns Sündern zugeneigt hast? Indem ich dies bedachte, sagte ich zu ihr: ,Mutter‘, dauert der Schmerz in den Wunden, die Euer Körper empfangen hat, noch an?‘ Und sie antwortete: ‚Der Herr hat eure Gebete erhört, wenn auch zur Betrübnis meiner Seele. Die Wunden schwächen meinen Körper nicht, sie machen ihn sogar noch stärker, sodass sie mir – obgleich ich sie noch immer fühle –, statt Qualen zu verursachen, nun Kraft geben.‘“[7]
Während ihres Aufenthalts in Pisa sah Caterina zum ersten Mal das Meer. Auf der Insel Gorgona, etwa zwanzig Meilen von Livorno, befand sich ein Kartäuserkloster, dem damals ein gewisser Don Bartolommeo Serafini aus Ravenna als Prior vorstand: ein Mann mit heiligmäßigem Leben und geistlichem Umgang, der fest an Caterinas Mission glaubte und unbedingt wollte, dass die unter seiner Obhut stehenden Mönche ihre Worte hören sollten. Auf seine wiederholte Bitte, die von Fra Raimondo unterstützt wurde, besuchte Caterina die Insel mit einer Anzahl ihrer Gefährten und Freunden aus Pisa. Sie kamen am Abend an, und während Fra Raimondo und die anderen Männer im Kloster bewirtet wurden, fand der Prior für Caterina und die Frauen, die sie begleiteten, außerhalb eine Unterkunft. Am nächsten Tag sprach Caterina auf die inständigen Bitten der Mönche hin in so tief gehender und anschaulicher Weise über die Mühen und Anfechtungen des Klosterlebens, dass alle erstaunt waren, worauf der Prior sich an Raimondo wandte und erklärte: Wenn sie jene Beichten gehört hätte, die ich gehört habe, hätte sie nicht besser und genauer nach dem Bedürfnis eines jeden von ihnen sprechen können. Bartolommeo gibt selbst Zeugnis von der reichen geistlichen Frucht, die sie unter ihnen gewirkt hat. Er berichtet uns, wie sie in einem Boot des Klosters die Insel verließ und wie die Mönche, als sie die Küste Pisas erreicht hatten, sie um ihren Segen für die Rückfahrt baten und überzeugt waren, dass sie durch ihre Fürsprache vor einem plötzlich aufkommenden Sturm gerettet wurden. Er erwähnt auch, wie sie ihn beim Abschied vor einem Skandal warnte, den der Teufel schon bald in seiner Herde heraufbeschwören würde, was sich kurz darauf durch den Selbstmordversuch eines jungen Mönchs bestätigte, der nur durch die Berührung des Mantels, den Caterina zurückgelassen hatte, und durch die Anrufung ihres Namens von der Versuchung befreit wurde.[8]
Die Einfachheit, mit der Don Bartolommeo in seinem hohen Alter diese Geschichten erzählt, ist eine Offenbarung seines Charakters, und es ist unverkennbar, dass Caterina von ihm ebenso angetan und erbaut war, wie er von ihr beeindruckt war. „Gott ruft Euch durch heilige und gute Eingebungen“, schrieb sie an Ippolito degli Ubaldini, einen Florentiner Adeligen, der sie um Rat fragte, ob er ins Kloster eintreten solle, „und Er hat einen heiligen und frommen Ort für Euch bereitet, der völlig von der Welt abgeschieden ist, mit einem Vater, dem Prior von Gorgona, der wahrhaft ein Engel ist, ein Spiegel der Tugend, mit einer guten und heiligen Ordensfamilie. Sprecht mit ihm offen über Eure Absichten und fasst einen festen, unerschütterlichen und treuen Entschluss. Und wenn Ihr Euch entschließt, an diesem heiligen und frommen Ort einzutreten (der das Leben Eurer Seele bedeuten wird), oder was auch immer Ihr beschließt, wenn Ihr Euer Vermögen den Armen verteilt, dann gebt etwas davon auch für Gorgona. Denn das Kloster muss adaptiert werden, wenn es der Regel des Kartäuser-Ordens entsprechen soll.“[9] Zwei ihrer schönsten geistlichen Briefe sind an einen der Mönche dieses Klosters gerichtet, an Francesco Tebaldi aus Florenz, – offenbar derselbe junge Mann, der so schwer versucht gewesen war, sich das Leben zu nehmen. „Wir hatten alle den großen Wunsch, etwas von Euch zu hören“, sagt sie am Ende des ersten Briefes. „Es scheint mir, dass der Teufel Euch gegenüber nicht geschlafen hat und auch jetzt nicht schläft; darüber bin ich sehr froh, weil ich sehe, dass dank der Güte Gottes der Kampf für Euch nicht zum Tod, sondern zum Leben geführt hat. Dank, Dank dem wunderbaren ewigen Gott, der uns so viel Gnade erwiesen hat! Nun werdet Ihr allmählich beginnen, Euer eigenes Nichtsein zu erkennen und ebenso, dass Euer Sein und jede Gnade, die das Sein erfährt, vom Dem kommen, der ist. Ihm sei Dank und Lobpreis; denn es ist sein Wille, dass wir ihm die Blüte schenken und dass die Frucht unser eigen sei.“[10]
Ein Mann strengeren Zuschnitts als der sanfte Prior von Gorgona, der Caterina zu dieser Zeit erstmals begegnet sein soll und danach unter ihren Einfluss geriet, war der Florentiner Eremit von Vallombrosa, Don Giovanni dalle Celle, dessen Name im spirituellen Leben des Trecento immer wieder auftaucht. Seine geistlichen Briefe, die nur zum Teil gesammelt sind, reichen von den vierziger bis zu den neunziger Jahren des Jahrhunderts. Giovanni war in jungen Jahren ein Ordensmann der Vallombrosa-Regel geworden und hatte, während er als Superior von S. Trinità in Florenz wirkte, ein besonders empörendes und schändliches Verbrechen begangen, für das er (nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis) für den Rest seines langen Lebens Buße tat. In den frühesten vorhandenen Briefen bittet er den heiligmäßigen Augustiner-Eremiten, Fra Simone da Cascia, einen äußerst erfahrenen Seelenarzt, „die abscheuliche Wunde meines Geistes“ zu heilen: „Ich war, was ich nicht mehr bin; ich habe Buße getan. Aber jetzt bin ich, wenn ich zurückblicke, eine Salzsäule geworden. Ich habe gekostet, woran ich mich jetzt, in meinem Elend, kaum mehr erinnern kann. Ich bin gefallen und kann aus eigener Kraft nicht wieder aufstehen. Ich trachte danach, wieder der Mensch zu werden, der ich war, aber ich wage es nicht, denn mein Geist ist von Reue überwältigt und von der Scham über meine Sünden verwirrt. Höre mich also aus der Tiefe zu dir rufen und fange an, in mir aufzubauen, was ich zerstört habe.“[11] Danach nannte er sich Giovanni dalle Celle, „Johannes aus der Zelle“, nach der Einsiedelei oberhalb Vallombrosas, in die er sich zurückzog, die er aber zeitweilig verließ, um in Florenz und anderswo für das Heil der Seelen zu arbeiten. Sowohl Männer und Frauen wandten sich an ihn, um sich von ihm führen zu lassen; doch scheint sein besonderes Werk in dieser Hinsicht die Leitung einer Konfraternität junger Männer gewesen zu sein, die als seine Adoptivsöhne bekannt waren und die er im geistlichen Leben unterwies. Zur gleichen Zeit hielt er durch seinen Freund Guido dal Palagio[12] Kontakt zur Regierung der Republik.
Es wird häufig behauptet, Caterina sei auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes nach Pisa gekommen, um bestimmte Verhandlungen in seinem Namen zu führen, mit dem Ziel, die Republik daran zu hindern, sich dem Bündnis anzuschließen, das sich gegen den Heiligen Stuhl zu formieren begann. In Raimondos Bericht gibt es dafür keinen Beleg, und es scheint chronologisch gesehen eine Vorwegnahme dessen zu sein, was sich einige Monate später zutragen sollte. Wenn Caterina eine konkretere Mission außer jener ihres göttlichen Bräutigams zur Bekehrung der Seelen gehabt haben sollte, konnte sie nur im Zusammenhang mit dem angekündigten Kreuzzug stehen. Offenbar sollte sie Pisa als Hauptquartier benutzen, von wo aus sie durch Briefe und durch das gesprochene Wort die Menschen in Italien für den santo passaggio begeistern sollte.
Der Papst versuchte, sich in dieser Angelegenheit, die ihm wahrscheinlich aufrichtig am Herzen lag, allmählich zurechtzufinden. Unter den zahlreichen Bullen, die von Avignon aus versandt wurden, befand sich auch eine, die an den Provinzial der Dominikaner in der Toskana, an den Oberen der Minderbrüder und an Fra Raimondo gerichtet war und sie beauftragte, den Willen und die Bereitschaft der Gläubigen zu erkunden, diejenigen zu erfassen, die bereit waren, ihr Leben diesem großen Unternehmen zu opfern, und dem Papst darüber zu berichten, damit er wisse, auf welche Unterstützung er sich in Italien verlassen könnte, wenn das Banner des Kreuzes tatsächlich aufgerichtet werden sollte. Es gab einige unmittelbare Reaktionen von Einzelpersonen. So hatten sich etwa drei der Buonconti eingetragen; aber es war unbedingt notwendig, die Zustimmung der wichtigsten maritimen Staaten des Mittelmeeres zu erhalten: Neapel, Genua, Pisa und Sardinien – zumal die praktische Beteiligung Venedigs an dem Unternehmen zweifelhaft erschien und Ludwig von Ungarn, trotz angeblicher Zusicherung, kaum Anstalten machte, seine Streitkräfte zur Verteidigung der bedrohten Griechen und ihres Kaisers in Bewegung zu setzen, obwohl ein dringender Brief Gregors ihn zum energischen Handeln aufforderte.[13] Wenig später wurden diese Ermahnungen erneuert, und ein Mönch von großer Beredsamkeit, der zu den wenigen unmittelbaren Verbindungen zwischen dem Korrespondentenkreis Petrarcas und dem Kreis um Caterina gehörte, Fra Bonaventura Badoara aus Padua, ein Augustiner-Eremit, wurde entsandt, um den nachlassenden Eifer des Königs anzufachen.[14] Doch die offiziellen Einladungen des Papstes und die wortgewaltigen Ermahnungen seines Augustiner-Emissärs wirken kühl und oberflächlich im Vergleich zu der feurigen Begeisterung, der reinen und glühenden Leidenschaft, mit der sich Caterina in das Unternehmen stürzte.
Vom Haus der Buonconti aus sandte sie Briefe und Boten in alle Richtungen, zu Fürsten und Herrschern der Republiken, gleichermaßen zu den Anführern der Söldner und zu Privatleuten, und drängte jeden, den päpstlichen Plan nach seinem Vermögen zu unterstützen und bereit zu sein, das Leben für das Kreuz zu geben, sollte es gefordert werden. Eine der ersten, an die sie appellierte, war Königin Johanna von Neapel, deren zweideutiger Charakter und gefährliche Lage ihre Phantasie anregte und ihr Mitgefühl weckte. In Worten von berührender Zartheit beschwört die Jungfrau aus dem Volk die Königstochter, die von den Menschen den Titel einer regina meretrix, einer königlichen Dirne erhalten hatte, ihren Lebenswandel zu bereuen und zu bessern, um so „eine wahre und vollkommene Tochter Gottes“ zu werden, die unermessliche Liebe zu bedenken, die Gott ihr entgegenbringt, und den Baum des Kreuzes in den Garten ihrer Seele zu pflanzen. „Erhebt Euch tapfer, liebste Schwester! Es ist nicht mehr Zeit zu schlafen, denn die Zeit schläft nicht, sondern geht dahin wie der Wind. Um der Liebe willen richtet das Banner des heiligsten Kreuzes in Eurem Herzen auf. Bald ist es so weit, denn der Heilige Vater will, wie ich höre, den Kreuzzug gegen die Türken ausrufen. Und deshalb bitte ich, Euch bereit zu halten, damit wir alle gemeinsam für Christus sterben können. Ich bitte und beschwöre Euch im Namen des gekreuzigten Christus, kommt seiner Braut in ihrer Not mit Eurem Besitz, Eurer Person und Eurem Rat zu Hilfe und zeigt, wie immer Ihr könnt, dass Ihr eine treue Tochter der lieben und heiligen Kirche seid.“[15] Und an Bartolommeo di Smeduccio, den Tyrannen von San Severino in den Marken, einen jungen Condottiere, dessen wachsender Ruhm als Soldat ihm eine Macht und Bedeutung verlieh, die weit über das hinausging, was er mit den ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Streitkräften erreichen konnte, schrieb sie: „Lasst Euer Herz und Eure Seele in Christus, dem lieben Jesus, in Liebe und Verlangen entflammen, ihm für so viel Liebe Leben für Leben zurückzugeben. Er hat sein Leben für Euch gegeben – gebt Ihr also Euer Leben für ihn, Blut für Blut. Ich lade Euch im Namen des gekreuzigten Christus ein, Euer Blut für das Seine zu geben, wenn die Zeit kommt, die die Diener Gottes erwarten, um das zurückzugewinnen, was uns genommen wurde, nämlich die heilige Stätte des Grabes Christi sowie die Seelen der Ungläubigen, die unsere Brüder sind und ebenso wie wir durch das Blut Christi losgekauft wurden. Wir müssen den heiligen Ort ihren Händen entreißen und ihre Seelen aus den Händen des Teufels und sie von ihrem eigenen Unglauben befreien. Ich lade Euch ein, nicht nachlässig oder träge zu sein, sobald der Heilige Vater das Banner des Kreuzes erheben und den heiligen Kreuzzug anordnen wird. Ich bitte Euch um Christi, des gekreuzigten Christus, willen, mit Freude und Verlangen die Einladung zu dieser süßen und glorreichen Hochzeit zu erwarten, bei der alle Unreinheit abfällt und die Seele, frei von Sünde und Schuld, am Tisch des Lammes gelabt werden wird. Ihr wäret töricht, wolltet Ihr Euch einer so großen Freude entziehen. Mir scheint, dass jeder von uns seine Liebe bezeigen sollte – wenn nicht aufrecht, dann auf allen vieren –, indem er Gott sein Leben hingibt aus Liebe zum Leben. Macht Eure Verfehlungen und Sünden mit Hilfe Eures Leibes wieder gut, so wie Ihr auch mit Hilfe Eures Leibes gesündigt habt.“[16]
Die Reaktionen auf Caterinas Appelle erfolgten prompt, zumindest was die Worte betraf. Mariano d‘ Oristano, der die Insel Sardinien unter dem Titel eines Richters von Arborea regierte, versprach, sich dem Kreuzzug persönlich anzuschließen und für zehn Jahre zwei Galeeren, tausend Reiter, dreitausend Fußsoldaten und sechshundert Armbrustschützen zur Verfügung zu stellen. Die Genuesen schienen begeistert zu sein.[17] Johanna erklärte sich mehr als bereit. „Meine ehrwürdige Mutter“, schrieb Caterina an die Königin, „soweit es meinen schwachen Kräften möglich ist, will ich die höchste und ewige Güte Gottes bitten, dass er Euch für diese und alle Eure guten Unternehmungen die vollkommene Erleuchtung schenke und er das Verlangen in Euch über alle Maßen vermehre. Möge Euch das Feuer der Liebe entflammen! Dann werdet Ihr einst aus der Herrschaft dieses elenden und vergänglichen Lebens zu jener ewigen Stadt Jerusalem, der Vision des Friedens, gelangen, wo die göttliche Barmherzigkeit uns alle zu Königen und Herrschern machen und jeden belohnen wird, der um seiner [d.h. Christi] süßesten Liebe willen bereit ist, jegliche Mühe auf sich zu nehmen.“[18]
Auch an die Königinmutter von Ungarn, Elisabeth von Polen, schrieb Caterina. Sie teilte ihr mit, dass Johannas Unterstützung gesichert sei, und bat sie inständig, ihren Einfluss auf ihren Sohn, König Ludwig, geltend zu machen und ihn zu veranlassen, der Aufforderung des Papstes nachzukommen und der Kirche mit seinen Waffen zu dienen. „Die Kirche braucht Eure menschliche Hilfe, und Ihr braucht ihre göttliche Hilfe. Seid versichert, dass Ihr – je mehr ihr zu ihrer Unterstützung tut – umso mehr an der göttlichen Gnade, dem Feuer des Heiligen Geistes, der in ihr wirkt, teilhaben werdet. Ich arme Elende habe nichts, womit ich ihr helfen könnte. Wenn mein Blut von irgendeinem Nutzen wäre, würde ich es gerne vergießen. Aber ich will wenigstens das tun: Ich will das Wenige, das Gott mir gibt, für sie aufopfern, damit es ihr helfen und dienen möge, obgleich ich nicht sehe, was ich ihr anderes geben könnte als Tränen, Seufzer und beständiges Gebet. Ihr aber, Mutter, und Euer Sohn, der König, könnt ihr sowohl mit frommen Gebeten helfen als auch sie freiwillig und in Liebe durch menschliche Hilfe unterstützen. Um der Liebe Gottes willen: Scheut diese Mühe nicht, sondern nehmt sie auf Euch für den gekreuzigten Christi und zu Eurem eigenen Nutzen und zu Eurem Heil. Und bittet Euren lieben Sohn innig, sich aus Liebe in den Dienst der Heiligen Kirche zu stellen.“[19]
Doch in der Zwischenzeit hatte sich der politische Horizont Mittelitaliens immer mehr verdüstert. Die beiden päpstlichen Legaten, Kardinal de Noellet in Bologna und der Abt von Marmoutier in Perugia, füllten den Becher ihrer Missetaten nach und nach bis zum Rand, und die Prophezeiungen Birgittas und Petrarcas sollten sich bald an Letzterem erfüllen. Im Sommer dieses Jahres 1375 brach der Sturm mit dramatischer Heftigkeit los.
Seit Beginn des Pontifikates Gregors waren die Florentiner durch die Unterjochung Perugias beunruhigt gewesen und hatten versucht, eine Allianz mit Siena, Pisa, Lucca und Arezzo zur Verteidigung der Toskana gegen die vermuteten finsteren Pläne der päpstlichen Stellvertreter zu bilden. Bisher hatten sich die anderen Kommunen nicht bereit gezeigt, sich in irgendeiner Liga zu formieren, in die die Kirche nicht einbezogen war. Der wachsende Verdacht, dass die beiden Legaten ein Komplott gegen die Freiheitsrechte der Republik schmiedeten – ausgelöst bereits durch die Hilfe, die sie den Salimbeni und den Ubaldini gewährt hatten –, spitzte sich im Juni zu, als nach dem Abschluss des Waffenstillstands zwischen der Kirche und den Visconti in Bologna die Söldner Hawkwoods aus dem Dienst der Kirche entlassen wurden. Im Frühjahr war es in Florenz und im Umland (wie auch in anderen Italiens) zu einer großen Lebensmittelknappheit gekommen; doch trotz des ausdrücklichen Befehls des Papstes weigerte sich Kardinal de Noellet, Getreide aus den Gebieten seines Herrschaftsbereiches dorthin zu schicken. Nun schrieb er an die Signoria, dass Hawkwood Truppen sammeln würde und dass – sollte ihm Florenz nicht wenigstens sechzigtausend Florinen leihen, um sie anzuwerben – er nicht in der Lage wäre, diese Söldner daran zu hindern, das Gebiet der Republik anzugreifen. Da die Signoria sich nicht in der Lage sah, die erforderliche Summe aufzubringen, gelangte Hawkwood mit seiner Kompanie an die florentinische Grenze.
Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die regierende Partei in Florenz seit einiger Zeit den Bruch mit der Kirche anstrebte, zum Teil aus echt patriotischen Motiven, zum Teil, um die Macht der Parte Guelfa innerhalb der Republik zu schwächen. Trotz der ausdrücklichen Behauptungen der Florentiner Geschichtsschreiber ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der Papst oder seine Legaten die Absicht hatten, ein so undurchführbares Unternehmen wie die Unterwerfung der Toskana anzugehen, obwohl es gut möglich ist, dass sie den Sturz der demokratischen Regierungen und die Etablierung eines Regimes im Sinn hatten, das der Ausdehnung der weltlichen Souveränität der Kirche weniger feindlich gegenüberstand. Kardinal de Noellet sagte möglicherweise die Wahrheit, als er erklärte, er habe nicht länger die Kontrolle über Hawkwoods Truppenbewegungen; vielleicht war er auch tatsächlich nicht in der Lage, die Florentiner mit Getreide aus den Städten der Romagna zu versorgen. Gregor konnte – mit gutem Grund von seiner Seite – behaupten, die Florentiner hätten nicht das geringste Recht, sich dem Waffenstillstand mit den Visconti zu widersetzen, da sie selbst ihren Anteil am Unterhalt der Söldner, zu dem sie gemäß Vertrag mit der Kirche verpflichtet waren, nicht beigetragen hatten.[20] Nichtsdestoweniger waren die schlechte Regierung und die ungerechte Politik der päpstlichen Vikare in Italien geeignet, die schlimmsten Befürchtungen zu wecken, und die Florentiner konnten nicht unbeteiligt zusehen, während die benachbarten Städte, die bisher frei oder von freundlich gesinnten Potentaten regiert und ihrer Republik durch die Parte Guelfa verbunden waren, zu bloßen Teilen eines mächtigen und konsolidierten Staates verkümmerten. Der Papst schrieb an die Signoria und beklagte sich über deren unwürdige Verdächtigungen gegen ihn, bekräftigte seine große Zuneigung zu den Florentinern und drängte sie, sich mit dem Kardinal in irgendeiner Weise zu einigen, um Hawkwoods Soldaten daran zu hindern, ihre Städte oder jene der Kirche zu schädigen.[21] Aber nun war es zu spät.
Am 21. Juni erkauften sich die Florentiner von Hawkwood und seiner Societas Anglorum einen fünfjährigen Friedensvertrag um den Preis von 130.000 Goldflorinen. Wenige Tage später steigerte sich die antipäpstliche Stimmung in der Stadt zur Raserei durch die Entdeckung eines Komplotts (das vermutlich von Hawkwood selbst aufgedeckt wurde), wonach Prato an Kardinal de Noellet verraten werden sollte. Zwei der Verschwörer, ein Notar und ein Mönch im Priesterstand, wurden in den Straßen von Florenz mit erschreckender Grausamkeit zu Tode gefoltert. Ferner wurde behauptet, dass ein Agent des Kardinals sich in Florenz aufgehalten hätte, um einen Standort für die Errichtung einer päpstlichen Festung auszuspionieren.[22] Feindseligkeiten waren nun unvermeidlich. Am 24. Juli unternahmen die Florentiner den politisch klugen, aber moralisch nicht vertretbaren Schritt, für fünf Jahre ein Bündnis mit Bernabo Visconti zu schließen. Am folgenden Tag – wobei sie die drohende Gefahr durch das Anrücken der Engländer als Rechtfertigung anführten – informierten sie die Republiken Pisa, Siena, Lucca und Arezzo von diesem Schritt und drängten sie, sich der Liga anzuschließen.
Nachdem Hawkwood auf diese Weise die Florentiner erpresst hatte, kam er im Juli in das Umland von Pisa und anschließend in jenes von Siena und zwang jede dieser Kommunen, ähnliche Forderungen zu akzeptieren. Pisa zahlte 30.000 Florinen und Siena 35.500 (wovon Montepulciano 3.000 beisteuerte). „Damit die Kommune nicht für das büßen musste, was die Hirten der Kirche ihr zu Unrecht auferlegt hatten“, legten die Florentiner und Sienesen den Geistlichen eine hohe Steuer auf, um das Geld aufzubringen, eine Abgabe, die im Fall des Klerus von Siena zwei Drittel der Gesamtsumme betrug.
Caterina befand sich offenbar noch in Pisa, als diese Dinge geschahen. Hawkwood hatte früher einmal eine Art Versprechen abgegeben, dass er sich dem Kreuzzug anschließen würde. Die Zeit schien ihr reif, ihn aufzufordern, sein gegebenes Wort zu erfüllen und so die Toskana in Frieden zu verlassen. Deshalb schickte sie Fra Raimondo mit einem Brief an Hawkwood und seine Führer ins Lager der Engländer und forderte sie auf, den Dienst und Sold des Teufels aufzugeben und Soldaten des gekreuzigten Christus zu werden. „Ich bitte Euch herzlich in Christus Jesus, dass Ihr – da Gott und unser Heiliger Vater den Feldzug gegen die Ungläubigen angeordnet haben und Ihr so gerne Krieg führt und kämpft – nicht mehr die Christen bekämpft, weil das Gott beleidigt. Wendet Euch gegen die anderen. Wie grausam ist es, dass wir Christen, zusammengefügt als Glieder im Leib der heiligen Kirche, einander verfolgen! Ich bin sehr erstaunt darüber, dass Ihr – nachdem Ihr gelobt habt (wie ich hörte), für Christus in dieser heiligen Unternehmung in den Tod gehen zu wollen – nun hier Krieg führt. Das entspricht nicht der heiligen Gesinnung, die Gott von Euch verlangt.“ Der Brief ist allerdings nur das Beglaubigungsschreiben für Fra Raimondo, der ihre vollständige Botschaft mündlich überbringen soll. „Mein Vater und Sohn, Fra Raimondo, bringt Euch diesen Brief. Glaubt, was er sagt, denn er ist ein echter, treuer Diener Gottes und wird Euch nichts raten noch sagen, was nicht der Ehre Gottes und der Rettung und Verherrlichung Eurer Seele dient.“ Hawkwood und seine Führer waren von den Ermahnungen des Ordensmannes so beeindruckt, dass sie alle einen heiligen Eid ablegten, dass sie mitgehen würden, wenn der Kreuzzug tatsächlich beginnen sollte; und so kehrte Raimondo mit ihren unterschriebenen und besiegelten Versprechen zu Caterina zurück.[23]
Im August wählten die Florentiner acht Richter, zwei aus jedem Viertel der Stadt, bekannt als die Otto della Balìa oder Otto della Guerra, um die Auseinandersetzung mit der Kirche fortzuführen. Sie setzten sich aus Vertretern aller Stände des Staates zusammen: ein Adeliger, Alessandro de‘ Bardi; ein Handwerker, Giovanni di Mone; sechs Bürger: Giovanni Dini, Giovanni Megalotti, Andrea Salviati, Tommaso Strozzi, Guccio Gucci, Matteo Soldi. Sie waren alle ausgezeichnete Männer, fähig und erfahren, von aufrichtigem Patriotismus geleitet, und hassten die Überheblichkeit der Parte Guelfa. Durch die energische Umsetzung der ihnen übertragenen Aufgabe erlangten sie eine solche Popularität, dass man sie die Otto Santi nannte. Acht weitere Beamte, bekannt als die Otto di livelli, wurden ernannt, um den Klerus und die Kirchen für die Verteidigung der Stadt zu besteuern.[24] Es wurden Söldner angeworben, deutsche Kavallerie von Bernabo beschafft und ein deutscher Condottiere, Conrad Wertinger, der im Dienst von Galeazzo Visconti stand, wurde zum Generalkapitän der republikanischen Streitkräfte gewählt. Nachdem der Abt von Marmoutier den Florentiner Gesandten in Perugia verhaftet hatte, nahmen die Florentiner den päpstlichen Nuntius, Luca Bertini, Bischof von Narni, der aus Avignon in das Patrimonium zurückkehrte, fest und warfen ihn in den Kerker.[25]
Trotzdem wurde der Krieg gegen die Kirche nicht offiziell erklärt; dem äußeren Anschein nach wurden die diplomatischen Beziehungen mit den päpstlichen Legaten gewahrt. Die anderen toskanischen Kommunen zeigten keine allzu große Bereitschaft zum Eintritt in die Liga. Pierro Gambacorti war gespalten zwischen seinen religiösen Gefühlen und der Notwendigkeit, sich die Unterstützung durch Florenz zu sichern. Siena hatte Meinungsverschiedenheiten in Grenzfragen mit Pisa und Arezzo, wobei letzterer Staat sich als erster Florenz anschloss. Lucca betrachtete die Kirche noch immer als ihre Befreierin aus der Fremdherrschaft und war kaum willens, sich zu irgendeiner feindseligen Handlung zu verpflichten. „Lasst nicht zu, dass Ihr von irgendwelchen Schmeicheleien getäuscht werdet“, schrieb der Papst an die Regierung von Lucca, „noch durch Aufwiegelung korrumpiert, noch durch Drohungen derer geängstigt, die vielleicht danach trachten, Euren Frieden zu stören und Eure Ergebenheit ins Gegenteil zu verkehren, die aber die Freiheit ihrer Nachbarn zur Knechtschaft schmälern, wann immer sie können. Sondern seid wie treu ergebene Söhne Säulen der Kirche, die Eure Freiheit wünscht und sucht.“[26]
Anfang September war Caterina immer noch in Pisa, wo sie am zweiten Tag des Monats Fra Raimondo einen Brief an den neuen Senator von Siena, den Marchese Pietro del Monte Santa Maria, einen frommen und aufrechten umbrischen Adeligen, diktierte, durch den sie in der Lage war, während ihrer damaligen Abwesenheit ständig Kontakt mit der Regierung ihrer Vaterstadt zu halten.[27] Kurz danach kehrte sie allerdings mit ihrer geistlichen Gefolgschaft nach Siena zurück, während Fra Raimondo offensichtlich in Pisa blieb, wo er noch immer mit den Angelegenheiten des Kreuzzugs beschäftigt war. Aber ihr Aufenthalt in Siena war sehr kurz. Die Stadt der Jungfrau konnte für sich selbst sorgen und war zu mächtig, um sich zu etwas zwingen zu lassen, während die Position von Pisa und Lucca äußerst schwierig war. Fast unmittelbar darauf erhielt Caterina – vermutlich durch Alfonso da Vadaterra – einen Befehl vom Papst, sich nach Lucca zu begeben, um die Republik in ihrer schwankenden Loyalität zum Heiligen Stuhl zu bestärken.
Tommaso Caffarini und Neri di Landoccio sind die Einzigen aus Caterinas Gefolgschaft, von denen wir zuverlässig wissen, dass sie sie nach Lucca begleitet haben; der Feder des Erstgenannten verdanken wir einen Bericht über ihren Besuch in dieser schönsten der toskanischen Städte mit ihren Weingärten und Olivenhainen und fernen Marmorhügeln, wo Ruskin beinahe exakt fünfhundert Jahre später „einen Glanz stiller Herrlichkeit und eine Fülle von Möglichkeiten für das menschliche Dasein“ fand. Die Herrscher der Stadt und die Bürger empfingen sie mit höchster Ehrerbietung und Zuneigung, denn die Zeichen und Wunder – sowohl geistige als auch materielle –, die sie hier wie zuvor in Siena und Pisa vollbrachte, und die glühenden Worte, die sie sprach, überzeugten sie davon, dass sie „lehrte wie eine, die Macht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten.“[28] Eine kleine Sammlung noch erhaltener Briefe, die sie nach ihrer Abreise an Frauen aus Lucca mit den wohlklingenden Namen wie Mellina, Colomba, Caterina, Chiara, Bartolommea, Lagina schrieb, zeigt uns die große persönliche Zuneigung zu ihr, die sie in deren Herzen geweckt hatte, und zwar so sehr, dass ihre Anwesenheit ihnen ihr Ein und Alles geworden war.
„Meine geliebten Töchter“, schreibt sie in einem der Briefe, „liebt Gott ohne jeden Vermittler. Und wenn Ihr ihn durch mich Elende und Armselige lieben wollt, dann will ich Euch lehren, wo Ihr mich finden könnt, ohne dabei von dieser wahren Liebe abzuweichen: Geht zusammen mit der verliebten Magdalena zum süßen und ehrwürdigen Kreuz; dort werdet Ihr das Lamm und mich finden, dort erhält Euer Verlangen Nahrung und Erfüllung. Auf diese Weise sollt Ihr mich und alle geschaffenen Dinge suchen; dies soll für Euch Richtschnur und Trost sein. Und glaubt nicht, weil ich körperlich weit weg von Euch bin, dass meine Zuneigung und meine Sorge um Euer Heil von euch genommen sind. Im Gegenteil, sie sind sogar noch größer, als wenn ich leiblich anwesend wäre. Wisst ihr nicht, dass die heiligen Apostel ihren Meister nach seiner Himmelfahrt besser verstanden und stärker gefühlt haben als zuvor? Denn sie hatten sich so an seinem Menschsein gefreut, dass sie nichts darüber hinaus gesucht haben. Doch als ihnen seine Gegenwart genommen war, begannen sie seine Güte zu erkennen und zu begreifen. Deshalb sagt die erste Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen. So sage auch ich: Es war notwendig, dass ich von Euch weggegangen bin, damit Ihr Euch darum bemüht, Gott in Wahrheit zu suchen und nicht über irgendeinen Vermittler. Ich sage Euch, dass es Euch besser ergehen wird als zuvor, wenn Ihr in Euch selbst einkehrt, um über die Worte und Lehren nachzudenken, die Euch erteilt wurden; auf diese Weise werdet Ihr die ganze Fülle der Gnade Gottes empfangen.“[29] In diesen Briefen finden sich wiederkehrende Verweise auf die Liebe Maria Magdalenas zu ihrem göttlichen Meister, und es ist sehr passend, dass ein Erinnerungsstück an Caterina im heutigen Lucca das große Bild von Fra Bartolommeo della Porta ist, das Magdalena und Caterina in ekstatischer Anbetung vor dem zentralen Geheimnis des christlichen Glaubens zeigt.
Wir wissen nicht, wie lange sich Caterina in Lucca aufhielt. Ihre Mission galt eher den Amtsträgern der Republik als den Frauen, und sobald sie der Meinung war, diese in ihrem Entschluss bestärkt zu haben, der Liga nicht beizutreten, reiste weiter sie nach Pisa, wo ihr Einfluss auf Piero Gambacorti die Neutralität dieses Staates und die Zusage sicherte, dass Lucca – falls nötig – durch seine Macht geschützt sein würde. Sie hatte offenbar damit gerechnet, dass ihre Abwesenheit von Siena nur von kurzer Dauer sein würde, aber nun war es unmöglich, Pisa zu verlassen. „Ich fürchte“, schrieb sie an Fra Tommaso della Fonte, „dass ich den Wünschen folgen muss, die man mir übermittelt hat, denn der Erzbischof hat den Generaloberen gebeten, ich möge noch einige Tage bleiben. Bittet den verehrungswürdigen Spanier, er möge uns die Gnade erflehen, damit wir nicht mit leeren Händen zurückkehren. Ich bin überzeugt, mit Gottes Hilfe wird uns dies gewiss geschenkt werden.“[30]
Ende Oktober traf Donato Barbadori, ein Florentiner Bürger, der für seine Beredsamkeit und seinen Patriotismus berühmt war, als Gesandter der Kommune von Florenz in Pisa ein und überbrachte ein Schreiben der Signoria, in dem sie ihr Befremden ausdrückte, dass die Pisaner ihr Angebot abgelehnt hätten. Seine Weisung lautete, Messer Piero und die Ältesten aufzufordern, der Liga beizutreten, und falls sie sich weigerten, sie in eindringlichen Worten vor der Empörung zu warnen, die dies in Florenz hervorrufen würde. Dasselbe sollte er dann in Lucca tun, wo er – falls die Bürger antworteten, sie würden nur dann dem Bündnis beitreten, wenn auch andere Gemeinden der Toskana dies bereits getan hätten – ihnen offen sagen sollte, dass er bereits eine positive Antwort von Pisa erhalten habe (wenn dem so wäre), und hinzufügen sollte, dass die Sieneser durchaus bereit wären, denselben Kurs einzuschlagen. Und tatsächlich trat Siena am 27. November formell der Liga bei, mit der Bedingung, dass dieses Bündnis nicht mehr als vier Jahre dauern sollte, dass Siena nicht verpflichtet sein sollte, mehr als einhundertfünfzig Lanzen in deren Dienst zu stellen und keiner der Verbündeten die Aretiner gegen Siena unterstützen sollte.[31] Dennoch blieben Pisa und Lucca standhaft, auch wenn Pisa insoweit nachgab, als sie einer Truppe Bewaffneter, die Bernabo Visconti nach Florenz entsandte, freien Durchzug durch ihr Gebiet gewährte.
Die Florentiner hatten endlich erkannt, dass selbst mit der zweifelhaften Anhängerschaft der anderen toskanischen Kommunen die Unterstützung Bernabo Viscontis allein nicht ausreichen würde, um ihnen den Kampf gegen den Papst zu ermöglichen – insbesondere, weil Hawkwood, ungeachtet der enormen Bestechungsgelder, die er noch immer von der Republik erhielt, im September in den Dienst der Kirche zurückgekehrt war. Darüber hinaus bekundete der Papst Anfang Oktober (wie bereits einige Male zuvor) seine Absicht, sehr bald nach Rom zurückzukehren. Die Florentiner waren entschlossen, das zu verhindern. Mit Zustimmung der Signoria begannen die Otto della Guerra, eine generelle Rebellion aller Städte der päpstlichen Staaten zu schüren. Es wurden Bevollmächtigte ausgesandt und Briefe verschickt, die alle Kräfte der Republik zur Unterstützung anboten und versprachen, ihre Freiheit zu bewahren. Sie mögen sich daran erinnern, dass sie Italiener sind, deren Aufgabe es ist, zu gebieten und nicht zu gehorchen. Sie mögen die Süße der Freiheit mit der Tyrannenherrschaft jener Barbaren vergleichen, welche die Hirten der Kirche aus Gallien geschickt haben, um sie zu unterdrücken. Sie mögen das schändliche Joch der Fremdherrschaft abschütteln und sich der Freiheit und des Namens Italien würdig erweisen.[32]
Auf diesen Aufruf folgte eine sofortige und nahezu einstimmige Antwort. Die Übergriffe und die Misswirtschaft der päpstlichen Beamten hatten die Grenze des Erträglichen überschritten, und die Empörung der Perugier wurde durch den Tod der Gattin eines Bürgers noch verstärkt, die sich – um den gewaltsamen Händen eines Neffen des Abtes von Marmoutier zu entkommen – aus dem Fenster ihres Hauses gestürzt hatte und auf dem Gehsteig zerschmettert worden war. Am 3. Dezember erhoben sich als erste die Einwohner von Città di Castello mit Hilfe florentinischer Truppen. Viterbo folgte. Der Abt sandte sofort seine englischen Söldner gegen die Rebellen aus, worauf sich am 7. Dezember die Bevölkerung Perugias, Adelige und gemeines Volk gleichermaßen, in Waffen erhob, „im Namen Gottes, Seiner Mutter Maria und der Heiligen Ercolano, Lorenzo und Costanzo“, und schrie: „Tod den Hirten der Kirche!“ Die päpstlichen Beamten und Anhänger flohen alle in die Zitadelle, in die sich auch Gomez Albornoz nach einem vergeblichen Versuch, die Aufständischen abzuwehren, zurückziehen musste. Die Verbindungsgänge der Festung wurden zerstört, und der Abt mit Gomez und den anderen wurden unter Blockade gehalten, fortwährend geplagt durch die rudimentäre Artillerie der damaligen Zeit, insbesondere durch eine Furcht erregende trabocco oder ballista, die riesige Steine schleuderte und caccia-preti, „Priester-Jäger“, getauft wurde.[33]
Gubbio, Sassoferrato, Urbino, Todi, Forlì und andere Städte erhoben sich in rascher Folge. Innerhalb von zehn Tagen gingen mehr als achtzig Städte im Patrimonium, in Umbrien und den Marken der Kirche verloren. Von den größeren Städten enthielten sich der Rebellion lediglich Rom, Ancona und Orvieto. Die Malatesta in Rimini und die Trinci in Foligno optierten noch immer für die Kirche, und die Soldateska Gomez Albornoz‘ hielt weiterhin Ascoli. Gesandte über Gesandte ritten in Florenz ein und überbrachten den Olivenzweig der aufständischen Städte. Die Glocken läuteten, und die Stadt war beleuchtet. Reiterei und Fußtruppen wurden umgehend in Marsch gesetzt, um den Aufständischen zu Hilfe zu kommen. Florenz sandte jeder Stadt eine rote Standarte mit der Aufschrift Libertas in weißen Buchstaben, die zusammen mit der Flagge der Kommune vor ihren Truppen her wehte. Jeder Ort, der sich erhob, wurde in die Liga aufgenommen. Aber wenn auch die Florentiner streng darauf verzichteten, irgendeinen Vorteil für sich selbst zu gewinnen, so war es ihnen weniger um die Befreiung der Bevölkerung als um die Vertreibung ihrer Hirten zu tun. Die ehemaligen Tyrannen, die Kardinal Albornoz ausgewiesen hatte, kehrten in vielen Fällen ohne jeden Protest zurück: Francesco di Vico nahm Viterbo für sich ein, Sinibaldo degli Ordelaffi (der Sohn des gefürchteten Francesco) zog in Forlì ein, die Alidosi eroberten Imola zurück, die Polentani Ravenna, während Graf Antonio da Montefeltro Urbino besetzte.
Caterina war noch in Pisa, als die Nachricht von der Revolution in den päpstlichen Staaten die Stadt erreichte. Sie hielt sich zu dieser Zeit im Hospiz an der Piazza di Santa Caterina in der Nähe des Klosters und der Kirche der Dominikaner auf. Fra Raimondo und sein Gefährte, Fra Pietro da Velletri, überbrachten ihr die Nachricht. „Das ist Milch und Honig“, sagte sie, „im Vergleich zu dem, was folgen wird. So, Vater, handelt jetzt das Laienvolk, aber bald werdet Ihr sehen, um wie viel schlimmer die Taten der Geistlichen sein werden. Sobald der römische Pontifex danach trachtet, ihren üblen Lebenswandel zu bessern, werden sie in der gesamten heiligen Kirche Gottes einen allgemeinen Skandal verursachen, der sie wie eine pestartige Häresie spalten und quälen wird.“[34] Auf diese Weise, versichert uns Raimondo, sagte Caterina das kommende Schisma voraus, dessen Zeuge sie beide bald werden sollten.
Nach dem überwältigenden Triumph der Florentiner wurde es für Pisa und Lucca zunehmend gefährlicher, ihr Angebot auszuschlagen. Vermutlich vor ihrer Abreise aus Pisa richtete Caterina einen neuerlichen brieflichen Appell an die Ältesten in Lucca, die Sache der Kirche nicht aufzugeben. „Wenn Ihr mir entgegenhaltet, dass sie Fehler begeht und sich nicht einmal selbst helfen kann, noch viel weniger ihren Kindern, dann antworte ich Euch, dass es nicht so ist, auch wenn es nach außen hin den Anschein haben mag. Wenn Ihr in das Innere seht, werdet Ihr jene Stärke finden, die ihren Gegnern fehlt. Ich bitte Euch inständig, um des gekreuzigten Christus willen, liebste Brüder und Söhne der heiligen Kirche, immer standhaft und beharrlich in dem zu bleiben, was Ihr begonnen habt.“ Sie drängt sie mit allen Argumenten, die sie aufbieten kann, sich lieber jeder Gefahr auszusetzen als dem Bündnis beizutreten, und schließt mit dem Versprechen der Hilfe aus Pisa. „Ich sage Euch, selbst wenn Ihr allein bleiben solltet, müsstet Ihr in dieser Sache festbleiben und dürft nicht zurückblicken. Aber dank der Gnade Gottes gibt es dort auch noch einen anderen. Das sind die Pisaner, Eure Nachbarn, die Euch – wenn Ihr standhaft und ausdauernd bleibt – nicht im Stich lassen werden, sondern Euch stets zu Hilfe kommen und bis auf den Tod verteidigen werden gegen jeden, der Euch angreifen will. Ach, liebste Brüder, welcher Teufel könnte denn diese beiden Glieder trennen, die, um Gott nicht zu beleidigen, durch das Band der Liebe verbunden sind?“[35]
[1] Brief 127 (117). Vgl. Cristofano di Gano, Memorie, S. 34. Dieser Brief betreffend den Kreuzzug – offensichtlich Caterinas erster an Gregor XI. – ist uns nicht überliefert.
[2] Brief 112 (193). Vgl. Legenda, II. viii. 17 (§ 257), und Cronica Sanese, S. 240.
[3] Dieser Brief – geschrieben aus Konstanz im Jahr 1416 – ist in Biscioni, Lettere di Santi e Beati Fiorentini, enthalten; eine lateinische Version findet sich im Anhang des Processus.
[4] Contestatio Fr. Bartholomaei, Processus, S. 1352, 1353; [Prozess, S. 498–499].
[5] Gedicht in 32 Stanzen, betitelt: „Questa seguente lauda mandò el Bianco alla Beata Caterina da Siena” (Nr. 72 in der gedruckten Sammlung der Laudi spirituali del Bianco da Siena).
[6] Brief 92 (305), der zu jenen gehört, die im Harley-MS. enthalten sind. Vgl. Contestatio Fr. Bartholomaei, loc. cit., S. 1354, 1355 (S. 142 im Sieneser MS.). Das zuvor zitierte Gedicht, das bisher merkwürdigerweise der Aufmerksamkeit aller Biographen der heiligen Caterina entgangen ist, lässt keinen Zweifel an der Identität der Person, die ihr geschrieben hat. Zum Leben von El Bianco aus Città di Castello siehe die Vita d’alcuni servi di Giesù Cristo im Anhang zu Belcaris Vita del B. Giovanni Colombini.
[7] Legenda, II. vi. 10, 11 (§§ 194–198). Vgl. Lombardelli, Sommario della disputa a difesa delle Sacre Stimate di Santa Caterina, S. 13.
[8] Legenda, II. x. 20 (§ 296); Contestatio Dom. Bartholomaei de Ravenna, Processus, S. 1304–1307; [Prozess, S. 406–407].
[9] Brief 130 (271). Das Kloster von Gorgona gehörte den Benediktinern und war erst kurz zuvor den Kartäusern überlassen worden; daher war der Bau separater Zellen für die Mönche erforderlich.
[10] Brief 150 (62), 154 (63).
[11] Dieser Brief wird – zusammen mit Fra Simones Antwort – zitiert in P. Nicola Mattioli, Il Beato Simone Fidati da Cascia (Rom, 1898), S. 392 – 410, und muss vor 1348, dem Todesjahr Simones, verfasst worden sein. Giovannis Verbrechen, wie es bei Girolamo von Vallombrosa in B. Sorio, Lettere del B. Giovanni dalle Celle, S. 7, beschrieben wird, veranschaulicht auf merkwürdige Weise Caterinas Aussage über die üblen Praktiken gewisser Mönche in ihrem Dialogo, Kap. 129.
[12] Dieser war ein Mann von frommem Lebenswandel und großer Wohltätigkeit, der den Studenten der italienischen Literatur durch eine vornehme patriotische Canzone bekannt ist und den Liebhabern des Schönen durch das von ihm gegründete Franziskanerkloster oberhalb von Fiesole ans Herz gewachsen ist.
[13] Instruktion vom 28. Januar 1375. Raynaldus, vii. S. 263. Der Papst gab sich der Illusion hin, dass die Griechen bereit wären, sich als Gegenleistung für den bewaffneten Schutz durch die Ungarn der römischen Oberhoheit zu unterstellen.
[14] Instruktion vom 27. Oktober 1375. Ibid., S. 264
[15] Briefe 133 (312) und 138 (314).
[16] Unveröffentlicht. Anhang, Brief I; [Brief 374 an Bartolomeo Smeducci da Sanseverino].
[17] Brief 66 (125).
[18] Brief 143 (313), datiert 4. August. Johanna trug als Abkömmling Karls von Anjou den Titel einer Königin von Jerusalem.
[19] Brief 145 (311).
[20] Instruktion vom 8. August 1375. Raynaldus, vii. S. 268. Vgl. Capponi, Storia della Repubblica di Firenze, I. S. 319–322; Marchionne Stefani, Lib. IX. rubr. 751; Ammirato, I. 2. S. 691, 692.
[21] Instruktionen vom 16. und 21. Juni. Gherardi, La Guerra dei Fiorentini con Papa Gregorio XI, Dok. 4 und 5.
[22] Diario del Monaldi, S. 507; Ammirato, I. 2. S. 693.
[23] Brief 140 (220).
[24] Vgl. Gherardi, op. cit., S. 23; Marchionne Stefani, Lib. IX. rubr. 752, 753; und unter einem eher feindseligen zeitgenössischen Blickwinkel als „Bürger, die so anmaßend waren, sich bereitwillig santi nennen zu lassen“, Sercambi, Croniche, I. S. 213.
[25] Vgl. Raynaldus, vii. S. 279; Cronica Sanese, S. 246. Die von Augusta Drane aufgestellte (I. S. 347) und von neueren Autoren übernommene Behauptung, dass „der rasende ghibellinische Pöbel, von seinen ‚Acht Heiligen‘ ermutigt, nachdem er die Inquisitoren erschlagen hatte, den päpstlichen Nuntius ergriff und ihn in den Straßen von Florenz bei lebendigem Leib häutete“, ist völlig unzutreffend. Die päpstliche Bulle (Raynaldus, loc. cit.) besagt lediglich, der Nuntius wäre aliquandiu crudelissimo carcere detentus [eine Zeit lang in grausamster Haft festgehalten] worden. Zu einer Darstellung dieser Persönlichkeit, die später Bischof von Siena wurde, siehe G.A. Pecci, Storia del Vescovado di Siena, S. 288–290. Augusta Drane hat ihn vielleicht mit dem Mönch Niccolò verwechselt, der – möglicherweise zu Unrecht – wegen der Affäre von Prato so furchtbar zu Tode gebracht worden war.
[26] Instruktion vom 10. August 1375. Pastor, Geschichte, I. Dok. 3.
[27] Brief 135 (209). Vgl. Cronica Sanese, S. 244, 250.
[28] Caffarinis Bericht über Caterinas Aufenthalt in Lucca findet sich in seinem Supplementum, Tantucci, S. 107, 108; [Suppl. I,2,4; II,6,56]. Neri di Landoccio bezieht sich in seinem Kapitel zum Lob der heiligen Caterina (abgedruckt am Ende von Toresanos Ausgabe der Briefe) auf ein Versprechen, das sie ihm dort gegeben hat.
[29] Brief 164 (348).
[30] Brief 139 (106). Vgl. Dante, Par. xi. 129. Ich neige dazu anzunehmen, dass es sich bei diesem venerabile Spagnuolo nicht um Alfonso da Vadaterra handelt (wie die Herausgeber der Briefe vermuten), sondern um den heiligen Dominikus selbst, weil Caterina an anderer Stelle mit ähnlichen Worten die Dominikaner bittet, seine Fürsprache zu erflehen. Vgl. Brief 344, hier S. ???
[31] Gherardi, op. cit., S. 20. Dok. 83 und 84 [Aretiner – Arezzo, von Siena begehrt, fiel aber schließlich an Florenz].
[32] Gherardi, op. cit., Dok. 103.
[33] Eine lebhafte Schilderung der Befreiung Perugias „aus den Händen der verfluchten Hirten der Kirche“ findet sich im Anhang zu Grazianis Chronik, S. 220–224.
[34] Legenda, II. x. 8–10 (§§ 284–286).
[35] Brief 168 (206).