Edmund G. Gardner

Die hl. Caterina von Siena

Eine Studie über Religion, Literatur und Geschichte
des 14. Jahrhunderts in Italien

4. Kapitel

Die Heimkehr Urbans V.

 

Guillaume de Grimoard, Abt von St. Victor in Marseilles, hielt sich in Florenz auf und war im Auftrag des Papstes auf dem Weg nach Neapel zu Königin Johanna, als die Nachricht vom Tod Innozenz‘ VI. Italien erreichte. „Ich wage zu behaupten“, sprach der würdige Mönch, als er die Nachricht hörte, „dass ich – wenn ich durch Gottes Gnade einen Papst erleben dürfte, der nach Italien, zum wahren päpstlichen Sitz, zurückkehrte und die Tyrannen entmachtete – glücklich sein würde, selbst wenn ich am nächsten Tag sterben müsste.“[1] Nach seiner Rückkehr aus Neapel traf er Ende Oktober 1362 in Marseille ein, wo ihn eine Nachricht des Heiligen Kollegiums erwartete, in der ihm mitgeteilt wurde, dass er (aufgrund einer Pattsituation im Konklave) zum Papst gewählt worden sei. Unter dem offiziellen Namen Urban V. wurde er in Avignon gekrönt.

Der neu gewählte Pontifex war dreiundfünfzig Jahre alt. Da er niemals Kardinal gewesen war, blieb er unverdorben von der Korruption der Kurie. Als ein Mann von einfachem und tadellosem Lebenswandel, gebildet und fromm, hasste er Pomp und Luxus, verabscheute Simonie und Nepotismus und all die Laster, die er um sich herum sah. Seine Wahl des Namens Urban galt bei den Italienern als ein Hinweis auf Rom.[2] Im Jahr zuvor war er als Botschafter zu Bernarbo Visconti gesandt worden, um die Rechte der Kirche auf Bologna geltend zu machen. Der Tyrann hatte ihn in einem seiner Ausbrüche bestialischer Wut gezwungen, die Fragmente des päpstlichen Schreibens hinunterzuwürgen, und ihn mit Schimpf und Schande aus Mailand vertrieben, einem Bericht zufolge unter noch gröberen persönlichen Schandtaten. Er wusste also aus eigener Erfahrung, wie diese Tyrannen Italiens waren. Als Bernabos Gesandte eintrafen, um ihm zu seiner Wahl zu gratulieren, und den Wunsch ihres Herrn aussprachen, sich mit ihm zu einigen, antwortete der Papst tiefernst, dass er ihn erst dann wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen würde, wenn ihr Herr die dem Heiligen Stuhl entwendeten Städte zurückgegeben und seine Verbrechen bereut hätte.[3] Seine Absicht war, den schlimmsten Despoten zuerst unschädlich zu machen und dann die gesamte Christenheit aufzurufen, die Heiligen Stätten wieder zu erobern. Aber die Umsetzung dieses Plans war unmöglich. Überall tobte der Krieg. Frankreich stand im Kampf mit England, der Kaiser vor dem Ausbruch von Feindseligkeiten mit dem König von Ungarn, der seinerseits die Venezianer überfiel. Italien hielt am Status der Anarchie fest. Siena bekämpfte Perugia wegen des Besitzrechtes von Cortona und Montepulciano; Florenz führte – mithilfe von Söldnern unter Galeotto Malatesta – Krieg mit Pisa (dieses mithilfe von Söldnern unter Sir John Hawkwood). Ein allgemeines Bündnis gegen Bernabo bewirkte wenig, und 1364 wurde in Mailand ein Friedensvertrag unterzeichnet, durch den die Stadt Bologna im Besitz der Kirche blieb, wobei allerdings der Papst aus Schwäche zustimmte, Albornoz in die südliche Legation zu entlassen.

Jeder Friede, ob in Frankreich oder in Italien, setzte neue Horden von Söldnern frei, die nahezu unkontrolliert durch das Land zogen und so bewundernswert organisiert waren, dass sie die Bezeichnung als „umherziehende Söldnerstaaten“, die Gregorovius ihnen gab, verdienten. Vergeblich veröffentlichte Urban eine Bulle nach der anderen, in der er die Kompanien und ihre Anführer mit Bannflüchen belegte. Die Condottieri verspotteten den römischen Donner. In der zweiten Hälfte des Jahres 1365 belagerte Duguesclin auf seinem Weg nach Spanien den Papst in Avignon und zwang ihn, ein ungeheures Lösegeld zu zahlen und ihn und seine Anhänger von allen Zensuren freizusprechen.

Vermutlich war es diese Demütigung, die Urban veranlasste, seinen früheren Entschluss auszuführen und nach Rom zurückzukehren, wozu ihn die Römer zu Beginn seines Pontifikates eingeladen hatten. Die Ermahnungen des königlichen spanischen Franziskaners, Petrus von Aragón, der mit einem leidenschaftlichen Traum von der Reform der Kirche nach Avignon kam, machten einen tiefen Eindruck auf den Papst, nicht weniger als der beredte Aufruf Petrarcas. Der Kaiser war positiv eingestellt, und Albornoz drängte ihn, nicht zu zögern. Trotz des Widerstands des französischen Königs verließ Urban am 30. April 1367 Avignon und landete am 4. Juni in Corneto, wo eine große Schar von Adeligen und Gesandten aus fast allen italienischen Staaten ihm einen Empfang bereiteten, angeführt von Albornoz selbst und Birgittas Freund, dem Grafen von Nola. Inmitten dieses glanzvollen Schauspiels befanden sich Giovanni Colombini und Francesco Vincenti mit etwa sechzig ihrer poverelli, die in besonders auffallende Lumpen gekleidet waren. Sie hatten Albornoz von Viterbo aus begleitet, waren in das Franziskanerkloster eingedrungen, in dem Urban seinen Aufenthalt nehmen sollte, hatten darauf bestanden, sein Bett und das der Kardinäle zu bereiten, und liefen nun – mit Olivenzweigen bekrönt und mit Zweigen in den Händen – wie verrückt hin und her und brachen in frenetische Jubelrufe für Christus und den Papst aus. „Es war die liebenswürdigste und frömmste Geste, die man jemals sah“, schrieb Giovanni an die Äbtissin von Santa Bonda. Man bezichtigte sie der Häresie, ähnlich wie die Fraticelli, die frati della povera vita, von denen es viele in der Toskana gab; aber der Bruder des Papstes, der „Kardinal von Avignon“, Anglico de Grimoard, „der wie ein Lamm ist“, und der päpstliche Sekretär, Petrarcas Freund, Francesco Bruni, nahmen sie unter ihren Schutz und versprachen, sich beim Papst für sie einzusetzen.

Der Papst blieb über die Pfingsttage in Corneto und empfing eine Abordnung der Römer, die ihm die vollständige Oberhoheit über die Stadt übertrugen und ihm die Schlüssel von Sant‘ Angelo aushändigten. Dann zog er weiter nach Toscanella, während die poverelli den ganzen Weg um ihn herumliefen. Urban ertrug das alles mit beispielhafter Geduld, aber als er sein Quartier erreicht hatte, sandte er nach Francesco und sagte ihm, dass ihm ihre Lumpen nicht gefielen, er sie aber auf eigene Kosten in graue Habite und weiße Kapuzen kleiden würde – woraufhin die „armen kleinen Männer“ Lobeshymnen sangen.

Der Papst zog am 9. Juni 1367 in Viterbo ein, und zwar „mit einer solchen Anmut und einem solchen Jubel, dass es schien, als würden die Steine selbst rufen: Gelobt sei der, der kommt im Namen des Herrn.“ Hier ließ er sich in der großen Festung nieder, welche die Albornoz hatte errichten lassen, und empfing die Herren der italienischen Städte, die seine Herrschaft anerkannten, sowie die Abgesandten der Republiken. Für die unbedarften Augen von Giovanni und Francesco schien alles ideal zu sein. „Dieser Heilige Vater“, schrieben sie der Äbtissin und den Nonnen von Santa Bonda, „gilt als ein guter Mann. Wir glauben, dass Gott durch ihn gute und heilige Dinge bewirkt. Er hat einen Bruder, der auf uns den Eindruck macht, heilig, ein guter Diener Gottes und in rechter Weise demütig zu sein, und der seinen Status ungewollt beibehält. Er mag uns gern leiden. Möge Christus ihn belohnen und ihm Seine Gnade schenken. Denkt euch, ehrwürdige Frau und unsere Mütter, hier ist die gesamte vornehme Gesellschaft der Welt, mit Pomp und Vergnügungen und teuren Kleidern und Exzellenzen; alle schönen und großen Dinge gibt es hier. Aber trotzdem war uns die Armut nie so lieb wie jetzt, und nie hat sie uns so gefallen.“ Sie waren auch von den päpstlichen Höflingen zutiefst erbaut. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Tugend wir in diesen Kardinälen und in diesen großen Herren und vielen anderen finden – so sehr, dass wir verblüfft sind über das, was sie tun. Sie zeigen in ihrem hohen Stand und inmitten ihres ungeheuren Reichtums mehr Demut als wir, die wir arm und stolz sind in unserem schäbigen und erbärmlichen Zustand. Wir geben nur ein Schauspiel ab, sie aber vollbringen Taten.“ Kardinal Anglico gab ihnen eine Lebensregel, „die uns sehr gut gefällt und mit Gottes Hilfe allen gefallen wird, denn sie ist der wahre Weg der Rettung.“[4] Sie wollten jedoch keine Bullen oder Privilegien irgendwelcher Art vom Papst annehmen. Ihr Freund, der Bischof von Città di Castello, sagte zu ihnen: „Lasst Tugenden euch verteidigen, nicht päpstliche Bullen.“

Nachdem ihr Orden nun bestätigt war und die siebzig oder mehr poverelli ihre Lumpen abgelegt und den neuen weiß-grauen päpstlichen Habit angelegt hatten, verließen Giovanni und Francesco gegen Ende Juli Viterbo. In Acquapendente wurde Giovanni krank. Sie versuchten, ihn nach Santa Bonda zu bringen, aber er starb unterwegs in der Abtei San Salvatore am Monte Amiata am letzten Tag des Monats Juli 1367. Er wurde in der Kirche des Klosters Santa Bonda beigesetzt. Fünfzehn Tage später folgte ihm Francesco Vincenti in die andere Welt. Die Kongregation der Jesuaten, weiß gekleidet und mit grauem Mantel, existiert nur mehr auf den Gemälden der Maler ihrer Heimatstadt.

Eine Angst hatte die letzten Tage von Giovannis Aufenthalt in Viterbo überschattet: Der Papst war dabei, ein Bündnis gegen die Visconti zu schließen, und die Abgeordneten Sienas waren nicht erschienen. Der einzige politische Brief Giovannis und Francescos, der uns überliefert ist, stammt aus Viterbo vom 8. Juli und ist an die „vortrefflichen Herren, die Zwölf, Gouverneure der Stadt Siena“ in besagter Angelegenheit gerichtet. Francesco Bruni habe ihnen mitgeteilt, dass Seine Heiligkeit über ihre Säumigkeit erstaunt sei, und sie bitten sie in ihrem eigenen Interesse, um die Gunst des Papstes nicht zu verlieren, die Botschafter sofort zu senden.[5] Am 31. Juli, genau am Todestag Giovannis, wurde das Abkommen im Apostolischen Palast unterzeichnet, und durch den persönlichen Einfluss des Marquis von Ferrara schloss sich die Republik Siena dem Bündnis an.[6] Aber am 20. August starb der große Kardinal Albornoz, dem die Bewunderung und Verehrung von Freund und Feind bis an sein Grab folgte. Seine Abwesenheit im päpstlichen Rat wurde sofort deutlich spürbar. Am 5. September brach in Viterbo ein antifranzösischer Aufstand aus, und Urban und seine Kardinäle wurden drei Tage lang in der Festung von den Aufständischen belagert. Florenz und Siena und sogar Rom selbst sandten ihm Truppen zu Hilfe, aber der Papst war schließlich froh, die unruhige Hauptstadt des Patrimoniums verlassen zu können. In Begleitung des Marquis von Ferrara und seiner bewaffneten Männer verließ Urban am 14. Oktober Viterbo. Am 16. Oktober zog er im Triumph auf einem weißen Maultier reitend in Rom ein und wurde mit allgemeiner Freude und Beifall empfangen. Der Marquis von Ferrara, Graf Amedeo von Savoyen, die Herren der Familie Malatesta und der gesamte niedere Adel aus den Marken und der Campagna begleiteten ihn. Der kämpferische Rodolfo Varano von Camerino trug hoch erhoben die Standarte der Kirche. Bewaffnete Söldner, Infanterie und Kavallerie, umgaben die Prälaten und Kardinäle der Kurie. So gestaltete sich der martialische Einzug des Vertreters des Friedensfürsten; doch der einfache Mönch, der so der Herrscher der Welt zu sein schien, weinte über die Verwüstung der Heiligen Stadt und warf sich in inbrünstigem Gebet auf den Boden am Grab des Apostels, dessen Platz einzunehmen er gekommen war.

Im Frühjahr des folgenden Jahres, 1368, begab sich der Kaiser erneut nach Italien, wie er versprochen hatte. Er kam mit einem Heer, um die von der Liga beschlossenen Pläne gegen die Visconti zu verwirklichen, schloss sich mit den päpstlichen Truppen und mit jenen der Königin Johanna (der Urban gerade zuvor die Goldene Rose überreicht hatte) zusammen, konnte jedoch nichts erreichen. Nachdem er mit Bernabo einen Waffenstillstand geschlossen und von ihm eine große Geldsumme angenommen hatte, wandte er sich nach Süden in die Toskana.

Die Herrschaft der Zwölf in Siena geriet ins Wanken. Die Partei hatte sich in zwei Fraktionen gespalten, von denen die eine mit den Tolomei und anderen Adeligen paktierte, während die andere die machtvolle Unterstützung der Salimbeni genoss. Giovanno di Agnolino Salimbeni gelang es, einen offenen Krieg zwischen den beiden Fraktionen zu verhindern, aber bei seiner Rückkehr von einer Gesandtschaft beim Kaiser kam er auf dem Weg von Siena nach seinem Schloss in Rocca d'Orcia durch einen Sturz vom Pferd ums Leben. Der Adeligen und die Noveschi schleusten heimlich Truppen in die Stadt, und am 2. September zwangen sie mit Unterstützung der Bevölkerung die Zwölf, den Palast und die gesamte Kontrolle des Staates abzugeben. Dreizehn Konsuln wurden ernannt, zehn Adelige und drei Noveschi, die Messer Vanni Malavolti und zwei andere Gesandte zum Kaiser nach Pisa sandten. Die Salimbeni und die Dodicini schlossen sich zusammen und schickten eine gegnerische Botschaft. Karl nahm ihre Angebote an und entsandte Malatesta mit achthundert Reitern nach Siena. Am 24. September organisierten die Salimbeni – unter lautem Rufen nach dem Volk und nach dem Kaiser – einen allgemeinen Aufstand gegen das neue aristokratische Regime und gewährten Malatesta und seiner Kavallerie Zutritt zur Stadt. Es kam zu wütenden Kämpfen von Straße zu Straße und zu einem letzten schweren Kampf auf dem Campo um den Palast, der schließlich von den kaiserlichen Truppen gestürmt und von der wütenden Menge geplündert wurde. Die Adeligen flohen mit ihren Familien aus der Stadt, während Malatesta sich im Poggio Malavolti verschanzte, von dem aus er die Stadt als kaiserlicher Vikar regierte. Ein Volksrat von einhundertvierundzwanzig Plebejern wurde versammelt, der Consiglio de‘ Riformatori, der eine neue Signoria von zwölf „Verteidigern“, Vertretern aller Bevölkerungsschichten, ins Leben rief. Die Salimbeni erhielten Massa und fünf weitere Burgen im Umland von Siena und wurden zu popolani erklärt. Der Kaiser, der auf dem Weg zu seinem Treffen mit dem Papst in Viterbo durch Siena reiste, schlug zwei Vertreter der Familie für ihre Dienste zu Rittern und nahm auch ein beträchtliches Geldgeschenk von der Gemeinde entgegen.

Am 21. Oktober zogen der Papst und der Kaiser gemeinsam in Rom ein, wobei Karl zu Fuß Urbans Maultier führte. Das war der große Augenblick, auf den Birgitta so lange geduldig gewartet hatte, der ihr aber jetzt, da er gekommen war, persönlichen Kummer und Enttäuschung bereitete. Sie hatte dem Papst ihre Visionen betreffend die Erneuerung der Kirche mitgeteilt. Sie hatte dem Kaiser geschrieben und ihn gedrängt, sich diesem großen Werk anzuschließen; und nun schrieb sie nochmals im Namen Christi und bat ihn, auf ihre Offenbarungen zu hören und sich dafür einzusetzen, dass die göttliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf Erden gefürchtet und ersehnt werde.[7] Aber Karl ignorierte sie einfach, und Urban hatte gegenwärtig keine Zeit, sich um die Ermahnungen einer Frau zu kümmern.

Der Zustand Sienas grenzte an Anarchie. Die verbannten Adeligen hielten die Festungen im Umland, brandschatzten und plünderten bis zu den Toren der Stadt und weigerten sich strikt, ein Einvernehmen mit der Regierung der „Verteidiger“ herzustellen, deren Schiedssprüche und Dekrete sie verspotteten. Malatesta schickte die Armee der Kommune gegen sie aus, aber sie bewirkte nichts. Am 11. Dezember kam es zu einem Volksaufstand gegen das weniger demokratische Element in der neuen Verwaltung. Der Mob beschoss die Tore des Palastes, drang ein und trieb die Vertreter der Neun und der Zwölf aus der Signoria. Zuallerletzt, durch eine Art Kompromiss unter der Autorität des kaiserlichen Vikars, setzte ein neuer Rat plebejischer Reformer eine neue Signoria aus fünfzehn „Verteidigern“ ein, acht aus dem popolo minuto, vier aus den Zwölf und drei aus den Neun. Der Capitano del popolo und die „Gonfalonieri Maestri“ (die Gonfalonieri der drei Drittel der Stadt) mussten stets aus dem popolo minuto stammen, während der Capitano drei Ratgeber haben sollte, einen aus jeder Schicht der Bevölkerung, die alle zusammen die höchste richterliche Gewalt in Strafsachen bildeten. So entstand in Siena die Handwerker-Regierung der Riformatori oder des popolo del maggior numero.[8]

In der Zwischenzeit sandten die Dodicini und die Salimbeni, die den Aufstand zu ihrem eigenen Vorteil angezettelt hatten und naturgemäß von den Ergebnissen enttäuscht waren, Vermittler zum Kaiser, um ihn um Hilfe zu bitten. Karl war auf dem Rückweg von Rom. Am 22. Dezember zog er zusammen mit der Kaiserin, „bis an die Zähne bewaffnet“ und mit einer imposanten Schar kaiserlicher Truppen, in Siena ein und ließ sich wie zuvor im Palazzo Salimbeni nieder. Einige Tage später traf Kardinal Guy de Boulogne, ein kriegerischer französischer Prälat, den der Kaiser zum kaiserlichen Generalvikar für die gesamte Toskana bestellt hatte, mit Verstärkung in Siena ein. Die Anhänger der Zwölf begrüßten ihn als einen möglichen kirchlichen Despoten, um ihre Feinde zu stürzen. Karl forderte die Übergabe der Städte und Festungen Massa, Montalcino, Grosseto, Talamone und Casole in der Absicht, sie dem Kardinal zu übergeben. Die „Verteidiger“ beriefen einen Rat von mehr als achthundert Bürgern ein, und lehnten praktisch einstimmig ab. Sie waren auch nicht bereit, ihre Verfassung auf Verlangen des böhmischen Cäsars erneut zu ändern. Sowohl die Noveschi als auch die Bevölkerung waren gleichermaßen bereit, die Krise durch die Wiedereinsetzung der vertriebenen Adeligen zu beenden.

Am Morgen des 18. Jänner 1369 erhob sich plötzlich ein Geschrei in den Straßen von Siena: „Lang lebe das Volk!“, „Tod den Verrätern, die die Adeligen zurückhaben wollen!“ Angeführt von Niccolò Salimbeni und seinen Verbündeten, den Dodicini, zogen bewaffnete Banden durch alle Stadtteile, plünderten und mordeten, wohin sie kamen, während zwei andere Salimbeni, Pietro und Cione, mit ihren Anhängern in den Palast eindrangen. Die ganze Sache war mit den kaiserlichen Behörden im Voraus arrangiert worden. Malatesta führte seine Soldaten auf den Campo und forderte die „Verteidiger“ im Namen des Kaisers auf, ihre Vertreter innerhalb der Neun auszuschließen. Karl, der von den Salimbeni herbeigerufen worden war, bestieg selbst das Pferd und zog mit dreitausend Reitern auf den Palast zu.

Alle Glocken der Stadt verbreiteten die Nachricht. Die Bürgermilizen griffen zu den Waffen und strömten auf den Campo. Der Capitano, Matteino di Ventura, ergriff das Banner des Volkes, verließ den Palast, stellte sich an ihre Spitze und trieb die kaiserlichen Streitkräfte bis über den Croce del Travaglio zurück. In den engen Straßen, von allen Seiten angegriffen, von den dröhnenden Glocken betäubt, in einem Hagel von Steinen und Pfeilen, war die schwer bewaffnete Kavallerie aus dem Norden hilflos. Nach einer „unglaublichen Schlacht“ über mehrere Stunden wurde der Kaiser zum Palazzo Salimbeni zurückgetrieben, wobei er mehr als vierhundert Tote zu beklagen hatte, darunter einen seiner eigenen Neffen. Die drei Vertreter der Neun, die den Palast verlassen hatten, wurden im Triumphzug zurückgeführt, unter dem Klang von Trompeten, mit Girlanden bekrönt und mit Olivenzweigen geschmückt. Pietro und Cione Salimbeni wurden nun ihrerseits gefangen genommen und gezwungen, Massa an die Kommune abzutreten. Eine Proklamation wurde erlassen, wonach es verboten war, dem Kaiser und seinem Gefolge Nahrungsmittel zu verkaufen oder zu geben. Ausgehungert und verängstigt beteuerte der Nachfolger des Augustus, er sei verraten worden, erließ der Kommune alles, bestellte die „Verteidiger“ zu seinen Verwesern auf Lebenszeit, nahm demütig so viele Pferde und so viel von seinem Besitz zurück, wie der Capitano del popolo wieder beschaffen konnte, nahm eine große Geldsumme an und ging am 25. Jänner seiner Wege.[9] Der Kaiser war so eingeschüchtert, dass die bloße Vorstellung weiterer Schwierigkeiten ihn davon abhielt, Pisa zu betreten, wo im September zuvor der emporgekommene Doge gestürzt und die frühere demokratische Regierung der Anziani wiederhergestellt worden war. Er zog weiter nach Lucca, wo er bis Juli blieb und die Stadt für immer formell vom Joch Pisas befreite.

Im Februar kehrten die Gambacorti – angeführt von Piero und Gherardo und ihren Söhnen – im Triumph nach Pisa zurück, wo sie vom Volk in Erinnerung an die gute Regierungszeit ihrer Vorfahren begeistert empfangen wurden. Vor dem Hochaltar von San Michele schwor Messer Piero der Kommune und dem Volk von Pisa Liebe und Treue, und er hielt seinen Schwur. Im unvermeidlichen Tumult gegen die Raspanti, der nun folgte, unternahm er äußerste Anstrengungen, um die Ausschreitungen seiner Anhänger einzudämmen: „Ich habe, wie ihr wisst, die Enthauptung meiner Verwandten verziehen“, sagte er, „und ihr wollt nicht verzeihen?“[10] Im September 1370 boten ihm die Bürger an, ihn zum absoluten Herrscher von Pisa zu machen, aber er lehnte ab und zog es vor, nur der oberste besoldete Amtsträger der Republik zu sein, „Generalkapitän und Verteidiger der Kommune und des Volkes“. Die Verwaltung durch die zwölf Stadtväter blieb aufrecht, aber Piero Gambacorti war praktisch der Herrscher des Staates. Er war ein gnädiger und friedliebender Mann, ein gläubiger Katholik und tiefreligiös, und seine Regierung war im Großen und Ganzen väterlicher Art. Lucca unterstand direkt dem Römischen Reich in der Person des Kardinals Guy de Boulogne, bis dieser im März 1370 durch die Intervention des Papstes seine Autorität aufgab und Lucca wieder eine freie Republik wurde, mit einer zehnköpfigen Signoria (neun Älteste und ein Gonfaloniere der Justiz) und den üblichen zwei Räten. Wie die Regierung der Gambacorti in Pisa, so war auch die neu entstandene Republik Lucca in ihren Tendenzen und Neigungen explizit papsttreu orientiert – eine politische Tatsache, die in den bevorstehenden Erschütterungen in Italien von Bedeutung sein sollte.

In Siena schien sich die Lage unter dem neuen Regime nicht wesentlich zu bessern. In der Stadt gab es Aufstände und Tumulte – hauptsächlich das Werk der Salimbeni und der Anhänger der Zwölf –, die gegen die Noveschi gerichtet waren, und im Umland kam es zu Plünderungen und Verwüstung, weil es dem Marquis von Monferrato nicht gelungen war, die Adeligen mit der Volksregierung auszusöhnen. Überall in der Stadt und an den Toren wurden bewaffnete Wachen aufgestellt: „Und auf den Türmen des Campo hielten viele Posten Tag und Nacht Wache und gaben Feuer- und Rauchzeichen, wenn es notwendig war, und läuteten die Glocken, um Alarm zu schlagen.“ Die Verteidiger statteten einen neuen Beamten, den Vollstrecker der Justiz, mit allen Vollmachten aus, um die Ordnung wiederherzustellen, aber mit wenig Erfolg. „Und so waren durch das Werk der Salimbeni und der Zwölf Recht und Gerechtigkeit in der Stadt Siena zum Erliegen gebracht. Es kam zu einem solch unglückseligen Zustand, dass in Siena und im Umland Männer auf beiden Seiten mordeten und plünderten.“[11] Die Adeligen hatten Messer Vanni Malavolti und die Regierung einen gewissen Jacomo die Guido Guernieri (ein Waffenschmied von Beruf) als Botschafter nach Florenz gesandt. Im Frühjahr 1369 wurde schließlich auf Intervention von Florenz ein vorläufiger Friede zwischen Adel und Volk geschlossen, den man mit Trompeten und Salven und großem Jubel begrüßte.

Wie die meisten anderen, die zu den Mitgliedern der Dodicini gehörten, war auch die Familie Jacomo di Benincasas vom Regierungswechsel hart betroffen. Caterinas ältere Brüder, Benincasa und Bartolommeo, waren aktive Mitglieder ihrer Fraktion und wurden – entweder anlässlich des September-Aufstandes oder eines der späteren Tumulte – von einer Bande aus dem Pöbel ausfindig gemacht, die ihnen nach dem Leben trachtete. Ein Freund stürmte ins Haus und berichtete ihnen, dass der Feind in der Nähe sei und drängte sie, in der benachbarten Kirche San‘ Antonio Zuflucht zu suchen, wohin andere ihrer Partei bereits geflohen waren. Aber Caterina sprang auf: „Sie dürfen nicht nach San‘ Antonio gehen“, sagte sie, „und ich bedaure alle, die bereits dort sind.“ Sie warf ihren Umhang über, forderte ihre Brüder auf, mit ihr zu gehen und sich nicht zu fürchten, und geleitete sie sicher zwischen ihren Feinden hindurch, die ihre Waffen senkten und sie ehrfürchtig grüßten, als sie vorbeiging, zum Spital Unserer Lieben Frau, wo sie sie in der Obhut des Rektors ließ und ihnen befahl, sich drei Tage lang dort zu verbergen und dann sicher nach Hause zurückzukehren. Und so geschah es. Alle, die sich in San‘ Antonio versteckt hatten, wurden getötet oder gefangen genommen; aber nach drei Tagen legte sich der Aufruhr. Caterinas Brüder wurden zu einer Geldstrafe von einhundert Goldflorinen verurteilt, die sie bezahlten, und dann in Ruhe gelassen.[12]

Wie wir gesehen haben, spielten die Zwölf immer noch eine kleine Rolle in der neuen Regierung, und Benincasa und Bartolommeo gehörten anfangs zu jenen Vertretern ihrer Fraktion, die ein Amt innehatten, wobei letzterer angeblich im Jahr 1370 sogar zwei Monate lang als einer der Verteidiger in der Signoria saß. Doch seit dem Tod ihres Vaters verschlechterten sich ihre Lebensbedingungen zusehends. Die Revolution hatte ihre geschäftlichen Pläne ruiniert; im Frühherbst desselben Jahres wanderten beide zusammen mit Stefano nach Florenz aus und wurden dort in die Florentiner Bürgerschaft aufgenommen. Ihre Familie hatte geschäftliche Beziehungen zu Florenz und unterhielt dort offenbar schon seit geraumer Zeit eine Werkstatt.[13] In ihrer Wahlheimat übten sie weiterhin das Färber -und Gerberhandwerk aus, allerdings mit geringem Erfolg, so dass sie bald verarmten. Caterinas geliebte Freundin und Gefährtin Lisa begleitete selbstverständlich ihren Mann.

Caterina unterstützte sie nicht nur mit ihren Gebeten, sondern auch mit Briefen. In einem Brief an alle drei schreibt sie: „Ich möchte, dass Ihr immer mit dem süßen Band der heiligen Liebe verbunden seid, dann werden weder der Teufel noch das Gerede irgendeiner Person in der Lage sein, Euch zu trennen. Erinnert Euch an die Worte Jesu Christi: Jene, die sich selbst erniedrigen, werden erhöht werden. Du also, Benincasa, als Ältester sollst der Geringste sein wollen, und du, Bartolommeo, noch geringer als der Geringste, und ich bitte dich, Stefano, dich Gott und ihnen zu unterwerfen. So werdet ihr in der vollkommenen Liebe bleiben.“[14] Geduld und Fügung in den Willen Gottes ist der Tenor ihrer drei Briefe an Benincasa. Das Blut Christi wird ihn stärken, um mit wahrer Geduld alle Mühen und Bedrängnisse zu ertragen, woher sie auch kommen mögen: „Es wird dich standhaft bleiben lassen, sodass du bis zum Tod mit wahrer Demut dulden wirst. Denn in diesem Blut wird das Auge deines Geistes durch die Wahrheit erleuchtet, die besagt, dass Gott nichts anderes will als unsere Heiligung, weil er uns unsagbar liebt. Sonst hätte er nicht einen so hohen Preis für uns bezahlt. Sei also zufrieden, sei zu jeder Zeit und an jedem Ort zufrieden, denn alles wird Dir von der Ewigen Liebe aus Liebe auferlegt. Freu Dich über Deine Leiden und betrachte Dich als unwürdig, von Gott denselben Weg geführt zu werden, den sein Sohn wandelte, und erweise in allen Dingen seinem Namen Ehre und Ruhm.“ „Liebster Bruder, sei ein Liebhaber der Tugend mit heiliger Geduld und gehe oft zur Beichte, die Dir helfen wird, Deine Last zu tragen. Ich verspreche Dir, Gott wird Dir sein Wohlwollen und seine Barmherzigkeit erweisen und Dir jede Mühe lohnen, die Du aus Liebe zu Ihm auf Dich genommen hast.“[15] Aber bald kühlte das Verhältnis zwischen Benincasa und jenen, die er in Siena zurückgelassen hatte, ab. In seiner Not dachte er, dass seine Mutter ihm hätte helfen müssen, während sie offenkundig eher Hilfe von ihm erwartet hätte. Caterina stellte sich natürlich auf Lapas Seite und nannte ihren Bruder undankbar:

„Du musst dich bemühen, Deinen Undank und Dein ungehobeltes Benehmen hinsichtlich der Pflichten gegenüber Deiner Mutter abzulegen, mit der Du durch Gottes Gebot verbunden bist. Was Deine Verpflichtung anbelangt, ihr zu helfen, bist Du entschuldigt, weil Du nicht dazu in der Lage warst. Aber selbst wenn es Dir möglich gewesen wäre, bin ich nicht sicher, ob Du es getan hättest, wenn ich sehe, wie du ihr gegenüber sogar mit Worten sehr sparsam gewesen bist. In deinem Undank hast du weder bedacht, dass sie dich geboren und gestillt hat, noch wie sehr sie für Dich und alle anderen gesorgt hat. Wenn du mir sagst, sie sei nicht zärtlich zu uns gewesen, sage ich dir, dass das nicht stimmt, denn sie war so liebevoll zu Dir und den anderen, dass es sie viel gekostet hat. Aber selbst wenn es wahr wäre, so stündest Du in ihrer Schuld und nicht sie in Deiner. Sie hat kein Fleisch von Dir genommen, sondern Dir ihres gegeben. Ich bitte Dich daher, diesen und Deine anderen Fehler zu korrigieren und mir meine Direktheit zu verzeihen, denn wenn ich Deine Seele nicht liebte, würde ich Dir das nicht sagen, was ich Dir sage.“[16]

Wenig später schickte sie einen schönen und liebevollen Brief mit Ratschlägen an Benincasas Tochter Nanna, ihre jungfräuliche Nichte, als diese den Schleier nahm, und legte ihr das Gleichnis von den zehn Jungfrauen aus.[17] Als ihr Einfluss dann bis nach Florenz reichte, war sie in der Lage, ihre Brüder materiell zu unterstützen, indem sie den mächtigen Guelfen-Politiker Niccolò Soderini für ihre Sache gewinnen konnte.

Rom selbst hatte in diesen paar Jahren nur wenig vom Papst zu sehen bekommen. Seine Gesundheit war ständig angegriffen, und er verbrachte die meiste Zeit in Viterbo und vor allem im höher gelegenen und gesünderen Montefiascone.

Das Werk von Albornoz war in einem wesentlichen Punkt unvollendet geblieben: Perugia, die dritte Stadt des Kirchenstaates, war noch immer nicht zurückerobert. Ihre Unterwerfung war etwas wesentlich anderes als die Vertreibung der Tyrannen aus Orten wie Forlì oder Imola: Perugia war eine freie und mächtige Republik, nur nominell der Kirche unterstellt. Eine Verschwörung der Baglioni im Oktober 1368, die Stadt dem Papst zu übergeben, führte zum offenen Krieg zwischen ihr und dem Heiligen Stuhl, in dem der Benediktiner Pierre d’Estaing, Erzbischof von Bourges, die päpstlichen Streitkräfte anführte, während die Perugianer in ihrem Widerstand durch Bernabo Visconti, Giovanni di Vico und die englischen Söldner Hawkwoods unterstützt worden waren. Sie hatten zunächst Erfolg und bedrohten im Jahr darauf sogar den Papst selbst in Montefiascone. Urban antwortete verständlicherweise mit Exkommunikation und Interdikt. Im Oktober dieses Jahres 1369 empfing er in Rom den Kaiser des Oströmischen Reiches, Johannes V. Palaeologus, der kam, um Hilfe gegen die Türken zu erbitten. So sah der Papst innerhalb eines Jahres die Nachfolger Karls des Großen und Justinians beide zu seinen Füßen, während eine kleine umbrische Republik von ihrem Hügel aus seine Macht herausforderte.

Im April 1370 reiste Urban zum letzten Mal von Rom nach Viterbo und Montefiascone. Giovanni di Vico unterwirft sich; die Perugier nehmen Friedensverhandlungen auf. Da kündigt der Papst in Montefiascone plötzlich seine Absicht an, nach Avignon zurückzukehren.

Von Anfang an hatte Petrarca die Rückkehr des Papstes nach Rom als den Beginn eines neuen Zeitalters für die Kirche begrüßt – aber eben nur als einen Beginn – und die Willensstärke des Papstes in Zweifel gezogen. Er hatte ihn bei seiner Ankunft mit den Worten des Psalmisten begrüßt: „Als Israel aus Ägypten auszog, Jakobs Haus aus dem Volk mit fremder Sprache, da herrschte Freude unter den Engeln im Himmel und unter den Gerechten auf Erden. Und siehe: Ihr, gebenedeiter Vater, soweit es an Euch liegt, habt die Christen glücklich gemacht. Nicht länger werden sie umherirren auf der Suche nach ihrem Herrn oder nach Seinem Stellvertreter, denn den einen werden sie im Himmel und in ihren eigenen Seelen finden (denn jede ist ein Wohnort Gottes), den anderen auf der Erde und auf seinem rechtmäßigen Platz, an dem Ort, den der Herr bestimmt hat, an dem der erste seiner Stellvertreter bis zuletzt lebte und noch immer wohnt, obwohl er schon tot ist. Ihr habt unserer Welt den Glanz wiedergegeben und – gleich einer aufgehenden Sonne – die Kälte einer langen Nacht und die Mächte der Finsternis vertrieben. Die Vernachlässigung durch fünf Päpste, Euch gleich an Rang, aber nicht an Seelengröße, und von mehr als sechzig Jahren habt Ihr allein in wenigen Tagen wieder gutgemacht.“ Urban hat die Kirche zu ihrem angestammten Sitz zurückgebracht; er möge das Werk vollenden, indem er sie in ihren früheren Zustand der Reinheit und Würde zurückversetzt und damit beginnt, den Luxus und den Prunk der Kardinäle zu beseitigen. Er möge ein wachsames Auge auf die Legaten und päpstlichen Beamten haben, die sich der Herrschaft über die Städte Italiens bemächtigen und sie mit so unerhörter Tyrannei regieren, dass Petrus erstaunt ist und Christus, empört und verwundert, mit Vergeltung droht: „Und wenn nicht Er vom Himmel und Ihr auf Erden uns zu Hilfe eilt (denn die Italiener scheinen wie betäubt und schlafen), wird es mit uns vorbei sein. Wir werden Italien bald in die Knechtschaft sinken sehen und die Kirche buchstäblich militant, in Waffen und um die weltliche Herrschaft kämpfend statt um die des Glaubens. Wir werden sie auch triumphieren sehen, sodass die Kunde davon den Himmel und die Sterne erreicht und einzelne Kirchenfürsten im Triumph über diese oder jene Stadt herrschen – bis dann, wenn die jetzt Schlummernden erwachen, alles durch eine schreckliche Revolution umgestürzt und reformiert wird.“ „Weicht also nicht ab von dem Weg, den Ihr begonnen habt, denn keiner führt direkter zum Heil. Die Zeit ist kurz, die Reise lang und die Hoffnung auf den Lohn wird die Mühe leicht machen. Hütet euch davor, zurückzuschauen – denn Ihr wisst: Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, kann nicht in das Reich Gottes eingehen.“ „Sollte ich erfahren, dass Ihr abreisen wolltet, würde ich es nicht glauben, bis ich es sähe; und wenn ich es mit eigenen Augen sähe, fiele es mir schwer, ihnen zu trauen. So groß ist die Hoffnung, die ich in Euch und auf Eure Tugenden gesetzt habe.“[18]

Diese kraftvolle Sprache fand ein Echo im Herzen des Papstes. Er drängte den Dichter sowohl direkt als auch durch den Patriarchen von Jerusalem, ihn in Rom zu treffen. Petrarca versprach zu kommen und machte sich im Frühjahr 1370 tatsächlich auf den Weg, erkrankte jedoch in Ferrara, und als er sich wieder erholt hatte, verbot ihm der Arzt die Weiterreise.[19] Er hielt sich vermutlich in Padua oder auf seinem Landsitz in Arquà in den Euganäischen Hügeln auf, als er erfuhr, dass alles vorbei war und Urban in die Provence zurückkehren würde. In seinem letzten Brief an den Papst, der zu den vornehmsten seiner Schriften gehört, wendet sich Italien selbst an den flüchtigen Nachfolger Petri:

„Als ich tödlich verwundet darnieder lag, bist Du zu mir herabgestiegen, um meine Wunden zu heilen, und hast mit Petrus gesprochen: Ich bin ein Apostel Christi; hab‘ keine Angst vor mir, meine Tochter. Du hast begonnen, Öl und Wein in die Wunden zu gießen, und nun – ohne sie verbunden oder mit Arzneien behandelt zu haben – verlässt Du mich wieder. Mag sein, dass Dir meine Krankheit unheilbar erscheint, und deshalb verlässt Du mich vielleicht wie ein verzweifelnder Arzt, dem es peinlich ist, den Tod seines Patienten abzuwarten. Aber wer weiß, ob nicht Er, der die Kranken von allen Übeln befreite, nicht seine Hand durch Dich auf mich legen wollte? Wer weiß, ob Er nicht auch mit Dir sein wollte, auf dessen Wort die Glieder der Kranken wieder heil und gesund geworden sind? Du bist der Stellvertreter des einen und der Nachfolger des anderen. Du besitzt die Schlüssel des Himmelreiches ... Wenn meine flehentliche Bitte Dich nicht rührt, wird er Dir auf Deinem Weg begegnen, der auf die Worte des Petrus, als dieser floh: Herr, wohin gehst du? antwortete: Ich gehe nach Rom, um mich noch einmal ans Kreuz schlagen zu lassen.“[20]

Dieser Brief wurde offenbar im späten Frühjahr oder Frühsommer 1370 verfasst. Am 22. Mai erschien eine römische Delegation in Montefiascone, um den Papst zu bitten, seine Entscheidung zu über­denken. „Der Heilige Geist hat mich nach Rom geführt“, antwortete er, „nun führt er mich wieder weg um der Ehre der Kirche willen.“ Schlechte Gesundheit und der ungünstige Einfluss der französischen Kardinäle waren möglicherweise die wahren Beweggründe. Die einzige plausible Entschuldigung, die Urban hätte vorbringen können, wäre gewesen – da Italien nun befriedet war –, dass seine Anwesenheit in Avignon erforderlich wäre, um Frieden zwischen Frankreich und England zu stiften, deren Feindseligkeiten wieder auflebten. Am 7. Juni ernannte er zwei Kardinäle, die beide sehr bald mit Caterinas Leben in Berührung kommen sollten: Pierre d’Estaing, Titular von Santa Maria in Trastevere, und den Bischof von Florenz, Piero Corsini, den Neffen von Piero degli Albizzi, dessen Fraktion stets das Bündnis zwischen Florenz und der Kirche favorisiert hatte. Pierre d Estaing – ein großherziger und weitsichtiger Mann von tugendhaftem Lebenswandel und aufgeklärten Ansichten, wenn auch von aristokratischer und etwas anmaßender Gesinnung – wurde mit der südlichen Gesandtschaft in Italien betraut; die nördliche Gesandtschaft, die von Bologna, hatte er zuvor, im Januar 1368, seinem eigenen Bruder, Anglico de Grimoard, übertragen.

Er verabschiedete also die Römer, versprach, auch weiterhin wie ein Vater für sie zu sorgen, ermahnte sie, Frieden zu halten und weder seine Heimkehr noch das Kommen seines Nachfolgers zu verhindern. „Dennoch“, so sagte er, „bezeugen Wir, dass Wir und Unsere Brüder, die Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche, sowie Unsere Vertrauten und Beamten, drei Jahre lang bei euch und in den umliegenden Orten sehr ruhig und trostvoll gelebt haben. Und ihr habt Uns und Unsere Kurie insgesamt und jeden einzelnen mit Respekt und Freundlichkeit behandelt.“[21]

Birgitta war mit ihren Söhnen Karl und Birger nach Amalfi gereist. Als sie zurückkehrte, fand sie Urban unmittelbar vor der Abreise und beschloss, einen letzten Versuch zu unternehmen, ihn zu sehen. Im Juli erreichte sie Viterbo und zog weiter nach Montefiascone, wo sich der Papst aufhielt. Mit ihr kam ein Mann, der im Ruf der Heiligkeit stand und dem wir später im Zusammenhang mit Caterina wieder begegnen werden: der „Einsiedler-Bischof“ Alfonso da Vadaterra. Der Sohn eines Sieneser Vaters und einer spanischen Mutter hatte eine glänzende kirchliche Laufbahn als Bischof von Jaen begonnen, verzichtete dann aber auf sein Bischofsamt, verteilte seinen Besitz an die Armen und lebte nun als Augustiner-Eremit in Rom. Er war es, der Birgittas Vita verfasste und offenbar den Büchern ihrer Offenbarungen jene Gestalt gab, in der wir sie heute kennen.

Die schwedische Prinzessin erklomm auf ihrem Maultier den hohen Hügel, auf dem Montefiascone liegt, bis zum päpstlichen Palast auf dem höchsten Punkt, von dem aus man den friedlichen See von Bolsena überblickt. Unter ihr lag die Insel, die Zeugin des Martyriums der heiligen Christina gewesen war, und die andere, auf der Amalasuntha von ihren gotischen Mördern brutal zu Tode gebracht worden war; etwas weiter weg lag das ruhige Städtchen (Bolsena} mit jener Kirche, die Zeuge des mystischen Wunders war, das noch immer im Lauda Sion des Thomas von Aquin und in der Marmorpracht des Doms von Orvieto gefeiert wird. Sie wurde zum Papst geführt, wobei ihr Freund, Niccolò Orsini, Graf von Nola, offenbar als Dolmetscher fungierte. Urban empfing sie freundlich, gewährte ihr die Genehmigung ihrer Regel, wollte aber keine den Heiligen Stuhl betreffende Fragen mit ihr erörtern. Kurz darauf schickte er ihr jedoch einen Boten nach, um sie zu fragen, was der Wille Gottes in dieser Angelegenheit sei. Da kam der visionäre Geist erneut über Birgitta, und die heilige Jungfrau sprach zu ihrem Herzen Folgendes:

„Auf meine Bitte hin erhielt er die Eingebung des Heiligen Geistes, er solle durch Italien nach Rom ziehen, um nichts anderes als Gerechtigkeit und Gnade zu üben, den katholischen Glauben zu stärken, den Frieden zu begründen und so die Heilige Kirche zu erneuern. Wie eine Mutter ihr Kind an den Ort führt, der ihr gefällt, indem sie ihm ihre Brüste zeigt, habe ich Papst Urban durch mein Gebet und das Wirken des Heiligen Geistes von Avignon nach Rom geführt, ohne die geringste Gefahr für sein Leben. Was hat er mir angetan? Er wendet mir jetzt den Rücken zu und nicht das Gesicht und will von mir weggehen. Ein verderblicher Geist mit seinem Trug verleitet ihn dazu. Denn er ist seiner Arbeit für Gott müde und wünscht sich körperliche Bequemlichkeit. Ja, der Teufel lockt ihn mit weltlicher Unterhaltung, denn allzu begehrenswert scheint ihm das Land seiner Geburt in seiner profanen Art und Weise. Auch der Rat seiner weltlich gesinnten Freunde verleitet ihn dazu, die mehr auf ihre Annehmlichkeit und ihren Willen achten als auf die Ehre und den Willen Gottes oder den Nutzen und die Rettung ihrer eigenen Seele. Sollte es tatsächlich geschehen, dass er in das Land zurückkehrt, in dem er zum Papst gewählt wurde, wird ihn in kurzer Zeit ein solcher Schlag ereilen, dass die Zähne zusammenschlagen und klappern werden. Sein Blick wird sich verdunkeln und trübe werden und alle Glieder seines Körpers werden zittern. Die Glut des Heiligen Geistes wird zunächst lau werden und dann erlöschen, und die Gebete aller Freunde Gottes, die entschlossen waren, unter Tränen und Seufzern für ihn zu beten, werden verstummen, und die Liebe zu ihm wird in ihren Herzen erkalten. Und er wird gezwungen werden, vor Gott Rechenschaft abzulegen: erstens für alles, was er auf dem päpstlichen Stuhl unternommen hat, und zweitens für all das, was er unterlassen hat, aber zur Ehre Gottes in seinem hohen Amt hätte tun können.“[22]

Diese Offenbarung überbrachte sie dem Papst persönlich in Anwesenheit des jungen französischen Kardinals Pierre Roger de Beaufort, des Neffen Clemens‘ VI.[23] Doch Urban machte sich traurig auf den Weg. Am 5. September 1370 segelte er von Corneto ab und erreichte Frankreich am 16. September. Drei Monate später, am 19. Dezember, starb er in Avignon im Haus seines Bruders Anglico, auf eigenen Wunsch auf dem Bett der Armut und im benediktinischen Habit gekleidet. Ein erfolgloser Papst, aber ein treuer Mönch bis zum Ende.[24] Am 30. Dezember wurde Kardinal Pierre Roger de Beaufort zu seinem Nachfolger gewählt. Er wurde am 4. Jänner 1371 zum Priester geweiht und am folgenden Tag mit dem Namen Gregor XI. zum Papst gekrönt.

Einen Monat vor Urbans Tod, im November 1370, war – auf Intervention der Gesandten von Florenz – in Bologna ein Friedensvertrag zwischen der Kirche und Perugia geschlossen worden, dessen grundlegende Bestimmungen lauteten, dass die Stadt Perugia den Papst und die Kirche auf ewig als ihre Souveräne anerkennen sollte und dass der Papst die Prioren der Republik auf Lebenszeit zu seinen Vikaren ernennt, nachdem sie die Schlüssel der Stadt formell dem Kardinal-Legaten übergeben hatten. Zum Zeichen der Anerkennung sollten sie für den Rest des Lebens des Papstes einen jährlichen Tribut von 3.000 Goldflorinen entrichten. Als Urban starb und der Legat Anglico de Grimoard keine weiteren Befugnisse mehr besaß, waren die Perugianer immer noch im Zweifel über die Bedeutung der Klausel, die besagte, dass die Bestellung von Vikaren nur für die Lebenszeit des Papstes galt, die Anerkennung der kirchlichen Oberhoheit jedoch für alle Zeiten. Aber die Exilanten, die wieder in die Stadt zurückkehrten, sorgten für neue Unruhen, der Stadt fehlte es an Vorräten, und Kardinal d’Estaing, vom neuen Papst als Legat bestätigt, zog am 19. Mai 1371 im Triumph in Perugia ein, wo er von den Prioren und den Bürgern mit Palmen und Olivenzweigen begrüßt wurde.[25]

So gesehen war das Werk von Albornoz im ersten Jahr des Pontifikats Gregors XI. vollendet; aber es sollte sich als ein Haus erweisen, das auf Sand gebaut war und kein sicheres Fundament in der Liebe der Untertanen hatte, die die päpstliche Herrschaft angeblich akzeptierten. Das Jahr, in dem Urban Italien verließ, ist auch das Jahr, in dem Caterina in das öffentliche Leben trat. Der neue Pontifex, sanftmütig, gelehrt, kränklich und körperlich leidend, wohlmeinend, aber schwach und unentschlossen, wankelmütig und zuweilen unerwartet hart und starrsinnig, sollte auf die geistige Kraft derjenigen treffen, die Christus, dessen Stellvertreter auf Erden er zu sein beanspruchte, im mystischen Band des vollkommenen Glaubens mit sich vermählt hatte.



[1] M. Villani, xi. 26.

[2] Vgl. Petrarca, Rerum Senilium, Lib. VII. ep. I.

[3] M. Villani, xi. 31, 32. Vgl. Diario d’Anonimo Fiorentino (hg. von Gherardi), S. 296.

[4] Lettere del B. Giovanni Colombini, 90–93, 95, 108.

[5] Lettere del B. Giovanni Colombini, 110.

[6] Siehe G. Sanesi, Siena nella Lega contro il Visconti. In: Bulletino Senese di Storia Patria, Jg. I, 1894.

[7] Vgl. Revelationes, IV. 45, VIII. 50, 51.

[8] Vgl. O. Malavolti, Historia de‘Sanesi, S. 132, 132v.

[9] Cronica Sanese, S. 204–207.

[10] Cronica di Pisa, S. 1052.

[11] Cronica Sanese, S. 207, 208.

[12] Der anonyme Autor der Miracoli, von Grottanelli zitiert in den Anmerkungen zur Leggenda minore, S. 209, 210.

[13] Grottanelli, op. cit., S. 211–213, überliefert den Wortlaut der Petition der drei Brüder (16. Oktober 1370) um Aufnahme in die Florentiner Bürgerschaft, die mit 78 zu 28 Stimmen angenommen wurde. Es ist schwierig, ihren Anspruch, sie wären praktisch viele Jahre lang Bürger von Florenz gewesen, zu deuten, falls er nicht rein rhetorisch und als zulässige Notlüge zu verstehen ist. In Florenz gehörte die Ars tinture guadi zu den niederen Zünften und war der großen Arte della Lana, der Gilde der Wollhändler, angegliedert.

[14] Brief 14 (252).

[15] Briefe 10 und 20 (249 und 251).

[16] Brief 18 (250).

[17] Brief 23 (356).

[18] Rerum Senilium, Lib. IX. ep. 1 (undatiert)

[19] Rerum Senilium, Lib. XI. ep. 1, 16, 17, Briefe datiert mit Padua, 25. Juli (1368), 24. Dezember (1369) bzw. 8. Mai (1370).

[20] Der ursprüngliche Text dieses Briefes (der sich in den frühen Ausgaben von Petrarcas Werken nicht findet) wird von A. M. Bandini zitiert: Bibliotheca Leopoldina Laurentiana, Bd. ii. (Florenz, 1792), S. 101–103. In Fracassettis italienischer Fassung erscheint er als der dritte der Lettere varie. Die Worte: Ego sum Apostolus Christi etc. hatte der heilige Petrus zur heiligen Agatha gesagt, als er ihr im Kerker erschien, wie es in der Legende heißt. In: Breviarium Romanum für den 5. Februar.

[21] Brief vom 26. Juni 1370, in Raynaldus, vii. S. 190.

[22] Revelationes, IV. 138.

[23] Der Kardinal hatte sich zuvor geweigert, Urban diese Offenbarung vorzulegen. Vgl. Alfonsos Zeugnis in Raynaldus, vii. S. 374.

[24] Nach Birgitta findet Urbans Seele trotz seines großen Fehlers zuletzt Gnade, weil er seinen Gelübden treu geblieben ist. Vgl. Revelationes, IV. 144: „Visio quam habuit Sponsa Christi de judicio animae cujusdam Summi Pontificis defuncti – Vision, welche die Braut Christi über die Seele eines verstorbenen Papstes hatte.“ Die Comtesse de Flavigny [Marie d’Agouit, 1805–1876] (Sainte Brigitte de Suède, S. 285) irrt offensichtlich, wenn sie annimmt, dass es sich bei Clemens VI. um den fraglichen Pontifex handelt. Vgl. Petrarca, Rer. Sen., Lib. XIII., ep. 13. Die Bologneser nahmen das Urteil der Kirche vorweg, indem sie den verstorbenen Papst sogleich als Heiligen verehrten.

[25] Vgl. Pellini, Historia di Perugia, I. S. 1080–1085; Anhang zu Grazianis Chronik, S. 208 - 217; Montemarte, Cronaca di Orvieto, I. S. 39.