Caterina und die Priester

Giovanni di Paolo, 1417–1482, Wunderbarer Kommunionempfang der hl. Caterina, Ausschnitt (Foto Alamy)

 

Der Priester als Verwalter der Sakramente

Referat bei einem Einkehrtag für Priester

 

Liebe verehrte Mitbrüder!

An ihrem heutigen Einkehrtag wollten Sie etwas über die hl. Kirchenlehrerin Caterina von Siena hören – konkret über ihre Sicht des Priesters als Verwalter der Sakramente. Das ist gewiss ein wichtiges Thema angesichts der Verschiebungen, die hier in den letzten Jahrzehnen stattgefunden haben und wie es scheint, sich auch noch weiter ereignen werden. In der Ausdrucksweise Caterinas hieße der Titel anstatt „Die Priester als Verwalter der Sakramente“ einfach: „Die Diener des Blutes“. Denn Caterina bezeichnet die Priester durchwegs als „Diener“ – was übrigens auch der Selbstbezeichnung des Herrn entspricht: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu dienen, und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele“ (Mk 10,45). Oder: „Ich bin unter euch wie der, der dient“ (Lk 22,27). Und ebenso der hl. Paulus: „Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes!“ (1Kor 4,1). Bei Caterina sind daher die Priester Diener: „Diener Gottes“, „Diener des gekreuzigten Christus“ oder „Diener der heiligen Kirche“ – und dabei immer zugleich „Diener des Blutes“. Denn die Sakramente, die sie ausspenden, beziehen ihre Kraft und Wirksamkeit einzig aus dem Opfer Christi, aus seinem kostbaren Blut.

Auch Caterina selbst bezeichnet sich als Dienerin – nicht des Blutes (das sind nur die Priester) – sondern als „Dienerin der Priester“. Und deshalb stellt sie sich in allen Briefen mit den Worten vor: „Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe euch in seinem kostbaren Blut ...“ Sie nennt sich „Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi“ (serva e schiava – Dienerin und Sklavin). Hier wird sofort deutlich, mit welcher Hochachtung und Ehrfurcht sie dem Priester begegnet, weil seinen Händen das Heil der Welt anvertraut ist. Deshalb heißt es dann bei ihr, wenn sie einem Priester schreibt: „An euch, ehrwürdiger Vater, aus Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten Sakrament ...“ Dem Priester ist das Heil der Welt, das Heil der Menschen anvertraut. Sie sind, wie Paulus sagt „Diener eurer Freude“ (2Kor 1,24).

Caterina hat uns also zu unserem heutigen Thema einiges zu sagen. Dabei müssen wir aber unbedingt auch ihre Sicht der Kirche miteinbeziehen, ihre Kirchenbild. Denn ich kann über das Priestertum und über die Sakramente nur richtig sprechen mit einem gleichzeitigen Blick auf die von Christus gestiftete und in Ihm lebende Kirche.

Hier bestand damals und wohl auch heute, wie mir scheint, ein Grundauftrag dieser Heiligen: nämlich daran zu erinnern, dass uns nur durch die sichtbare Kirche das unsichtbare Heil vermittelt wird; das heißt, dass sich die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes und sein Erlösungswerk in den Sakramenten der Kirche beständig gegenwärtig hält und auf uns übergeht. „Wir können unser Heil nicht anders erlangen als im mystischen Leib der heiligen Kirche, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder wir sind“ – schreibt sie an die Regierung von Florenz, – „Wer dem Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, wird am Blute des Gottessohnes nicht teilhaben. Denn Gott hat verfügt, dass uns dieses Blut durch seine Hände gespendet und gegeben wird und ebenso alle Sakramente der heiligen Kirche, die von diesem Blut das Leben empfangen“ (Brief 207). Christus ist das alleinige Heil der Welt. Und dieses Heil, das er seiner Braut, der Kirche anvertraut hat, wird durch deren Diener, die Priester, vermittelt und ausgeteilt.

Als zweites Thema für morgen wurde vorgeschlagen: „Der Priester, sein geistliches Leben und seine Verantwortung für die Gläubigen.“ Ich möchte beiden Themen zwei Grundeinsichten Caterinas zuordnen, die ihr Leben und Denken, gleichsam wie auf zwei Fundamenten aufruhend, geprägt und getragen haben: Das eine war ihr Menschenbild (darüber geht es morgen), und das andere war ihr Gottesbild bzw. ihr Verhältnis zur Kirche.

Wer sich mit Caterinas Werken befasst, merkt sehr bald, dass ihr Gottesbild durch und durch trinitarisch geprägt war – gleichsam der strahlende Hintergrund, der überall durchscheint und sichtbar wird. Caterina vergleicht die Trinität mit der Sonne. So wie das Sein der Sonne auch in ihrer Farbe, ihrem Licht und ihrer Wärme ist, so ist Gottes Sein im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist (ein Bild, das uns übrigens auch beim hl. Franziskus begegnet). Caterinas Gottesbild war also so, wie es uns durch die Kirche vermittelt wird, die sie ihrerseits selbst als Mysterium verstand.

Weil Christus selbst das Ursakrament ist und seine Braut, die Kirche, – nach Aussage des Konzils – gleichsam das allgemeine Sakrament des Heils darstellt, muss auch der Priester als Vermittler des Heils zutiefst in diesem Mysterium verankert sein. Wenn er sich davon löst oder herausgelöst wird, verliert er seine Identität.

Bei dem heuer im Frühjahr abgehaltenen Symposion im Bildungshaus Passau hatte ich beim Einleitungsreferat erwähnt, dass mir die hl. Caterina während meines Theologiestudiums in Salzburg eine Lehrmeisterin geworden war, der ich wesentliche Erkenntnisse und Einsichten verdanke. Ich möchte das noch ein wenig näher erklären:

In den 70er Jahren gab es im innerkirchlichen Bereich drei große Infragestellungen, die einen Theologiestudenten bei seiner Vorbereitung auf die Weihe nicht unberührt lassen konnten. Es gab damals die Infragestellung der Gottheit Christi, die Infragestellung der göttlichen Stiftung der Kirche und ihrer Sakramente, und die Infragestellung des katholischen Priestertums. Alle drei Bereiche sind miteinander untrennbar verbunden. Und auf alle drei Bereichen eine klare Antwort zu geben, war nicht nur damals notwendig, sondern das gilt auch für uns heute.

Denn diese Infragestellungen sind noch nicht überwunden. Nüchtern betrachtet müssen wir sagen: Die sakramentale Struktur der Kirche, die damals angegriffen wurde, wird auch heute bekämpft und ist dem christlichen Bewusstsein weitgehend entschwunden. Das betrifft nicht nur die Beichte. Das betrifft auch die Eucharistie mit allen damit verbundenen Folgen für das Priestertum und für die einzelnen Gläubigen.

Die Kirche als Dienstgeber, und engagiert im caritativen und sozialen Bereich wird irgendwie noch akzeptiert. Aber brauchen wir heute noch ein katholisches Weihepriestertum? Viele dieser Aufgaben übernehmen längst auch die Laien. Wortgottesdienst und Eucharistiefeier sind oft kaum noch zu unterscheiden; zudem fehlt für eine inhaltlichen Unterscheidung zumeist auch das Glaubenswissen. Wozu also noch Priester? Wozu? Diese Frage hat man uns persönlich vielleicht noch nicht so direkt gestellt. Aber wir spüren, dass sie unausgesprochen im Raum steht. Dass sie da ist. Aus dieser Unsicherheit heraus erfolgte auch der Rückzug in die äußere Anonymität und eine Veränderung des priesterlichen Berufsbildes. (Was bereits an manchen Fragestellungen bei den Skrutinien deutlich wird).

 

Caterina – Ein klarer Blick in dunkler Zeit

Das Jahr 68 gilt bis heute als Symbol für einen gesellschaftlichen Wandel, der auch die Kirche miterfasst hat. Bereits ein Jahr nach Ende des Konzils kam es mit dem Holländischen Katechismus zum Entstehen eines organisierten Widerspruchs in der Kirche. „Abbruch-Umbruch-Aufbruch“ hieß es damals auf Plakaten. Man erzählte uns immer wieder, Papst Johannes XXIII. habe mit der Einberufung eines Konzils die Fenster öffnen wollen, um in die Kirche frische Luft hereinzulassen. Tatsächlich sprach er in der Einberufungsbulle des Konzils von einem umgekehrten Vorgang (vgl. Humanae Salutis, vom 25. Dezember 1961), nämlich: dass nun von der Kirche gefordert sei, „die ewigen, belebenden und göttlichen Kräfte des Evangeliums in die Adern der modernen Welt einströmen zu lassen … um der Erde Geschmack und Würze zu geben und die Welt zu erleuchten.“ Das war die eigentliche Absicht. Und dazu sollten die Beschlüsse dienen. Vier Jahre nach Ende des Konzils schrieb Henri Kardinal de Lubac SJ (Krise zum Heil, Berlin 1969): dass wir nun stattdessen erleben, wie aufgrund „einer massiven Täuschung diese Öffnung zum Vergessen des Heiles, zur Entfremdung vom Evangelium, zur Verwerfung des Kreuzes … und zu einer Auflösung ins Weltliche führt.“

Der bekannte Kirchenhistoriker Hubert Jedin verfasste kurz vor seinem Tod 1980 einen Lebensbericht, in dem er die damalige Situation folgendermaßen beschrieb: „Anfangs glaubte ich der Rede von einer Krise der Kirche entgegentreten zu müssen. Zwei Jahre später (1968) konnte kein Zweifel mehr sein, dass sie da war. (…) Sie war dadurch entstanden, dass man nicht mehr sich damit begnügen wollte, das Konzil durchzuführen, sondern es als Initialzündung radikaler Neuerungen ansah, die in Wirklichkeit die Dekrete des Konzils weit hinter sich ließen.“

„Auf dem Konzil“ – so bekannte Hubert Jedin – „war ich ein Progressiver. Nun stand ich in den Augen gewisser Theologen und ihres Anhangs plötzlich als Konservativer da“. Und warum? Jedin hatte aus Sorge um die Kirche eine Eingabe an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz gemacht und auf fünf gravierende Punkte hingewiesen. 1. Unsicherheit im Glauben, durch die Verbreitung von theologischen Irrtümern auf Kathedern, in Büchern und Aufsätzen. 2. Versuch einer Demokratisierung auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens. 3. Entsakralisierung des Priestertums. 4. Freie Gestaltung des Gottesdienstes statt Vollzug des Opus Dei. 5. Ökumenismus als Protestantisierung der Kirche. Das Holländisches Pastoralkonzil forderte die Abschaffung des Zölibats.

Weitere Forderungen waren: Eucharistiefeier für Männer und Frauen auch ohne Weihe. Übertragung des priesterlichen Amtes durch die Gemeinde. Priesterberuf als moderner Sozialberuf. Manches kam offen und direkt. Anderes wieder war diskret verpackt. Karl Rahner etwa sprach davon, Christus sei „der Mensch in der absoluten Nähe Gottes“. Das heißt also „schon – aber doch nicht ganz“. Christus ja – Kirche nein, hieß eine andere bekannte Parole. Der Befreiungstheologe Leonardo Boff sprach davon, Christus hätte nie daran gedacht, die Kirche als Institution zu gründen, auch nicht die Hierarchie. Ihre geistliche Vollmacht hätte sich die später entstandene Hierarchie angeeignet. Denn nun würden sie allein die Sakramente „produzieren“, während die Gläubigen sie nur „kommunizieren“ dürften. Deshalb forderte er (ganz in marxistischer Manier), dass auch das Volk an der „Produktion der Sakramente“ beteiligt werden müsse. Alles Gedanken, die bis heute deutliche Spuren hinterlassen haben!

Aber die Sakramente sind Gaben Gottes. Niemand produziert sie. Wir produzieren Autos und Waschmaschinen, aber wir produzieren kein Heil. Leben, Liebe, Güte und Erbarmen kann ich nicht produzieren, sondern nur empfangen.

Ich habe das deshalb so breit dargestellt, damit man sieht, wie die Stimmungslage war und damit man auch versteht, was damals 1970 die Proklamation Caterinas zur Kirchenlehrerin bedeutet hat. Gegen den Traum von einer selbst gemachten Menschenkirche nach unseren Vorstellungen, erhebt sich hier das klare Zeugnis einer Kirchenlehrerin, die uns sagt: Die Kirche ist nicht unsere Kirche, sondern diese Kirche ist Seine Kirche, sie ist seine Braut, die Braut Christi, die er sich in seinem Blut erworben hat. Nicht „Wir sind Kirche“, sondern wir sind Glieder seiner Kirche. Und die von ihm gewollten Strukturen seiner Kirche sind nicht demokratisch, sondern sakramental und damit folglich hierarchisch.

Die Erhebung Caterinas zur Kirchenlehrerin war also ein deutliches Signal. Und Papst Paul VI. erhoffte sich davon auch – wie er bei der Predigt in St. Peter ausführte – „eine wunderbare Hilfe für unsere Zeit.“

Bevor wir aber über diese wunderbare Hilfe sprechen, müssen wir zuerst noch einen Blick auf Caterina selbst werfen, auf Ihre Person und wann und wie sie gelebt hat.

Was von der hl. Caterina von Siena im deutschsprachigen Raum am ehesten bekannt ist, ist ihre offene Sprache, mit der sie die damaligen Missstände innerhalb der Hierarchie benannt hat. Manche berufen sich daher heute gerne auf sie, um ihre Kritik an der Kirche zu legitimieren, andere wieder, um unter ihrem „Patronat“ emanzipatorischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Aber bei all dem wird man ihre Persönlichkeit und ihrem Anliegen nicht gerecht.

Es stimmt zwar, dass sie die Missstände in der Kirche deutlich benannte. Aber letztlich schrieb sie dies immer auch zugleich ihrem eigenen Versagen und ihren Sünden zu, weil sie zu wenig gebetet und geopfert habe. Und deshalb ist sie bereit, die Strafen dafür auch auf sich zu nehmen. An Papst Gregor XI. nach Avignon schreibt sie (Br. 196): „Verhängt über mich jede Pein und Qual, wie es Euch gefällt, auch sogar den Tod. Ich glaube, der Gestank meiner Sünden war die Ursache der vielen Übel, Uneinigkeiten und großen Misslichkeiten. So nehmt also an mir, Eurer erbärmlichen Tochter, Rache, soviel als Ihr wollt!“ Das waren keine Floskeln, sondern dazu stand sie wirklich.

Noch ein verbreitetes Missverständnis und Vorurteil bedarf einer kleinen Korrektur. Nämlich das Klischee, das 14. Jahrhundert, in dem Caterina lebte, hätte nur aus Düsternis und Niedergang bestanden. Gewiss, es gab den 100-jährigen Krieg zwischen Frankreich und England, es gab Hungersnöte, die Söldnerbanden in Italien, die große Pest, die den dritten Teil der Bevölkerung Europas hinwegraffte, und es gab den verweltlichten Klerus … Aber die einseitige Darstellung eines völligen Verfalls der Kirche im Spätmittelalter ist heute nicht mehr haltbar. Dieses Bild nahm man gerne als Hintergrund, um die Notwendigkeit der Reformation ins helle Licht zu rücken und den Bruch mit der Kirche des Mittelalters zu rechtfertigen. Es gab damals ja auch positive Reformbemühungen, die von den großen Heiligen dieser Epoche ihren Ausgang nahmen – Birgitta von Schweden, Caterina, Bernhardin von Siena, um nur einige zu nennen. Neue Orden entstanden: der Orden der hl. Birgitta, die Jesuaten und die Olivetaner. Diese Benediktiner-Reformkongregation von Monteoliveto (1319 vom hl. Bernardo Tolomei gegründet) hatte gegen Ende des 14. Jahrhunderts in Italien bereits 83 Klöster. Nicht zu vergessen, dass gerade dieses Jahrhundert das große Zeitalter der Kartäuser war. Von den insgesamt 271 Gründungen im Verlauf seiner Geschichte entstanden 105 Kartäuser-Klöster allein im 14. Jahrhundert.

Das Bild der Kirche wurde im MA vor allem geprägt von den Streitgesprächen zwischen Kaiser und Papst. Der juridische Aspekt stand im Vordergrund, nicht der Blick auf ihr Wesen, auf ihr Mysterium. Ekklesiologie war daher vor allem Kanonistik (wobei es den Begriff in dieser Form damals noch gar nicht gab, der taucht erst später um 1600 bei Robert Bellarmin auf, als es darum ging gegenüber den Reformatoren die Außengestalt der Kirche samt ihrer sichtbaren Ordnung zu legitimieren).

Die Reaktion auf diese streng kanonistische Sicht und ihren politischen Einfluss war das Aufkommen der Lehre einer reinen ecclesia spiritualis, einer unsichtbaren Kirche (Marsilius von Padua, +1342; Wilhelm von Ockham, +1349); die äußere Institution der Kirche sei daher sekundär und bloß menschlichen Ursprungs. Diese Ideen waren zwar noch etwas zu radikal, aber die Freude an der Kirche erfuhr dadurch eine deutliche Abkühlung. Mit dem vierzig Jahre andauernden Abendländischen Schisma wurde die Kirche dann aber praktisch tatsächlich unsichtbar – niemand wusste so recht, auf welcher Seite sie wirklich sichtbar vorhanden war. (Selbst die Heiligen waren sich uneins). Auf diese Weise wurde die Frage nach der Kirche kaum mehr gestellt. Sie war unwichtig geworden. Alles verlagerte sich in die persönliche Innerlichkeit.

In der Mystik dieser Zeit (Stichwort: Devotio moderna) finden Messe und Sakramente daher nur selten einen Ort. Selbst in der Imitatio Christi (der Nachfolge Christi) ist davon kaum mehr die Rede. Das Wort „Kirche“ kommt in diesem Werk insgesamt nur vier mal vor. Die Sakramente Buße und Eucharistie sind zwar in ihrer heilenden und tröstenden Funktion für den Einzelnen richtig gesehen, aber sie sind ohne ekklesiologischen und kultischen Bezug. Die Imitatio Christi ist gewiss eine großartige Hinführung zum innerlichen Leben durch die Christozentrik ihrer Frömmigkeit und somit ein Werk der katholischen Reform. Aber dadurch, dass Kirche und Sakrament fast vollständig in den Hintergrund treten, wurde dem Spiritualismus Luthers ungewollt eine eine gewisse Vorabeit geleistet. (vgl. Sentire ecclesiam, S. 267).

Dieser Kirchenresignation hatte Caterina entgegenzuwirken – das war ein wesentlicher Teil ihrer Sendung: nämlich aufzuzeigen, dass nur durch die sichtbare Kirche das unsichtbare Heil vermittelt wird. Die Inkarnation setzt sich fort auch in der Kirche. Caterina bringt das in einem Vergleich zum Ausdruck: So wie das kleine Kind nur durch das Fleisch der Mutterbrust zur lebenspendenden Milch gelangt, so kommen auch wir nur durch die sichtbare Kirche zur Milch der Gnade, d.h. zum Heil.

Als die Florentiner dem Interdikt begegneten mit den Worten: Wir haben Christus im Herzen, entgegnete Caterina nachdrücklich, dass es „keinen anderen Weg und keine andere Pforte für uns gibt als den Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt.“ Das Kreuz Christi ist der einzige Weg zum Heil - dieses Kreuz aber steht nur in der Kirche.

In einem ihrer letzten Briefe gegen Ende ihres Lebens berichtet sie von einer Vision, in der ihr ein Einblick in die Unergründlichkeit Gottes gewährt wurde: „In diesem Abgrund sah ich die Würde des Menschen, sein Elend, wenn er in die Todsünde fällt, und die Notwendigkeit der heiligen Kirche, die Gott meinem Herzen offenbarte. Und ich sah, dass niemand zu Gott Zurückkehren kann, um seine Schönheit im Abgrund der Dreieinigkeit zu verkosten, ohne die Hilfe dieser süßen Braut. Denn wir alle müssen durch die Pforte des gekreuzigten Jesus Christus gehen, und diese Pforte steht nur in der heiligen Kirche. Ich sah, dass diese Braut Leben schenkte, da sie eine solche Lebensfülle besitzt, dass niemand sie töten kann, und dass sie Kraft und Licht spendet, und dass niemand sie in ihrem Wesen schwächen oder verdunkeln kann. Und ich sah, dass ihre Fruchtbarkeit nie geringer wird, sondern sich ständig vermehrt.“

Vielleicht hat es nur wenige Heilige gegeben, die die Kirche derart geliebt haben wie Caterina. Caterina liebte die Kirche und sie starb auch für sie. (Diese Liebe zur Kirche war aber immer auch zugleich die Liebe zu ihren einzelnen Gliedern). Kurz vor ihrem Sterben teilte sie ihren Schülern mit: Wenn ich jetzt sterbe „dann nehmt es als sicher an, … dass ich mein Leben für die heilige Kirche hingegeben habe; das halte ich für die höchste Gnade, die mir vom Herrn gewährt werden wird“ (Suppl. III,2,2; III,2,4).

Caterinas früher Tod war letztlich nichts anderes als das von Gott angenommene Lebensopfer für seine heilige Kirche: In ihrem letzten Brief berichtet sie, wie sich sich in einer mystischen Gottesschau ihrem Schöpfer dazu mit den Worten anbot: „Oh ewiger Gott, nimm an das Opfer meines Lebens für den mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich habe nichts anderes anzu­bieten, als was Du mir gegeben hast. Nimm also mein Herz und presse es aus über dem Antlitz dieser Braut. Da wandte mir der ewige Gott sein gnädiges Auge zu, nahm mir mein Herz heraus und presste es aus in der heiligen Kirche.“ (vgl. Br. 371).

 

Das Bild der Kirche bei Caterina

Wenn ich damals im Studium etwas von Caterina gelernt habe, so war es dies, diese Sicht der Kirche, die die Braut Christi ist. Die Kirche ist ein Geheimnis. Ihr Urgrund liegt im Dreifaltigen Gott, in der Sendung des Sohnes. Sie ist „gegründet in seinem Blut“, sagt Caterina, sie ist aus seinem Herzen geboren, und daher „selber ganz Liebe.“ Auch die Priester entstammen diesem Herzensgeheimnis. „Ihre Würde“ (so spricht Gott Vater im Dialog) „übertrifft (daher) noch die Liebe, die Ich allgemein für Meine Geschöpfe hegte, als Ich sie nach Meinem Bilde erschuf. Und diese Würde wurde ihnen gegeben, damit sie das Blut des Gotteslammes austeilen.“

Das Wort „Sakrament“ verwendet Caterina nur selten. Auch der Begriff Opfer oder hl. Messe kommt nicht oft vor. Bei ihr konzentriert sich alles auf das kostbare Blut Christi. Für manche kann das befremdend sein. Aber wenn wir an die täglich gesprochenen Wandlungsworte denken: „mein Blut – zur Vergebung der Sünden …“; und wenn wir daran denken, dass wir hier keine Symbol, kein Zeichen und keine Chiffre vor uns haben, sondern ein „lebendiges Opfer“, „seinen Leib und sein Blut … die Opfergabe, die Du (o Gott) uns selber bereitet hast“(4. kanon); – wenn wir also daran denken, dass wir hier dem höchsten Akt und Ausdruck seiner erlösenden Liebe begegnen, dann bewegt sich Caterina bei ihrer Betrachtung des Blutes Christi nicht etwa in einem spirituellen Nebenraum, sondern im Zentrum unseres Glaubens, in der Herzmitte der Kirche.

Im Blut Christi wird für Caterina das ganze Heilsmysterium verdichtet sichtbar. Im Blut zeigt sich die Einheit von Gott und Mensch - ausgedrückt mit dem Wortpaar Feuer und Blut. Das Blut betrachten heißt daher: Christus betrachten. Blut ist Liebe, verströmende Liebe. Und diese verströmende Liebe, wie sie uns in den Sakramenten zufließt, wurde der Kirche übergeben und ist durch sie unseren Händen anvertraut. Daher heißt es im Kanon: „Wir bringen dir sein Blut dar, das Opfer, das dir wohlgefällt, und der ganzen Welt Heil bringt.“

Um dies zu veranschaulichen, verwendet Caterina das Bild vom Weinkeller. Wie der Wein in einem Keller aufbewahrt ist, und von dort ausgeteilt wird, so ist der Gnadenschatz des Blutes im Weinkeller der Kirche. Kellermeister ist der Papst, der die Schlüssel zum Blut besitzt. Und ihm zur Seite stehen die Priester, die das Blut austeilen - in den einzelnen Sakramenten.

 

Wie sieht Caterina den Priester?

In ihrem Hauptwerk, dem Dialog, entwirft Caterina in den Kapiteln 110–134 in eindrucksvollen Zügen das Bild des Priesters, wie es sich in der Seele Caterinas darstellt. Das erste: Der Priester ist von Gott berufen. Und er ist eingesetzt, zur Spendung der Heilsgüter. Alle wurden durch Christus befreit aus der Knechtschaft des Teufels. „Diese Gnade haben alle empfangen; sie aber (die Priester), die Ich gesalbt habe, habe Ich auch aus der Knechtschaft der Welt befreit und eingesetzt, um nur Mir, dem ewigen Gott, zu dienen und die Sakramente der heiligen Kirche zu spenden“ (D 123). Gott Vater nennt sie daher seine „Christusse“, weil sie Anteil haben an der Sendung und an der Salbung seines Sohnes.

Diese ontologische Dimension des Priesters – nicht das Funktionale – bleibt das Entscheidende auch in unserer modernen Zeit. Es gibt viele Laien, die instrumentell besser ausgebildet sind und bessere Fähigkeiten hätten, ein Amt auszuüben. Aber es fehlt das Eigentliche. Das Gnadenhafte, das in der Weihe geschieht und das der andere nicht hat. Die Menschen sind von Gott eingesetzt und im Blut Jesu erkauft. Und darüber wird nicht von einem Laien Rechenschaft gefordert, sondern vom Priester. Der Altar und der Ambo ist der Ort des Priesters.

Von den drei wesentlichen Sakramenten, die der Priester zu spenden hat, ist es vor allem die Eucharistie, die mit ihm untrennbar verbunden ist. Sie verleiht ihm auch seine besondere Würde. „Mein Sohn in der Eucharistie ist eine Sonne, um sie auszuteilen habe ich die Priester berufen. Diese Sonne verleiht ihnen ihre einzigartige Würde“ (vgl. D 110–119). Das heißt: das Priestertum ist an die Eucharistie gebunden und umgekehrt. Deshalb liegt hier auch die entscheidende und wesentliche priesterliche Aufgabe: das Erlösungswerk (Caterina sagt: das Blut Christi) in der Welt und für die Welt präsent zu halten zur Vergebung der Sünden und sie so zu heiligen.

Das Konzil hat das ganz klar zum Ausdruck gebracht. „Hier, im Opfer der hl. Messe“, sagt das Konzil, „vollzieht sich das Werk unserer Erlösung“, und hier, heißt es weiter, ist für die ganze Kirche „die Quelle, aus der alle ihre Kraft strömt.“ Denn „unser Erlöser hat das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu lassen.“ Der hl. Messe kommt „kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß gleich.“

Die Menschen sind – ob sie es wahrhaben wollen oder nicht – Eigentum Gottes. Auch die verirrte Herde. Und wir sind im Auftrag Jesu dafür da. Er ist gekommen, um die Welt zu retten, Satan zu entmachten und die Sünde zu vernichten. Und diesen Dienst hat er uns aufgetragen. Dazu wurden wir mit seiner Vollmacht ausgestattet. Denn wir sollen den Menschen Anteil geben an seiner göttlichen Natur.

Die Vision des Ezechiel von der Tempelquelle die über die Stufen des Altares hinabfließt in die Araba und alles heilt, was damit in Berührung kommt, ist dafür ein prophetisches Vorausbild. Denn von hier, vom Altar, ergießt sich Tag für Tag der Strom des Segens und der Gnade für die Welt. Alles Heil und alle Heiligung kommt von daher, und auch alle Erneuerung der Kirche.

Am Altar hat der Priester die alleinige Sicherheit, wirklich nützlich und wirksam zu sein. Hier geschieht unsere größte Tätigkeit. Hier handeln wir an Christi statt, in seiner Person. Hier geschieht das, wozu wir von Christus beauftragt und eingesetzt wurden: Das Böse zu bannen, und das Heil in der Welt gegenwärtig zu halten und ihr zu vermitteln. Und zwar für alle: Für ferne und nahe, Lebende und Verstorbene, ob sie in der Kirche anwesend sind oder nicht.

Wir müssen am Altar die verlorenen Schafe mit hineinziehen in das Opfer Christi und die Lasten und Belastungen der Menschen in die Sühne des Blutes tragen. Das ist sozusagen unser „Handwerkszeug“, und unsere erste Aufgabe. Das ist unsere Verantwortung. Denn hier ist der einzige Ort, wo alles Leid gewandelt wird und einen Sinn erhält und wo der Mensch dem lebendigen Gott und seiner Liebe zu uns lebendig begegnen kann. Dies alles aber ist nur möglich durch den Priester. Deshalb der auf das Priestertum! Denn wenn der Priester fällt, dann fehlt die Messe, und dann versiegt der Gnadenstrom des kostbaren Blutes.

Wenn es vielerorts üblich geworden ist, dass einzelne Gruppen die Eucharistiefeier nach einem Thema gestalten und dazu auch Texte erarbeiten wollen, so wird hier der Grundauftrag nicht mehr gesehen. Die Messe gestaltet Jesus Christus durch die Kirche in seinen Priestern. Und das einzige Thema ist sein Leiden und Sterben aus Liebe zu uns, seine Hingabe an den Vater zur Sühne für unsere Sünden, und die in seine glorreichen Auferstehung erfolgte Neuschöpfung der Welt. Ein anderes Thema der Messe gibt es nicht.

Caterina spricht andauernd darüber. Aber nicht mit den uns geläufigen Worten, sondern in ihrer Diktion, mit ihren Bildern. Sie spricht vom Tisch des Lammes, vom Tisch des Kreuzes, zu dem Christus „wie ein Verliebter“ hineilt und wo er im Feuer des Heiligen Geistes gebraten wurde, um von uns als Speise des Lebens genossen zu werden. Es sind Bilder, die an die 5. Präfation der Osterzeit erinnern, wo es heißt: „Er selbst ist der Priester, der Altar und das Opferlamm.“

In einem Brief an Bartolomeo Dominici schreibt sie Br. 208: „Ich möchte uns am Tisch des unbefleckten Lammes sehen, das Speise, Tisch und Bediener zugleich ist. Kein anderer Tisch bringt Frucht hervor. Die Frucht dieses Tisches ist vollkommen, weil er das Leben gibt. Der Tisch wurde durchbohrt. Er ist voll von Kanälen, aus denen Blut strömt; zwischen ihnen aber geht ein Kanal, in dem Blut und Wasser fließt, mit Feuer vermischt: und dem Auge, das auf diesem Kanal ruht, offenbart sich das Geheimnis seines Herzens.“

Caterina sah wiederholt den Altar während der hl. Messe ganz in Flammen eingehüllt und darin leuchtend wie im Feuer der Gottheit den zelebrierenden Priester; sie sah Scharen der Engel um den Altar schweben und das Jesuskind über dem Tabernakel.

Bei der Betrachtung des Blutes Christi sieht Caterina nicht zuerst das Erschreckende der der Passion, sondern das Übermaß der Liebe und des Erbarmens Gottes. Blut ist für sie Liebe, Licht und ein berauschender Wein. „Dieses Blut ist ein Wein, der die Seele berauscht. Und wenn wir genug getrunken haben, kommt es heraus (aus dem göttlichen Herzen) über die Häupter unserer Brüder. Wir haben das gelernt von dem, der es ununterbrochen auf dem Tisch verströmt – und zwar nicht zu seinem eigenen Nutzen, sondern unseretwegen. Da wir an diesem genannten Tisch speisen und uns mit der Speise gleichförmig machen, müssen wir genauso handeln – nicht unseretwegen, sondern zur Ehre Gottes und für das Heil des Nächsten. Dazu seid Ihr ja gesandt.“ (Brief 208 an Bartolomeo Dominici in Asciano).

Und das Bußsakrament, die Beichte? Caterina ging fast täglich zur Beichte. Sie hatte auch immer mehrere Priester bei sich, die mit päpstlicher Erlaubnis überall und zu jeder Zeit den Beichtdienst leisten konnten. „Sie (meine Diener) entfernen aus euch die Dornen der Todsünden und pflanzen euch die Gnade ein. Sie sind Meine Arbeiter im Weinberg eurer Seelen.“ Und wenn die Menschen nicht wollen? Dann müssen die Priester einen „Köder“ auslegen. (Aber darüber dann morgen!) Mit Aufforderungen wie „wascht euch im Blut, badet euch im Blut, ertränkt euch im Blut“ gab sie den Adressaten ihrer Briefe zu verstehen, dass sie das Bußsakrament empfangen sollten.

Weil der Priester bei der Lossprechung „das Blut Christi über das Antlitz der Seele gießt“ und dadurch eine Art Neugeburt geschieht, spricht Caterina auch vom Bußsakrament als von einer „Taufe im Blut“, die man bis an sein Lebensende immer wieder empfangen muss. „Wenn ihr untreu geworden seid“ mahnt Caterina ihren Beichtvater Raimund von Capua, „so tauft euch erneuet im Blut“. Gegen den Rückfall in die Sünde hilft nur ein erneuter Gang zur Quelle des Blutes, und das muss oft geschehen, rät Caterina.“

Die besondere Gnadenausstattung des Priesters ist gewiss jene für die Verwaltung der Sakramente. Er hat aber auch den Auftrag und eine besondere Geistesgabe für das Evangelium und die Weitergabe des Glaubens. Und auch wenn unsere Verkündigung oft nur arm und schwach vorgetragen wird – so besitzt das Wort Gottes selbst in sich die Kraft, in den Herzen der Hörer Frucht zu bringen. Unsere Aufgabe ist es daher, dieses Wort Gottes rein zu bewahren. Caterina spricht zwar nicht eigens über die Verkündigung, aber sie spricht sehr viel und sehr intensiv vom Wort, vom Wort, das Fleisch geworden ist und für uns wirksam wird in den Sakramenten. Auch in ihnen geschieht eine Verkündigung: und zwar durch die Sprache des Blutes, das lauter ruft als das Blut Abels. Denn „mit der Posaune des Erbarmens und dem Feuer des Heiligen Geistes als Herold, so wurde es allen verkündet, damit jeder, der dieses Blut möchte, hinzutreten könne" (Brief 87).

 

Werner Schmid