Das Jenseits

 

Caterina von Siena – im Horizont der Ewigkeit

Referat vor Ordensschwestern

 

Bei Caterina gab es zwei Hauptmotive, die ihr Leben prägten und bestimmten: die Ehre Gottes und das Heil der Seelen, die Gottesliebe und die Nächstenliebe oder um es mit ihren eigenen Worten auszudrücken: das „Verlangen nach der Ehre Gottes und dem Heil der Seelen“. Diese beiden Grundlinien begegnen uns in all ihren Schriften – und damit verbunden die Ewigkeit, das Jenseits als das Ziel, zu dem alles hinstrebt und wofür auch der ganze Welteinsatz Gottes geschah und geschieht.

Der hl. Paulus erinnert uns in seinen Briefen mehrfach an die Vergänglichkeit dieser Welt, dass wir hier keine bleibende Stätte haben und unsere Heimat im Himmel ist (vgl. Phil 3,20). Uns fehlt heute vielfach dieses eschatologische Bewusstsein, von dem die Menschen im Mittelalter noch viel mehr berührt waren. Dieser stärkere Bezug zum Jenseits ergab sich einerseits durch den Glauben, der im Alltag stärker präsent war, andererseits aber auch durch die Nöte der Zeit, durch Sterblichkeit, Seuchen, Kriege, Hungersnöte und vieles mehr. Die Menschen sahen sich ausgespannt zwischen Leben und Tod, Himmel und Hölle, Liebe und Hass, zwischen Grausamkeit und Heiligkeit, zwischen Diesseits und Jenseits, und zwischen Schuld und Sühne – dieses Empfinden beherrschte damals die Zeit. In dieser Welt lebte Caterina, und sie sah diese Welt zunehmend mit den Augen des Glaubens und im Licht des Evangeliums. Bei Caterina muss daher alles, ihr Leben und ihre Schriften auf diesem Hintergrund gesehen werden. Auf dem Hintergrund der Ewigkeit. Anders ist sie nicht zu verstehen.

Nach der Gnade der mystischen Hochzeit wurde Caterina klar: Gott will sie zur Rettung der Seelen. Das ist ihr Auftrag und ihre eigentliche Sendung. Konkret verwirklicht sie diese Sendung im Kontakt mit den einzelnen Personen, durch ihr Briefapostolat, aber ebenso durch ihren Einsatz für den Papst und die Kirche. Denn sie weiß, wenn die Erneuerung oben am Kopf beginnt und bei den damit verbundenen hierarchischen Gliedern, dann wirkt sich das für die ganze Kirche aus und wird damit auch zum Heil jedes einzelnen.

Raimund berichtet in seiner Caterina-Biografie (Vita 15): „Du sollst wissen [lieber Leser], dass die Glut der Liebe, die sie in ihrem Herzen zu allen Gläubigen und noch viel mehr zu der Gemeinschaft aller empfand, so groß war, dass alle ihre Gedanken, Worte und Handlungen und ihr ganzes Leben und Streben nichts anderes erkennen ließen und ausdrückten als … jedem Einzelnen ein heilbringendes Ende zu erwirken.“ Und dann erzählt er, was ihm Zeugen von Caterina berichtet haben, die sie einmal bei einer Ekstase leise sprechen hörten:

„Werde ich denn, o Herr, jemals zufrieden sein können, wenn einer von denen, die wie ich nach Deinem Bild und Gleichnis geschaffen worden sind, zugrunde geht und meinen Händen entrissen wird? Ich will, dass kein einziger von meinen Brüdern, die durch das Band der Natur und Gnade mit mir verbunden sind, auf irgendeine Weise verloren geht. Und ich will, dass der alte Feind alle verliert, Du aber alle zum Lob und zur größeren Ehre Deines Namens gewinnst. Für mich wäre es nämlich viel besser, wenn alle gerettet würden und ich allein die Qualen der Unterwelt ertrüge, wenn nur meine Liebe zu Dir nicht enden würde, als dass ich im Paradiese wäre, sie alle aber der Verdammnis preisgegeben wären, denn die Ehre und der Ruhm Deines Namens wird größer sein, wenn das erste und nicht das zweite geschieht.”

Der Herr antwortete ihr, wie sie später Raimund bekannte: „Die Liebe kann in der Hölle nicht bestehen, denn sie würde sie völlig vernichten. Es wäre leichter, dass die Hölle zerstört würde, als dass die Liebe in ihr bestehen könnte.” Sie aber sagte: „Wenn Deine Wahrheit und Gerechtigkeit es ermöglichen könnten, möchte ich um alles, dass sie zusammenbräche oder wenigstens keine Seele mehr in sie hinabstürzte. Wenn nur das Band der Liebe zu Dir gewahrt bleibt, wäre es mir das Liebste, über den Eingang der Hölle gelegt zu werden und sie zu verschließen, so dass niemand mehr dort eintreten könnte; so würden alle meine Nächsten ihr Heil finden.”

Caterina hatte schon in jungen Jahren das Gespür entwickelt, dass dieses Leben nur ein Vorraum ist und dass wir einmal für unser irdisches Tun Rechenschaft ablegen müssen. Eindringliches Erlebnis dafür war der frühe Tod ihrer geliebten älteren Schwester Bonaventura, durch die sie von ihrer ersten Liebe, die sie dem Herrn gelobt hatte, etwas abgehalten worden war. Bonaventura war bei der Geburt ihres Kindes gestorben und Raimund sah darin eine Strafe Gottes, weil sie schon seit einiger Zeit ihre jüngste Schwester, Caterina, auf eitle irdische Gedanken zu bringen versuchte. Caterina selbst wurde von Gott enthüllt, dass Bonaventura zunächst in ein schweres Fegefeuer kam, ehe sie durch die Gebete und Bußwerke ihrer Schwester in den Himmel eingehen durfte. Caterina hatte nämlich dann während ihres Aufenthaltes in Bad Vignoni dafür bewusst Buße getan, wie sie später ihrem Beichtvater, Raimund von Capua, im Beisein ihrer Mutter Lapa erzählte: „Während ich unter dem Wasserstrahl stand, dachte ich ständig an die Qualen der Hölle und des Fegefeuers. Und dabei bat ich meinen Schöpfer, den ich so sehr beleidigt hatte, er möge mir in seiner Gnade zu jenen Strafen, die ich verdient habe, voll Erbarmen jene Qualen anrechnen, die ich jetzt freiwillig ertrage. Während ich fest daran glaubte, dass ich diese Gnade von seiner Barmherzigkeit erlangen würde, war mir alles süß, was ich erlitt, und ich bekam keine Brandwunden, wenn ich auch den Schmerz spürte” (Vita 70).

Caterina Sendung zum Heil der Seelen war ein eindeutiger Auftrag des Herrn. Als sie nämlich einmal in ihrer kleinen Kammer betete, erschien ihr der Herr und Erlöser des Menschengeschlechtes und verkündete ihr das Neue, das er mit ihr vorhatte, mit folgenden Worten (Vita 165): „Du sollst jetzt schon wissen, Meine geliebte Tochter, dass Ich die künftige Zeit deiner Pilgerschaft mit neuen Gaben begleiten werde … Ich werde in dein Herz eine solche Gnadenfülle gießen, dass sie auf wunderbare Weise auch deinen Leib erfassen wird und er dadurch eine neue, ungewohnte Art des Lebens erfährt und erlangt. Überdies wird dein Herz so heftig für das Heil der Nächsten entbrennen, dass du dein Geschlecht vergessen und dein bisheriges Leben von Grund auf ändern wirst. Du wirst nicht mehr, wie du es gewohnt bist, den Umgang mit Männern und Frauen meiden, nein, du wirst dich für das Heil ihrer Seelen allen Mühen aussetzen, soweit du es vermagst. Daran werden sehr viele Anstoß nehmen; … Du aber lass dich durch nichts in Verwirrung bringen …, denn Ich werde immer mit dir sein. Führe also unerschrocken aus, was der Heilige Geist dich lehren wird, denn Ich werde durch dich viele Seelen dem Schlund der Hölle entreißen und mit Hilfe Meiner Gnade in das Himmelreich führen.”

Raimund bringt hier neben anderen das Beispiel des Andrea di Naddino dei Bellanti (Vita 224–226), der einer reichen Kaufmanns- und Bankiersfamilie entstammte und von seinen Zeitgenossen als „einzigartiger Schuft” bezeichnet wurde. Er war nicht nur ein schwerer Sünder und Gotteslästerer, der sogar einmal ein Marienbild ins Feuer geworfen hatte, sondern er war auch stolz und hartnäckig, so dass er jegliche Reue und Bußgesinnung ablehnte. Caterina aber betete für ihn zum Herrn: „Wenn Du, Mein teuerster Herr, unserer Sünden gedenken wolltest, wer könnte da der ewigen Verdammnis entrinnen? Bist Du etwa deshalb in den Schoß der Jungfrau herabgestiegen und hast die grausamste Todesstrafe auf Dich genommen, nur um unsere Sünden zu sehen und zu strafen? Oder hast Du es nicht vielmehr getan, um sie zu tilgen? Erinnere Dich, Herr, daran, was Du mir gesagt hast, als Du mir zu verstehen gabst, ich sei zum Heil der Seelen bestimmt!“

Ein ähnlicher Einsatz Caterinas geschah auch für den Politiker Nanni di Ser Vanni Savini. Einer seiner Söhne wurde dann später Olivetaner, Caterina schrieb ihm (Brief 287b). Als Nanni nach seiner Bekehrung, also nach der Beichte, dennoch ins Gefängnis kam und sogar enthauptet werden sollte, wurde Caterina erneut gebeten, für ihn betend bei Gott einzutreten. Caterina Antwort auf die Bittsteller: „Warum seid Ihr seinetwegen betrübt? Ihr solltet Euch eher freuen! Denn nun könnt Ihr erkennen, dass der Herr die ewige Strafe von ihm abgewendet hat, da er ihn schon im gegenwärtigen Leben büßen lässt. Zuvor hat der Herr ihm die ewige Strafe zugedacht, jetzt hat er voll Erbarmen seine ewige Strafe in eine zeitliche umgewandelt.“ D.h. für Caterina ist entscheidend die Abwendung einer ewigen Strafe, die irdische Strafe ist vergänglich und eine Wiedergutmachung. Aber Caterina hatte auch dies von Gott erbeten: „Seid nicht besorgt, dass er verzweifeln könnte: Er, der ihn vor der Hölle bewahrt hat, wird ihn auch aus dem Gefängnis befreien.“

Caterina erhielt von Gott mehrmals auch Einblicke in die Welt des Übernatürlichen – sowohl in die Herrlichkeit des Himmels und seiner Bewohner als auch in die Schrecken der Hölle. Ihrem früheren (ersten) Beichtvater hatte Caterina von einer Vision der hlst. Dreifaltigkeit erzählt (in der Kirche San Domenico) und was sie dabei erlebt habe, sei mit Worten nicht wiederzugeben. „Als sie es dennoch versuchte, sagte sie, sie hätte jene Glückseligen und Heiligen gesehen, die die Liebe Gottes verkosten würden; auch hätte sie eine einzige Liebe und eine einzige Eintracht zwischen der Natur der Engel und der Menschen und einen einzigen Willen gesehen, ebenso wie jeder einzelne Heilige am Gut des anderen Anteil nahm, vor allem an jener Tugend, die in dem anderen Heiligen ganz besonders stark und lebendig gewesen war“ (Supplementum 2, 6, 32).

Ähnliche Einblicke wurden Caterina öfter gewährt. Bekannteste Beispiel dafür ist aber ihr mystischer Tod. Vier Stunden lang war ihre Seele vom Leib getrennt (wie von den dabei anwesenden Zeugen bestätigt wurde). Auf die Frage Raimunds, was sie dabei gesehen habe, gab Caterina zur Antwort (Vita 214): „Ihr sollt wissen, mein Vater, dass meine Seele alles gesehen und erkannt hat, was es in der anderen, uns unsichtbaren Welt gibt, etwa die Herrlichkeit der Heiligen und die Strafen der Sünder. Doch das Gedächtnis fasst es jetzt nicht, und die Worte sind zu schwach, alles auszudrücken. Soviel es mir aber möglich ist, werde ich es Euch sagen. Nehmt es also als sicher an, dass meine Seele das Wesen der Gottheit gesehen hat. Das ist auch der Grund, warum mir der Aufenthalt in diesem Kerker des Leibes so schwer fällt …“

„Ich habe auch die Strafen der Verdammten gesehen und die Leiden derer, die im Fegefeuer sind. Sie können mit keinem Wort ausreichend geschildert werden, und wenn die unseligen Menschen auch nur die geringste jener Qualen sehen könnten, würden sie lieber zehn leibliche Tode wählen, wenn es möglich wäre, als auch nur die kleinste Qual für einen Tag erleiden. Insbesondere habe ich die Strafen derjenigen gesehen, die in der Ehe gesündigt haben, indem sie nicht die versprochene Treue hielten, sondern ihren leiblichen Begierden nachgingen.“ Und warum gerade diese Sünde? „Weil ihnen diese Sünde nicht so bedeutsam erscheint und sie daher auch keine großen Gewissensbisse haben, wie das bei anderen Sünden der Fall ist, wird sie auch öfter und vielfältiger begangen.” Und sie fügte hinzu: „Diese Schuld, selbst wenn sie klein ist, ist besonders gefährlich, weil der, der sie auf sich lädt, sich nicht darum kümmert, sie durch Buße zu tilgen.“

Was Caterina dabei gezeigt wurde – die Herrlichkeit der Heiligen, die Strafen der Verdammten und die Leiden des Fegefeuers – wird zwar in den Briefen nur selten direkt erwähnt, bildet aber den überall durchscheinenden Hintergrund. Vor allem wenn sie auf die Kürze der Zeit verweist. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich dann später in ihrem Hauptwerk, dem Dialog. Caterina ist weit davon entfernt, die Zustände des Jenseits in phantastischen und oft übertriebenen Bildern auszumalen, wie es damals nicht unüblich war, wie es etwa Dante in seiner Dichtung der göttlichen Komödie getan hat, oder auch in der verbreiteten Erzählung des Ritter Owein und seinen Erlebnissen im Fegefeuer des hl. Patrick (einem berühmten irischen Wallfahrtsort des MA). Berühmt war der Freskenzyklus „der Triumph des Todes“ auf dem Campo Santo in Pisa, von dem leider nur mehr Reste vorhanden sind. Caterinas Darstellungen sind Versuche, das von ihr Geschaute mit menschlichen Worten auszudrücken. Dabei wird deutlich, dass die Glückseligkeit der Himmelsbewohner in der Anschauung Gottes besteht. Aus dem, was Caterina im Dialog darüber ausführt, ergibt sich zusammenfassend folgendes:

  1. Gott ist Ursprung und Ziel des Menschen. Und daher auch Ursprung und Ziel aller Wünsche und Sehnsüchte, die Gott, der Schöpfer, den Menschen ins Herz gelegt hat. In Gott wird jedes Verlangen erfüllt. Wobei sich Sehnsucht und Erfüllung (ohne Qual oder Überdruss) ständig ergänzen: „sobald die Seele die Schwere des Leibes verlassen hat, ist ihr Wille erfüllt und in ihrem Verlangen, Mich zu sehen, schaut sie Mich. Dieses Schauen ist eure Glückseligkeit“ (Dialog 45).
  2. Jeder Mensch bekommt Anteil am Gut Gottes entsprechend dem Maß seiner Liebe, mit der er auf Erden geliebt hat und er nimmt auch teil am Glück des Nächsten: „Sie haben in der Liebe zu Mir und zum Nächsten gelebt, und sie sind vereint in der allgemeinen und der besonderen Liebe, die beide aus derselben Liebe hervorgehen. Sie freuen sich und jubeln, da neben dem umfassenden Heil, das sie alle gemeinsam besitzen, jeder einzelne auch liebend Anteil hat am Heil des andern“ (Dialog 41). Denn Gott hat auch im Himmel die Liebe geordnet (vgl. Dialog 148).
  3. Caterina betont immer wieder die Vielfalt, dass es im Haus des Vaters viele Wohnungen gibt.

„Die Heiligen gingen alle die Straße der Liebe – aber auf verschiedenen Wegen, denn keiner ist so wie der andere. Sogar bei den Engeln gibt es Unterschiede, weil sie nicht alle gleich sind. Daher gehört es auch zu den Freuden der Seele im ewigen Leben, Gottes Größe in seinen Heiligen zu schauen, und zwar in der Vielfalt und Verschiedenheit, mit der er sie ausgezeichnet hat“ (Brief 39).

  1. Gott kennt keine Serienproduktion, sondern nur unendliche Vielfalt und die individuelle Vollendung jedes einzelnen seiner Geschöpfe. Daher bleiben auch die persönlichen Bande der Liebe, die in diesem Leben bestanden haben, weiter bestehen: „Obwohl sie alle durch das Band der Liebe vereint sind, nehmen sie doch auf einzigartige Weise am Heil derer teil, die sie in der Welt mit besonderer Liebe innig geliebt haben, einer Liebe, durch die sie in der Gnade und Tugend gewachsen sind. Sie halfen sich gegenseitig dabei, Meinen Namen in sich und in ihren Nächsten zu verherrlichen und zu loben. Jetzt, im ewigen Leben, haben sie diese Liebe nicht verloren, vielmehr besitzen sie diese noch und teilen sie miteinander noch inniger und in größerer Fülle und fügen ihre Liebe dem allgemeinen Heil hinzu.“ D.h. „dass sie mit jedwedem Band der Liebe, mit dem sie bei ihrem Sterben verbunden waren, in alle Ewigkeit verbunden bleiben werden.“
  2. Weil der Wille der Seligen im Himmel mit dem Willen Gottes vollkommen eins ist, wären die Seligen auch nicht betrübt, wenn sie eines ihrer Angehörigen in der Hölle fänden. Ihr einziges Verlangen besteht darin, dass Gott verehrt und geliebt wird. „Weil sie Meine Ehre suchen, verlangen sie nach eurem Heil, und daher bitten sie Mich stets für euch.“
  3. Sie wünschen sich auch wieder das Geschenk ihres Leibes. Und zwar nicht zur Vermehrung ihrer Seligkeit – denn „Nicht der Leib macht die Seele selig, sondern die Seele den Leib –, sondern zur Übereinstimmung mit dem Leib des Auferstandenen. Denn in ihm ist der Leib des Menschen bereits zu seiner höchstmöglichen Vollendung gelangt. „Jede Tat, ob gut oder böse, wird durch den Leib ausgeführt. Daher ist es nur gerecht, Meine Tochter, dass Meine Erwählten in ihren verherrlichten Leibern mit Ehre und unendlichem Glück belohnt werden für alle Mühsal, die sie für Mich an Leib und Seele getragen haben.“ Ihre Leiden werden „als Schmuck an ihren Leibern bleiben, so wie Zierborten an einem Kleid – nicht dank der Vorzüglichkeit des Leibes, sondern dank der Fülle der Seele, die dem Leib die Frucht ihrer Mühsal aufprägt und äußerlich sichtbar macht, da er ja ihr Gefährte in den Werken der Tugend war.“

(Alles: aus Dialog 41–45).

Neben diesen breiten Ausführungen im Dialog gibt es unter den Briefen nur einen einzigen, der dieses Thema aufgreift. Ich möchte diese Briefstelle noch zitieren, weil sie eine sehr gute Zusammenfassung des bisherigen ist. Es handelt sich um einen Brief an eine reiche Dame aus Neapel, Giovanna, Gräfin von Mileto und Terra Nuova. Caterina schrieb ihr den Brief acht Monate vor ihrem Tod.

Inhalt: Der wahre Reichtum des Menschen sind die Tugenden. Denn: „Die Tugenden geben uns Licht und mit dem Licht führen sie uns zur Pforte des ewigen Lebens. Diese Pforte ist geöffnet durch das Blut Christi.“ Und nun schreibt Caterina, dass nur die Liebe, die Königin aller Tugenden, in den Himmel eintritt, da die anderen Tugenden, Glaube, Hoffnung usw. nicht mehr notwendig sind, da wir alles haben, was wir erhofften. „Dort brauchen wir nur die Liebe. Denn das ewige Leben ist nichts anderes als die Liebe, mit der wir Gottes Wesen verkosten. Seine Liebe hat uns würdig gemacht, ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen und in diesem Schauen liegt unsere Glückseligkeit. In dieser Schau lässt uns die Liebe an dem jeweiligen Gut des anderen teilhaben, an der Seligkeit aller Engel und all derer, die im ewigen Leben sind. Aus Liebe lässt Gott es geschehen, dass wir uns an ihm erfreuen, ja, in ihm erfreuen wir uns alle, erfüllt und gesättigt im friedvollen Meer seines Wesens. Und so gesättigt hungern wir noch, doch dieser Hunger kennt keinen Schmerz und die Sättigung keinen Überdruss. Die Liebe und die Zuneigung unter uns sind so stark, dass der Kleine den Großen nicht beneidet, sondern alle zufrieden sind und einer sich im Gut des anderen ausruht. Daher braucht man dort nur die Liebe, und ohne sie kann niemand dorthin gelangen.“

Über das Glück der Seligen findet sich in den anderen Briefen Caterinas nur noch sehr wenig. Wesentlich häufiger dagegen werden die Gefahren vor der ewigen Verdammnis erwähnt. Das geschieht nicht aus Freude am Thema, sondern aus der Sorge um das Heil der Seelen, für die sie sich verantwortlich weiß vor Gott. Dabei hält sie den Adressaten vor Augen, dass dieses oder jenes Verhalten unweigerlich ins Verderben führt. Allen voran die Selbstsucht und auch die Ungeduld: „Sie lässt sie bereits im Voraus die Hölle verkosten und bringt ihnen schließlich die ewige Verdammnis“ (Brief 38 an Agnesa Malavolti).

Ausführlich wird dieses Thema wieder behandelt im Dialog, wo über die Verdammten gesprochen wird und über, aus denen sich auch alle anderen ergeben.

  1. Die erste besteht im Verlust der Gottesschau, dass also diese Seelen nicht mehr in der Lage sind, Gott zu sehen. Das ist so schmerzhaft für sie, dass sie – wenn sie könnten – eher Feuer und die schrecklichsten martern auf sich nehmen, um Gott zu schauen.
  2. Die zweite Qual ist das ständig peinigende Gewissen. Denn wenn sie sehen, dass sie aufgrund ihrer Schuld der Gegenwart Gottes und der Gemeinschaft der Engel beraubt sind und stattdessen nur mehr die Dämonen sehen, nagt in ihnen unablässig das Gewissen.
  3. Ihr drittes Leiden besteht im Anblick des Teufels. D.h. dass sie ihn so sehen, wie er wirklich ist – nämlich furchtbarer als sich das menschliche Herz vorstellen kann. „Wenn du dich recht erinnerst, dann weißt du, dass Ich ihn dir einmal für einen winzig kleinen Augenblick in seiner wahren Gestalt gezeigt habe. Und nachdem du wieder zur Besinnung gekommen bist, hast du gesagt, du würdest dich eher dafür entscheiden bis zum jüngsten Tag auf einer Straße aus Feuer zu gehen, als ihn noch einmal sehen zu müssen. Doch trotz alledem, was du gesehen hast, weißt du nicht wirklich, wie schrecklich er ist. Denn meine göttliche Gerechtigkeit lässt ihn für diejenigen, die Mich verloren haben, noch viel schrecklicher aussehen – und zwar entsprechend der Schwere ihrer Schuld.“
  4. Die vierte Qual ist das Feuer. Dieses Feuer brennt, doch es verbrennt nicht, denn die Seele kann nicht verbrannt werden, da sie körperlos ist und nicht aus Materie besteht, die vom Feuer verbrannt werden kann. Es brennt und quält sie auf verschiedene Weise, je nach der Verschiedenheit ihrer Sünden – und entsprechend der Schwere ihrer Schuld.

Was hier vor allem deutlich wird ist dies, dass sowohl für die Seligen wie auch für die Verdammten die Ewigkeit im Schauen besteht, in der beseligenden Anschauung Gottes, der visio beatifica oder im Entzug dieser Schau und im Anschauen bzw. im beständigen Anblick des Bösen. Wer denkt hier nicht an die Macht der Bilder, die medial auf uns einstürmen – oftmals mehr schlechte als gute – und die Seele förmlich einstimmen auf die Schau des Bösen?

Solange wir hier auf Erden leben ist unser Wille noch frei. Dann in der Ewigkeit aber ist er gebunden. Caterina führt diesen Gedanken weiter aus in einem Brief (Brief 5) an Francesco da Montalcino, einem Rechtsgelehrten an der Universität in Siena, mit dessen Gemahlin Caterina bekannt war: „Wenn ich recht sehe, so ist das ewige Leben nichts anderes als der fügsame Wille, der mit dem heiligen Willen Gottes übereinstimmt und ihm unterworfen ist! Ein solcher Mensch kann nichts anderes wünschen oder wollen als das, was Gott will, und jegliche Freude, die die Seligen besitzen, beruht auf diesem fügsamen Willen. Das Gegenteil ist bei denen, die in der Hölle sind.“ Denn: „Wenn sie im Hass sterben, mit der Schuld der Todsünde, sind sie durch göttliche Gerechtigkeit für immer an diese Kette des Hasses gebunden und bleiben für immer starrköpfig in ihrer Schuld“ (Dialog 40).

Auch der Teufel und die Dämonen wurden von Gott geschaffen, aber durch ihren Hochmut aus der Anschauung Gottes herausgefallen. Dennoch müssen sie ihm auch weiterhin dienen. „Sie verherrlichen Mich nicht in der Freude der Liebe, sondern Ich, die ewige Wahrheit, habe sie als Werkzeug eingesetzt, um Meine Diener in der Tugend zu prüfen, und als Vollstrecker für diejenigen, die wegen ihrer Sünden auf ewig verdammt werden, wie auch derer, die im Fegefeuer leiden. Du siehst also, dass Meine Wahrheit sich in ihnen erfüllt, das heißt, dass sie Mich verherrlichen, aber nicht als Bürger des ewigen Lebens, da sie dessen aufgrund ihrer Sünden verlustig gingen, sondern sie verherrlichen Mich als die Vollstrecker Meines Gerichts. Denn durch sie erweise Ich Meine Gerechtigkeit an den Verdammten und an denen, die im Fegefeuer sind.“

Caterinas Sorge um das Heil der Menschen wird in ihren Schriften aber nicht nur durch einen direkten Verweis auf die Gefahr einer ewigen Verdammnis ausgedrückt: Weit mehr und viel häufiger geschieht das in ihren Briefen durch den Hinweis auf die Vergänglichkeit und vor allem auf die Kürze der Zeit. Und zwar in den meisten Fällen ganz im Sinne des Evangeliums, wo wir zur Wachsamkeit aufgerufen werden (vgl. Mk 13,33).

In einem Brief an eine marianische Kongregation in Siena (Brief 184) schreibt sie: „Wir wissen, geliebte Söhne und Brüder in Christus, dem lieben Jesus, dass wir alle sterblich sind. Vom Augenblick unserer Empfängnis im Mutterleib an sind wir zum Tod verurteilt und werden sicherlich sterben, aber wir wissen nicht wann und wie. … denken wir daran, dass der Tod uns jeden Tag ereilen kann – denn unser Leben ist nicht größer als eine Nadelspitze! Unsere Zeit ist knapp bemessen. Unsere Zeit ist kurz.“

Caterina sieht daher die Zeit als große Gabe, als ein Gottes und als einen Schatz, der uns anvertraut wurde, damit wir aus unserem Leben etwas Gutes machen: „Nachdem er uns erschaffen hatte, gab er uns den wertvollen Schatz der Zeit und des freien Willens, damit wir reich werden könnten“ (Brief 131 an Soderini). – „Wir sind diese Kaufleute, denen der Schatz der Zeit anvertraut ist – zusammen mit der Willensfreiheit, die Gott uns gegeben hat, damit wir Gewinn daraus ziehen. Solange wir also Zeit haben, können wir Verluste und Gewinne machen, wie es unserem Willen gefällt“ (Brief 314 an Costanza Soderini).

Die Zeit als Möglichkeit, daraus Verlust und Gewinn zu machen, weist darauf hin, dass jede Zeit, d.h. der gegenwärtige Augenblick, das Jetzt, eine Zeit der Gnade ist, die wir nützen oder verstreichen lassen können (dem freien Willen entsprechend): „Oft lassen wir die gottgeschenkte Gelegenheit vorbeigehen – weil wir die Zeit in unserem eigenen Sinn gestalten wollen –, und so empfinden wir dann vielfach das uns Vorgegebene als dunkel und schmerzlich“ (Brief 117 an Antonio da Nizza). „Dem wahren Diener Gottes ist jeder Ort der richtige Ort und jede Zeit die richtige Zeit, das heißt, wenn für ihn die Zeit gekommen ist, auf die eigenen Tröstungen zu verzichten und die Mühsal zur Ehre Gottes auf sich zu nehmen, dann tut er es. Und wenn es für ihn Zeit ist, den Wald zu verlassen, weil es die Ehre Gottes verlangt, dann tut er es ebenfalls“ (Brief 328 Antonio da Nizza). Die Zeit ist uns aber auch geschenkt, damit wir Gelegenheit haben zur Umkehr: „O grenzenlose Liebe, mit welcher Geduld hast Du uns das Leben geschenkt! Du hast uns Zeit geschenkt; Du wartest auf uns, um unser Leben zu erneuern!“ (Brief 149 Piero Gambacorta).

Caterinas Anspielungen auf die Kürze der Zeit lesen sich wie Weisheitssprüche, die immer aktuell bleiben, weil sie zeitlos sind, so als wären sie aus der Ewigkeit zu uns gesprochen:

– „Wartet nicht auf die Zeit, denn die Zeit wartet nicht auf Euch!“ (Brief 29 Regina della Scala).

– „Trödeln wir nicht länger herum. Lasst uns daran denken, wir kurz die Zeit ist“ (Brief 162 an Franceschina)

– „Warte nicht auf die Zeit, denn Du bist nicht sicher, ob Du sie noch haben wirst; sie wird Dir immer weniger. Gerade wenn wir denken, dass wir leben, kommt der Tod und raubt uns die Zeit. Wenn Du weise bist, wirst Du nicht die Zeit verlieren, die Dir noch zur Verfügung steht. Antworte also Gott, der Dich ruft, mit fester Entschlossenheit“ (Brief 112 an Bandecca).

– „Die Zeit zerfließt unter unseren Händen, ohne dass wir es merken. Es ist nicht vernünftig, auf das zu warten, was wir nicht haben, während wir in der Zwischenzeit verlieren, was wir besitzen“ (Brief 22 an Abt Martino).

– „Beeilt Euch! Beeilt Euch! Denn die Zeit ist kurz, und der Weg weit. Selbst wenn Ihr Euren ganzen weltlichen Besitz weggeben wolltet, so könntet Ihr doch den Lauf der Zeit nicht aufhalten“ (Brief 166 an Monna Colomba).

In Verbindung mit der Kürze der Zeit weist Caterina auch vielfach auf die Hinfälligkeit alles Irdischen und auf die Vergänglichkeit der Dinge hin: „Sie sind völlig unzuverlässlich! Alles verfliegt wie der Wind. Heute lebendig und morgen tot, erst gesund und dann krank, erst reich und bald arm, jetzt freut man sich über seine Kinder und dann sterben sie. Wenn wir diese Dinge zu sehr lieben und ersehnen, dann leiden wir, weil sie nicht dauern und weil wir das, was wir lieben, nicht festhalten können“ (Brief 224 Niera Gambacorta).

Noch ein Bild wird von Caterina häufig verwendet, um als Vorbild zu dienen für den Ernst unseres Lebens: „Wir sind in diesem Leben wie Pilger, die beständig ihrem Ziel, dem ewigen Leben, entgegengehen“ (Brief 13 an Marco Bindi, einen Händler, der einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, da er aus der Stadt Siena verbannt wurde). Als Beispiel dafür nennt Caterina in einem Brief an ihre Mutter Lapa sogar die allerseligste Jungfrau: „Bleibe immer in Gemeinschaft mit der seligsten Mutter Maria. Denn obwohl sie die heiligen Jünger überaus liebte, gab sie ihre Zustimmung, dass sie sie zur Ehre Gottes und für das Heil der Seelen verließen und den Spuren ihres lieben Sohnes nachfolgten. Sie blieb ganz allein zurück, eine Fremde ohne Bürgerrecht und eine Pilgerin“ (Brief 117 an Lapa).

Auf diesem dunklen Weg des Lebens benötigen wir ein Licht, damit wir nicht straucheln, das Licht des Glaubens: „Aber es muss ein lebendiger Glaube sein, das heißt ein Glaube, der von heiligen und guten Werken begleitet wird, denn die Heiligen sagen, dass der Glaube ohne Werke tot ist“ (Brief 110 an Monna Stricca). Wir dürfen uns auf dem Weg durch nichts nicht aufhalten lassen, sondern müssen den Blick fest auf das Ziel richten. Der Pilgerstab in der Hand, das Kreuz, wird uns Stütze sein und Verteidigung gegen alle feindlichen Angriffe. (Brief 278 an Bartolomea di Domenico).

Himmel, Hölle, Fegefeuer, Zeit, Pilgerschaft, Tod und Gericht – diese eschatologischen Themen finden sich alle bei Caterina unterschiedlich verteilt. Über das persönlich Gericht im Augenblick des Todes (Dialog 43 und 129), und über das allgemeine Gericht (Dialog 36–41) wird im Dialog ausführlich gesprochen. In den Briefen dagegen kaum. Caterina weist aber darauf hin, dass Gott unser Gewissen zu unserem Anwalt gemacht hat (und auch zu unserem Richter). Sie verwendet dabei das Bild vom Richterstuhl. „Und so erhebt sich die Seele über sich selbst, um den Richterstuhl ihres Gewissens zu besteigen, da sie kein Gefühl der Eigenliebe mehr unbeachtet und ungetadelt in sich duldet“ (Dialog 63).

 

Ich möchte abschließend aber noch einmal auf das Fegefeuer zu sprechen kommen, von dem die einen meinen, so etwas gebe es gar nicht, und andere wieder, dass es nicht so schlimm werden würde. Damit wird aber nicht nur die Sünde verniedlicht und verharmlost, sondern es wird auch die Bedeutung und Größe des Erlösungswerkes Christi nicht gesehen bzw. missverstanden. Die Sündenvergebung und die Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott bringen den Erlass der ewigen Sündenstrafen mit sich. Zeitliche Sündenstrafen verbleiben jedoch. Der Christ soll sich bemühen, diese zeitlichen Sündenstrafen als eine Gnade anzunehmen, indem er Leiden und Prüfungen jeder Art geduldig erträgt, Gebet Werke der Liebe übt und den Tod ergeben auf sich nimmt. Gott hat uns zwei „Mittel“ gegeben, um die zeitlichen Sündenstrafen zu tilgen: das eine besteht im bewussten Ertragen der irdischen Mühen und Leiden zur Wiedergutmachung (für sich oder andere), das „zweite und letzte Hilfsmittel“ ist das Fegefeuer. Ein Werk der „liebevollen und unermessliche Vorsehung Gottes“ für jene armen Seelen, „die ihre Zeit in törichter Weise vergeudet haben. Jetzt, da sie von ihrem Leib getrennt sind, haben sie keine Zeit mehr, sich Verdienste zu erwerben. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass ihr, die ihr noch im sterblichen Leben seid, für sie Zeit habt: Das heißt, dass ihr ihnen durch Almosen, durch das Göttliche Offizium, das ihr durch Meine Diener verrichten lasst, und durch Fasten und Gebet, die ihr im Stand der Gnade verrichtet, die Zeit der Strafe aufgrund Meiner Barmherzigkeit verkürzen könnt. O welch liebevolle Vorsehung!“ (Dialog 148).

Caterina hatte das zeitlebens sehr ernst genommen. Zum einen durch eine große Hochschätzung des Ablasses (Schatz der Verdienst aller Heiligen, den die Kirche verwaltet und daraus den Gläubigen zuwendet), und durch ihre Bereitschaft, dafür bewusste Werke der Buße auf sich zu nehmen. Raimund berichtet in seiner Biografie (Vita 63), dass Caterina „sich täglich dreimal mit einer eisernen Kette geißelte: einmal für sich, einmal für die Lebenden und einmal für die Verstorbenen“ und zwar, weil sie es dem hl. Dominikus, der ihr erschienen war, gleichtun wollte. Die Legenda aurea berichtet, dass Dominikus dies so getan hätte: „Dreimal des Nachts schlug er seinen Leib mit einer eisernen Kette. Einmal für sich; einmal für die Sünder, die in der Welt sind; und einmal für die Sünder, die im Fegefeuer Pein leiden.”

Als Caterinas Vater zum Sterben kam und von Gott die Gnade erbat, dass er ohne Fegefeuer in die Herrlichkeit Gottes eingehen dürfe, gab der Herr ihr zur Antwort: „Siehe, wegen deiner Liebe, die du ganz auf Mich gerichtet hast, erfülle Ich deine Bitte. Ich werde die Seele deines irdischen Vaters vollständig und ganz von Strafen befreien, du aber wirst für ihn Zeit deines Lebens das Leid tragen, das Ich dir zuteilen werde.“ Caterina nahm die Entscheidung freudig an und sagte: „Herr, Dein Wort nehme ich gerne an: Es geschehe, wie Du es befiehlst.“ Und Raimund weiter: „In der gleichen Stunde, in der seine Seele den Leib verließ, wurde die Jungfrau von Leibschmerzen erfasst, die bis zum Ende ihres Lebens nicht mehr nachließen. Es gab seither keinen Augenblick, in dem sie diese Schmerzen nicht mehr oder weniger spürte, wie sie selbst und die Frauen aus ihrer Umgebung mir oftmals bezeugten und wie ich und andere, die mit ihr Umgang hatten, es auch oftmals gesehen haben.“

Die großen Marienerscheinungen werden immer als Zeichen dargestellt, mit denen der Himmel uns an das Evangelium erinnern möchte. Ich glaube, dass man auch Caterina mit ihrer Ernennung zur Kirchenlehrerin und Patronin Europas in ähnlicher Weise sehen könnte: Als eine Erinnerung für uns, um die fundamentalen Wahrheiten nicht zu vergessen: dass unser Leben Ernstfall ist, dass es um eine Ewigkeit geht, und dass der Preis dafür das Kostbare Blut Christi ist – die ins unendliche Strömen gebrachte barmherzige Liebe Gottes.

 

Anhang

 

Der Limbus der Ahnen

Caterina nimmt in ihren erhaltenen Schriften keinen Bezug auf die Vorhölle der ungetauften Unschuldigen und erwähnt die „Vorhölle der Vorfahren“ nur dreimal. (Thomas von Aquin, Summ. theol. Suppl., q. 69, a. 4–6, spricht von einem „Limbus der Väter“, einem zeitlichen Aufenthaltsort jener, die vor der Erlösung im Stand der Heiligkeit verstarben, und von einem „Limbus der Kinder“, einem bleibenden Zustand jener, die ohne Taufe, aber auch ohne persönliche Sünden gestorben sind. Übereinstimmend mit der Tradition brachte auch Thomas beide Zustände mit der Hölle in Verbindung (limbus – lat. Saum, daher: Rand der Hölle bzw. Vorhölle), und zwar in dem Sinn, dass ihnen die beseligende Anschauung Gottes fehlte. Obwohl Caterina gelegentlich zweimal auf den Tod der getauften Kinder zu sprechen kommt (für die sie annahm, dass sie einzig durch die Verdienste Christi gerettet sind), macht sie nie eine Erwähnung über das Schicksal der ungetauften Kinder. Was den „Limbus der Väter“ betrifft, so erwähnt sie ihn noch in Brief 47 und in Dialog 15 und 32, und zwar in der Terminologie des heiligen Thomas: nämlich als Aufenthaltsort der Heiligen, die durch den Tod Christi am Kreuz daraus erlöst wurden (womit sie allerdings nur das ehemals aus der Knechtschaft befreite heilige Volk Israel meinte). Für die heidnischen Philosophen sieht sie nur den ewigen Tod trotz ihrer Enthaltsamkeit und Armut, die sie der Wissenschaft wegen auf sich genommen hatten: Weil sie das Licht der Wahrheit verloren haben, das durch den Glauben geschenkt wird, deshalb „konnten auch die Philosophen, obwohl sie viele Wahrheiten über Deine Geschöpfe wussten, nicht gerettet werden. Es fehlte ihnen der Glaube an Dich“ (Gebet 24; vgl. auch Dialog 149 und 150).

In einem Gebet wendet sich Caterina mit folgenden Worten an Gott (Dialog 30):

„Oh Du verrückter Liebhaber! War es Dir nicht genug, Mensch zu werden, dass Du auch noch sterben wolltest? War der Tod nicht genug, dass Du auch noch in das Reich der Toten hinabgestiegen bist, um die heiligen Väter dort herauszuführen und Deine Wahrheit und Barmherzigkeit an ihnen zu erfüllen? Deine Güte verspricht denen Gutes, die Dir in Wahrheit dienen, daher bist Du in die Vorhölle hinabgestiegen, um diejenigen, die Dir gedient hatten, der Strafe zu entreißen und ihnen die Frucht ihrer Mühen zu schenken!“

 

W. S.