Edmund G. Gardner
Die hl. Caterina von Siena
Eine Studie über Religion, Literatur und Geschichte
des 14. Jahrhunderts in Italien
2. Kapitel
Von Dante zur heiligen Caterina
Um Caterinas politisches Wirken und ihre Mission zu verstehen, müssen wir uns zunächst den Staaten und Herrschern zuwenden, mit denen sie in direkten Kontakt treten sollte.
Die sogenannte „Babylonische Gefangenschaft“ der Päpste in Avignon, die im Jahr 1305 mit Clemens V. begann, war in gewisser Weise noch immer das vorherrschende Element in der gegenwärtigen Situation. Nach Clemens‘ Tod im Jahr 1314 wurde die Stimme „eines Mannes, der ein Prophet war“, laut, und Dante hatte in seinem Brief an die italienischen Kardinäle in Carpentras für die Stadt Rom die Klage des Propheten Jeremia über Jerusalem erneuert.[1] Unter Clemens‘ Nachfolger, dem Cahorsiner Johannes XXII. (1316–1334), hatte sich die Lage noch verschlimmert. „Das Gold, das die Heiligkeit der Tugenden darstellt, ist in der Kirche verblasst“, schreibt Alvarus Pelagius, „denn alle trachten nur nach materiellem Gold. Ämter und Sakramente werden für Gold gekauft und verkauft. Wann immer ich die Zimmer des Kämmerers unseres Herrn, des Papstes, betrat, fand ich dort Geldmakler und Tische voller Gold und Geistliche, die Goldflorinen zählten und abwogen.“[2] Petrarca hatte zwei poetische Briefe an Benedikt XII. (1334–1342) geschrieben, in denen er ihn zur Rückkehr nach Italien aufforderte, und er richtete einen ähnlichen Appell im Namen Roms an den Mann, der jetzt auf dem päpstlichen Thron saß, Clemens VI. (1342–1352).[3] In Clemens, dem typischen Vertreter aus dem vornehmen Limousin, wurde die Korruption des Papsttums dieser Epoche geradezu personifiziert. Gebildet und eloquent, nicht ohne eine gewisse Großzügigkeit, war sein Privatleben, sowohl als Erzbischof wie auch als Papst, skandalös. Der Luxus und die Verschwendungssucht seiner Hofhaltung waren so groß, dass er die gesamte Christenheit besteuert hätte, um die Mittel dafür aufzubringen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Er verschleuderte das Kirchengut, indem er den französischen Königen Geld lieh, um sie in ihren Kriegen mit England zu unterstützen und um seine Verwandten zu begünstigen, indem er das Heilige Kollegium mit Männern seiner eigenen Prägung und Herkunft besetzte, die gottlos und weltlich waren und von denen viele ein übles und verschwenderisches Leben führten. Wenn man Petrarca Glauben schenken darf, dann passte die zügellose Lasterhaftigkeit dieser jüngeren Kardinäle nur zu gut zu den alten Ausschweifungen ihrer Vorgänger, die diesen Hut getragen hatten, der „nun nach einem Schlechten einem noch Schlechteren verliehen wird“ (che pur di male in peggio si travasa), um es mit Dantes Worten auszudrücken.[4] „Unsere beiden Clemens“, sagte ein französischer Prälat der Kurie (möglicherweise der Patriarch von Jerusalem, Philippe de Cabassole) zu Petrarca, „haben in wenigen Jahren mehr in der Kirche zerstört, als sieben eurer Gregors in vielen Jahrhunderten wieder aufbauen könnten.“[5]
Petrarca hat in seinen drei furchtbaren Sonetten gegen Avignon den Zustand der Gesellschaft, die sich um Clemens‘ Thron scharte, für alle Zeiten wiedergegeben. In einem seiner lateinischen Gedichte, der sechsten Ekloge, mit dem Titel Pastorum pathos, rügt der heilige Petrus, in Gestalt des alten Schafhirten Pamphilus, seinen angeheuerten Nachfolger Mitio, der Clemens selbst darstellen soll, wegen der Verwüstung der Weiden und der Zerstörung der Herden, findet ihn aber nur dreist und triumphierend in seiner Schande.[6] Noch erschreckender ist das Bild der Verderbtheit des päpstlichen Hofes, das uns der Dichter in seinen Epistolae sine titulo hinterlassen hat, wenngleich der Hang zu Übertreibung und rhetorischer Aufblähung deutlich wird. „Was für ein Unterschied“, fragt er, „besteht zwischen den Feinden Christi, die ihn mit einem Kuss verrieten und ihre Knie im Spott vor ihm beugten, und den Pharisäern unserer Tage? Denselben Christus, dessen Namen sie Tag und Nacht mit Lobliedern preisen, den sie in Purpur und Gold kleiden, den sie mit Juwelen überhäufen, den sie auf dem Boden liegend verehren und anbeten – kaufen und verkaufen sie ihn nicht auf Erden wie eine Ware? Als wären ihm die Augen verbunden, sodass er sie nicht sehen kann, krönen sie ihn mit den Dornen ihres gotteslästerlichen Reichtums; sie besudeln ihn mit unreinstem Speichel und beschimpfen ihn mit dem Zischen der Vipern; sie durchbohren Ihn mit dem Speer ihrer giftigen Taten; und, soweit es an ihnen liegt, schleppen sie Ihn – verspottet, nackt, elend und gegeißelt – nochmals auf den Kalvarienberg und schlagen ihn wieder ans Kreuz.“ Avignon ist das Babylon des Westens, Heimstätte aller Laster und menschlichen Elends, wie es der Evangelist im Geiste sah; klein, wahrhaftig, nach dem Umfang seiner Mauern, aber riesig in seiner Anhäufung an Schlechtigkeit.[7]
Am 2. Dezember 1352 wurde der Glockenturm von St. Peter vom Blitz getroffen. Alle Glocken fielen krachend zu Boden und verschmolzen miteinander, als wären sie in einem Hochofen zum Schmelzen gebracht worden. Sofort verbreitete sich in Rom das Gerücht, Papst Clemens sei tot. „Siehe“, hörte eine schwedische Witwe in ihrem Inneren Christus sagen, „so verbrennen jetzt die Glocken, und die Menschen rufen alle: ‘Unser Herr ist tot, unser Herr, der Papst, ist verschieden: Gelobt sei dieser Tag, nicht aber dieser Herr.‘ Wie seltsam, denn wo alle rufen sollten: ‘Möge dieser Herr lange und glücklich leben‘, da rufen sie und sagen voll Freude: ‘Nieder mit ihm und möge er nicht wieder aufstehen!‘ Aber das ist nicht verwunderlich, denn er, der hätte rufen sollen: ‘Kommt, und ihr werdet Ruhe für eure Seelen finden!‘, rief: ‘Kommt und seht mich in Pracht und Gepränge, mehr als Salomo! Kommt an meinen Hof, leert eure Geldbeutel, und ihr werdet das Verderben eurer Seelen finden!‘ So rief er nämlich durch sein Beispiel und durch seine Taten. Darum kommt nun die Zeit Meines Zorns, und Ich werde ihn richten als einen, der die Herde des Petrus zerstreut hat. O, welches Gericht erwartet ihn! Aber dennoch: Wenn er sich noch zu Mir bekehrt, will Ich ihm auf halbem Weg entgegeneilen wie ein liebender Vater.“[8]
Clemens‘ Nachfolger, Etienne d’Albret, der den Namen Innozenz VI. (1352–1362) annahm, war ein einfacher Mann „von guter Lebensführung und geringem Wissen.“ Er unternahm einen ernsthaften, aber fruchtlosen Versuch, den päpstlichen Hof zu reformieren. Die Wirrnisse der französischen Politik und die Präsenz von Söldnerbanden in der Provence machten Avignon zu einer wenig erstrebenswerten Residenz. Innozenz sprach davon, nach Rom zurückzukehren oder es wenigstens zu besuchen. Im Jahr 1353 sandte er den großen spanischen Kardinal Egidio (oder Gil) de Albornoz als Legaten nach Italien, um die Autorität des Heiligen Stuhls im Kirchenstaat wiederherzustellen.
Die beiden bedeutenden Mächte der Halbinsel (wenn man Venedig, das sich kaum mit der Politik des Festlandes beschäftigte, einmal außer Acht lässt) waren Mailand im Norden, wo die Visconti – typische italienische Tyrannen ihres Zeitalters – einen großen Teil der Lombardei vereinnahmten, und Neapel im Süden unter dem Einfluss von Herrschern aus dem Haus Anjou, den Abkömmlingen des großen Karl, den Dante im Tal der Fürsten vor dem Tor zum Fegefeuer sah. Der erstere Staat war eine absolute Despotie unter Führung einer traditionell kirchenfeindlichen Familie; der andere ein feudales Königreich, das normalerweise dem Heiligen Stuhl treu zur Seite stand.
Nach dem Tod Lucchino Viscontis im Jahr 1349 vereinigte sein Bruder, Erzbischof Giovanni – ein fähiger und scharfsinniger Herrscher, einer der am wenigsten schrecklichen dieses grausamen Hauses –, die geistliche und weltliche Oberhoheit über seine Länder in Personalunion. Bologna, das nominell der Kirche gehörte, war die mächtigste Stadt in der Romagna und eine der führenden freien Republiken Mittelitaliens gewesen. Doch die dort ebenso wie anderswo tobenden Auseinandersetzungen führten dazu, dass es 1321 (im Todesjahr Dantes) unter die Herrschaft eines einzigen Mannes, Romeo de‘ Pepoli, fiel, dessen Enkel es im Jahr 1350 an den Erzbischof von Mailand verkauften. Clemens VI. bestätigte diese Transaktion schamlos, indem er ihm die Investitur von Bologna für zwölf Jahre verlieh. Nach Giovannis Tod im Jahr 1354 folgten im weltlichen Herrschaftsbereich seine drei Neffen: Matteo, Bernabo und Galeazzo: Matteo starb bereits im Jahr 1356, entweder als Opfer seiner eigenen Lüste oder von seinen Brüdern vergiftet, und die anderen beiden teilten sich die Besitzungen ihrer Familie. Bernabo machte Mailand zu seiner Hauptstadt, während Galeazzo nach der Eroberung von Pavia sein Hauptquartier in dieser Stadt aufschlug. Ein Visconti ungewisser Abkunft, Giovanni da Oleggio (möglicherweise ein nicht anerkannter Bastard des verstorbenen Erzbischofs), machte sich zum unabhängigen Herrn von Bologna, unterstützt vom Marquis von Ferrara, und regierte mit der seiner Familie eigenen brutalen Tyrannei.
Bernarbo Visconti war nun der Führer der Ghibellinen-Partei in Italien: Ein Mann mit wilden Leidenschaften, zu Wutanfällen von bestialischem Ausmaß neigend, war er ein grausamer und blutrünstiger Tyrann, aber ein kluger und scharfsinniger Politiker. Als mächtiger Jäger erzwang er seine Jagdgesetze durch massenweises Blenden, Foltern und Hängen seiner unglücklichen Landbewohner. Einmal verbrannte er zwei Mönche, die ihn wegen dieser Vorgangsweise zurechtgewiesen hatten, bei lebendigem Leibe. Er knechtete sein Volk mit Steuern und brachte seine fünftausend Jagdhunde bei Bürgern und Konventen unter; ihre Aufseher waren gefürchteter als die Richter der Städte. Bernabo heiratete Regina Beatrice della Scala, die ehrgeizige und fähige Tochter des Despoten von Verona. „Diese Frau“, schreibt Corio, „regierte zum großen Teil die Besitzungen ihres Mannes; sie war eine herrische Natur, stolz und kühn, und unersättlich nach Reichtum.“[9]
Die Herrscherin des Südens, die unter normalen Umständen die Partei der Guelfen angeführt hätte, war jene geheimnisvolle und unglückliche Frau, Johanna von Anjou, „die große Dirne, die auf vielen Wassern sitzt und Königin von Neapel genannt wird.“[10] Die Leser von Dantes Paradiso muss man nicht daran erinnern, dass Karl Robert, der Sohn des vom Dichter verehrten Karl Martell und der Clementia von Habsburg durch seinen Onkel, Karl Martells jüngeren Bruder, Robert den Weisen, vom Thron Neapels ausgeschlossen worden war. Karl Robert wurde im Jahr 1308 König von Ungarn und regierte bis 1342. Im Jahr 1333 hatte die Ehe zwischen Andreas, dem zweiten Sohn von Karl Robert von Ungarn, mit Johanna, der Enkelin und Erbin Roberts von Neapel, – beide erst sieben Jahre alt – eine Versöhnung der beiden rivalisierenden Linien des Hauses Anjou bewirkt. Aber es gab eine Reihe von Fürsten königlichen Geblüts in Neapel, die erwartet hätten, dass des alten Königs Wahl auf sie fallen würde, und die Ungarn waren verhasst. Die Heirat war keine glückliche. Robert von Neapel starb 1343.
Am 18. September 1345 wurde Andreas erwürgt, als er das Zimmer der Königin in Aversa verließ; es scheint denkbar, dass Johanna zumindest eingeweiht und andere Angehörige der königlichen Familie in die Tat verwickelt waren.
So sah es wenigstens der Rächer – der Bruder des Toten, Ludwig von Ungarn –, der nach direkter Erbfolge der Führer des Hauses Anjou war. Als junger König, stark und furchterregend, versammelte er die ungarische Armee und fiel 1347 in Italien ein. Johanna, die ihren Cousin, Luigi von Taranto, geheiratet hatte, floh in die Provence (deren Gräfin sie war), wo sie den Papst von ihrer Unschuld überzeugte und ihm Avignon für einen Bagatellbetrag überließ. Das schwarze Banner der Vergeltung vor sich hertragend, zog der König von Ungarn im Königreich Neapel ein. In Aversa wurde sein Cousin, Karl von Durazzo – als Komplize des Verbrechens –, am Tatort von Andreas‘ Ermordung hingerichtet; die übrige königliche Familie führte er als Gefangene nach Ungarn, auch das kleine Kind, Karobert, Johannas Sohn (angeblich von ihrem verstorbenen Gatten), der unmittelbar darauf starb. Neapel ergab sich in panischer Angst. Aber im folgenden Jahr kehrten Johanna und Luigi zurück; ein langer Krieg wurde durch die Intervention des Papstes im April 1352 beendet; das Königreich verblieb Johanna und ihrem Gatten, Ludwig dagegen das, was er als einziges geschworen hatte: nämlich die Genugtuung, den Tod seines Bruders gerächt zu haben.
Johannas zweiter Ehemann starb im Jahr 1362, und 1366 heiratete sie ein drittes Mal: Jakob von Aragonien, Sohn des Königs von Mallorca. Das Haus Anjou hatte nun drei führende Vertreter: Johanna von Neapel, noch immer von unerreichter Schönheit, luxuriös und großartig, nicht ohne Geist, die dem vergnügungsreichsten und großartigsten Hof Italiens vorstand; König Ludwig von Ungarn, der sein Reich zum mächtigsten Staat Europas machte, indem er 1352 Moldawien und 1365 Bulgarien eroberte; und den jüngeren Karl von Durazzo („Carlo della Pace“), der Neffe des Herzogs, den Ludwig erschlagen hatte, und Gatte von Johannas Nichte Margherita, der im Dienst seines ungarischen Cousins stand und in sich die Ansprüche zweier Linien des königlichen Hauses vereinigte. Im Jahr 1370 folgte Ludwig seinem Onkel mütterlicherseits, Kasimir III., als König von Polen. Den Italienern, die seinen Racheakt für den Bruder erlebt hatten, aber auch die unerbittliche Strenge, mit der er die Ausschreitungen seiner eigenen Truppen in Neapel unterdrückte, erschien er als ein möglicher Herr über das Schicksal der Nation, eindrucksvoller als der Kaiser selbst. In ihren Augen war er kaum mehr ein Fremder als Königin Johanna oder die Visconti von Mailand. Der Republik Florenz wird es ganz natürlich scheinen, ihn gegen den Papst zu Hilfe zu rufen, und selbst Caterina von Siena wird ihn als Verfechter und Verteidiger der Kirche ansehen.
Zwischen dem von Despoten beherrschten Norden und dem feudal regierten Süden lagen die Republiken der Toskana und die nominellen Staaten der Kirche.[11]
Hier war die Guelfen-Republik Florenz noch immer die vorherrschende Macht. Der Adel (Magnaten oder grandi), durch die berühmten Ordinamenti della Giustizia des Jahres 1293 vom politischen Leben ausgeschlossen, war durch die furchtbaren Straßenkämpfe von 1343 endgültig besiegt. Die Macht lag in den Händen des besitzenden Bürgertums, der popolani grassi, der Mitglieder der höheren Zünfte. Aber auch die kleinen Händler und Handwerker, die in den niederen Zünften organisiert waren, drängten schrittweise nach vorne und hatten teil an der Verwaltung. Anzeichen sozialer Unzufriedenheit, Äußerungen einer noch untergeordneten gesellschaftlichen Schicht, waren schon im Hintergrund zu hören. Die oberste Justizbehörde der Republik, die Signoria, bestand aus dem Gonfaloniere der Justiz und acht Zunftprioren (anstelle von sechs zu Dantes Zeiten), zwei aus jedem Bezirk der Stadt. Diese Signori waren für zwei Monate im Amt; ihre Ernennung erfolgte durch das Los und wurde durch einen komplizierten Prozess der Überprüfung geregelt. Danach kamen die beiden „Kollegien“, das heißt, die zwölf Buonuomini, die als Berater der Signoria fungierten, und die sechzehn Gonfalonieri der städtischen Kompanien, vier aus jedem Bezirk. Alle Magnaten – ob von Geburt oder strafweise dazu erklärt – waren aus der Signoria und den Kollegien ausgeschlossen; Mitglieder waren ausschließlich popolani, Florentiner Bürger und Handwerker, die in die höheren oder niederen Zünfte oder Gilden eingeschrieben waren.
Die Exekutive wurde, wie in fast allen italienischen Staaten dieser Epoche, durch drei auswärtige Amtspersonen repräsentiert: der Capitano und der Podestà, beide auswärtige Adelige (das heißt, aus einem anderen italienischen Staat), und der Vollstrecker der Justiz, üblicherweise ein auswärtiger Bürger. Es gab zwei große Räte des Staates: den Rat des Volkes unter dem Vorsitz des Capitano und den Rat der Kommune unter dem Vorsitz des Podestà. Im ersteren waren nur popolani vertreten, während zum letzteren auch grandi zugelassen waren. Von der Signoria vorgeschlagene Bestimmungen mussten zuerst in den Kollegien behandelt werden; sobald sie diese passiert hatten, wurden sie dem Rat des Volkes und dem Rat der Kommune vorgelegt, nach deren Zustimmung sie Gesetz wurden. Zeitweilige Bestimmungen konnten allerdings zwischen der Signoria und einem speziellen Kreis von richiesti – Bürgern, die eigens zu diesem Zweck zitiert wurden – ohne Anrufung dieser Gremien beschlossen werden; und theoretisch, gelegentlich auch praktisch, versammelte sich ein allgemeines Parlament, das allen Bürgern von Florenz offenstand.
Es gab allerdings noch eine weitere Organisation innerhalb der Republik, die wir in engem Zusammenhang mit Caterinas Umgang mit den Florentinern kennen lernen werden: Es handelt sich um die Parte Guelfa mit ihren sechs Anführern und zwei Räten, die ursprünglich im ausgehenden 13. Jahrhundert gegründet worden war, um die Prinzipien der Guelfen im Staat zu wahren. In diesem Gremium dominierten die Magnaten, wobei drei der Anführer aus ihrer Gruppe gewählt wurden. Ihre Befugnis, unliebsame Personen als verdächtige „Ghibellinen“ zu „verwarnen“ und sie dadurch unter hohen Strafen von ihren Ämtern auszuschließen, machte sie sehr gefürchtet, umso mehr, als (da von den „Ghibellinen“ praktisch nur noch der Name übriggeblieben war) diese Macht vielfach dazu missbraucht wurde, um persönliche Animositäten zu befriedigen und die Flammen der Streitigkeiten zu schüren.
In Siena gab es ab der Mitte des 13. Jahrhunderts eine mehr oder weniger ähnliche Verfassung der Kommune und des Volkes – aber mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Organisation des letzteren nicht auf den Zünften oder Gilden basierte, die (mit Ausnahme der beiden Kaufmannsgilden, der Arti di Mercanzia und der Gilde der Wollhersteller) politisch kaum Bedeutung hatten, sondern auf den Societates armorum, der bewaffneten Miliz oder den Kompanien der contrade, der Stadtbezirke, in die die drei Drittel der Stadt unterteilt waren.[12] Das Concilium Campanae – oder der „Rat der Glocke“ –, wählte die Exekutivbeamten des Staates, wie üblich aus dem niedrigeren Adel anderer italienischer Städte: den Podestà, den obersten Justizbeamten, und den Conservatore oder Capitano di Guerra, später Senator genannt, der die Streitkräfte der Republik in Kriegszeiten befehligte. Der Capitano del popolo war dagegen im 14. Jahrhundert immer ein sienesischer Plebejer.
Nach dem Ausschluss der Adeligen oder gentiluomini (milites) aus der Verwaltung im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts hatte Siena eine Periode beträchtlichen Wohlstands unter der oligarchischen Herrschaft der „guten Kaufleute der Guelfen-Partei“, dem Obersten Rat oder Magistrat der Neun, erlebt. Die Neun waren für zwei Monate im Amt, lebten auf Kosten des Staates und (was die niedrigen Stände nicht weniger als den Adel ausschloss) wurden aus der Schicht des reichen und gebildeten Bürgertums gewählt, mehr oder weniger den florentinischen popolani grassi entsprechend. In Siena waren jene Schichten, die Einfluss hatten, späterhin als die Monti bekannt. Die Anhänger und Familien dieses Monte dei Nove sind in der Geschichte Sienas als die Noveschi bekannt. Die Epoche ihrer Herrschaft, in der Siena die Bezeichnung einer amorosa madre di dolcezza erhielt, wird uns in den lebendigen kleinen Meisterwerken, den Sonetten Folgores von San Gimignano, geschildert. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatten sie den Hafen Talamone erworben, mit dem sie die Republik zu einer bedeutenden Seemacht machen wollten, wie es Pisa in der Vergangenheit gewesen war. Aber die ungesunde Lage und die Tatsache, dass der Hafen unmöglich sauber gehalten werden konnte, dämpften bald ihre Begeisterung. Die blutigen Fehden des Adels – der Tolomei gegen die Salimbeni, der Malavolti gegen die Piccolomini, der Saracini gegen die Scotti – hielten den Staat permanent in Aufruhr; Intrigen und Tumulte gegen die bürgerliche Oligarchie, die meist von einer Kombination aus Adel und popolo minuto ausgeheckt wurden, bedrohten die Verwaltung, während die Salimbeni im Umland nahezu unabhängig von der Republik waren, ihre eigenen Bündnisse schlossen und sich nicht selten mit den Feinden ihrer Heimatstadt verbündeten.
Die einst so bedeutende Republik Pisa war unter den Mächten der Toskana zweitrangig geworden. Ihr Schicksal teilte im Verlauf des 14. Jahrhunderts ihr Nachbar Lucca, der 1342 der Herrschaft Pisas unterworfen worden war. Pisa war durch die Fraktionen der Bergolini und der Raspanti gespalten; nachdem letztere ausgewiesen worden waren, übernahm die Familie der Gambacorti die Herrschaft über die Republik. Andrea di Gherardo Gambacorti behielt die Oberhoheit bis zu seinem Tod im Jahr 1351; ihm folgten seine Neffen, Francesco und Lotto. Andreas Sohn Piero werden wir unter den Freunden und Briefpartnern Caterinas finden. Die Regierung der Gambacorti war gerecht, friedliebend und wohltätig – sie waren Männer mit aufrechter Gesinnung und loyal zur Republik.
Mit diesen vier Kommunen – Florenz, Siena, Pisa und Lucca – war Caterina eng verbunden. Die verbleibende toskanische Republik, jene von Arezzo, berührte ihr Leben kaum. Sie hatte bereits von 1336 bis 1343 zu Florenz gehört, und die Tage seiner Unabhängigkeit waren gezählt.
Südlich und östlich der Toskana lagen – wenigstens nominell – die päpstlichen Staaten, in denen allerdings die stets vage Autorität der Kirche auf ein Minimum gesunken war. Manche der darin befindlichen Städte, wie etwa Perugia, verwalteten sich selbst als praktisch unabhängige Republiken; andere, wie Rimini und Forlì, befanden sich in der Hand von Despoten wie der Malatesta oder der Ordelaffi, die sie entweder unter dem Titel eines päpstlichen Reichsvikars oder mit keinem anderen Titel als dem der Macht des Schwertes und der Söldnertruppen regierten. Der Status der Ewigen Stadt selbst war etwas Besonderes und sollte sich auf die gesamte Christenheit auswirken in jenem großen Kampf, mit dem Caterinas letzte Tage verbunden waren.
Im Schatten der Päpste und Kaiser hatte die Römische Republik über die Jahrhunderte fortgedauert, stets dem Namen nach und zeitweilig auch de facto, wenn sich – in der bildhaften Sprache Giovanni Villanis e‘ Romani se levarono a romore e feciono popolo – „die Römer in einem Aufruhr erhoben und eine Volksregierung errichteten.“ „Das antike Volk und die Regierung Roms“, schreibt Matteo, „war für alle Welt ein Spiegel von Beständigkeit und unglaublicher Festigkeit, von aufrechtem und geregeltem Leben und von jedweder moralischen Stärke. Jene aber, die gegenwärtig die Ruinen dieser berühmten Stadt besitzen, sind im Gegenteil völlig wankelmütig und unbeständig und ohne jeden Funken moralischer Tugenden. Mit eifriger und übersteigerter Leichtfertigkeit haben sie oftmals ihren Staat umgestürzt und auf ihrer Suche nach Freiheit diese zwar gefunden, aber nicht gewusst, wie sie sie in rechter Weise gestalten und erhalten sollten.“[13] Die Abwesenheit der Päpste schwächte die Macht des Adels, gab aber gleichzeitig der Republik einen neuen Impuls, deren Rechte 1310 formell durch Clemens V. anerkannt worden waren. Revolution folgte auf Revolution, bis im Mai 1347 der Humanist Cola di Rienzo, voll schwärmerischer und realitätsferner Träume von Roms Vergangenheit, „den Heiligen Staat“ errichtete, die Sache Roms zu jener ganz Italiens erklärte und die italienischen Staaten aufrief, sich von ihren Tyrannen zu befreien und Vertreter in ein nationales Parlament zu entsenden. Der Plan löste sich in Nichts auf – aufgrund der Zeitumstände und der Unfähigkeit des Mannes, der ihn proponierte. Rienzi floh im Dezember und verbrachte mehr als zwei Jahre in mystischer Kontemplation bei den Fraticellen in den Abruzzen. Es folgte eine Zeit der Anarchie – kaum gemildert durch das Jubiläum von 1350, als die päpstlichen Legaten, die sich angegriffen und bedroht sahen, die Stadt mit einem Interdikt belegten. Vom Kaiser als Gefangener nach Avignon gesandt, versöhnte sich Rienzo mit Innozenz VI. und kehrte im Herbst 1353 als Vertreter des Papstes nach Italien zurück, um gemeinsam mit dem großen spanischen Kardinal Gil Albornoz das Gefüge der weltlichen Macht der Kirche wieder aufzubauen – doch erlitt er nur einen schmachvollen Tod auf den Stufen des Kapitols.
„Das Kapitol war noch mit Rienzos Blut befleckt“, schreibt Gibbon, „als Karl IV. die Alpen überquerte, um die italienische und die Kaiserkrone zu erlangen.“ Eine Zeit lang glaubte Petrarca an ihn, wie Dante an seinen Großvater geglaubt hatte – und wurde bitter enttäuscht. Nach der Krönung in Rom durch den Kardinal von Ostia am Ostertag 1355 kehrte er nach Prag zurück: „mit der Krone, die er ohne einen Schwertstreich erlangt hatte; die Taschen voller Geld, die bei seiner Ankunft leer gewesen waren; aber mit wenig Ruhm für tapfere Taten und mit großer Schande, weil er das kaiserliche Majestätsprinzip entwürdigt hatte.“[14] „O, wenn dein Großvater und Vater dir bei der Überquerung der Alpen begegneten“, rief Petrarca, „was, glaubst du, würden sie sagen? Römischer Kaiser dem Namen nach, bist du in Wahrheit nur der König von Böhmen.“[15]
In Siena und Pisa wurde der kaiserliche Feldzug von einem revolutionären Ausbruch und dem Sturz der oligarchischen Regierung begleitet.
Noch während des Zuges nach Rom hatten die sienesischen Abgesandten unter Führung von Guccio Tolomei und Giovanni di Agnolino Salimbeni dem Kaiser zu Pisa im Namen der Neun Treue geschworen, und dieser im Gegenzug, die Freiheiten Sienas zu bewahren und die Neun zu seinen Reichsvikaren zu machen. Aber als sich bei seiner Ankunft in der Stadt im März der Adel und die breite Masse zusammenrotteten und schrien „Lang lebe der Kaiser, Tod den Neunen“, wollte Karl für die unglücklichen Magistraten nicht mehr tun, als dass er sich weigerte, sie der Wut des Mobs auszuliefern. Er nahm ihre Abdankung entgegen, zwang sie, auf alle Privilegien, die er ihnen gewährt hatte, zu verzichten und den Eid, den er ihren Abgesandten geschworen hatte, für null und nichtig zu erachten. Unterdessen plünderte der Pöbel unter der Führung der jungen Adeligen ihre Häuser und schleifte die Amtskasse am Schwanz eines Esels durch die Stadt. Verwandtschaft und Anhänger der Neun verbargen sich, so gut sie konnten. Niemand wollte sie empfangen oder mit ihnen sprechen. Ihre Bedienten ließen sie im Stich. Selbst Priester und Ordensleute mieden sie, als ob sie die Pest hätten.
Die Regierung wurde völlig nach den Interessen der unteren Mittelschicht umgebildet. Eine neue oberste Justizbehörde aus zwölf popolani, fortan bekannt als die Zwölf, die Signori Dodici, vier aus jedem Drittel der Stadt, wurde für eine Amtsdauer von zwei Monaten ernannt, einer von ihnen fungierte als Capitano del popolo und Gonfaloniere der Justiz. Zunächst gab es einen subsidiären Rat von sechs Adeligen, bekannt als Kollegium, die nicht mit der Signoria im Palast residierten, aber ohne die die Zwölf nichts Entscheidendes tun und nicht einmal an den Staat adressierte Briefe öffnen durften. Aber Anfang Juni, nachdem der Kaiser auf seiner Rückreise nochmals Siena passiert hatte, kam Giovanni di Agnolino Salimbeni (der bedeutendste im Rat der sienesischen Adeligen und ein loyaler Republikaner, mit dessen Familie Caterina später eng verbunden sein sollte) – selbst ein Mitglied des Kollegiums, aber der Ansicht, dass diese Abmachung nicht funktioniere – mit den Zwölfen überein, eine allgemeine Versammlung in der Sala Grande des Palastes einzuberufen, in der die sechs Adeligen ihre Ämter niederlegten und das Kollegium aufgehoben wurde.[16] Die Regierung lag also zur Gänze in den Händen der Zwölf und ihrer Anhänger, als Dodicini bekannt, später als Leute der Mittleren Schicht bezeichnet. Die Mitglieder dieser neuen Gruppierung (von Matteo Villani nach den „minuti mestieri“ benannt) kamen aus der Schicht der kleinen Händler und Notare. Sie „bildete eine Schicht zwischen dem Stand der Noveschi und der breiten Masse und bestand zum größten Teil aus Familien, die durch Handel und Gewerbe während der langen Phase der Prosperität, die der Republik unter der oligarchischen Herrschaft der Neun vergönnt war, wohlhabend geworden waren.“[17] Ihre Herrschaft erwies sich allerdings als die korrupteste und unfähigste, die Siena je erduldet hatte, obwohl sie einen letztlich erfolgreichen Krieg gegen Perugia führten und versuchten – teils mit Geld, teils durch Anwerbung anderer Söldner –, mit der zunehmenden Plage fremder Truppen fertig zu werden, die in Abständen das Umland Sienas bedrohten.
In der Zwischenzeit hatten in Pisa die Nachricht, dass der Kaiser die Absicht habe, Lucca zu befreien, und der Versuch, die rivalisierenden Parteien der Raspanti und Bergolini zu versöhnen, zu einer Volkserhebung gegen ihn geführt, bei dem seine Deutschen schwere Verluste erlitten. Beide Parteien waren gleichermaßen daran beteiligt; aber die Raspanti fanden beim Kaiser Gehör und erhielten Unterstützung durch kaiserliche Truppen bei ihrem Rachefeldzug gegen ihre Feinde. Die Häuser der Gambacorti wurden zerstört und die Oberhäupter der Familie wegen Hochverrats unter Anklage gestellt. Ihre Unschuld war offenkundig, aber die kaiserlichen Richter erzwangen durch Folter ein Geständnis. Am 28. Mai wurden die drei Brüder Francesco, Lotto und Bartolommeo Gambacorti zusammen mit vier ihrer führenden Anhänger auf der Piazza degli Anziani in Pisa enthauptet, obwohl sie ihre Unschuld bis zuletzt beteuert hatten. Ihre Leichen wurden auf Befehl des Kaisers drei Tage lang in dem mit Blut vermischten Schmutz der Piazza schmachvoll zur Schau gestellt.[18] Piero Gambacorti wurde samt Freunden und Gleichgesinnten aus der Stadt verbannt; der Kaiser ging inzwischen seiner Wege, hinterließ einen kaiserlichen Vikar und den Staat Pisa in den Händen der verräterischen Raspanti, die im Jahr 1365 mit Hilfe fremder Söldner einen skrupellosen und unwürdigen Emporkömmling, Giovanni dell‘ Agnello, zum Herrn der Stadt machten und ihm den Titel eines Dogen verliehen, zu dem er noch den eines Generalkapitäns von Lucca hinzufügte.
Kardinal Albornoz war gegen Ende des Jahres 1353 nach Italien gekommen. Nachdem er sich mit den Visconti arrangiert hatte, von den Florentinern und Sienesen begeistert empfangen und sogar von der Bevölkerung Perugias willkommen geheißen wurde, begann er zunächst den Kampf gegen Giovanni di Vico, den Titularpräfekten von Rom, den Tyrannen von Viterbo, Orvieto, Cività Vecchia und anderen Orten des Patrimoniums. Orvieto, Assisi, Spoleto und andere umbrische Städte wurden für die Kirche zurückgewonnen, während Rienzo auf den Stufen des Kapitols die letzte Szene seines beklagenswerten Melodrams spielte. Als Karl IV. die Kaiserkrone aus den Händen des Kardinals von Ostia empfing, führte der unermüdliche Spanier seine siegreiche Armee in die Marken, gegen die Malatesta in Rimini, Astorre Manfredi in Faenza, Francesco degli Ordelaffi in Forlì und Cesena. Die kleinen Despoten wurden entweder aus ihren Staaten ausgewiesen oder gezwungen, als päpstliche Reichsvikare zu den Bedingungen des Kardinals zu agieren, der sein Hauptquartier als Rektor des Patrimoniums in Montefiascone aufschlug. Faenza, Cesena und Forlì wurden eingenommen. In offener Feldschlacht von den päpstlichen Streitkräften besiegt, wurde Galeotto Malatesta gezwungen, eine Allianz mit der Kirche einzugehen.
Ein noch größeres Zeichen des Triumphes war die Rückeroberung von Bologna. Von den Armeen Bernabo Viscontis hart bedrängt, übergab Giovanni da Oleggio die Stadt im März 1360 an Albornoz, und Bologna wurde damit der direkten Oberhoheit des Heiligen Stuhls unterstellt. Der kriegerische Neffe des Kardinals, Gomez Albornoz, erhielt den Titel eines Statthalters. Daraufhin kam es zum Krieg zwischen Bernabo und der Kirche: Streitkräfte der Visconti fielen in Bologna ein und bedrängten es neuerlich, bis Gomez Albornoz mit Hilfe von Galeotto und Malatesta Malatesta im Juni 1361 die Armee Bernabos an den Ufern der Savena bei San Rossillo endgültig besiegte. Damit war der Auftrag, die weltliche Herrschaft der Kirche wiederherzustellen, praktisch erfüllt, als Innozenz VI. am 11. September 1362 in Avignon starb.
Wenige Jahre vor seinem Tod hatte Innozenz auf Anraten von Albornoz (der die Stadt weitgehend sich selbst überlassen und ihre Mauern möglicherweise nie betreten hatte) einen einzelnen Ausländer (das heißt, einen Nicht-Römer) zum Senator von Rom ernannt, eine Art Podestà, der für sechs Monate im Amt bleiben sollte – der erste war ein Adeliger aus Siena, Raimondo de‘ Tolomei. Dies gefiel dem Volk; doch zur gleichen Zeit (1360) machten sie sich die Beschäftigung des Albornoz mit der Angelegenheit in Bologna zunutze und setzten eine Volksregierung unter sieben Riformatori (eine Nachahmung der Florentiner Prioren) ein, popolani, die für drei Monate im Amt blieben. Adelige wurden sowohl von der Armee als auch von der Regierung ausgeschlossen; die Volksarmee der Republik wurde unter den beiden Bandaresi (in Nachahmung der Gonfalonieri der Kompanien in Florenz) und vier Antepositi in eine militärische Gilde umorganisiert, die unter der Bezeichnung Felix Societas Balestrariorum et Pavesatorum Urbis, die „fröhliche Gesellschaft der Bogenschützen und Schildträger der Stadt“, bekannt wurde. Die Bandaresi und Antepositi saßen im besonderen Rat der Stadt, zusammen mit den Riformatori und den Oberhäuptern der Rioni (der Bezirke, in die Rom noch immer unterteilt ist). Später bildeten sie zusammen mit den Riformatori die Signoria, die „Signoria der Bandaresi“ genannt wurde. Eine Streitmacht von dreitausend stark bewaffneten Plebejern wartete auf ihre Befehle. Es war ihre Aufgabe, Gerechtigkeit gegen mächtige Bösewichte und starrköpfige Adelige und alle, die Verbrecher in ihren Festungen beherbergten, zu üben; und sie gingen mit äußerster Strenge an die Arbeit. „Es gibt keinen Fürsten oder Magnaten innerhalb der Gerichtsbarkeit des römischen Volkes“, schreibt der Florentiner Chronist, „der nicht in großer Angst davor wäre, und nicht aus Furcht den Gouverneuren von Rom und ihrer Herrschaft gehorcht.“[19] Solcherart war die römische Signoria, mit der sich Caterina von Siena in einer entscheidenden Phase ihres Lebens auseinandersetzen musste. Und es wäre der Kirche besser ergangen, wenn nur die weltlichen Herren von Rom vor ihr gezittert hätten.[20]
Inmitten dieses Wirrwarrs aus politischer Zerrissenheit und moralischer Korruption gab es Männer und Frauen, die nach Gerechtigkeit strebten; es waren Blüten geistlichen Lebens, die sogar in den blutbefleckten Straßen von Siena und in der ausgedörrten Wüste der sieben Hügel von Rom hervorsprossten. Caterinas Werk wurde in einem gewissen Sinn von der schwedischen Prinzessin Birgitta vorweggenommen (die wir heute die heilige Birgitta nennen), jener Blume aus dem Norden, die in die Ewige Stadt verpflanzt worden war – und auch von Giovanni Colombini, der selbst aus Siena stammte.
Giovanni di Pietro Colombini war ein reicher Kaufmann, der dem Stand der Noveschi angehörte und der selbst in der Signoria der Neun einen Sitz gehabt hatte. Er war mit kaufmännischen Agenden und mit dem Erwerb eines Vermögens beschäftigt, bis er eines Tages – um seinen Ärger zu besänftigen, weil das Mittagessen nicht fertig war und er in sein Geschäft zurückkehren wollte – von seiner Frau dazu aufgefordert wurde, einen Band mit Heiligenviten zu lesen. Er stieß zufällig auf die Legende der heiligen Maria von Ägypten und war nach dieser Lektüre völlig bekehrt. Ein anderer Noveschi, der ebenfalls zu den Neun gehörte, Francesco di Mino Vincenti, schloss sich ihm an, und beide suchten den frommen Kartäuser Pietro Petroni auf, der sie aufforderte, Christus in völliger Armut nachzufolgen.[21] Das scheint 1355 gewesen zu sein, im Jahr des Niedergangs der Neun. Einige Jahre später befolgten sie Pietros Rat, brachten ihre Töchter im Benediktinerinnen-Kloster von Santa Bonda unter (dessen Äbtissin, Madonna Paola di Ser Ghino Foresi, eine Art „geistliche Mutter“ dieser neuen Bewegung war) und überließen ihren gesamten Besitz der Kirche und den Armen – nachdem Giovanni vorerst ausreichend Vorsorge für seine Frau, Monna Biagia, getroffen hatte. So wie sie ihre frühere Habsucht durch Armut bestraft hatten, suchten sie jetzt Schande, wo ihnen einstmals Ehrerbietung bezeugt worden war: Zwei Monate hindurch, die Zeit, in der sie der obersten Magistratur der Neun angehört hatten, führten sie nun alle niedrigen Dienste im Palast aus und erbettelten während dieser Zeit ihr Essen in den Straßen.
Es kamen Jünger zu ihnen, die bei der Madonna del Campo empfangen, dort mit Lumpen bekleidet und dann in öffentlicher Demütigung in den Straßen von Siena in den Geist dieser neuen poverelli eingeweiht wurden. Ein junger Adeliger, der sich ihnen anschloss, gestand, er hätte das ebenso schlimm empfunden wie den Tod.[22] Unter den ersten dieser Gesuati (wie man sie später nannte) befand sich Tommaso di Guelfaccio, einer der führenden Noveschi, vormals ein Mann mit verweichlichter und luxuriöser Lebensführung, dem wir in Caterinas Kreis wieder begegnen werden. Giovanni und Francesco zogen dann durch das Umland Sienas, predigten Christus und die Armut, bewirkten überall eine wunderbare Erweckung und entfachten ein neues Glaubensleben selbst unter den Franziskanern und Dominikanern, die sie enthusiastisch begrüßten, besonders in Asciano und Montalcino. Ein Minderbruder sagte zu Giovanni: „Wenn die Ordensleute wieder anfangen, nur mehr von Gott zu sprechen, wird der Geist heiligen Eifers zu uns zurückkehren, und wir werden die Welt in Brand setzen.“[23] Von den Zwölfen aus dem sienesischem Hoheitsgebiet verbannt, zogen sie nach Arezzo, Città di Castello und in andere toskanische Städte, bekehrten die Sünder, setzten die Wiedergutmachung von Ansehen und Gütern durch und schlichteten Fehden und Parteiungen. Auch Pisa begrüßte sie freudig, und schließlich widerriefen die Zwölf, zu ihrer Schande, den Spruch der Verbannung. Etwas vom mystischen Duft dieser Zeit ist in den noch erhaltenen Briefen Giovannis und Francescos spürbar, und ein besonders liebenswürdiger Aspekt darin ist der schöne und ergreifende geistliche Verkehr, der den Erstgenannten noch immer mit seiner treuen Gemahlin verband, die, wie sie sagte, zwar um Regen gebetet, aber eine solche Flut nicht erwartet hatte.
Eine ganz andere Gestalt ist Birgitta, deren Offenbarung im Zusammenhang mit dem Tod von Clemens VI. wir bereits gehört haben. Birgitta wurde um das Jahr 1303 als Tochter von Birger, dem Herrn von Finstad, und seiner Frau Ingeborge (die beide mit dem schwedischen Königshaus verbunden waren) geboren. Als sie noch ein Kind war, wurde sie mit Ulf Gudmarsson, einem schwedischen Adeligen königlichen Geblüts, verheiratet, dem sie acht Kinder gebar, von denen Karl, der älteste ihrer fünf Söhne, und Katharina, die zweite von drei Töchtern, in dieser Geschichte eine Rolle spielen werden. Ihr Eheleben war (abgesehen von der erzwungenen Heirat ihrer ältesten Tochter mit einem unwürdigen Mann) von nahezu idealem Glück geprägt. Sowohl auf dem Schloss ihres Gatten in Ulfasa als auch am Hof von Magnus II., dem König von Schweden und Norwegen, kämpfte sie gleichermaßen für Christus und für die Rettung der Seelen. Auf ihre Bitte hin übersetzte ihr Beichtvater, Matthias von Linköping, den Pentateuch in die schwedische Sprache. Nach ihrer Rückkehr von einer Pilgerfahrt nach Compostela wurde Ulf Gudmarsson im Jahr 1343 Mönch und starb im darauffolgenden Jahr, wobei Birgitta bis zuletzt bei ihm war.
Dann überkam sie prophetischer Geist, und dieselbe mystische Stimme sprach im Herzen der schwedischen Prinzessin, die die Färbertochter aus Siena einige Jahre später hören sollte.[24] Das wunderbare Buch der Offenbarungen, das Birgitta nun zu diktieren begann, ist gleichzeitig eine spirituelle Autobiografie, eine Sammlung von Briefen, ein Bericht über Gnaden und Visionen und eine Absage an die Verderbtheit der Zeit. Es antizipiert in vieler Hinsicht sowohl Caterinas politische Briefe als auch ihren Dialog. Für einige Zeit kehrte sie als Palastdame an den Hof zurück, um dort Buße zu predigen; [44/45] wenig später begründete sie in Vadstena den Orden zum Heiligen Erlöser, der aus Frauen und Männern bestand. Jedes Kloster beherbergte zwei Konvente, die Äbtissin sollte wie die Jungfrau Maria in der Mitte der Apostel sein. Dann wandte sie sich nach Süden – nach Avignon und Rom –, und die Stimme sprach wieder in ihrem Herzen und inspirierte sie zu einem beredten Brief an Papst Clemens, in dem sie ihn als „Liebhaber des Fleisches“ wegen der Habgier und der Ehrsucht, die er in der Kirche hatte gedeihen lassen, zurechtwies und ihn ermahnte, sich zu bekehren, bevor es zu spät sei. Ende 1349 verließ sie ihre Heimat und reiste über Mailand, Pavia und Genua zum Jubiläum nach Rom.
Birgittas weiteres Leben ist mit Italien verknüpft. In Farfa, wohin sie mit ihrer Begleitung während des Interdikts geflohen war, traf sie auf ihre Tochter, die hochgewachsene, schweigsame, blondhaarige Katharina, die unglücklich und geheimnisvoll war und zu Depressionen und Angstattacken neigte, die nur allzu begründet waren. In Farfa erfuhr Katharina vom Tod ihres Gatten. Nach Rom zurückgekehrt, wohnten die schwedischen Damen zuerst im Palast des Bruders des Papstes, Kardinal Hugues Roger de Beaufort, bei San Lorenzo in Damaso, und später in einem Haus, das noch gezeigt wird (heute ein Karmeliter-Konvent), nahe dem Campo de‘ Fiori. In der Anarchie, die auf das Jubeljahr folgte, lief Katharina Gefahr, in die Hände der gesetzlosen römischen Barone zu geraten, die versuchten, sich ihrer zu bemächtigen. Schließlich legte einer der Orsini, nachdem er gehört hatte, dass die Damen zum Fest des Heiligen nach S. Lorenzo fuori le Mura gehen würden, einen Hinterhalt zwischen der Basilika und dem Stadttor. Aufgrund einer wundersamen Erblindung bekehrt, wurde der junge Baron ihr eifrigster Beschützer; durch ihn gewannen sie die Freundschaft und Unterstützung seines Hauses und vor allem von Niccolò Orsini, den Grafen von Nola.
Die Trostlosigkeit der Ewigen Stadt traf Birgitta tief ins Herz und inspirierte sie zu Texten von einer sprachlichen Gewandtheit, die selbst eines Petrarca nicht unwürdig gewesen wäre. Eine Stimme klagte unaufhörlich in ihrem Herzen: „O Rom, Rom, deine Mauern sind zertrümmert. Deine Tore sind unbewacht. Deine Gefäße werden verkauft, deine Altäre sind verlassen. Das lebendige Opfer und der morgendliche Weihrauch werden in den Vorhöfen verbrannt, und deshalb steigt vom Allerheiligsten kein süßer Duft der Heiligkeit mehr auf.“ Aber sie sah noch immer Grund zur Hoffnung. „Rom ist tatsächlich so, wie du es gesehen hast“, sagte die Stimme. „Die Altäre sind verlassen, das Opfer wird in den Tavernen dargebracht, und die, welche opfern, dienen eher der Welt als Gott. Aber wisse, dass trotzdem seit Petrus, dem Bescheidenen, bis zu der Zeit, als Bonifaz den Thron des Hochmuts bestieg, unzählige Seelen zum Himmel aufgestiegen sind. Rom ist nicht ohne Freunde Gottes; lass sie den Herrn anrufen, und er wird ihnen gnädig sein.“[25] Und wieder hörte sie den Befehl von oben: „Du sollst in Rom bleiben, bis du den Papst und den Kaiser gesehen hast, und du sollst ihnen in Meinem Namen die Worte sagen, die Ich dir eingeben werde.“
Birgitta blieb also – abgesehen von einer Pilgerreise nach Assisi und zu den heiligen Stätten Neapels – in Rom, pflegte die Kranken in den Spitälern, erbettelte Almosen für die Armen, setzte sich für die Rettung der Seelen ein, während sie die versprochene Ankunft des Pontifex und des Kaisers erwartete. In der Zwischenzeit „hatte sie zahlreiche Offenbarungen über den Zustand der Stadt, in denen unser Herr Jesus Christus die Ausschweifungen und Sünden ihrer Bewohner unter ernster Androhung einer Züchtigung tadelte. Als diese Offenbarungen den Bewohnern Roms kundgemacht wurden, entstand ein wilder Hass gegen die selige Birgitta. Einige drohten, sie lebendig zu verbrennen, andere verleumdeten sie als Zauberin. Aber die selige Birgitta ertrug geduldig ihre Drohungen und Angriffe.“[26]
Auf dieses Kommen des Papstes und des Kaisers richteten sich bald die Gedanken aller, die auf das Heil Israels hofften; und doch sollte es sich nur als ein Lied erweisen, das „von der Morgenröte ein falsches Zeugnis ablegt.“
[1] Epist. viii. 4.
[2] De Planctu Ecclesiae, II. 7. Vgl. Dante, Par. xviii. 130–136; G. Villani, xi. 20.
[3] Epist. metr., Lib. I. 2, 5; Lib. II. 5.
[4] Vgl. Dante, Par. xxi. 126.
[5] Epist. sine titulo, XIX. Vgl. M. Villani, iii. 43; Benvenuto da Imola, Comentum, v., S. 289.
[6] Egloga VI.
[7] Epist. sine titulo, XVI., XIX., XX.
[8] Revelationes S. Birgittae, VI. 96. Vgl. M. Villani, iii. 42. Clemens starb tatsächlich am 6. Dezember in Avignon.
[9] Storia di Milano, III. 6. „Regina“ scheint einer von Beatrices richtigen Namen gewesen zu sein, nicht nur ein angenommener Titel.
[10] Walsingham, Historia Anglicana (hg. von Riley), II. S. 49.
[11] Das Gebiet des Kirchenstaates verteilte sich auf vier Provinzen: I. LATIUM, mit den Städten Tivoli, Cività Castellana, Subiaco, Viterbo, Anagni, Ostia und Rom; II. UMBRIEN, mit Narni, Spoleto, Foligno, Assisi, Perugia und Gubbio; III. DIE MARKEN, mit Ascoli, Loreto, Ancona, Senigallia, Urbino, Camerino, Fabriano und Pesaro; IV. DIE ROMAGNA, mit Rimini, Cesena, Forlì, Faenza, Ravenna, Imola, Bologna und Ferrara. (Quelle: Durant, Will und Ariel, Kulturgeschichte der Menschheit, Bd. VII., S. 309)
[12] Vgl. R. L. Douglas, History of Siena, S. 108–114; E. Armstrong, The Sienese Statutes of 1262 (basierend auf L. Zdekauers umfassender Arbeit, Il Constituto del Comune di Siena dell’anno 1262, Mailand, 1897), im English Historical Review, Bd. xv., London, 1900; G. Canestrini, Della Milizia Italiana dal secolo XIII. al XVI., S. xviii., xix.
[13] M. Villani, ix. 87. Zu diesen Umstürzen und Gegenbewegungen siehe den bemerkenswerten Essay von Pasquale Villari, Il comune di Roma nel medio evo, in Saggi storici e critici, Bologna, 1890.
[14] M. Villani, v. 54.
[15] De Rebus Familiaribus, Lib. XIX. ep. 12 (Fracassetti).
[16] Cronica Sanese, S. 148 - 152
[17] Grottanelli, Anmerkungen zur Leggenda minore, S. 190.
[18] M. Villani, v. 31– 33, 37; Cronica di Pisa, S. 1029–1033; Cronica Sanese, S. 150, 152.
[19] M. Villani, ix. 87; Villari, op. cit., S. 234, 235; Gregorovius, englische Ausgabe, VI. Teil II. S. 403, 404.
[20] [Leider stand auch das folgende Konklave, mit allem, was daraus resultierte, unter einem gewissen Druck seitens dieser römischen Signoria].
[21] Pietro Petroni starb 1361. Eine Vision, die er auf dem Totenbett hatte, bewirkte Boccaccios Bekehrung. Vgl. Petrarca, Rerum Senilium, Lib. I. ep. 5; Bartholomaeus Senensis, Vita B. Petri Petroni, III. 1, 2, 11.
[22] Vgl. Lettere del B. Giovanni Colombini, 87, die Aufnahme von Giovanni di Niccolò di Verdusa.
[23] Ibid., 17.
[24] Revelationes S. Birgittae, II. 10.
[25] Revelationes, III. 27.
[26] Revelationes extravagantes, 8. [Birgitta wurde bereits 1391 auf Betreiben ihrer Tochter Katharina durch Papst Bonifaz IX. heiliggesprochen und 1999 von Papst Johannes Paul II., zusammen mit der heiligen Caterina von Siena und der heiligen Edith Stein, zur Patronin Europas ernannt.]