Edmund G. Gardner
Die hl. Caterina von Siena
Eine Studie über Religion, Literatur und Geschichte
des 14. Jahrhunderts in Italien
14. Kapitel
Auf dem Schlachtfeld
Obwohl sie am Konklave von Fondi dabei waren, hatten sich die drei italienischen Kardinäle in Tagliacozzo noch nicht endgültig für einen der beiden, die den Anspruch auf das Papstamt erhoben, ausgesprochen. Sowohl Urban als auch Clemens betrachteten sie gleichermaßen als Mitglieder des Heiligen Kollegiums und suchten ihre Unterstützung, während sie selbst an ein allgemeines Konzil der Kirche appellierten, um die Frage zu entscheiden, und gleichzeitig weiterhin fortfuhren, an beide als rechtmäßige Oberhirten zu schreiben. In der zweiten Januarhälfte des Jahres 1379 scheinen sie die Verhandlungen mit Urban endgültig abgebrochen zu haben, ohne jedoch formell und öffentlich mit Clemens gemeinsame Sache zu machen.[1] Caterina richtete nun von Rom aus einen ihrer leidenschaftlichsten und beredtsten Briefe an sie „in dem Wunsch, Euch zum wahren und vollkommenen Licht zurückkehren und aus der tiefen Dunkelheit und Blindheit, in die Ihr geraten seid, heraustreten zu sehen“. Ihrer Gewohnheit entsprechend entwickelt sie zunächst eine allgemeine Lehre von der Liebe und dem Licht, dem Licht der Wahrheit und der Liebe zu Gott, die beide durch die Liebe zu sich selbst und zu den vergänglichen Dingen verdunkelt werden. Das Leben sei im besten Fall eine Blume, die der höchste Richter durch die Hand des Todes pflücken wird, sobald es Ihm gefällt. Furchtbar wird in dieser Stunde die Rechenschaft sein, die Gott von denen fordert, die er in höchste Ämter berufen hat und die ihre Pflicht nicht erfüllt haben. Durch „das Gift der Eigenliebe, das die Welt vergiftet hat“, haben sie der Wahrheit den Rücken gekehrt, die sie selbst verkündeten, als sie Urban wählten. „O was für ein Wahnsinn, uns die Wahrheit zu verkünden, während Ihr es vorzieht, die Lüge zu verkosten!“ In leidenschaftlichen Worten, in denen sie sie als „Toren, die tausend Tode verdienten“, bezeichnet, wiederholt sie nochmals die ganze Geschichte der beiden Wahlen, wobei sie deren angebliche Entschuldigung, sie hätten nicht ausdrücklich für Clemens gestimmt, nicht gelten lässt. Allein durch ihre Anwesenheit [in Fondi] haben sie ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht, da sie es gewiss nicht gewagt hätten, sich dort einzufinden, wenn ihr Leben in Gefahr gewesen wäre. Immerhin hätten sie protestieren können und taten es nicht. „Wie man es auch wendet, ich finde bei Euch nichts als Lügen.“
Dann wechselt sie den Tonfall und bittet sie inständig, in die Hürde zurückzukehren; zuletzt beschwört sie ihre nationalen Gefühle als Italiener. „Um Euretwillen habe ich den größten Kummer erlitten und mich mehr über Eure Sünde gewundert als über die aller anderen, die sie begangen haben. Denn wenn auch alle von ihrem Vater abgefallen wären, so hättet gerade Ihr jene Söhne sein müssen, die ihn bestärken sollten, indem sie die Wahrheit bezeugen. Selbst wenn Euer Vater Euch nichts als Vorwürfe gemacht hätte, so hättet Ihr dennoch kein Judas sein dürfen,[2] indem Ihr seine Heiligkeit auf jede Art und Weise verleugnet. Vom natürlichen und menschlichen Standpunkt aus gesehen (denn der Tugend nach sollten wir alle gleich sein), ist der Christus auf Erden ein Italiener, und auch Ihr seid Italiener, sodass Euch die patriotische Leidenschaft eigentlich ebenso antreiben sollte wie die der Ultramontanen. Ich sehe daher keinen anderen Grund als die Eigenliebe. Werft sie also zu Boden und wartet nicht auf die Zeit, denn die Zeit wartet nicht auf Euch, sondern zertretet diese Neigung mit den Füßen, voll Hass gegen das Laster und aus Liebe zur Tugend. Kehrt um, kehrt um und wartet nicht auf die Rute der Gerechtigkeit; denn der Hand Gottes können wir nicht entrinnen. Wir sind in seinen Händen, entweder um Gerechtigkeit oder um Gnade zu erlangen. Es ist besser für uns, unsere Fehler einzusehen und in den Händen der Barmherzigkeit zu bleiben, als in der Sünde zu verharren und in die Hände der Gerechtigkeit zu fallen. Denn unsere Verfehlungen werden nicht ohne Strafe bleiben, vor allem jene nicht, die gegen die heilige Kirche begangen werden. Ich aber will mich verpflichten, Euch vor das Angesicht Gottes zu tragen, mit Tränen und beständigen Gebeten, und die Buße gemeinsam mit Euch zu tragen – sofern Ihr nur zum Vater zurückkehren wollt, der Euch wie ein wahrer Vater mit den ausgebreiteten Flügeln der Barmherzigkeit erwartet. O weh, o weh! Lauft nicht weg und weicht nicht aus, sondern nehmt sie demütig an und glaubt nicht den bösen Ratgebern, die Euch den Tod gebracht haben. O weh! Liebe Brüder – ja, liebe Brüder und Väter werdet Ihr mir sein, sofern Ihr zur Wahrheit zurückkehrt –, widersteht nicht mehr länger den Tränen und dem Schweiß, den die Diener Gottes für Euch vergießen, sodass Ihr Euch von Kopf bis Fuß darin baden könntet! Wenn Ihr aber dieses süße, angstvolle und schmerzliche Verlangen, das sie für Euch aufopfern, verachtet, wird Euch ein noch viel strengeres Urteil treffen. Fürchtet Gott und sein gerechtes Gericht! Ich hoffe auf seine unermessliche Güte, dass er den Wunsch seiner Diener in Euch erfüllen wird.“[3]
Dennoch appellierten die drei Kardinäle in Tagliacozzo weiterhin an ein Konzil als einzige Möglichkeit, das Schisma zu beenden, bis Jacopo Orsini im August starb. In Italien gab es Gerüchte, dass er auf dem Sterbebett seine Überzeugung bekundet habe, dass Urban allein der rechtmäßige Papst sei. Dies war jedoch nicht der Fall. In seinem letzten Bekenntnis, unterzeichnet und datiert am 13. August 1379, erklärt er, dass er denjenigen als Papst anerkenne, der von der Kirche und dem Konzil bestätigt werde, und dass er es bedaure, wenn er schriftlich oder durch Taten jemals etwas gegen denjenigen getan oder gesagt habe, der auf diese Weise zum rechtmäßigen Papst erklärt werde.[4] Vermutlich hatte sein Zögern die beiden anderen, die Kardinäle von Florenz und Mailand, bisher davon abgehalten, sich für Clemens auszusprechen. Es ist merkwürdig festzustellen, dass Pedro de Luna, der der wichtigste Wegbereiter für die Wahl Urbans gewesen war und ihn nur sehr ungern verlassen hatte, zuletzt der energischste und unnachgiebige Führer der gegnerischen Fraktion wurde, während Jacopo Orsini, der von Anfang an gegen seine Wahl opponiert hatte, das einzige Mitglied des Heiligen Kollegiums war, das niemals wirklich auf die Seite seiner Feinde überlief.
In der Zwischenzeit hatten sowohl Urban wie auch Clemens bewaffnete Söldnertruppen aufgestellt, um ihre Ansprüche, der Stellvertreter des Friedensfürsten zu sein, zu erzwingen. Das Kastell Sant‘ Angelo hielt dem römischen Volk noch immer stand, und seine Verteidiger waren bis zum Äußersten geschwächt, wobei diejenigen, die in die Hände der Belagerer fielen, grausam verstümmelt wurden.[5] Clemens hatte eine Armee aus Bretonen und Gascognern zusammengestellt, darunter auch jene, die er zum Massaker in Cesena aufgefordert hatte, und stellte sie unter das Kommando seines Neffen, Louis de Montjoie, mit dem Befehl, im Februar auf Rom zu marschieren. Urban dagegen nahm die Compagnia di San Giorgio in Sold, eine Kompanie italienischer Söldner, die von Alberigo da Barbiano, dem Grafen von Cunio in der Romagna, angeheuert worden war; ein Condottiere, der sich anschickte, den Ruhm der ausländischen Kapitäne, die während des letzten halben Jahrhunderts der Fluch Italiens gewesen waren, in den Schatten zu stellen. Anfang März zog Clemens, der an einem Fieber litt, von Fondi nach Sperlonga, nahe Gaeta. Von hier aus veröffentlichte er am 17. April 1379 seine berühmte Bulle an Ludwig von Anjou, mit der er ihm das Königreich Adria übertrug, das ein Lehen-Königreich des Heiligen Stuhls werden sollte und Ferrara, Bologna, Ravenna, die gesamte Romagna, die Marken von Ancona, Perugia, Todi, Spoleto umfasste – de facto den größten Teil des Kirchenstaates – mit der Bestimmung, dass Streitigkeiten zwischen dem neuen Königreich und jenem von Neapel durch ein päpstliches Schiedsgericht entschieden werden sollten und dass keiner der beiden Herrscher dem jeweils anderen nachfolgen durfte.
Montjoies Armee umfasste etwa sechshundert Lanzen, was bei drei Mann pro Lanze etwa tausendachthundert Soldaten ergibt. Er schlug sein Hauptquartier in Marino auf, der Festung Giordano Orsinis, von wo aus er das Umland verwüstete, ohne einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, den Verteidigern von Sant‘ Angelo zu Hilfe zu kommen, die sich gezwungen sahen, ein Vermittlungsangebot Giovanni Cencis anzunehmen, und am 27. April kapitulierten. Mit dem feierlichen Segen Urbans marschierte Alberigo da Barbiano aus Rom ab. Am frühen Morgen des 30. April rückte seine Kompanie, die aus zweihundertvierzig Lanzen und einem Teil der römischen Infanterie bestand, aus der Umgebung von Tivoli in Richtung Marino vor. Im Vertrauen auf seine zahlenmäßige Überlegenheit ging Montjoie ihnen entgegen, durchbrach ihre erste Division unter Galeazzo Pepoli und drängte sie auf die Infanterie zurück – nur um seinerseits vom Angriff Alberigos zerschlagen zu werden, der an der Spitze seiner Hauptstreitmacht vorstieß, die drei feindlichen Linien durcheinanderbrachte und einen vollständigen Sieg errang. Die Clementiner verloren mehr als ein Drittel ihrer Armee an Gefallenen und Gefangenen, darunter Montjoie selbst, Bernardon de la Salle und Silvestre Budes.[6] Die Schlacht von Marino setzt einen Meilenstein in der Geschichte der italienischen Kriege: Zum ersten Mal hatte ein rein italienisches Heer einen eindeutigen Sieg über die ausländischen Söldner errungen, und der patriotische Stolz Petrarcas in seinem Italia mia hatte sich bewahrheitet: Denn die uralte Tapferkeit in den Herzen der Italiener ist immer noch vorhanden.
Die Engelsburg (das Kastell Sant‘ Angelo) hatte sich dem römischen Volk ergeben und nicht dem Papst, dessen Forderung, sie seiner Bewachung zu überlassen, von den Römern zurückgewiesen wurde, da sie sich der Gefahr bewusst waren, er könnte die Festung dazu benützen, die Stadt zu beherrschen und ihre Freiheiten einzuschränken. Nach zwei Tagen ergebnisloser Verhandlungen sah sich Urban zum Einlenken gezwungen, und am Morgen des 30. April, dem Morgen der Schlacht von Marino, nahmen die Römer Sant‘ Angelo mit erhobenen Bannern ein und begannen, die antike Anlage niederzureißen.[7] Eine Äußerung Caterinas in einem ihrer Briefe, die sich auf die wunderbaren Dinge bezieht, die Gott vier Wochen zuvor per mezzo di vile creatura (mit Hilfe eines elenden Geschöpfs) bewirkt habe, ist dahingehend ausgelegt worden, dass sie maßgeblich daran beteiligt gewesen sei, die Festung zur Kapitulation zu veranlassen.[8] Davon ist jedoch nichts bekannt. Nachdem Urban seine Enttäuschung, so gut es ging, überwunden hatte, ging er barfuß in einer Prozession von Santa Maria in Trastevere nach St. Peter, um Gott feierlich für den doppelten Sieg zu danken.
An die Bandaresi und ihre Anhänger, „die Bewahrer der Republik von Rom“, die sie stets als die weltlichen Herrscher der Ewigen Stadt bezeichnete, richtete Caterina am 6. Mai einen Brief, in dem sie sie ermahnte, für die großen Wohltaten, die ihnen von Gott erwiesen worden waren, dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit sollten sie vor allem zeigen durch Gerechtigkeit gegenüber ihren Nächsten, Reinheit der Lebensführung, Verzicht auf vorschnelle Urteile und durch Treue gegenüber der Kirche und dem Stellvertreter Christi. Der Brief entbehrt nicht eines Anflugs weltlicher Weisheit: „Ich möchte Euch auch dankbar gegenüber jener Kompanie sehen, die ein Werkzeug Christi war, indem Ihr sie mit allem Notwendigen unterstützt, insbesondere die armen Verwundeten. Verhaltet Euch ihnen gegenüber wohltätig und friedfertig, damit sie Euch weiterhin unterstützen und sie keinen Grund haben, sich gegen Euch zu wenden. So sollt Ihr es tun, liebste Brüder, sowohl weil es Eure Pflicht ist als auch, weil es dringend notwendig ist.“ „Mir scheint“, fügt sie hinzu, „dass man ein wenig undankbar ist gegenüber Giovanni Cenci, der mit so großem Eifer und Treue und mit aufrichtigem Herzen, nur um Gott zu gefallen und zu unserem Nutzen gearbeitet hat (und ich weiß, dass dies die Wahrheit ist), der alles andere zurückgestellt hat, um Euch von der Geißel zu befreien, die das Kastell Sant‘ Angelo für Euch geworden war, und in dieser Angelegenheit mit so viel Umsicht gehandelt hat; nicht nur dass sie ihm kein Zeichen der Anerkennung erweisen und ihm nicht einmal danken, sondern das Laster des Neides und der Undankbarkeit streut auch noch das Gift der Verleumdung und allerlei Gerede über ihn aus. Ich möchte nicht, dass er so behandelt wird noch irgendjemand anderer, der Euch gedient hat. Denn es wäre eine Beleidigung Gottes und ein Verlust für Euch selbst. Das ganze Gemeinwesen braucht kluge, reife und besonnene Männer, die ein gutes Gewissen haben. Lasst das nicht mehr zu, um der Liebe des gekreuzigten Christus willen! Sorgt für Abhilfe in der Weise, die Euch geeignet erscheint, damit die Einfalt der Unbesonnenen eurem Wohl nicht im Wege steht. Ich sage das zu Eurem Besten und nicht aus irgendeiner Parteilichkeit. Denn Ihr wisst, dass ich eine Fremde bin, die zu Eurem Wohl zu euch spricht, weil ich Euch alle zusammen mit ihm so sehr schätze wie meine eigene Seele. Ich weiß, dass Ihr als kluge und weise Männer die Zuneigung und die Reinheit des Herzens, mit der ich Euch schreibe, bedenken werdet, und so werdet Ihr mir die Vermessenheit nachsehen, dass ich es wage, Euch zu schreiben. Seid dankbar, seid Gott dankbar.“[9]
Gleichzeitig schrieb sie an den Grafen Alberigo und seine Korporale, die nicht nach Rom zurückgekehrt waren, sondern sich noch auf dem Schlachtfeld befanden und den Feldzug gegen die Reste der Clementiner in der Campagna vorantrieben, wo Marino vom römischen Volk belagert wurde. Vielleicht wusste sie bereits, dass ein Teil der Compagnia di San Giorgio im Begriff war, Geld von Clemens anzunehmen, als sie schrieb, „mit dem Wunsch, Euch und alle anderen Eurer Kompanie in Treue zur heiligen Mutter Kirche und zu seiner Heiligkeit, Papst Urban VI., dem wahren obersten Pontifex, alle königlich und treu für die Wahrheit kämpfen zu sehen, damit Ihr die Frucht Eurer Mühen erntet.“ Jedenfalls ist der Brief nichts anderes als eine Prosadichtung zu Ehren des idealen christlichen Rittertums. Nicht anders würde Dante seine auserwählten Krieger Gottes in der glühenden roten Sphäre des Mars angesprochen haben.
„O liebster Bruder und liebste Söhne, Ihr seid Ritter, die ins Feld gezogen sind, um aus Liebe zum Leben ihr Leben zu geben und aus Liebe zum Blut des gekreuzigten Christus ihr Blut zu vergießen. Jetzt ist die Zeit der neuen Märtyrer angebrochen, und Ihr seid die ersten, die ihr Blut hingegeben haben. Wie groß ist die Frucht, die Ihr dafür empfangen werdet? Es ist das ewige Leben, das eine unendliche Frucht ist. In diesem Kampf könnt Ihr nur gewinnen, ob Ihr lebt oder sterbt. Wenn Ihr sterbt, gewinnt Ihr das ewige Leben und seid an einem sicheren Ort, der keiner Veränderung unterworfen ist. Und wenn Ihr überlebt, habt Ihr Euch selbst Gott freiwillig geopfert und könnt das, was Ihr besitzt, mit gutem Gewissen behalten.“ Dieser letzte Satz lässt uns leider erkennen, dass diese neuen Ritter Christi insgesamt reine Glücksritter waren. Aber Caterina fährt fort, sie zu ermahnen, stets das Blut des Lammes vor Augen zu haben, für die Wahrheit zu kämpfen, die „Anhänger des Teufels“ verleugnen, und in guter und lauterer Absicht in den Kampf zu ziehen, indem sie ihr Gewissen durch die heilige Beichte reinigen. Der Generalkapitän möge selbst den anderen ein Beispiel geben. Der heilige Boden Roms, auf dem sie kämpfen, sollte sie zum tapferen Handeln anspornen. „Steht fest auf dem Schlachtfeld mit dem Banner des heiligen Kreuzes und bedenkt, dass das Blut der glorreichen Märtyrer immer zu Gott schreit und seine Hilfe auf Euch herabruft. Denkt daran, dass diese Stadt der Garten des gesegneten Christus und der Ausgangspunkt unseres Glaubens ist, und deshalb sollte jeder von uns bereit sein, ihn zu verteidigen. Seid dankbar, Ihr und die anderen, und dankt Gott und dem glorreichen heiligen Ritter Georg, dessen Namen Ihr tragt, für die Wohltaten, die Ihr empfangen habt. Möge er Euch verteidigen und bis zum Tod Euer Beschützer sein. Verzeiht mir, wenn ich Euch mit Worten zu sehr ermüdet habe. Die Liebe zur heiligen Kirche und zu Eurem Heil mögen mich entschuldigen – und mein Gewissen, das durch den süßen Willen Gottes dazu gezwungen wurde. Machen wir es so, wie es Moses getan hat: Während das Volk kämpfte, betete Moses; und solange er betete, siegte das Volk. So wird es auch uns ergehen, wenn unser Gebet Gott gefällig und annehmbar ist.“[10]
Am selben Tag, dem 6. Mai, schrieb Caterina auch an den König von Frankreich und an die Königin von Neapel, offenbar in der Annahme, dass Johanna durch den Sieg der Urbanisten so nahe an ihrem eigenen Hoheitsgebiet erschüttert sein würde. Sie fleht Johanna an, Mitleid mit ihrer eigenen Seele zu haben, und drückt neuerlich ihren Wunsch aus, nach Neapel zu kommen, um von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen. Sie erinnert sie, „meine Mutter und meine Tochter“, an ihr früheres Versprechen, den Kreuzzug zu unterstützen, und warnt sie, dass Urban – sollte sie im Widerstand gegen ihn verharren – das Urteil der Enteignung gegen sie als Häretikerin aussprechen würde.[11] An Karl schreibt sie ausführlich und mit ihrer üblichen Überzeugung, dass es nur die Eigenliebe ist, die dem Menschen das göttliche Licht raubt und ihn daran hindert, die Wahrheit zu erkennen. Sie gibt ihre übliche Stellungnahme zur römischen Causa ab und fügt hinzu, dass die „Diener Gottes“ einmütig für Urban seien und dass Gott gewiss nicht zulassen werde, dass seine Diener in der Finsternis wandeln. Sie bittet den König, sich an die Theologen der Pariser Universität zu wenden, „denn Ihr habt ja bei Euch die Quelle der Wissenschaft, die Ihr, wie ich fürchte, verlieren werdet, wenn Ihr so weitermacht“, und sich nicht von der Zuneigung für sein Heimatland irreleiten zu lassen.[12] Trotzdem befahl Karl praktisch im selben Monat, dass sich die Universität für Clemens aussprechen sollte, wobei er eine angeblich einstimmige Entscheidung aller Fakultäten und Nationen, aus denen sie bestand, erreichte. In Wirklichkeit war die Theologische Fakultät gespalten, und ein großer Teil der Professoren hielt ungeachtet der Verfolgung weiterhin an Urban fest.[13]
Beunruhigt über den Ausgang der Schlacht von Marino, beschloss Clemens, sich unter den Schutz der Königin von Neapel zu begeben. Am 9. Mai schiffte er sich mit Kardinal Lagier, Kardinal Flandrin und seinem neuen Kardinal von Cosenza in Gaeta ein, wo er von der Bevölkerung mit kaum verhüllter Feindseligkeit empfangen wurde, und erreichte mit einer Flotte von sechs Galeeren und einer Galeote am folgenden Tag Neapel. Doch ungeachtet der Haltung Johannas und ihres Hofstaates hielten die Bevölkerung Neapels und nicht wenige Adelige an Urban fest. Nachdem der provenzalische Erzbischof Bernard Rodhez zu Clemens nach Fondi übergelaufen war, hatte Urban einen Neapolitaner, Lodovico Bozzuto, zu seinem Nachfolger ernannt, der es jedoch aus Angst vor der Königin nicht wagte, seinen Bischofsstuhl in Besitz zu nehmen.
Johanna bereitete Clemens einen großartigen Empfang, und alle ihre Höflinge strömten herbei, um ihm ihre Ehrerbietung zu erweisen. Doch während sie ihn im Castello dell‘ Ovo bewirtete, versammelte sich das Volk und murrte gegen sie, weil sie diesen „Karnevalspapst“ empfangen hatte; die Parteigänger des urbanistischen Erzbischofs schürten die Flammen. Ein Zimmermann beschimpfte die Königin auf einem der Plätze, als einer der noblen Herren der Stadt, Messer Andrea Ravignano, zufällig vorbeikam: „Was soll das, Kerl? Du wagst es, gegen deine Lehnsherrin zu sprechen?“ Ein Schwall neapolitanischer Beschimpfungen war die Antwort, auf die Messer Andrea mit einem Hieb antwortete, der dem Zimmermann ein Auge zerstörte. Sofort erhob sich die gesamte neapolitanische Bevölkerung voller Wut und schrie: „Es lebe Papst Urban!“, „Tod dem Papst Clemens!“, „Tod dem Antichrist!“. Während die einen den erzbischöflichen Palast und die Häuser der clementinischen Prälaten plünderten, stürmten die anderen hinunter in Richtung des Castello dell‘ Ovo und forderten schreiend den Tod der Königin selbst, falls sie den Antipapst verteidigen sollte. Der Erzbischof der Urbanisten wurde wieder an seinen Amtssitz zurückgebracht, und die Bevölkerung beleuchtete bei Einbruch der Dunkelheit die ganze Stadt. Papst und Königin waren gleichermaßen verängstigt.
Am 13. Mai verließ Clemens mit seinen drei Kardinälen, seinen sechs Galeeren und der einen Galeote Neapel und kehrte nach Sperlonga zurück. Johanna dagegen veröffentlichte am 18. Mai, am Vorabend von Christi Himmelfahrt, ein Dekret, in dem sie erklärte, dass sie Urban für den rechtmäßigen Papst halte und dass ihm als solchem innerhalb ihres ganzen Königreichs zu gehorchen sei. Sie schickte den Grafen von Nola, Messer Ugo da San Severino, den Prior der Certosa und andere als ihre Gesandten nach Rom, um sich dem Heiligen Stuhl völlig zu unterwerfen.[14] Caterina schrieb jubelnd an drei neapolitanische Damen, als sie von dem aufstrahlenden Licht über ihrer Stadt erfuhr: „Das Herz des Pharaos ist erweicht – jenes der Königin, meine ich, die sich bis jetzt so widerspenstig gezeigt hat, indem sie sich von ihrem Haupt, dem Christus auf Erden, trennte und dem Antichrist, dem Anhänger des Teufels, huldigte. Sie hat die Wahrheit verfolgt und die Lüge anerkannt. Dank, Dank sei unserem Erlöser, der ihr Herz – sei es durch Liebe oder Gewalt – erleuchtet und seine wunderbaren Werke an ihr erwiesen hat.“[15]
Am 22. Mai schiffte sich Clemens in die Provence ein und ließ Kardinal Jacopo d’Itri, den früheren Patriarchen von Konstantinopel als seinen Legaten in Italien zurück. Nach vielen Schwierigkeiten unterwegs erreichte er endlich am 20. Juni den päpstlichen Palast in Avignon.
Zu Pfingsten verlegte Urban seine Residenz in den Vatikan. „Heiligster Vater“, schrieb Caterina, „der Heilige Geist möge Eure Seele, Euer Herz und Euer Gemüt mit dem Feuer der göttlichen Liebe umgeben und Eurem Geist ein übernatürliches Licht einströmen lassen, damit auch wir, Eure Schäflein, durch Eure Erleuchtung das Licht empfangen und damit keine listige Bosheit des Teufels, die er etwa gegen Euch plant, Eurer Heiligkeit verborgen bleibe. Ich möchte, dass Ihr alles erfüllt, Heiligster Vater, was der süße Wille Gottes von Euch erwartet und wonach Ihr selbst, wie ich weiß, größtes Verlangen habt. Ich hoffe, dass dieses süße Feuer des Heiligen Geistes in Eurem Herzen und Eurer Seele wirksam wird wie einst bei den heiligen Aposteln, als er ihnen Kraft und Stärke gegen die sichtbaren und unsichtbaren Dämonen verlieh. Dank seiner Kraft bezwangen sie die Tyrannen der Welt und verbreiteten dank ihrer Standhaftigkeit den Glauben. Er verlieh ihnen Licht und Weisheit, um die Wahrheit und die Lehre zu erkennen, die ihnen die Wahrheit selbst hinterlassen hatte. Ihren Willen, der ihrer Einsicht folgt, bekleidete er mit dem Feuer Seiner Liebe, sodass sie jede Gefallsucht und Menschenfurcht ablegten und nur noch auf die Ehre Gottes achteten und wie sie die Seelen den Händen der Dämonen entreißen könnten. Sie wollten jedem Geschöpf die Wahrheit verkünden, von der sie selbst sich erleuchtet fanden. Aber nur nach langem Wachen, demütigem und ständigem Gebet und großen geistigen Mühen, unter denen sie diese zehn Tage zubrachten, wurden sie mit der Stärke des Heiligen Geistes erfüllt. Die Mühe und die heilige Übung kamen zuerst. O Heiligster Vater, es scheint, dass sie uns heute lehren und Eure Heiligkeit ermahnen und dass sie uns zeigen, auf welche Weise wir den Heiligen Geist empfangen können. Und wie? Indem wir im Haus der Selbsterkenntnis bleiben, in dem die Seele immer demütig ist und weder in der Freude übermütig wird noch in der Not verzagt.“ „Ich freue mich, dass Euch die überaus liebenswürdige Mutter Maria und der geliebte Apostelfürst Petrus wieder an Euren Amtssitz zurückgeführt haben. Nun will die ewige Wahrheit, dass Ihr aus Eurem Garten einen Garten der Diener Gottes macht. Sorgt für ihr Leben in zeitlicher Hinsicht, dann werden sie sich für Euer geistliches Leben einsetzen; sie sollen nichts anderes tun müssen, als im Angesicht Gottes für das Wohl der heiligen Kirche und für Eure Heiligkeit zu beten. Das werden dann jene Soldaten sein, die Euch den vollkommenen Sieg erringen.“[16]
Anfang Juni ergab sich Marino den Römern; Rocca di Papa und andere castelli folgten; Giordano Orsini unterwarf sich dem Papst. Am 12. Juni veröffentlichte Urban ein triumphierendes Schreiben an die gesamte katholische Welt, in dem er „dem Allerhöchsten mit unermesslicher Freude des Herzens“ dankte. „Er, der alles weiß, ist Unser Zeuge, dass Wir es nicht gewagt hätten, Uns auch nur für eine Stunde auf den Stuhl Petri zu setzen, wenn Wir angenommen hätten, dass Wir nicht durch die Tür in den Schafstall gekommen wären.“ In der Überzeugung, dass Gott durch den Heiligen Geist seine Schwachheit erwählt habe, um die Last der gesamten Kirche zu tragen, und dass er sie niemals verlassen würde, sei er bereit, sich allen Gefahren und Verfolgungen auszusetzen. Schon lege sich der Sturm: Die Söldner seien besiegt, Sant‘ Angelo, non sine miraculo, habe sich ergeben; seine geliebten neapolitanischen Kinder hätten den Antipapst aus Neapel vertrieben; Johanna hätte ihrem Irrtum abgeschworen, ihn als den wahren Stellvertreter Christi und den Nachfolger des Schlüsselträgers anerkannt, und tagtäglich erwarte er ihre Gesandten.[17]
Doch diese Botschafter kamen nie, und Johannas Bekehrung hatte nur wenige Wochen gedauert. Ihre Gesandten wurden von einer clementinischen Galeere (möglicherweise auf ihr eigenes Betreiben) abgefangen und nach ihrer Befreiung von ihr nach Neapel zurückbeordert. Sie begann die Urbanisten vehement zu verfolgen, insbesondere Erzbischof Bozzuto, den sie für den Aufruhr verantwortlich machte. Da es ihr nicht gelang, ihn in ihre Gewalt zu bekommen, zerstörte sie sein Haus und verwüstete seine Besitzungen auf dem Land.[18] Offenbar hatte sie ihre Bekehrung, die durch einen kurzzeitigen Schreckensanfall ausgelöst worden war, vergessen, sobald sie erfuhr, dass ihr Gatte Otto mit neuen Truppen zu ihrer Unterstützung unterwegs war. Wenige Tage später verließ ihre Nichte Margherita, die sie als ihre geliebte Tochter behandelt hatte, Neapel, um sich ihrem Gemahl Karl von Durazzo anzuschließen, dem Urban bereits die Krone angeboten hatte für den Fall, dass Johanna sich als uneinsichtig erweisen würde.
Urban hatte sich entschlossen, einen weiteren Versuch zu unternehmen, um den König von Frankreich von seiner clementinischen Gesinnung abzubringen, und wählte erneut Fra Raimondo als seinen Botschafter. Diesmal sollte der Mönch die Reise über Barcelona antreten, weshalb er am 9. Mai ein Schreiben an den König von Aragonien richtete und ihm Raimondo empfahl, in der Hoffnung, dass ein spanisches Geleit ihm endlich die sichere Einreise nach Frankreich ermöglichen würde.
Raimondos Anweisungen werden noch in den Archiven des Vatikan aufbewahrt. Er soll nochmals die offizielle römische Version der Wahl, der Inthronisierung und der Krönung Urbans darstellen und die Art und Weise betonen, wie die Kardinäle geistliche und weltliche Gunstbezeigungen von ihm erhielten (und nutzten), seine Wahl verkündeten und ihn drei Monate lang als Papst behandelten. Er soll den König darauf aufmerksam machen, dass der Kardinal vom Amiens freiwillig nach Rom gekommen sei, dass der Kardinal von Glandèves das Bistum Ostia angenommen habe; dass der Kardinal von St. Peter eine letztwillige Erklärung abgegeben habe und dass der größte Teil der Universitäten an ihm festhalte. Ebenso „hielt ihn Karl, der vorige römische Kaiser seligen Angedenkens, der über die Wahrheit voll informiert war, für den wahren Papst, solange er lebte“; der König der Römer und Böhmens, die Könige von Ungarn, Aragonien, Kastilien, England, Portugal, Zypern und Navarra (wobei Urban offenkundig den neutralen Status einiger dieser Mächte zu seinen Gunsten interpretierte) und viele andere Fürsten in Italien und anderswo hielten ihn für den wahren, kanonisch gewählten Papst, und er würde als der wahre Stellvertreter Christi und der legitime Nachfolger des heiligen Petrus in ihren Hoheitsgebieten respektiert. Den Spuren des heiligen Petrus folgend, habe er seine Residenz in Rom aufgeschlagen. Aber, obwohl von Geburt Italiener, sei er stets Wahlfranzose gewesen und sei es noch. Er sei bereit, dem König in allen seinen gerechtfertigten und vernünftigen Forderungen entgegenzukommen. Schon habe seine Sache zu triumphieren begonnen, wie sich in der einstimmigen Entscheidung des römischen Königs und der Kurfürsten des Reiches zu seinen Gunsten und in der Übergabe des Kastells Sant‘ Angelo zeige. Der plötzliche Tod des Kardinals Gilles Aycelin de Montaigu, der sich ihm in Avignon widersetzt hatte, und die unheilbare Krankheit, die „den früheren Kardinal von Genf, jetzt Antipapst“, befallen habe, auf dessen Gesicht ein Zeichen der Niederträchtigkeit erschien, sobald er ihn verließ, wären gewichtige Argumente zu seinen Gunsten. Der König möge zur Kenntnis nehmen, wie überall, auch in Frankreich, Frauen und Kinder und fast alle niederen Stände allein durch die Inspiration des Heiligen Geistes Urban als wahren Papst bejubeln, wie es beim Propheten geschrieben steht: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob. In einer so schwierigen Angelegenheit, wie sie den katholischen Glauben betrifft, möge der König auf die Weisen hören und ihnen Glauben schenken und sich nicht von Schmeichlern und falschen Ratgebern täuschen lassen, die seiner Ehre und dem Heil seiner Seele schaden und über sein königliches Blut und sein Geschlecht nur Schande bringen würden.[19]
Einmal mehr scheiterte Raimondo. Trotz Urbans Protest war Pedro de Luna – der nun so vehement in der clementinischen Sache agierte, wie er zunächst zurückhaltend gewesen war, sich ihr anzuschließen – vom König von Aragonien zu Jahresbeginn als Legat Clemens‘ mit allen Ehren empfangen worden und hatte die Einkerkerung von Urbans früheren Gesandten bewirkt: Perfetto Malatesta, Abt von Sassoferrato, und Fra Menendo, den Urban zum Bischof von Cordoba ernannt hatte.[20] Raimondo war sein persönlicher Freund gewesen, aber durch den Einfluss des Kardinals war ihm die Einreise nach Frankreich von spanischer Seite nun ebenso verschlossen wie zuvor von der Provence.
Raimondo blieb in Genua, wo er als Kreuzzugsprediger für Urban wirkte und auch als Provinzial für die Provinz Lombardei verantwortlich war. Er schrieb an Caterina und bat sie, ihn nicht nach ihren eigenen Maßstäben zu beurteilen und ihn nicht weniger zu lieben, weil er sie erneut enttäuscht hatte. Sie aber antwortet so, als ob sie selbst in der Liebe und im Glauben versagt hätte und durch ihr mangelndes Vertrauen in Gott ein Instrument gewesen sei, um sein Werk zu verderben. Was die besondere Zuneigung und den Glauben anbelange, die uns mit einem besonders lieben Freund verbinden, sollten wir niemals annehmen oder uns vorstellen, dass dieser Freund je etwas anderes wollen könne als unser Wohl. Und durch nichts wird dieser Glaube je vermindert, „weder durch das Gerede der Geschöpfe oder eine List des Teufels noch durch einen Wechsel des Ortes.“ Deshalb kämen Raimondos Ängste, „dass die Zuneigung und Liebe, die ich für Euch hege, geringer werden könnten“, aus seiner eigenen Unvollkommenheit in der Liebe und im Glauben. Aber sie verhehlt nicht ihre bittere Enttäuschung, dass er Mittel und Wege gefunden habe, um die ihm auferlegte Last abzuwerfen: „Wäret Ihr treu gewesen, so hättet Ihr nicht so lange gezögert und wäret nicht über Gott und mich, Elende, in Zweifel geraten, sondern Ihr wäret wie ein treuer Sohn, der zum Gehorsam bereit ist, weitergereist und hättet das Euch Mögliche getan. Und wenn Ihr nicht aufrecht hättet gehen können, so wäret Ihr eben gekrochen; und wenn nicht als Mönch, so wenigstens als Pilger. Und wenn Euch das Geld gefehlt hätte, so hättet Ihr um Almosen betteln müssen. Dieser treue Gehorsam hätte in den Augen Gottes und in den Herzen der Menschen mehr erreicht als alle menschliche Klugheit. Meine Sünden haben mich darum gebracht, Euch so zu sehen, aber ich bin gewiss, dass Ihr trotz aller natürlichen Furcht stets eine gute, heilige Absicht hattet und den Wunsch, auf diese Weise Gottes Willen zu erfüllen und auch jenen von Papst Urban, dem Christus auf Erden … Freilich wäre es mir in jeder Hinsicht lieb gewesen, Ihr hättet Eure Reise fortgesetzt. Aber es beunruhigt mich nicht, denn ich bin gewiss, dass alles nach dem verborgenen Plan Gottes geschieht …
Ich versichere Euch, liebster Vater, dass uns – ob wir wollen oder nicht – die gegenwärtige Zeit zum Sterben einlädt. Bleibt also nicht länger ein Lebender; beendet alle Schmerzen im Schmerz und steigert die Freude heiligen Verlangens im Schmerz, damit unser Leben nicht anders vorübergeht als im gekreuzigten Verlangen und wir bereitwillig unsere Leiber den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen – das heißt, dass wir uns freiwillig, um der Wahrheit willen, den verleumderischen Zungen und Händen der Menschen überlassen wie wilden Tieren, so wie es andere vor uns getan haben, die sich wie Totgeweihte in diesem süßen Garten gemüht und ihn mit ihrem Blut, zuvor aber mit Schweiß und Tränen getränkt haben. Ich aber (unglücklich ist mein Leben!) habe ihn nicht mit Schweiß getränkt und mich geweigert, mein Blut darin zu vergießen. Ich will nicht mehr so weitermachen; unser Leben soll vielmehr erneuert werden und das Feuer des Verlangens soll stärker brennen.
Ihr habt mich gebeten, die göttliche Güte zu bitten, sie möge Euch etwas vom Feuer des heiligen Vinzenz, des heiligen Laurentius, des lieben heiligen Paulus und jenes liebenden Johannes verleihen; dann, sagt Ihr, werdet Ihr große Taten vollbringen. Gewiss, Ihr sprecht die Wahrheit, denn ohne dieses Feuer würdet Ihr nichts bewirken, weder große noch kleine Dinge. Auch ich würde mich nicht über Euch freuen können … Ihr empfehlt mir Euren Orden, und ich empfehle ihn Euch an, denn wenn ich sehe, wie die Dinge stehen, zerreißt es mir das Herz im Leibe. Unsere Provinz zeigt sich im Allgemeinen immer noch gehorsam gegen Papst Urban und gegen unseren Ordensvikar, der sich übrigens ganz im Sinne der Wahrheit verhält. Soweit ich informiert bin, verhält er sich in der gegenwärtigen Lage auf recht kluge Weise im Orden, auch denen gegenüber, die auf ungute Art der Wahrheit widersprechen. Und wollte jemand das Gegenteil behaupten, so würde das nicht stimmen. Der Heilige Vater hat ihm den Auftrag und die Vollmacht gegeben, alle jene Provinziale zu entlassen, die ihn nicht anerkennen wollen. Wir dürfen jetzt nicht schlafen, sondern wir sollten mit großem Eifer unseren lieben Spanier[21] bitten, auf seinen Orden herabzublicken, der immer für die Erhöhung des Glaubens gearbeitet hat, jetzt aber zu seinem Verderber geworden ist. Ich bin darüber betrübt bis zum Tod, aber ich kann nichts anderes tun als mein Leben in Tränen und in großem Kummer aufzuopfern.
Was Eure Mitteilung anbelangt, dass der Antichrist und seine Anhänger listig versuchen würden, Euch in die Hände zu bekommen, so seid ohne Furcht: Denn Gott ist stark genug, ihnen das Licht und die Macht zu nehmen, sodass sie ihre Vorhaben nicht ausführen können. Ihr solltet auch bedenken, dass Ihr eines so großen Gutes nicht würdig seid und deshalb nicht besorgt sein müsst. Habt Vertrauen! Die liebe Maria und die Wahrheit werden immer mit Euch sein. Obwohl ich nur als armselige Sklavin auf jenes Kampffeld gestellt bin, wo das Blut um des kostbaren Blutes willen vergossen wurde (und Ihr habt mich hier zurückgelassen und seid in Gottes Namen weggezogen), werde ich niemals aufhören für Euch zu arbeiten. Ich bitte Euch aber, handelt so, dass Ihr mir keinen Anlass zu Tränen gebt, noch dass ich mich im Angesicht Gottes Eurer schämen muss. Da Ihr ein Mann seid, der versprochen hat, für die Ehre Gottes zu arbeiten und zu ertragen, so seid jetzt nicht ein Weib, wenn es darum geht, das Versprochene auch umzusetzen in die Tat. Denn ich werde mich in Bezug auf Euch auf den gekreuzigten Christus und auf Maria berufen. Seht zu, dass es Euch dann nicht so ergeht wie dem Abt von Sant‘ Antimo, der aus Furcht und unter dem Vorwand, Gott nicht zu versuchen, Siena verließ und nach Rom kam, weil er glaubte, dem Gefängnis entkommen und in Sicherheit zu sein. Doch man hat ihn hier eingesperrt und ihm die Strafe auferlegt, die Ihr kennt. So ergeht es kleinmütigen Herzen. Seid also ganz mutig, welcher Tod immer auf Euch zukommen mag.
Ihr sollt auch wissen, dass für mich eine Reise nach Neapel ins Auge gefasst wurde und ich mich jetzt nicht hier in Rom befände, wenn alles gut gegangen wäre. Aber es war unmöglich, weder zur See noch auf dem Landweg. Betet und bittet auch andere, zu Gott und Maria zu beten, dass er uns das tun lässt, was zu seiner Ehre gereicht. Fra Bartolommeo, der Magister, Fra Matteo und die anderen sind bereit, alles zu tun, was notwendig ist für die Ehre Gottes und zum Nutzen der heiligen Kirche und um ihre (eigene) Schwachheit zu stärken. Sie und alle anderen empfehlen sich Euch. Nonna segnet Euch; und ich erbitte Euren Segen und bitte Euch, mir zu vergeben, wenn ich etwas gegen die Ehre Gottes oder gegen die Ehrfurcht, die ich Euch schulde, gesagt habe. Meine Liebe möge mich entschuldigen.“[22]
Der Hinweis auf die Gefangennahme von Fra Giovanni di Gano zeigt, dass auch ein anderer von Caterinas Schülern ihre Erwartungen enttäuscht hatte. Man weiß nichts Genaues über die Sache, aber es ist wahrscheinlich, dass er davor zurückschreckte, eine von Urbans Missionen in Siena zu übernehmen. Die Beziehungen zwischen Caterinas Vaterstadt und dem Heiligen Stuhl waren erneut angespannt, weil die Sieneser sich weigerten, Urban mit Männern und Geld zu unterstützen, wozu sie gemäß den Friedensbedingungen zwischen der Liga und der Kirche sowie durch die Rückgabe von Talamone verpflichtet gewesen wären. Francesco Casini, der jetzt Urbans Leibarzt war wie schon zuvor jener Gregors, hatte vergeblich versucht, am päpstlichen Hof die Wogen zu glätten. „Glaubt nicht“, schrieb er an die Verteidiger, „dass ich mich zugunsten der Kommune oder der Bürger einsetzen kann, wenn ihr euch so verhaltet. Solange ihr auf diese Weise agiert, wünschte ich eher, der Papst würde mich für einen Schotten halten.“[23]
Wir besitzen zwei Briefe von Caterina selbst in dieser Angelegenheit, in denen sie dazu drängt dem Papst zu helfen, wie sie versprochen hätten, insbesondere jetzt, da er ihre Unterstützung nicht verlange, um die weltlichen Besitzungen der Kirche wiederzugewinnen, sondern einfach zur Verteidigung des Glaubens. Sie erinnerte sie daran, dass sie keine Probleme damit gehabt hätten, den Florentinern eine ähnliche Unterstützung gegen den Heiligen Stuhl zu gewähren, und versicherte ihnen, Urban liebe sie so herzlich wie Söhne.[24] Gleichzeitig schrieb sie auch an den Prior und die Brüder der Disciplinati der Madonna und forderte sie auf, jeden nur möglichen moralischen Druck auf die Signoria auszuüben, und an Stefano Maconi schrieb sie mit der Aufforderung, in dieser Sache nicht zu zögern, sondern eifrig zu sein: „Wenn ihr das seid, was Ihr sein sollt, werdet Ihr ganz Italien in Brand setzen, nicht nur Eure eigene Stadt.“[25] Aber da die Söldner Hawkwoods und Lucio di Landos Geld forderten und versprengte Banden von Bretonen das Umland bedrohten, waren die Sieneser möglicherweise wirklich nicht in der Lage, ihre Verpflichtungen gegenüber Urban angemessen zu erfüllen. Obwohl Stefano die Signoria drängte, die Güter der Kommune zu verpfänden und eine, wenn auch kleine, Streitmacht nach Rom zu entsenden, um ihren guten Willen zu beweisen, geschah nichts. „In allen geistlichen Dingen“, schrieb er an Neri di Landoccio, „würden sie ihm als dem wahren Hirten gehorchen. Aber was die zeitlichen Dinge angeht, so berufen sie sich auf ihre große Armut und auf das Elend, in das sie geraten sind. Ich bin zutiefst betrübt darüber, dass der Heilige Vater von dieser Stadt keine völlige Genugtuung erfährt. Ich versichere dir, dass ich so darauf eingewirkt habe – insbesondere während Meister Francesco hier war –, dass man mir mehrmals sagte, ich rede in der Sache mehr, als mir zukäme. Aber das sollte mich wenig kümmern, wenn ich nur das getan sähe, was der Ehre Gottes dient.“[26]
Ähnliche Schwierigkeiten gab es auch anderswo. Die Florentiner anerkannten Urbans Wahl und stellten sich taub gegenüber den Einsprüchen Ludwigs von Anjou gegen ihn. Aber sie erfüllten ihren Teil des Vertrages nur äußerst langsam und waren mit der Entschädigungszahlung bereits im Rückstand. Möglicherweise war das im Hinblick auf den fortgesetzten Zustand der Unruhe und Anarchie, in den die Stadt nach dem Aufstand der Ciompi versunken war, unvermeidlich. Der Papst selbst erkannte diese Tatsache schließlich an. Aber Caterina schrieb an die Prioren und Gonfaloniere und tadelte sie für ihren Undank: „Täuschen wir uns nicht selbst, meine lieben Brüder. Viele Beleidigungen und Ungerechtigkeiten haben wir gegen Gott, gegen den Mitmenschen, gegen den Stellvertreter Christi und gegen die heilige Kirche begangen. Ihr könnt dieses Unrecht nicht mit den Sünden der Hirten und Diener der Kirche entschuldigen, denn Euch steht es nicht zu, sie zu bestrafen, sondern nur dem höchsten Richter und seinem Stellvertreter. Nun habt Ihr trotz Eurer Vergehen, die eine strenge Bestrafung verdient hätten, so große Barmherzigkeit erfahren. Voll Güte wurdet Ihr wieder an die Brust der heiligen Kirche genommen und könnt, wenn Ihr es wollt, die Frucht des Blutes empfangen von Papst Urban VI., dem wahren Pontifex und Stellvertreter Christi auf Erden. Er hat Euch vergeben und Euch mit so viel Großmut losgesprochen, und er hat Euch das gewährt, worum Ihr ihn gebeten hattet, indem er Euch nicht wie aufrührerische Söhne behandelte, die gegen ihren Vater rebelliert hatten, sondern so, als ob Ihr ihn nie beleidigt hättet. Jetzt seht Ihr, dass er in großer Bedrängnis ist. Ihr müsst ihm also helfen. Zögert nicht, das zu tun, was Ihr versprochen habt, sonst wäret Ihr sehr undankbar; und ich fürchte, wenn Ihr Euch nicht wirklich dankbar erweist, wird Gott es zulassen, dass Ihr die Strafe über Euch selbst verhängt, so wie Ihr es in der Vergangenheit bereits getan habt.“[27]
Die Republik Perugia hatte zu Beginn des Jahres 1379 einen endgültigen und vollständigen Frieden mit Urban geschlossen, war aber nicht weniger säumig, ihren Tribut zu entrichten, obwohl der Papst jeden Geldbetrag dringend benötigte. Caterina sandte Neri mit einem Brief an die Prioren des Volkes und der Kommune, „mit dem Wunsch, dass Ihr Eurem Vater und Euch selbst in seiner und Eurer Not beisteht. Denn wenn ihr ihn unterstützt, so trägt das zu Eurer eigenen Sicherheit sowohl in ewiger wie auch in zeitlicher Hinsicht bei.“ Sie forderte sie auf, sich ihm gegenüber dankbar zu zeigen und ihre eigene Freiheit zu sichern, indem sie ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe zukommen ließen.[28] Es ist jedoch bemerkenswert, dass keine der italienischen Kommunen, so unzufrieden sie auch mit Urban waren, die Bereitschaft zeigte, ihn um Clemens‘ willen zu verlassen. Als wenige Monate später ein Streit zwischen dem römischen Pontifex und den Bolognesern ausbrach und Clemens einen Bischof sandte, der der Kommune das Vikariat von Bologna zu selbst gewählten Bedingungen anbot, wenn sie ihn als Papst anerkennen wollten, antworteten die Bologneser, sie hätten Urban auf Aufforderung der Kardinäle anerkannt und beabsichtigten, demjenigen zu gehorchen, den die Kirche schließlich als den wahren Nachfolger Petri bestimmen würde.[29]
In Caterinas Brief an die Herren von Perugia finden wir folgenden bemerkenswerten Absatz: „Ihr seht, dass diese Zeit reif ist für große Belastungen und dass unser Land dem Kommen der Fürsten ausgeliefert ist; dabei sind wir aufgrund unserer vielen Sünden und großen Zwistigkeiten zerbrechlich wie Glas. Wenn wir also unseren Vater im Stich lassen und ihm nicht helfen, sind wir in Gefahr; denn getrennt von unserem geistigen ‚Bollwerk‘ sind wir allein zu schwach.“ Und weiter: „Haltet zusammen im gekreuzigten Christus, dann braucht ihr Euch vor keinem Tyrannen zu fürchten. Denn die Hilfe Gottes, dem Ihr aus Liebe zu seiner Braut beistehen wollt, wird euch befreien.“[30] Während Clemens Ludwig von Anjou dazu drängte, für das Phantasie-Königreich Adria in Italien einzumarschieren, appellierte Urban an Ludwig von Ungarn und an dessen Cousin, Karl von Durazzo, der römischen Kirche zu Hilfe zu kommen und Johanna den Thron von Neapel zu entreißen. Im Jänner des Jahres 1379 waren Gesandte des Königs in Florenz gewesen und hatten angekündigt, ihr Herr würde nach Ostern mit einer Armee nach Italien kommen; und sie baten die Kommune um Unterstützung.[31] Aber im Moment war Ludwig damit beschäftigt, Francesco da Carrara und den Genuesen in ihrem Krieg gegen Venedig beizustehen – dem berühmten Krieg von Chioggia –, der am 15. August von den mit ihm verbündeten Streitkräften gewonnen wurde; und gegen Ende des Monats traf Karl mit zehntausend Ungarn im Gebiet von Treviso ein, wo der Herr von Padua die Belagerung von Treviso vorantrieb.
Es ist herzzerreißend, wenn man Caterina in diese bedauerlichen Vorgänge verwickelt sieht. Aus ihren Briefen wird deutlich, dass sie lediglich Urbans Werkzeug war und im guten Glauben handelte, ohne die leiseste Ahnung jenes Ausmaßes, bis zu dem er und Karl bereit waren, ihren Plan durchzuführen. Nichts kann Karls infames Verhalten gegen seine Verwandte und Wohltäterin beschönigen; für Urban kann man als schwache Entschuldigung gelten lassen, dass Clemens der erste war, der die Fremden nach Italien gerufen hatte. In ihrem langen Brief an den König von Ungarn, in dem sie ihn auffordert, so wie er stets der Hauptverteidiger des Glaubens gegen die Ungläubigen war, nun auch der Verteidiger der Kirche zu sein, stellt Caterina ihm die „wahre und vollkommene Liebe, die nicht ihren eigenen Vorteil sucht“, vor Augen und heißt ihn, mit seinen anderen Feinden Frieden zu schließen und rasch zu kommen. „Wollt Ihr zulassen, dass der Antichrist, ein Glied des Teufels, und ein Weib unseren ganzen Glauben ins Verderben, in die Finsternis und in die Verwirrung stürzen?“ „Viel Gutes wird aus Eurem Kommen entstehen. Vielleicht wird dann diese Wahrheit ohne menschliche Macht offenbar, so dass diese arme kleine Frau, die Königin, entweder durch Furcht oder durch Liebe von ihrer Halsstarrigkeit befreit wird. Ihr seht ja, wie entgegenkommend der Christus auf Erden mit ihr war, indem er ihr das, was sie zu Recht verwirkte, nicht weggenommen hat, nur weil er auf ihre Besserung hoffte und um Euretwillen. Sollte er es jetzt tun, würde er gerecht handeln und vor Gottes Angesicht und vor Euch entschuldigt sein.“[32]
An Karl von Durazzo schrieb sie „mit dem Wunsch, Euch als einen tapferen Ritter zu sehen, der mannhaft für den Ruhm und das Lob des Namens Gottes und für die Erhöhung und Erneuerung der heiligen Kirche kämpft.“ Sie fordert ihn auf, Urban rasch zu Hilfe zu eilen, weil Gott ihn als eine Säule in der Kirche und als ein Werkzeug erwählt habe, um die Häresie auszurotten und die Wahrheit hochzuhalten; zunächst aber müsse er die Feinde seiner eigenen Seele überwinden, indem er sein Herz reinige und sein Leben bessere.[33] Kurz zuvor hatte sie Neri und einen anderen ihrer Anhänger, den Abt Lisolo, nach Neapel geschickt mit einem letzten Appell an Johanna selbst, in dem sie sie als ihre dolcissima madre, carissima madre, um ihrer eigenen Rettung und um ihres Volkes willen, das sie in den Bürgerkrieg stürzte, anflehte, zur Wahrheit zurückzukehren, bevor es zu spät sein würde. „O weh, wie kann Euer Herz es ertragen, ohne zu zerspringen, dass Eure Untertanen Euretwegen uneins sind, dass die einen die weiße Rose tragen und die anderen die rote, die einen an der Wahrheit festhalten und die anderen an der Lüge? Seht Ihr denn nicht, dass sie alle geschaffen sind durch die ganz makellose Rose des ewigen Willens Gottes und dass sie neu geschaffen wurden zur Gnade in jener glühenden purpurroten Rose des Blutes Christi?“[34] Caterinas Brief und die Aufforderung Urbans wurden Karl vermutlich Anfang November in Padua übergeben, und er kehrte unverzüglich nach Ungarn zurück, um die Vorgangsweise mit dem König abzustimmen.
Mit Karls Anwesenheit in Treviso ist eine der traurigsten Episoden in Caterinas Leben verbunden. In Florenz war nach dem Staatsstreich der Ciompi – vor allem durch die merkwürdige Distanzierung ihrer Sache durch Michele di Lando[35] – der Hauptteil der Regierung bei den Handwerkern der niederen Zünfte verblieben. Viele der vornehmsten und einflussreichsten Bürger waren im Exil oder unter Bann, nicht anders als die niedrigsten Plebejer, die an den Aufständen beteiligt gewesen waren. Verschwörungen innerhalb und außerhalb der Stadt zur Rückholung der Verbannten und zum Sturz des neuen Regimes waren an der Tagesordnung. Cante de‘ Gabrielli aus Gubbio (ein Abkömmling jenes Messer Cante, der als Podestà ein Dreivierteljahrhundert zuvor das Urteil gegen Dante erlassen hatte) vollbrachte als Capitano del Popolo für zweimal sechs Monate im Jahr 1379 furchtbare Taten der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, ließ wirkliche oder vermutete Verräter köpfen oder hängen und verdächtige Personen foltern, um Denunziationen ihrer Mitbürger zu erpressen. Die Exilanten erwarteten die Ankunft Karls von Durazzo mit der gleichen Zuversicht, mit der Dante die Ankunft Heinrichs von Luxemburg begrüßt hatte, und der Fürst selbst war bereit, seine Soldaten zur Verfügung zu stellen, um die Anhänger der Partei Guelfá nach Florenz zurückzubringen.
Offenbar wurde Giannozzo Sacchetti im April festgenommen (laut Marchionne Stefani wegen Schulden) und in das sogenannte „Stinche“-Gefängnis gebracht. „Ich habe gehört“, schrieb Caterina am 8. Mai an Bartolo Usimbardi und Francesco di Pippino, „dass Giannozzo festgenommen worden ist. Ich weiß nicht, wie lange er dortbleiben wird. Ich bin froh, Francesco, über das, was Ihr mir geschrieben habt: dass Ihr ihn nämlich nicht allein lassen werdet. Ich trage Euch also im Namen des gekreuzigten Christus auf, ihn oft zu besuchen, zu trösten und ihm zu helfen, so gut ihr könnt. Denkt daran, dass Gott nichts anderes von uns verlangt, als dass wir jene Liebe, die wir in ihm empfangen haben, unserem Nächsten erweisen. Ich lege ihn Euch dringend ans Herz; Und sagt ihm von mir, dass er sich als tapferer Ritter zeigen soll, nun, da Gott ihn auf das Schlachtfeld geschickt hat. Möge er in wahrer Geduld kämpfen und sein Haupt demütig dem süßen Willen Gottes beugen. Tröstet ihn in meinem Namen und im Namen meiner ganzen Familie, die alle tiefes Mitgefühl für ihn empfinden.“[36] Kurze Zeit später wurde Giannozzo freigelassen.
Marchionne Stefani, der ihn in seiner Chronik mit gnadenlosem, parteiischem Hass verfolgt und keine Gelegenheit auslässt, seinen Namen anzuschwärzen, berichtet, dass er seine Gläubiger durch sein Wohlverhalten im Gefängnis täuschte und einem Mitgefangenen seinen Schmuck raubte, mit dessen Verkaufserlös er in die Lombardei floh. Das ist zweifellos eine Verleumdung; aber es scheint erwiesen, dass sich Giannozzo den Florentiner Rebellen im Gebiet von Padua anschloss und im September an der ungarischen Belagerung von Treviso teilnahm, wo er (in Absprache mit Lapo da Castiglionchio) von Benedetto Peruzzi überredet wurde, sich einer Verschwörung zur Wiedereinsetzung der verbannten Guelfen in Florenz mit Hilfe Karls von Durazzo anzuschließen.
Giannozzo kehrte mit Briefen vom Fürsten in die Toskana zurück, um zu diesem Zweck Geld aufzutreiben und um vierhundert Lanzen aus der Compagnia di San Giorgio anzuwerben, die nun in Karls Sold stand. Im Umland von Florenz besuchte er Guido della Foresta, Piero Canigiani, Antonio da Uzzano, Donato Strada und Bonifazio Peruzzi, die sich alle zustimmend zu dieser Unternehmung äußerten. Aber die Florentiner Gesandten, die sich bei Karl aufhielten und versuchten, einen Frieden zwischen Genua und Venedig herzustellen, hatten die Signoria gewarnt. Am 12. Oktober wurden Giannozzo und Bonifazio Peruzzi in einem Landhaus in Marignolle festgenommen und an Cante de‘ Gabrielli übergeben. Unter der Folter gestand Giannozzo am folgenden Abend das ganze Komplott, denunzierte Piero Canigiani und seine anderen Komplizen und (so wurde jedenfalls behauptet) beschuldigte sich sogar selbst, die Briefe, die er von Karl von Durazzo mitgebracht hatte, gefälscht zu haben. Sein eigener Bruder, Franco Sacchetti, war der Erste, der im Rat des Capitano dafür plädierte, er solle als Vaterlandsverräter hingerichtet werden.
Am 15. Oktober wurde Giannozzo auf einem Karren durch die Stadt zum Richtplatz gebracht und dort enthauptet. Die anderen Verschwörer wurden zu einer Geldstrafe von zweitausend Florinen verurteilt. Bonifazio Peruzzi und Antonio da Uzzano bezahlten, aber Piero Canigiani und die anderen, die den Betrag nicht innerhalb eines Monats auftreiben konnten, wurden mit dem Bann belegt und ihr Besitz von der Kommune beschlagnahmt. Der König von Ungarn und Karl von Durazzo stritten jedwede Kenntnis von der Sache ab, wobei Letzterer sogar erklärte, der Tod eines solchen Verräters sei viel zu gnädig gewesen. Später jedoch wurde zugegeben, dass die Briefe authentisch waren und dass Giannozzos Geständnis einer Fälschung – falls er es tatsächlich abgelegt hatte – durch die Folter erpresst worden war, um politische Verwicklungen zu vermeiden.[37] Eine ähnliche Verschwörung wurde im Dezember aufgedeckt, als Marchionne Stefani einer der Prioren war; damals wurden – um den Aufruhr des Pöbels unter seinen Anführern, Tommaso Strozzi und Giorgio Scali, zu beschwichtigen – einige der vornehmsten Florentiner Bürger enthauptet. Unter ihnen befand sich auch Donato Barbadori, der der Republik stets mit unerschrockener Treue gedient hatte und der gefasst und eindringlich seine Unschuld beteuernd starb.
[1] Sie schrieben noch am 17. Januar an Urban als „Papst“. Im persönlichen Gespräch adressierten sie ihn jedoch als „ille Romanus“ [jenen Römer] und seinen Rivalen als „Dominus Clemens“ [Herrn Clemens]. Vgl. Gayet, II. S. 279–281 und Dok. 30; Raynaldus, vii. S. 370.
[2] Non dovevate però essere Giuda. So steht es im Harley-MS. Die gedruckten Versionen lauten dagegen: non dovevate però essere guida [was vermutlich ein Druckfehler war. Im Volpato-Text steht nicht guida – Führer, sondern Giuda – Judas].
[3] Brief 310 (31), korrigiert nach dem Harley-MS.
[4] Archivio Vaticano, LIV. 40, abgedruckt in Raynaldus, vii. S. 370, 371. Demgegenüber behauptet Francesco Casini, dass Orsini ihm kurz vor seinem Tod bestätigt hätte, er tue Recht daran, wenn er Urban als den wahren Papst anerkenne (Archiv. cit., LIV. 17, S. 76). Der französische König forderte die beiden Verbliebenen auf, nach Frankreich oder wenigstens in einen Teil des Piemont nahe der Dauphiné zu kommen, um sich mit ihm zu beraten, während Clemens ihnen versicherte, ihre Anhängerschaft für ihn würde mehr für den Frieden innerhalb der Kirche bewirken als die Einberufung eines Konzils. Valois, I. S. 321–323. Beide schlossen sich schließlich den Clementinern an. Das Sterbebekenntnis des Kardinals von Mailand, wonach die Wahl Urbans unter Zwang erfolgte und Clemens der rechtmäßige Papst sei, ist mit 12. September 1381 datiert und findet sich im Archivio Vaticano, LIV. 19, S. 141.
[5] Vgl. Valois, I. S. 169 n.
[6] Siehe Luigi Fumi, Notizie officiali sulla battaglia di Marino dell‘anno 1379 und Un nuovo avviso della battaglia di Marino (Studi e documenti di Storia e Diritto, Jahrgang VII. Rom, 1886); Canestrini, op. cit., S. lxxi.; Andrea Gattaro, in Rer. It. Script., xvii. S. 277, 278. Die Schlacht wurde durch moderne Historiker auf der Grundlage von Gattaro einigermaßen übertrieben dargestellt.
[7] Brief vom 30. April 1379 von Pietro Angeli da Montefiascone, einem der päpstlichen Sekretäre, an die Gemeinde von Montefiascone. Fumi, op. cit., Dok. 2. Vgl. Benvenuto da Imola, Comentum, II. S. 8. [Zu den vielen Verwüstungen Roms, die von der eigenen Bevölkerung ihren Ausgang nahmen, gehört zweifellos die Zerstörung der Engelsburg. Dieses prächtige Mausoleum der Päpste, das dann später zur Festung ausgebaut wurde, bestand ursprünglich aus einem mächtigen viereckigen und von Türmen umrahmten Unterbau, aus dem sich in der Mitte ein mit Marmor verkleideter Rundbau erhob. Davon blieb nur mehr der innere Kern des Rundbaus erhalten. Vgl. F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, München 1978, Bd. II, 805f].
[8] Brief 351 (20), der im Harley-MS. mit dem 30. Mai 1379 datiert ist. Im MS. heißt es allerdings per mezzo di vili creature – mit Hilfe elender Geschöpfe.
[9] Brief 349 (196), ergänzt durch das Harley-MS.
[10] Brief 347 (219). Die Authentizität dieses Briefes ist gelegentlich in Frage gestellt worden, aber kein Kenner der Handschriften kann den geringsten Zweifel daran hegen.
[11] Brief 348 (317).
[12] Brief 350 (187). Ein unverkennbarer „Diener Gottes“, der Mönch Peter von Aragon, hatte Karl gerade eine angeblich direkte Offenbarung des Herrn in Bezug auf Urban übermittelt, die jedoch weitgehend der Behauptung Caterinas widersprach, dass der Tumult des Volkes seine Wahl nicht beeinflusst habe. In: Du Boulay, IV. S. 581, und Raynaldus, vii. S. 398. Was einen urbanistischen Vorschlag aus dem Jahr 1381 betrifft, die Universität von Paris nach Prag zu verlegen, siehe Denifle, op. cit., Bd. iii. Dok. 1642.
[13] Vgl. Valois, I. S. 137–140.
[14] Cronicon Siculum (hg. von J. de Blasiis), S. 35 – 37; Diurnali detti del Duca di Monteleone, S. 15, 16; Anonimo Fiorentino, S. 396. Vgl. Fumi, op. cit., Dok. 4 und 5.
[15] Brief 353 (337). In Brief 362 (318) berichtet Caterina, dass Johanna selbst ihr geschrieben und bekannt habe, dass Urban der wahre Papst sei, und um ihre Absicht zu bekunden, ihm gehorsam zu sein.
[16] Brief 351 (20), den das Harley-MS. mit 30. Mai (Pfingstmontag) 1379 datiert.
[17] Raynaldus, vii. S. 386, 387.
[18] Valois, I. S. 177 n.; Diurnali cit., S. 16.
[19] Ich zitiere direkt aus dem Archivio Vaticano, LIV. 33, S. 132 – 135. Diese Anweisungen, die die Überschrift tragen: Sequuntur ea que Domino Regi Francie sunt exponenda per ... pro parte domini nostri Urbani pape sexti: wurden erstmals von Valois, I. S. 313 – 315 n. identifiziert. Was den plötzlichen Tod des Kardinals Aycelin anbelangt, den die Urbanisten als Gottesurteil ansahen, vgl. St. Antoninus, III. S. 390. Die Trivialität der persönlichen Angriffe gegen Clemens wird weitgehend aufgewogen durch die Argumente, die Jean le Fèvre und andere französische Gesandte vor dem Grafen von Flandern gegen Urban vorbrachten.
[20] Vgl. Sorbelli, op. cit., S. 18, 19.
[21] Gemeint ist der heilige Dominikus.
[22] Brief 344 (101), mit unveröffentlichten Abschnitten aus dem Casanatense, MS. 292. Der Hinweis auf den Zustand von Neapel und die päpstliche Mission zum König von Ungarn zeigt, dass dieser Brief nicht vor der zweiten Junihälfte 1379 geschrieben worden sein kann.
[23] Brief vom 5. Juni 1379. Fumi, op. cit., Dok. 5.
[24] Briefe 311 (203) und 367 (204).
[25] Briefe 321 (144) und 368 (261). Der vollständige Text des Briefs an die Disciplinati findet sich im Casanatense, MS. 292.
[26] 22. Juni 1379. Lettere dei discepoli, 13.
[27] Brief 337 (199). Vgl. Gherardi, op. cit., S. 94–96.
[28] Brief 339 (205). Vgl. Pellini, I. S. 1237–1242. Stefanos Brief vom 22. Juni zeigt, dass Neri vor diesem Zeitpunkt nach Perugia gegangen war.
[29] Vgl. Raynaldus, vii. S. 389; Cronica di Bologna, S. 522.
[30] Brief 339 (205). Ähnlich heißt es im Brief 311 (203) an die Sieneser: „Noi vediamo il tempo ad avvenimento de‘ signori“ – die Zeit deutet darauf hin, dass die „Herren“ kommen werden. (Harley-MS.).
[31] Anonimo Fiorentino, S. 391.
[32] Brief 357 (188). Ein etwas besser lesbarer Text findet sich im Harley-MS.
[33] Brief 372 (189).
[34] Brief 362 (318). Ein Brief, den Fra Bartolommeo di Domenico, mit Datum vom 1. September 1379, an Pagliaresi gerichtet hat, zeigt, dass sich Neri kurz zuvor nach Neapel begeben hatte und dass Caterina letztlich gezwungen war, die Idee einer persönlichen Reise dorthin aufzugeben, da der Papst seine Zustimmung verweigerte (Lettere dei discepoli, 16).
[35] Vgl. Rodolico, op. cit., S. 199 - 206; seine Nachforschungen lassen Micheles Verhalten in einem sehr düsteren Bild erscheinen, anstelle des Nimbus legendären Ruhms, mit dem er bisher umgeben war.
[36] Unveröffentlicht. Anhang, Brief VI. [Der Brief „Gardner VI“ wird inzwischen in der allgemeinen Nummerierung als Brief 89 angeführt.]
[37] Vgl. Marchionne Stefani, Lib. X. rubr. 821, 827, 905; Mannis Cronichetta d‘ Incerto, S. 217; Anonimo Fiorentino, S. 402 – 404; Gherardis Vorwort, S. 260–262; Palermo, op. cit., S. ciii. – cxxx.; Rodolico, op. cit., S. 331–336.