Ein fiktives Interview

 

Caterina von Siena – Gespräch mit einer Kirchenlehrerin

 

Abgedruckt im Heft St. Josef Nr. 6 (2001)

 

Das folgende Interview hat eine lange Vorgeschichte. Caterina lernte ich anfangs der 70erJahre kennen. Ich war Student in Salzburg und der damalige Professor für Dogmatik eröffnete uns den Zugang zur neuen Kirchenlehrerin. Ich begann mich für ihre Schriften zu interessieren, für ihre Briefe, den Dialog, ihre Gebete und ihr Leben. Im Zusammenhang damit besuchte ich auch ihre Heimatstadt Siena und schließlich Rom.

Am Beginn der Via Appia Antica, unmittelbar vor der Quo-Vadis-Kapelle, hatte mir ein Schutzengel das Leben gerettet, nachdem ich einen heranbrausenden Autobus übersehen und um ein Haar von ihm erfasst worden wäre. Dann kam die Priesterweihe und einige Jahre später nannte der Papst die hl. Caterina von Siena in seinem Apostolischen Schreiben „Amantissima Providentia“ anlässlich ihres 600. Todestages einen „Schutzengel der Kirche“. Er tat dies natürlich nicht wegen der Rettung eines kleinen Theologiestudenten, sondern weil sie der Kirche in ihrer schweren Not des ausgehenden 14. Jahrhunderts Beistand geleistet hat. Inzwischen sind wir im beginnenden neuen Jahrtausend und kurz vor dem Millennium hatte sie der Papst mit zwei anderen Frauen zur Patronin Europas ernannt. Im Anschluss daran ist das gegenwärtige fiktive Interview entstanden.

 

Johannes Paul II. ernannte Sie zur Patronin Europas. – Was haben Sie dabei gedacht, als Ihnen diese Ehre zuteilwurde?

Caterina: Ich dachte zunächst nicht an eine Ehrung, sondern an eine Verpflichtung, an eine Aufgabe, die mir auch damals schon am Herzen lag.

Was meinen Sie damit?

Caterina: Europa war im 14. Jh. uneins und zerstritten. Es gab den 100-jährigen Krieg zwischen Frankreich und England, den Kampf der italienischen Stadtrepubliken, den Aufstand gegen den Papst, die Spaltung der Kirche, es gab Streitigkeiten unter den Familien und Adelshäusern und letztlich den Krieg gegen Gott, d.h. das Aufbegehren des Menschen gegen seinen Schöpfer.

Inzwischen sind über 600 Jahre vergangen.

Caterina: Es hat sich im Grunde nicht viel geändert, weil der Mensch heute genauso erlösungsbedürftig ist wie damals und die grundlegenden Fragen immer die gleichen sind.

Und welche Fragen sind das?

Caterina: Es geht um die richtige Sicht des Menschen, um die Frage: Was ist der Mensch? Ist er selbstmächtig oder abhängig, ein Zufallsprodukt oder liebend gewollt? Woher kommt er? Wie soll er handeln? Was ist sein Ziel? Davon hängt alles ab.

Und ihre Antwort?

Caterina: Jesus Christus! Er ist die Antwort auf alle Fragen des Menschen.

Was würden Sie für uns heute besonders erbitten?

Caterina: Die Einsicht in eine längst vergessene Grundwahrheit, ohne die dann alles andere falsch wird.

Und was wäre das?

Caterina: Die Grundeinsicht, dass der Mensch ein Geschöpf ist, das von Gott aus Liebe erschaffen und zur Liebe bestimmt ist. Und zwar nicht irgendwie, sondern nach seinem Bild, also ihm ähnlich – darin liegt die ganze Würde des Menschen. Gott schuf den Menschen in absoluter Freiheit, einzig „gezwungen“ von seiner Liebe, indem er in sich hineinblickte und über seine Herrlichkeit und über das Werk seiner Hände erglühte. Er verliebte sich in die Schönheit seiner Geschöpfe und zog das Sein des Menschen aus sich heraus ins Dasein, um uns teilnehmen zu lassen an Ihm, an seiner Schönheit, an seinem ewigen Gut, an seinem ewigen Leben. Denn Gott will unser Glück. Das ist die Wahrheit Gottes und die Wahrheit über den Menschen.

Das klingt wunderschön. Aber wie weiß der Mensch, dass dies wirklich so ist? Wer beweist es ihm?

Caterina: Das Blut Christi.

Wie ist das zu verstehen?

Caterina: Da der Mensch durch die Sünde dem ewigen Tod verfallen war, sandte der ewig junge und gütigste Vater seine „Wahrheit“, den eingeborenen Sohn, um ihn durch die feurige Fessel der Liebe, d.h. durch den Heiligen Geist, ans Kreuz zu binden. So wurde der Mensch aus Liebe neugeschaffen im Blut des Gottessohnes. Hätte Gott uns nicht geliebt und nicht unser Glück gewollt, dann hätte er uns keinen solchen Erlöser geschenkt. Das Blut des Gottessohnes offenbart uns also diese Wahrheit.

Das Blut Christi – eines ihrer Lieblingsthemen! Für andere befremdlich und eher nebensächlich?

Caterina: Es ist kein Randthema, sondern das Herzstück unserer Religion.

Gut. Aber darf ich Sie zunächst unseren Lesern, die Sie noch wenig kennen, etwas näher bekannt machen.

Caterina: Fragen Sie ruhig!

Sie sind Italienerin und kommen aus Siena in der Toskana, aus einer sehr kinderreichen und gut bürgerlichen Familie. Ihr Vater hatte eine Färberei mit einigen Mitarbeitern. Sie wurden am 25. März geboren und waren – für uns unvorstellbar – das 25. Kind ihrer Mutter Lapa?

Caterina: Das 23. bzw. 24! Es war eine Zwillingsgeburt, wobei meine Schwester Johanna kurz darauf verstarb. Das 25. und letzte wurde dann noch einmal Johanna getauft.

Und Ihre Mutter?

Caterina: Meine Mutter war eine sehr temperamentvolle Frau, etwas rau in ihrer Art, aber zutiefst fromm und gut. Mich hatte sie besonders ins Herz geschlossen.

Differenzen mit den Eltern?

Caterina: Für Mutter bestand die Welt in der Sorge um die Familie und das Haus. Sie wollte mich natürlich zunächst verheiraten. Mein längst getroffener Entschluss zur Jungfräulichkeit und dann der Eintritt bei den Bußschwestern des hl. Dominikus war für sie ein sehr schwerer Schlag.

Und der Vater?

Caterina: Vater war herzensgut und stand mir letztlich zur Seite.

Wie ist es weitergegangen?

Caterina: Zunächst lebte ich drei Jahre in völliger Zurückgezogenheit in einem kleinen Zimmer meines Elternhauses. Dann begann ich, mich besonders um die Armen und Kranken in unserer Stadt zu kümmern.

Und ihr Freundeskreis?

Caterina: Ich hatte einen Verwandten bei den Dominikanern, und gelegentlich brachte er seine Mitbrüder zu mir. Später kamen noch andere aus allen Schichten der Bevölkerung: Adelige, Mönche, Künstler, Politiker, Gelehrte, Kaufleute, Advokaten, Dichter. Dazu noch meine Freundinnen und Mitschwestern aus dem Drittorden – so entstand allmählich eine Art „geistliche Familie“.

Waren Sie in der Öffentlichkeit bekannt?

Caterina: Ich glaube, ja. Aber manche waren misstrauisch und hatten Vorurteile ...

Und so wurde Ihnen von der Ordensleitung ein gelehrter Dominikaner, P. Raimund, als Beichtvater und Verantwortlicher vorgesetzt? Manche meinten, er wäre Ihr „Aufpasser“ gewesen.

Caterina: Er wurde uns zu unserem Schutz zugewiesen. Im übrigen habe ich ihn stets als Geschenk des Himmels empfunden. Er war mein väterlicher Freund und mein Ratgeber.

War er auch ihr Schüler?

Caterina: Er nannte mich Mutter, weil ich mich für ihn vor Gott verantwortlich wusste. Ähnlich wie auch alle anderen, die bei uns waren.

Sie waren eine junge Frau. Hat sich denn damals niemand darüber aufgehalten, dass sie mit so vielen und oft gleichaltrigen Männern beisammen waren?

Caterina: Gewiss gab es das Gerede der Leute und auch Verleumdungen. Aber sie sahen in mir die Schwester, die Lehrerin bzw. ihre geistliche Mutter. Nicht ich habe sie angezogen, sondern die Heiligkeit Gottes.

Sie haben viele übernatürliche Erlebnisse gehabt: die „mystische Hochzeit“ mit Christus, den „Herzenstausch“ und den Empfang der Stigmen...

Caterina: Ja. Diese Gnaden wurden mir geschenkt. Ich sah die Geheimnisse Gottes.

Einmal?

Caterina: Sehr oft.

Auch Jesus Christus, unseren Herrn?

Caterina: Ja. So wie ich Sie jetzt vor mir sehe. Ich sah ihn in unsagbarer Schönheit, verblutend, als Kind in den Armen seiner heiligsten Mutter, als Bräutigam an meiner Seite: Es ist unbeschreiblich.

Wie ging es weiter? Kann man sagen, dass ihr Leben von Städten – Siena, Avignon, Florenz und Rom – geprägt wurde?

Caterina: Wenn Sie das so sehen, ja. Siena ist meine Heimatstadt, mit der ich mich zutiefst verbunden fühle. Aber eigentlich gehört noch eine fünfte Stadt dazu erwähnt, in der ich mich fast ein ganzes Jahr lang aufhielt.

Sie meinen Pisa, wo Sie die unsichtbar bleibenden Wundmale des Herrn empfingen?

Caterina: Ja. Hier entstanden auch wichtige Briefe und persönliche Kontakte.

Man sagt, bei Ihrer Ankunft in Pisa sei Ihnen damals die halbe Stadt entgegen gezogen, um Sie zu empfangen – mit Bürgermeister und Bischof an der Spitze. Die Menschen seien Ihnen nachgelaufen, wollten Sie sehen, hören und berühren und haben Ihre Hände geküßt. Personenkult? Gab es nicht die Gefahr der Eitelkeit?

Caterina: In dieser Welt sind wir immer von Gefahren umgeben. Aber ich frage mich, wie ein Geschöpf, das sich bewusst ist, ein Geschöpf zu sein, zur Eitelkeit neigen kann?

Kommen wir jetzt zu Florenz: Man nennt Sie immer wieder eine politische Heilige. Haben Sie sich wirklich so sehr für Politik interessiert?

Caterina: Politik hat mich nur interessiert, soweit es um die Anliegen der Kirche ging und damit das Heil des Menschen betroffen war.

Worin bestand denn Ihr „politisches“ Engagement?

Caterina: Die Päpste residierten seit 70 Jahren in Avignon, und der Kirchenstaat war ohne Führung, ohne Hirten. Eine Rückkehr war daher notwendig und von vielen ersehnt. Andererseits wollte Florenz seine Unabhängigkeit gegenüber dem Papst ausbauen und hat dabei auch andere – vor allem die Städte des Kirchenstaates – mitgerissen.

Und wie reagierte der Papst?

Caterina: Er verhängte über die Anführerstadt Florenz das Interdikt, d.h. die Stadt wurde vogelfrei und es gab keine priesterlichen Dienste mehr. In diesen Konflikt wurde ich hineingeführt. Als Italienerin konnte ich ihre Anliegen teilweise verstehen. Aber zuallererst bin ich eine Tochter der Kirche.

Hat Florenz nicht immer argumentiert, ihre Haltung gegen den Papst hätte nichts zu tun mit einer Verleugnung des Glaubens? Ähnlich dem heutigen Slogan „Christus ja, Kirche nein“?

Caterina: Wer gegen den Papst ist, ist gegen die Kirche. Wer aber gegen die Kirche ist, der stellt sich gegen Christus, denn die Kirche ist in gewisser Weise Christus selbst. Deshalb können wir unser Heil nicht anders erlangen als im mystischen Leib der hl. Kirche.

Die Heilsnotwendigkeit der Kirche also? Das sehen heute manche anders.

Caterina: Dann sehen sie es falsch. Ich weiß, wovon ich spreche: Ich habe es gesehen.

Was haben sie gesehen?

Caterina: Ich sah die Notwendigkeit der heiligen Kirche, die Gott in meinem Herzen offenbarte. Ich sah, dass diese Braut, die Kirche, Leben spendet, und dass sie eine solche Fülle des Lebens in sich hat, dass niemand sie töten kann; und dass sie Kraft und Licht spendet und dass keiner sie schwächen, noch in ihrer Wesenheit verdunkeln kann. Und ich sah, dass ihr Reichtum niemals versiegt, sondern stets wächst.

Womit natürlich der geistige Reichtum gemeint ist. Aber ihre äußere Form und Gestalt - ist dies auch notwendig?

Caterina: Jede Ablehnung der sichtbaren Gestalt der Kirche ist ein Irrweg, denn nur durch das äußere Gewand gelangt man zur Braut.

Um wieder auf den Konflikt mit Florenz zurückzukommen – was haben Sie unternommen?

Caterina: Meine Bitte an den Papst ging zunächst dahin, ihn zur Güte und Milde zu stimmen. Vor allem aber habe ich ihn eindringlich darum gebeten, gute Hirten einzusetzen. Denn die schlechten Hirten waren ja die Ursache für alle Übel. Es gab damals sehr viele, die zwar von der Kirche lebten, aber nur wenige, die für sie lebten und bereit waren, ihr zu dienen. Deshalb mein Bemühen um eine Reform. Nur so würde auch ein Friede möglich sein.

Sie waren am päpstlichen Hof?

Caterina: Ja, mit Zustimmung von Florenz und des Papstes.

Reisten Sie allein?

Caterina: Ich war nie allein unterwegs. Nach Frankreich begleiteten mich meine Freundinnen Alessa und Cecca, dann Bartolomeo, die beiden Sekretäre Stefano und Neri, die Buonconti-Brüder und viele andere. Insgesamt waren es an die 22 Personen.

Und Ihr Beichtvater?

Caterina: P. Raimund war bereits vorher dort angekommen, zusammen mit Giovanni und Felice. Er hatte inzwischen alles vorbereitet.

Wie hat man Sie aufgenommen? Für manche waren Sie wahrscheinlich so etwas wie der „Schrecken von Avignon “?

Caterina: Das kann schon sein. Wir bekamen jedenfalls vom Heiligen Vater ein geräumiges Haus zugewiesen mit einer hübschen Kapelle.

Blieben Sie lange?

Caterina: Vier Monate, von Juni bis Ende September 1376.

Der Papst kam schließlich zurück nach Rom. Ein großer Erfolg für Sie?

Caterina: Er plante die Rückkehr schon längst. Ich war also nicht die Ursache dafür. Aber ich habe ihn dazu ermutigt.

Sozusagen als seine treibende Kraft?

Caterina: Er hat mir Vertrauen geschenkt.

Und Florenz? Blieb die Stadt in Aufruhr gegen den Papst?

Caterina: Zunächst ja. Man zwang die Priester – trotz Verbot durch das Interdikt – zur Feier der hl. Messe und damit zur Auflehnung gegen den Papst. Ich habe das nicht gutgeheißen. Es gibt keinen Frieden und keinen Segen, wenn man sich gegen den Papst erhebt.

Ein Aufstand hätte Sie damals beinahe das Leben gekostet?

Caterina: Dazu wäre ich gerne bereit gewesen. Aber Gott hat es anders verfügt.

Inzwischen war Gregor in Rom gestorben. Und der neue Papst?

Caterina: War ein Italiener, ehemals Erzbischof von Bari. Er hat sehr bald mit Florenz Frieden geschlossen.

Auch ein bisschen Ihr Erfolg?

Caterina: Was bedeutet ein solcher Sieg gegenüber der Katastrophe, die nun folgte. Wir hatten eine Reform erhofft - gekommen ist eine Spaltung.

Sie meinen das Schisma. Aber war denn der neue Papst nicht der richtige Mann dafür?

Caterina: Doch! Ich kannte Prignano bereits von Avignon her. Er war damals Vizekanzler und hatte sich immer für die Rückkehr nach Rom und die Reform der Kirche eingesetzt.

Warum dann die Spaltung?

Caterina: Er war der rechtmäßig gewählte Papst und damit der Stellvertreter Christi auf Erden. Und selbst wenn er als Mensch noch so sehr versagte, wir muteten ihm dennoch gehorchen, weil Christus ihm allein die Schlüssel anvertraut hat, zu öffnen oder auszusperren.

Gab es menschliche Probleme?

Caterina: Papst Urban war gewiss voll Eifer, aber doch ein wenig unklug bei seinem Vorgehen und manchmal auch maßlos und unbeherrscht seinen Mitarbeitern gegenüber.

War das der eigentliche Grund?

Caterina: Ja. Jedenfalls nach den Aussagen der mehrheitlich französischen Kardinäle, denen die neue Linie zu unbequem und das Leben in der eigenen Heimat lieber war. Obwohl sie Papst Urban längst anerkannt hatten, haben sie nachträglich seine Wahl als ungültig erklärt und einen neuen Papst gewählt. Einen, der zwar gewinnend sprach, elegant auftrat und sich „Clemens“, der Milde, nannte, aber dennoch ein Teufel war.

Ein hartes Urteil.

Caterina: Aber die Wahrheit. Denn indem er sich aufstellen ließ und die Wahl annahm, war die Spaltung der Kirche perfekt: Von nun an hielten die einen zu Urban, die anderen zu Clemens. Jeder hatte sein eigenes Gefolge, seine Kardinäle, seinen Klerus. Ganze Völker, Städte und Ordensfamilien wurden dadurch auseinandergerissen. Die Einheit der Kirche war dahin und damit auch die Einheit Europas.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Caterina: Ich hatte das vorausgesehen. Ich war nach einem längeren Aufenthalt im Orcia-Tal gerade in Siena und wollte zu Hause bleiben, denn es gab in der Stadtregierung bereits Stimmen, denen ich zu viel herumreiste. Zudem hatten einige den Verdacht ausgesprochen, ich hätte mich mit einer mächtigen und von den Stadtvätern gefürchteten Adelsfamilie arrangiert, weil ich dort einige Monate auf ihren Burgen verbrachte.

Aber dann sind Sie doch wieder aufgebrochen?

Caterina: Nur deshalb, weil der Papst es wollte.

Was erwartete er von Ihnen?

Caterina: Er erhoffte sich von mir Unterstützung und Hilfe.

Und Ihre Freunde?

Caterina: Alle wollten mich begleiten, sodass ich einigen die Mitreise verwehren musste. Aber dennoch waren es über 20 Personen.

Wie lange waren Sie in Rom?

Caterina: Kaum zwei Jahre. Nach einem ersten Quartier in der Rione della Colonna wohnten wir später in einem Haus in der Via S. Chiara neben dem Pantheon bei der Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva. Die kirchliche Lage war äußerst angespannt, und der Papst wurde von allen Seiten bedrängt.

Was konnten Sie für ihn tun?

Caterina: Nicht viel. Ich habe zwar oft mit ihm gesprochen. Ich habe ihm mehrmals geschrieben und seine Kardinäle ermutigt. Aber ein geistiger Kampf kann letztlich nur mit geistlichen Mitteln geführt werden, und so blieb mir nur das Gebet und das Opfer. Und dies versuchte ich, so gut ich konnte.

In welcher Weise?

Caterina: Nach der hl. Messe am Morgen ging ich trotz meiner Schwäche (weil Gott es so wollte) Tag für Tag die 2 km nach St. Peter, um in der Nähe des Papstes zu beten. Dort blieb ich bis zur Vesper, dann ging ich wieder zurück. Mit meinen Kräften war ich aber bald am Ende.

Was haben Sie in dieser Zeit in Rom noch gemacht?

Caterina: Ich schrieb bzw. diktierte viele Briefe an alle großen Persönlichkeiten der Gesellschaft, der Politik und der Kirche. Es ging mir darum, die Menschen von der Rechtmäßigkeit Urbans zu überzeugen.

Ist das gelungen?

Caterina: Teilweise. England und Ungarn blieben treu. Auch manchen Prälaten konnte ich die Augen öffnen. Neapel wollte ich helfen. Am Ende blieb als wirksamste Hilfe nur die bewusste Schicksalsgemeinschaft mit dem Herrn.

Sie sind im Alter von 33 Jahren in Rom gestorben und heute eine Lehrerin der Kirche - eine Freude?

Caterina: gewiss eine besondere Gnade. Und Gnade ist immer eine Freude, weil sie ein Geschenk Gottes ist.

Was Sie in den Briefen und in Ihrem Werk niedergeschrieben haben - woher haben Sie das? Haben Sie das irgendwo studiert?

Caterina: Nein. Ich habe nie eine geregelte Ausbildung erhalten.

Sondern?

Caterina: Mein Lehrmeister war Christus selbst. Das Kreuz war die Lehrkanzel, von der aus ich unterrichtet wurde. Es war das mit Seinem Blut geschriebene Buch der Liebe, aus dem ich alles empfangen habe.

Sie werden als Mystikerin verehrt, und zugleich waren Sie eine geborene Anführerin, die scheinbar stets ihren eigenen Willen durchsetzte nach dem Motto: „Gott will es und ich will es!“ – Passt das zusammen?

Caterina: Weil Gott es wollte, deshalb wollte ich es auch als völlige Übereinstimmung mit seinem Willen. Die Ehre Gottes und das Heil der Seelen – das waren die beiden Grundmotive meines Handelns. Und Mystik und Aktion? – warum nicht! Gott gab mir natürliche Fähigkeiten, einen wachen Geist, eine starke Willenskraft, großes Interesse für religiöse Fragen und eine tiefe Sehnsucht nach Liebe. Ich habe in Gott alles gefunden. Wer dies einmal erfasst hat, der kennt kein anderes Verlangen, als auch andere zu diesem Ziel hinzuführen.

Was ist eigentlich die Grundlehre? Könnten Sie uns das mit wenigen Worten sagen?

Caterina: Das Verhältnis des Menschen zu Gott, zu seinem Schöpfer. Wir sind das Werk seiner Hände und Christus ist die einzige Brücke zur Ewigkeit. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich alles andere.

Sie erzählten einmal, Christus habe Ihnen gezeigt, wie dieses Verhältnis ist: Wir seien die, die nicht sind, während Er allein der ist, der IST.

Caterina: Ja, so ist es. An dieser Selbsterkenntnis entscheidet sich der Weg des Menschen, ob er nämlich Gott als seinen Schöpfer erkennt und anerkennt oder ob er sich der Eigenliebe, d.h. der Illusion hingibt, unabhängig von Gott etwas zu sein, was letztlich eine Lüge ist. Nur wenn der Mensch sich mit seinem Schöpfer vereinigt, erhält er Anteil an den göttlichen Eigenschaften: nämlich Liebe, Wahrheit und Weisheit. Nur wenn der Mensch Gott liebt, wird er auch fähig, den Nächsten zu lieben und zum Segen zu werden für seine Mitmenschen.

Jetzt verstehe ich, warum Sie die Selbsterkenntnis der eigenen Geschöpflichkeit so sehr betonen.

Caterina: Wo diese Einsicht fehlt, herrscht die Eigenliebe. Die Eigenliebe aber zerstört die Gottesliebe und macht den Menschen stolz, indem sie ihn glauben läßt, dass das Gute, das er an sich hat, von ihm selbst und nicht von Gott herrührt.

Was muss er also tun?

Caterina: Er muss erkennen und einsehen, dass er sich nicht selbst gemacht hat, sondern einer ewigen Liebe verdankt, die für ihn ans Kreuz gegangen ist. Wenn er dafür dankbar ist, dann ist er demütig. Wenn er aber demütig ist, dann ist er richtig, dann ist er gerecht.

Ist dies die persönliche Verantwortung jedes einzelnen?

Caterina: Ja. Denn nicht die Gruppe tritt einst vor den Richterstuhl Gottes, sondern der je einzelne Mensch. Gott sagt: Ich habe dich zwar ohne dich erschaffen, aber ich werde dich nicht ohne dich erlösen.

Es wird gesagt, dass Sie eine große Menschenkenntnis besaßen, Höhen und Tiefen der Seelen kannten und alles immer im Hinblick auf die Ewigkeit und auf das ewige Heil des Menschen beurteilen.

Caterina: Ich wüßte kein anderes Ziel.

Welche Grundhaltung ist besonders notwendig?

Caterina: Die Geduld.

Und sonst?

Caterina: Nie halb! Nie feige! Mut und Entschlossenheit! Wir dürfen uns nicht genügsam zufrieden geben mit einer Welt, die wir uns selbst zurechtgemacht haben. Der Mensch ist für die höchsten höhen der Liebe geschaffen, und deshalb müssen wir ihn immer auf dem Hintergrund seiner Berufung vor Gott und seines letzten Zieles sehen.

Bleibt hier noch Raum für den einfachen Alltag?

Caterina: Auf jeden Fall. Wir mussten genauso das Essen besorgen, uns um Quartiere kümmern oder den Ankauf von Pferden und Maultieren, und wir haben gelacht über unsere Gefährtinnen, über die „verrückte“ Cecca, und über die „dicke“ Alessa, die sich immer gerne „einwickeln“ wollte in meine Briefe, um an die Adressaten mitgeschickt zu werden.

Ein Notar aus Siena fragte Sie, welche Frau er heiraten solle. Drei standen zur Auswahl. Sie rieten ihm in einem Antwortbrief zum geistlichen Beruf, wenn es aber anders sein sollte, dann empfahlen Sie ihm von den drei Frauen die zweite. Er nahm die erste.

Caterina: Ja, ja, das war Cristofano. Er folgte zu sehr den Wünschen seiner leiblichen Mutter. Wer aber Vater und Mutter mehr liebt ...

Wir sind 2002 im Jahr der geistlichen Berufe. - Wie vielen jungen Menschen haben Sie eigentlich den Weg dahin gewiesen?

Caterina: Das kann ich nicht mehr sagen. Es waren jedenfalls sehr viele.

Eine letzte Frage: Frauen im Dienst der Kirche – für Sie vorstellbar?

Caterina: Ganz bestimmt! Aus dem, was ich Ihnen bisher erzählte sehen Sie ja, was alles möglich ist. Alle sind berufen zur Nachfolge Christi, zur Heiligkeit, zur Liebe, zum Einsatz in der Caritas, zum Friedenstiften – alle ohne Unterschied des Geschlechtes oder der Bildung. Niemand hat etwas dagegen, wenn sich auch Frauen für das Reich Gottes engagieren. Immer aber war und blieb ich eine „Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi“. Es ist völlig undenkbar, dass eine Frau den Altar erobert, da Christus, der „neue Adam“, sich in seinem Wirken und Handeln als Hoherpriester nur in seinen Aposteln und Priestern fortsetzt.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

Werner Schmid