Edmund G. Gardner

Die hl. Caterina von Siena

Eine Studie über Religion, Literatur und Geschichte
des 14. Jahrhunderts in Italien

15. Kapitel

Der Abschied von der Welt

 

Während dieser ganzen Zeit wurde Caterinas Leben allmählich vom Feuer ihrer glühenden Liebe zur Kirche verzehrt. In ihr erfüllten sich tatsächlich die Worte des Psalmisten [Ps 69,10]: Der Eifer für Dein Haus hat mich verzehrt, und die Schmähungen derer, die Dich schmähen, haben mich getroffen. Diese Monate in Rom waren für sie eine Zeit intensiver körperlicher und seelischer Qualen und einer unermüdlichen Arbeit in Wort und Tat gewesen, während ihre körperlichen Beschwerden ständig zunahmen, bis sie keinem lebendem Wesen mehr zu ähneln schien.

Gegen Ende des Jahres 1379 war Caterina mit ihrer geistlichen Familie aus dem Rione della Colonna [dem III. Stadtteil von Rom] umgezogen und hoffte, bald nach Siena zurückzukehren. „Wir haben ein Haus in der Nähe von San Biagio“, schrieb sie am 4. Dezember an Neri di Landoccio, der sich noch immer in Neapel aufhielt, „zwischen dem Campo de‘ Fiori und Sant‘ Eustachio. Wir beabsichtigen, mit Gottes Hilfe vor Ostern dort einzuziehen.“[1] Es handelte sich um das Haus in der Nähe der Minerva, in der heutigen Via Santa Chiara, wo ihre Zelle jetzt als Kapelle eingerichtet wurde und wo ihre letzte mysteriöse Krankheit über sie hereinbrach. Hier ertrug sie die langen seelischen und körperlichen Qualen, indem sie sich ihrem göttlichen Bräutigam als williges Opfer darbot. Denen, die sie liebten und die ihr in diesen Monaten zur Seite standen – vom 30. Jänner, dem Montag nach dem Sonntag Sexagesima, als ihre letzte Krankheit begann, bis zum 29. April, dem Sonntag vor dem Fest Christi Himmelfahrt, an dem sie starb –, schien es ein neues, bisher unerhörtes geistliches Martyrium zu sein, jener Tod, um den sie ihren Herrn so oft gebeten hatte für die Erneuerung der Kirche und zur Sühne für die Sünden der Welt.

Zwei Briefe sind erhalten geblieben, die Barduccio zu dieser Zeit nach ihrem Diktat an Urban schrieb, denn es ist klar, dass sie häufig daran gehindert war, ihn persönlich zu sprechen. In einem davon beklagt sie die Tatsache, dass die neuen Kardinäle und Prälaten, die er ernannt hat, weit davon entfernt sind, ein Beispiel der Tugend und Selbstverleugnung zu geben, sondern lediglich den Spuren ihrer Vorgänger folgen, „die in ihren Lastern, voll Stolz, Unkeuschheit, Habsucht und in schlimmster Simonie alt geworden sind.“ Urban war bereits seines ursprünglichen Reformeifers überdrüssig geworden, und bald würde es kaum noch einen Unterschied zwischen ihm und jenem Mann geben, den Caterina für den Antipapst hielt. Aber die Heilige wurde dessen nie gewahr. „Verzeiht meine Anmaßung, Heiliger Vater“, schreibt sie, „dass ich es gewagt habe, Euch offen zu schreiben. Ich tat es, weil mich die göttliche Güte und die augenscheinliche Not dazu gedrängt haben – und ebenso die Liebe, die ich für Euch im Herzen trage. Ich wäre ja selbst gekommen, statt Euch zu schreiben, aber ich wollte Euch nicht durch mein oftmaliges Kommen ermüden. Habt Geduld mit mir! Denn solange ich lebe, werde ich niemals aufhören, Euch durch Gebet, durch das gesprochene oder geschriebene Wort anzueifern, bis ich in Euch und in der heiligen Kirche erfüllt sehe, wonach ich verlange und von dem ich weiß, dass Ihr dafür – mehr noch als ich – Euer Leben hingeben würdet.“[2]

Im anderen Brief fordert sie ihn auf, dem Beispiel Gregors des Großen zu folgen und die Kirche in Weisheit zu führen, vor allem in seinen Verhandlungen mit der römischen Republik, obwohl deren Botschafter soeben eine beleidigende Antwort von dem rebellischen Präfekten, Francesco di Vico, erhalten haben: „Ich habe gehört, Heiliger Vater, von der Antwort, die der gottlose Präfekt Euch gegeben hat, geradezu erfüllt von Zorn und Respektlosigkeit gegenüber den römischen Botschaftern. Auf diese Antwort hin scheint es, dass sie eine allgemeine Ratsversammlung einberufen, nach der dann die Führer der Rioni und andere ehrenwerte Männer Euch aufsuchen wollen. Ich ersuche Euch, Heiliger Vater, so wie Ihr begonnen habt, so fahrt auch weiterhin fort, Euch oft mit ihnen zu beraten und sie in Klugheit durch das Band der Liebe zusammenzuhalten. Ich bitte Euch eindringlich: wenn sie nach Beendigung ihrer Beratungen Bericht erstatten, so nehmt sie mit aller Freundlichkeit auf, und dann weist sie auf das hin, was nach Ansicht Eurer Heiligkeit notwendig ist. Verzeiht mir, aber es ist die Liebe, die mich das sagen lässt, was vielleicht gar nicht gesagt werden muss. Denn ich weiß, dass Ihr die Eigenart Eurer römischen Kinder kennt und wie sie eher durch Sanftmut geleitet und an Euch gebunden werden als durch Gewalt oder durch barsche Worte. Und Ihr wisst auch, wie wichtig es für Euch und die heilige Kirche ist, dieses Volk in Gehorsam und Ehrfurcht gegen Eure Heiligkeit zu erhalten; denn hier ist das Zentrum und das Fundament unseres Glaubens. Und ich bitte Euch demütig, bemüht Euch, dass Ihr immer nur so viel versprecht, wie Ihr sicher seid halten zu können, damit nicht später Kummer, Ärger und Verwirrung daraus erwachsen. Verzeiht mir, liebster Heiliger Vater, dass ich Euch diese Dinge sage. Aber ich vertraue darauf, dass Ihr in Eurer Demut und Güte solche Worte annehmt und sie nicht verachtet oder Euch darüber empört, weil sie aus dem Munde einer ganz armseligen Frau kommen. Denn der Demütige achtet nicht darauf, wer zu ihm spricht, sondern er schaut auf die Ehre Gottes, auf die Wahrheit und auf sein Seelenheil.“ Der Papst möge sich erinnern „an das Verderben, das über ganz Italien gekommen ist, weil man jenen bösen Verwaltern nicht Einhalt geboten hat, die so regiert haben, dass sie die Ursache für die Verwüstung der Kirche Gottes geworden sind.“[3]

Dieser Brief an Urban war Caterinas letztes politisches Testament. Es wurde am Montagabend des 30. Jänner, dem Montag nach dem Sonntag Sexagesima geschrieben.[4] Sie hatte kaum das Diktat beendet, als der Schmerz sie befiel, die Wiederholung eines Schlaganfalls, den sie in der vorausgegangenen Nacht erlitten hatte. „Nachdem wir einen Brief geschrieben hatten“, schrieb Barduccio an Suor Caterina Petriboni, einer Nonne im Florentiner Konvent von S. Piero a Monticelli, „erlitt sie einen neuerlichen Schlaganfall, der so schrecklich war, dass wir sie alle bereits als tot betrauerten, und sie blieb lange Zeit ohne Lebenszeichen. Dann, nach mehreren Stunden, erwachte sie und schien nicht mehr sie selbst zu sein.“

Einige Tage später erreichte die Auseinandersetzung, die seit der Zerstörung von Sant‘ Angelo beständig zwischen Urban und den Römern zugenommen hatte, ihren Höhepunkt. Vor Caterinas geistigem Auge erschien die gesamte Stadt voll von Dämonen, die das Volk dazu aufstachelten, sich zu erheben und den Papst zu töten. Fra Raimondo beschreibt sie uns, wie sie im Geist mit dem Herrn ringt und ihn um der Ehre seines Namens und um der Kirche willen anfleht, ihrem Körper alle Strafen aufzubürden, die das römische Volk für die unzähligen Sünden, die in der Ewigen Stadt begangen worden waren, verdient hätte, und so die Eintracht zwischen ihm und dem Papst wiederherzustellen. Angeblich griff der Pöbel in Waffen den Vatikan an, worauf Urban anordnete, die Tore des Palastes zu öffnen, und die Eindringlinge auf seinem päpstlichen Thron sitzend empfing, wodurch es ihm gelang, ihre Wut zu besänftigen.[5] Wir wissen nicht, welche Rolle Caterina in dieser Angelegenheit spielte, aber die Versöhnung wurde ihren Gebeten zugeschrieben und war vermutlich auf ihren direkten Einfluss auf Giovanni Cenci, den demokratischen Führer der römischen Republikaner, zurückzuführen. In diesem Fall wäre das ihr letztes politisches Werk, und zweifellos eines der vornehmsten ihrer Leistungen.

„Dann“, schreibt Barduccio Canigiani, „begannen täglich neue Leiden und grausame Qualen in ihrem Körper zuzunehmen. Da wir uns mittlerweile in der Fastenzeit befanden, wurde sie trotz ihrer Schwäche von einem so großen Gebetseifer erfasst, dass es verwunderlich war und ihre demütigen Seufzer und schmerzvollen Klagen uns betroffen machten und überwältigten. Ich glaube, Ihr wisst, dass ihre Gebete von solcher Intensität waren, dass eine Stunde Gebet diesen armen kleinen Körper weit mehr zusetzte, als wenn ein anderer zwei Tage auf der Folterbank verbracht hätte.[6] Deshalb hoben wir sie jeden Morgen nach der heiligen Kommunion unter Tränen auf, in einem solchen Zustand, dass jeder, der sie sah, sie für tot hielt, und trugen sie zurück zu ihrem Lager. Nach ein oder zwei Stunden stand sie gewöhnlich auf, und wir gingen nach St. Peter, das eine gute Meile von uns entfernt ist. Dort widmete sie sich dem Gebet, und sie blieb bis fast zur Vesper. Anschließend kehrte sie nach Hause zurück, so erschöpft, dass sie wie eine Tote aussah. Und so fuhr sie fort, jeden Tag auf die gleiche Weise, bis zum dritten Fastensonntag.“

Hier handelt es sich um Dinge, über die wir unmöglich in der Sprache unserer modernen Zeit reden können. Wir haben Caterinas eigene Worte in den beiden wunderbaren Briefen, die sie am 15. Februar 1380, dem Mittwoch nach dem ersten Fastensonntag, an Fra Raimondo geschrieben hat und in denen sie von ihm und von der Welt Abschied nimmt. Niemals wurde die Psychologie der Heiligkeit so großartig von einer Frau offenbart, die in ihre Tiefen eingedrungen war – und ebenso großartig auch ihre Höhen zu erklimmen vermochte.

„Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Maria.

Liebster und teuerster Vater in Christus, dem geliebten Jesus. Ich, Caterina, Dienerin und Sklavin der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in Seinem kostbaren Blut mit dem Wunsch, Euch als eine neu gegründete Säule im Garten der heiligen Kirche zu sehen, wie einen treuen Bräutigam der Wahrheit, der Ihr sein sollt. Dann wird meine Seele sich glücklich preisen. Ich möchte nicht, dass Ihr Euch wegen irgendwelcher Widrigkeiten oder Verfolgungen zurückzieht, sondern ich möchte, dass Ihr Euch darüber freut. Denn im Ertragen zeigen wir unsere Liebe und Standhaftigkeit, und nur so machen wir dem Namen Gottes alle Ehre, anders nicht.

Jetzt ist es an der Zeit, liebster Vater, das eigene Ich zurückzustellen und nicht mehr an sich selbst zu denken. So wie es jene glorreichen Arbeiter taten, die mit so großer Liebe und Sehnsucht das Leben hingaben und diesen Garten mit Blut tränkten, mit demütigem und beständigem Gebet und durch ihr Ausharren bis zum Tod. Seht zu, dass ich Euch nicht furchtsam erlebe und Euch Euer eigener Schatten erschreckt. Seid vielmehr ein mutiger Kämpfer und entzieht Euch niemals dem Joch des Gehorsams, das der Papst Euch auferlegt hat. Tut auch im Orden alles, was Euch für die Ehre Gottes förderlich erscheint, denn das sind wir der großen Güte Gottes schuldig, und nur dazu hat er uns bestellt. Bedenkt, wie groß die Not ist, die wir in der heiligen Kirche sehen und wie man sie überall im Stich lässt! So hat sich die Wahrheit offenbart, wie ich Euch in dem anderen Brief geschrieben habe; und so wie die Braut allein gelassen wird, so geht es jetzt auch ihrem Bräutigam. O liebster Vater, ich will Euch die großen Geheimnisse Gottes nicht verschweigen, sondern ich möchte sie so kurz, wie es möglich ist, erzählen, soweit eine schwache Zunge dazu überhaupt imstande ist. Ich will Euch auch sagen, was ich von Euch erwarte. Aber nehmt das, was ich Euch sage, ohne Kummer an, denn ich weiß nicht, was die göttliche Güte mit mir vorhat, ob sie mich bleiben lässt oder zu sich ruft.

Vater, Vater und liebster Sohn, wundervolle Geheimnisse hat Gott vom Tag der Beschneidung an bis jetzt gewirkt, so viele, dass keine Zunge sie ausreichend erzählen könnte. Aber übergehen wir das Vergangene und kommen wir zum Sonntag Sexagesima, an dem, wie ich Euch in dem anderen Brief kurz schreibe, jene Geheimnisse geschahen, von denen Ihr hören sollt.[7] Es kam mir nämlich vor, als hätte ich niemals etwas Ähnliches ertragen. So groß war der Schmerz in meinem Herzen, dass mein Untergewand zerriss, sosehr ich es auch zusammenzuhalten versuchte, während ich in der Kapelle umherwankte wie ein Mensch in Agonie. Hätte jemand versucht, mich zurückzuhalten, so wäre das mein Tod gewesen. Als dann der Montagabend kam, fühlte ich mich gezwungen, an den Christus auf Erden und an die drei Kardinäle zu schreiben. Ich ließ mir helfen und ging in das Arbeitszimmer; und als ich dem Christus auf Erden geschrieben hatte, konnte ich nicht mehr schreiben, so schlimm waren die Schmerzen, die in meinem Körper ständig zunahmen.

Kurz danach begann der Schrecken der Dämonen, und zwar so sehr, dass sie mich völlig benommen machten, rasend vor Wut gegen mich, als ob ich, der Wurm, die Ursache gewesen wäre, ihnen das zu nehmen, was sie lange Zeit in der heiligen Kirche besessen hatten. Das Entsetzen war so groß, zusammen mit den körperlichen Schmerzen, dass ich aus dem Arbeitszimmer fliehen und in die Kapelle gehen wollte, als ob das Arbeitszimmer die Ursache meiner Schmerzen gewesen wäre. Ich erhob mich, und da ich nicht gehen konnte, stützte ich mich auf meinen Sohn Barduccio. Aber auf einmal wurde ich zu Boden geschleudert; und während ich ausgestreckt dalag, schien mir, als wäre die Seele vom Leib getrennt worden. Nicht so wie damals, als sie ihn verlassen hatte, denn damals empfand meine Seele das Glück der Unsterblichen und konnte dieses höchste Gut mit ihnen zusammen genießen.[8] Jetzt aber schien sie wie ein Ding für sich; denn ich schien mir nicht mehr in meinem Körper zu sein, sondern sah meinen Körper, als wäre es ein fremder. Und meine Seele, die den Schmerz dessen sah, der mit mir war, wandte sich um, um zu sehen, ob ich irgendetwas mit diesem Körper zu tun hätte, und sagte zu ihm: ‚Sohn, fürchte dich nicht.‘ Ich sah, dass ich weder meine Zunge noch ein anderes Glied bewegen konnte, so wie ein vom Leben abgetrennter Körper. So ließ ich also meinen Körper zurück, wie er war, und mein Geist blickte gebannt auf den Abgrund der Dreifaltigkeit.

Mein Gedächtnis war erfüllt von der Erinnerung an die Not der heiligen Kirche und des ganzen christlichen Volkes. Ich rief laut vor Gottes Angesicht und bat vertrauensvoll um die göttliche Hilfe, indem ich ihm mein Verlangen darbrachte und ihn dazu drängte durch das Blut des Lammes und durch die erlittenen Schmerzen. Und ich bat so inständig, dass es mir sicher schien, er werde die Bitte nicht abschlagen. Dann flehte ich für Euch alle, auf dass sein Willen und mein Verlangen in Euch erfüllt würden. Dann beschwor ich Ihn, mich vor der ewigen Verdammnis zu bewahren.

Während ich lange Zeit so verharrte, so lange, dass die geistliche Familie mich als tot betrauerte, war der ganze Schrecken der Dämonen verschwunden. Da erschien vor meiner Seele die Gegenwart des demütigen Lammes und sagte: ‚Fürchte dich nicht, denn Ich werde deine Wünsche und die Wünsche Meiner anderen Diener erfüllen. Ich will dich erkennen lassen, dass Ich der gute Meister bin und wie der Töpfer handle, der zerstört und neu schafft, wie es ihm gefällt. So mache Ich es mit Meinen Gefäßen: Ich kann sie zerstören und wieder neu schaffen. Deshalb nehme Ich das Gefäß deines Körpers und schaffe es neu im Garten der heiligen Kirche, aber in anderer Weise als in der Vergangenheit.‘ Und während mich diese süße Wahrheit auf höchst gewinnende Weise und mit Worten, die ich hier übergehen will, umfangen hielt, begann mein Körper wieder ein wenig zu atmen und zeigte, dass die Seele in ihr Gefäß zurückgekehrt war. Ich war voll Staunen, und in meinem Herzen blieb eine so große Angst, dass ich sie noch immer fühle. Jede Freude, jeder Trost und jede menschliche Nahrung wurden mir genommen. Als ich dann in das obere Zimmer zurückgebracht wurde, kam es mir vor, als sei der Raum voll von Dämonen. Sie begannen mit mir eine neue Schlacht, die schrecklichste, die ich je erduldet habe, indem sie versuchten, mich glauben und sehen zu lassen, dass nicht ich es sei, die in dem Körper war, sondern ein unreiner Geist. Ich rief die göttliche Hilfe mit liebevoller Zärtlichkeit an, wobei ich die Mühen nicht verweigerte, obwohl ich sagte: ‚O Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen. Du hast zugelassen, dass ich allein in diesem Kampf bleibe, ohne die Tröstung durch den Vater meiner Seele, dessen ich aufgrund meiner eigenen Undankbarkeit beraubt bin.‘

Zwei Nächte und zwei Tage vergingen unter diesen Stürmen. Mein Geist und das Verlangen erfuhren zwar dadurch keinen Schaden, vielmehr blieben sie stets auf dieses letzte Ziel fixiert, und der Körper schien wie gestorben zu sein. Danach, am Tag von Mariä Reinigung, wollte ich die heilige Messe mitfeiern. Da sah ich von neuem alle diese Geheimnisse, und Gott offenbarte mir die drohende Not, die dann auch tatsächlich eintraf. Denn Rom war kurz davor zu revoltieren und erwies sich als verräterisch und voll Respektlosigkeit. Aber Gott hat ihre Herzen besänftigt, und ich glaube, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Sodann befahl mir Gott im Gehorsam, dass ich während der gesamten Fastenzeit das heilige Verlangen meiner ganzen Familie vor seinem Angesicht mit dieser einzigen Intention aufopfern sollte, nämlich für die heilige Kirche, und jeden Morgen bei Tagesanbruch der heiligen Messe beiwohnen sollte; Ihr wisst, dass das für mich ein Ding der Unmöglichkeit ist, aber im Gehorsam gegen ihn ist alles möglich geworden. Dieser Wunsch hat so sehr von mir Besitz ergriffen, dass mein Gedächtnis nichts anderes mehr kennt, mein Geist nichts anderes erkennen und mein Wille nichts anderes mehr begehren kann. Darum verschmäht meine Seele nicht nur alle irdischen Dinge, sondern – wenn sie sich mit den Seligen im Himmel unterhält – sogar die Mitfreude an ihrem Glück. Denn das Einzige, was ich begehre, ist, von jener inneren Glut erfüllt zu werden, wie sie die Seligen im Himmel damals hatten, als sie selbst noch Pilger und Wanderer in diesem Leben waren. Auf diese und viele andere Weisen, die ich nicht erzählen kann, verzehrt sich und verrinnt mein Leben in dieser süßen Braut. So geschieht bei mir auf diesem Weg, was die glorreichen Märtyrer durch ihr Blut vollbrachten. Ich bitte die göttliche Güte, sie möge mich bald die Befreiung seines Volkes erleben lassen.

Wenn die Stunde der Terz kommt und ich mich von der Messe erhebe, würdet Ihr eine Tote nach St. Peter gehen sehen. Und ich gehe von neuem hinein, um in dem kleinen Schiff der heiligen Kirche zu arbeiten. Dort bin ich dann etwa bis zur Stunde der Vesper, und von diesem Ort würde ich am liebsten niemals weggehen und Tag und Nacht bleiben, bis ich dieses Volk ein wenig beruhigt und mit seinem Vater versöhnt sehe. Dabei bleibt dieser Leib ohne Nahrung, ja sogar ohne einen Tropfen Wasser, und meine süßen körperlichen Qualen sind größer als alle, die ich jemals erduldet habe, sodass mein Leben nur noch an einem Faden hängt. Ich weiß nicht, was die göttliche Güte mit mir vorhat. Soweit ich fühle – wobei ich nicht behaupte, dass ich seinen Willen und seine Absicht mit Bezug auf mich erkenne –, aber nach meinem körperlichen Befinden zu schließen, so scheint es mir, dass ich sie in dieser Zeit durch ein neues Martyrium für die heilige Kirche, die Süßigkeit meiner Seele, verzehren soll. Dann wird er mich vielleicht mit ihm auferstehen lassen und meinem Elend und meinem gekreuzigten Verlangen ein Ende und eine Grenze setzen. Oder er wird in seiner gewohnten Weise meinen Körper mit seiner Kraft umhüllen. Ich bat und bitte seine unendliche Barmherzigkeit, dass er seinen Willen in mir erfüllen und weder Euch noch die anderen als Waisen zurücklassen möge. Vielmehr möge er Euch immer auf dem Weg der Lehre der Wahrheit führen im wahren und ganz vollkommenen Licht. Ich bin sicher, dass er es tun wird.

Nun bitte und beschwöre ich Euch, Vater und Sohn, der mir von der süßen Mutter Maria anvertraut wurde: Wenn Ihr hört, dass Gott die Augen seiner Barmherzigkeit auf mich gerichtet hat, dann beginnt Euer Leben neu. Entledigt Euch jeder sinnlichen Neigung und werft Euch in dieses kleine Schiff der heiligen Kirche. Seid stets auf der Hut, wenn Ihr mit anderen sprecht. Ihr werdet selten eine wirkliche Zelle zur Verfügung haben, aber ich möchte, dass Ihr Euch in der Zelle Eures Herzens verbergt und sie immer mit Euch tragt. Denn Ihr wisst, wenn wir darin eingeschlossen sind, können die Feinde uns nicht schaden. Dann wird jede Aufgabe, die Ihr verrichtet, auf Gott hin ausgerichtet und geordnet sein. Ich bitte Euch auch, Euer Herz in heiliger und wahrer Weisheit reifen und Euer Leben ein Beispiel in den Augen der Laien sein zu lassen, indem Ihr Euch niemals den Gewohnheiten der Welt anpasst. Lasst die Großzügigkeit gegen die Armen und die freiwillige Armut, die Ihr stets gezeigt habt, in Euch sich erneuern und erstarken durch wahre und vollkommene Demut. Werdet diesbezüglich niemals lau wegen eines Amtes oder einer Erhebung, die Gott Euch gewährt, sondern taucht immer tiefer in das Tal der Demut ein, indem Ihr Euch daran erfreut, die Nahrung der Seelen am Tisch des Kreuzes zu essen, das demütige, gläubige und beständige Gebet wie eine Mutter zu umarmen und jeden Tag mit heiliger Wachsamkeit die heilige Messe zu feiern, sofern Ihr nicht durch einen Notfall verhindert seid. Vermeidet unnötige und leichtfertige Reden, sondern seid und zeigt Euch reif in allem, was Ihr sagt und tut. Verwerft alle Verzärtelung Eurer selbst und alle knechtische Furcht. Denn nicht solche braucht die liebe Kirche, sondern sie braucht solche, die streng sind mit sich selbst, mit ihr aber mitfühlend sind. Das sind die Dinge, die Ihr beachten sollt.

Ferner bitte ich Euch, das Buch und alle meine Schriften, die Ihr finden könnt, an Euch zu nehmen – Ihr und Fra Bartolommeo und Fra Tommaso und der Magister. Macht damit – zusammen mit Fra Tommaso[9] –, was Euch am meisten der Ehre Gottes zu dienen scheint. In ihnen habe ich etwas Erholung gefunden. Ich bitte Euch weiterhin, soweit Ihr dazu in der Lage seid, der Hirte und Führer dieser Familie zu sein, so wie ein Vater, sie in wahrer Liebe und vollkommener Einigkeit zu bewahren, damit sie nicht zerstreut zurückbleiben wie Schafe ohne einen Hirten. Ich bin überzeugt, dass ich für sie und für Euch nach meinem Tod mehr tun kann als jetzt während des Lebens. Ich werde die ewige Wahrheit bitten, die Fülle der Gnaden und Gaben über Euch alle auszugießen, die er meiner Seele gewährt hat, damit Ihr strahlende Lichter seid, die man auf einen Leuchter gestellt hat. Und ich bitte Euch, erfleht mir vom ewigen Bräutigam die Gnade, den Gehorsam, den er mir auferlegt hat, tapfer zu erfüllen und dass er mir meine vielen Sünden vergibt. Ebenso bitte ich Euch, mir allen Ungehorsam, den fehlenden Respekt und alle Undankbarkeit zu verzeihen, die ich Euch gegenüber begangen habe, und allen Kummer und die Sorge, die ich Euch verursacht habe und die geringe Fürsorge, die ich für Euer Heil aufgewendet habe. Ich bitte um Euren Segen.

Bittet Gott inständig für mich und lasst um der Liebe des gekreuzigten Christus willen für mich beten. Verzeiht mir, dass ich Euch Worte der Bitterkeit geschrieben habe. Ich tat es nicht, um Euch zu betrüben, sondern weil ich im Zweifel bin und nicht weiß, was die Güte Gottes mit mir tun will. Ich möchte meine Pflicht erfüllt sehen. Und seid nicht unglücklich, weil ich körperlich weit weg von Euch bin und Ihr von mir. Denn obwohl mir Eure Anwesenheit ein großer Trost wäre, fühle ich noch größeren Trost und Freude, wenn ich die Früchte sehe, die Ihr für die heilige Kirche bringt. Ich bitte Euch, bemüht Euch noch eifriger, denn niemals war sie in so großer Not. Der Christus auf Erden und Messer Tommaso senden Euch die Hilfsmittel, mit denen Ihr in der Lage sein werdet, gut zu arbeiten.[10] Und geht niemals wegen irgendeiner Verfolgung ohne Erlaubnis unseres Herrn, des Papstes, fort. Seid getrost, seid getrost in Christus, dem lieben Jesus, ohne jede Bitterkeit. Ich sage nichts weiter zu Euch. Bleibt in der heiligen und süßen Liebe Gottes. Geliebter Jesus, Jesu, unsere Liebe.“[11]

Der Brief oder vielmehr die Offenbarung, die diesen Brief begleitete und von dem Fra Tommaso Caffarini behauptet, dass Caterina ihn eigenhändig geschrieben habe, trägt den Titel: „Einige neue Geheimnisse, die Gott in der Seele seiner heiligen Braut Caterina am Sonntag Sexagesima, wie oben erwähnt, gewirkt hat und die sie dem genannten Meister Raimondo mitgeteilt hat“:

„Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Maria.
Ich war schmerzlich bewegt über das gekreuzigte Verlangen, das mich erneut vor Gottes Angesicht erfasst hatte, als sich das Licht meines Geistes in der ewigen Dreifaltigkeit widerspiegelte. Und in diesem Abgrund sah ich: die Schönheit und Würde des vernunftbegabten Geschöpfes und das Elend, in das die Seele durch die Schuld der Todsünde fällt, und die Notwendigkeit der heiligen Kirche, die Gott in seinem Herzen offenbarte; und wie niemand die Schönheit Gottes im Abgrund der Dreifaltigkeit verkosten kann, außer durch die Hilfe dieser süßen Braut, denn wir alle müssen durch das Tor des gekreuzigten Christus eintreten, und dieses Tor ist nirgends anders zu finden als in der heiligen Kirche. Ich sah, dass diese Braut Leben schenkte, da sie das Leben so sehr in sich trägt, dass niemand sie töten kann, und dass sie Kraft und Licht spendet und dass niemanden sie in ihrem Wesen schwächen oder verdunkeln kann. Und ich sah, dass ihre Fruchtbarkeit nie geringer wird, sondern beständig wächst.

Dann sprach der ewige Gott: ‚Diese erhabene Würde, die dein Verstand niemals erfassen könnte, ist dem Menschen durch Meine Güte verliehen. Sieh hin mit Trauer und bitterem Kummer, und du wirst merken, wie sie nur um ihres äußeren Gewandes – das heißt, der weltlichen Güter – wegen, zu dieser Braut gehen, während du nur wenige findest, die das suchen, was in dieser Braut ist, nämlich die Frucht des Blutes. Wer nicht bereit ist, den Preis der Liebe zu zahlen (das heißt zu lieben mit wahrer Demut und mit dem Licht des heiligsten Glaubens), dem bringt diese Frucht nicht Leben, sondern Tod. Er würde wie ein Dieb handeln, der nimmt, was ihm nicht gehört. Denn die Frucht des Blutes gehört jenen, die den Preis der Liebe zahlen, weil die Kirche auf Liebe gegründet ist und selbst Liebe ist. Und aus Liebe sollen ihr alle dienen, entsprechend dem jeweiligen Auftrag, den Meine Diener von Mir bekommen haben. Aber Ich bin betrübt, weil Ich niemand finde, der ihr dienen will. Ja, es scheint sogar, als hätten sie alle im Stich gelassen. Aber Ich werde Abhilfe schaffen.‘

Und während der Schmerz und das Feuer des Verlangens immer stärker wurden, rief ich laut vor Gott und sagte: ‚Was kann ich tun, o unermessliches Feuer?‘ Und seine Güte antwortete mir: ‚Du kannst dein Leben von neuem darbringen und dir niemals Ruhe gönnen. Zu dieser Aufgabe habe Ich dich bestimmt und bestimme dich, dich und alle, die dir folgen und folgen werden. Achte darauf, dass du niemals nachlässig wirst, sondern dein Verlangen stets vermehrst. Denn Ich werde euch gewiss mit Meiner Gnade für Seele und Leib in liebevoller Zuneigung unterstützen. Und damit eure Gedanken nicht mit anderen Dingen beschäftigt sind, habe Ich vorgesorgt, indem Ich derjenigen, die ich dazu bestimmt habe, euch zu leiten, einen Impuls gegeben habe; und mit Geheimnissen und auf neue Weise habe Ich sie angezogen und zu diesem Dienst berufen – wobei sie mit ihrem ganzen Sein meiner Kirche dient und euch mit beständigen, demütigen und treuen Gebeten und mit jenen Übungen, die notwendig sein werden.[12] Sie werden dir und ihnen auferlegt werden nach Meiner Güte, einem jeden nach seinem Vermögen. Widme also dein Leben, dein Herz und deine Zuneigung ausschließlich dieser Braut um Meinetwillen, ohne an dich zu denken. Schau auf Mich und sieh den Bräutigam dieser Braut, das heißt, den Papst, und erkenne seine gute und heilige Absicht, eine Absicht, die unvermindert ist. Und du siehst, dass er allein ist, so wie die Braut allein ist. Ich lasse zu, dass er mit den Methoden, die er ohne Mäßigung anwendet, und mit der Angst, die er seinen Untertanen einflößt, Meine Kirche ausfegt. Aber ein anderer wird kommen, der sie mit Liebe umgeben und wieder mit Liebe erfüllen wird.[13] Mit der Braut wird es sein wie mit der Seele: denn zuerst wird sie sich fürchten, doch wenn sie von Lastern befreit ist, erfüllt sie wieder die Liebe und bekleidet sie von neuem mit Tugenden. Das alles wird geschehen durch süßes Dulden, das jenen lieb ist und sein wird, die in Wahrheit jetzt und in Zukunft an ihrer Brust genährt werden. Du aber sage Meinem Stellvertreter, er möge sich mit jedem Menschen versöhnen, soweit es in seiner Macht steht, und jedem den Frieden schenken, der bereit ist, ihn anzunehmen. Und den Säulen der heiligen Kirche sage, dass sie – wenn sie den großen Schaden wiedergutmachen wollen – so handeln müssen: Sie müssen sich zusammenschließen und ein Gewand bilden, um das Verhalten zu verhüllen, das an ihrem Vater fehlerhaft erscheint. Sie sollen ein geordnetes Leben führen und an ihrer Seite Menschen haben, die Mich fürchten und lieben. Sie sollen sich versammeln und sich verdemütigen. Wenn sie das tun, werde Ich, der Ich das Licht bin, ihnen das Licht schenken, das die heilige Kirche notwendig braucht. Und wenn sie untereinander geklärt haben, was geschehen soll, mögen sie es in wahrer Einheit mutig und entschlossen sofort Meinem Stellvertreter berichten. Dann wird er gezwungen sein, sich ihrem guten Willen nicht zu widersetzen, da er eine heilige und gute Absicht hat.‘[14]

Worte reichen nicht aus, um all die großen Geheimnisse zu erzählen, die der Geist sah und die Liebe erspürte. Der Tag verging voller Staunen, und der Abend kam. Ich spürte mein Herz so von liebender Hingabe gezogen, dass ich mich nicht dagegen wehren konnte, wieder an diesen Ort des Gebetes zurückzukehren. Und als ich wieder jenen Zustand kommen fühlte, den ich zum Zeitpunkt meines Todes erlebte,[15] kniete ich in tiefer Reue nieder, weil ich der Braut Christi mit großer Unwissenheit und Nachlässigkeit gedient hatte und das der Grund war, warum andere ebenso handelten. Als ich mich erhob und noch den Eindruck des eben Geschilderten vor meinem geistigen Auge hatte, stellte mich Gott vor sein Angesicht. Nicht so, wie ich ihm stets gegenwärtig bin, weil er ja alles in sich enthält, sondern auf eine neue Weise, und zwar so, als ob Gedächtnis, Verstand und Wille nichts mehr mit meinem Körper zu tun hätten. In so klarem Licht betrachtete ich diese Wahrheit, dass in diesem Abgrund die Mysterien der heiligen Kirche von neuem aufleuchteten, ebenso alle Gnaden, die ich in der Vergangenheit und Gegenwart im Lauf meines Lebens empfangen hatte, und auch der Tag, an dem meine Seele im Glauben vermählt worden war.[16] Doch alle diese Dinge entschwanden aus meinem Geist in dem Maße, als das Feuer in mir wuchs, so dass ich mich nur noch darum kümmerte, was getan werden konnte, um mich Gott für seine heilige Kirche zu opfern und die Nachlässigkeit und Unwissenheit derer zu beseitigen, die Gott in meine Hände gelegt hatte.

Da schrien die Dämonen furchtbar gegen mich auf und versuchten durch die Angst, die sie mir einflößten, mein freies und brennendes Verlangen zu behindern und zu schwächen. Sie schlugen äußerlich gegen meinen Körper ein; aber das Verlangen wurde immer stärker, und ich rief: ‚O ewiger Gott, nimm das Opfer meines Lebens in diesem mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich habe nichts anderes zu geben als das, was du mir gegeben hast. Nimm mein Herz und drück es aus über das Antlitz deiner Braut.‘ Da richtete der ewige Gott das Auge seiner Barmherzigkeit auf mich, riss mein Herz heraus und presste es aus in der heiligen Kirche. Mit solcher Gewalt hatte er es an sich gezogen, dass das Gefäß meines Leibes zerbrochen wäre, wenn er es nicht sogleich mit seiner Kraft umschlossen hätte. Da schrien die Dämonen noch lauter, als fühlten sie unerträgliche Pein. Sie versuchten, mich mit Schrecken zu erfüllen, und drohten, mich so zu behandeln, dass ich nicht mehr in der Lage wäre, diese Aufgabe zu erfüllen. Weil aber die Hölle gegen die Tugend der Demut, wenn sie mit dem Licht des heiligen Glaubens verbunden ist, nicht widerstehen kann, wurde mein Geist noch mehr gefestigt – gleich dem Eisen, das vom Feuer durchglüht wird –, weil er so gewinnende Worte im Angesicht der göttlichen Majestät hörte und Versprechungen, die Freude machten. Es war in Wahrheit ein so tiefes Geheimnis, dass Worte nicht ausreichen, um darüber zu sprechen.

Nun sage ich Dank! Dank sei dem höchsten, ewigen Gott, der uns wie Ritter auf das Schlachtfeld gestellt hat, um mit dem Schild des heiligsten Glaubens für seine Braut zu kämpfen. Das Kampffeld ist frei für uns, durch jene Tugend und Kraft, mit der der Dämon – der das Menschengeschlecht in seinem Besitz hatte – besiegt wurde. Nicht die Menschheit Christi hat ihn überwunden, sondern seine Gottheit, durch sie wird er nun besiegt werden; das heißt, der Teufel wird nicht durch das bloße Leiden unserer Körper besiegt, sondern durch die Kraft der glühenden und unschätzbaren göttlichen Liebe. Dank sei Gott, Amen. Geliebter Jesus, Jesus, die Liebe.“[17]

In dieser mystischen Agonie verbrachte Caterina die nächsten zehn Tage zwischen ihrem Haus und dem Petersdom, bis zum dritten Fastensonntag, ­als sie in der Basilika vor Giottos Mosaik der Navicella betete und es ihr schien, als würde das Schiff der Kirche auf ihre Schultern gelegt und mit ihrem Gewicht sie zu Tode erdrücken. Ihre Schüler brachten sie sterbend heim und legten sie auf ihr Bett, von dem sie sich nie mehr – außer einmal – erhob. „So lag sie acht Wochen lang“, schreibt Barduccio, „ohne den Kopf zu heben, voll unerträglicher Schmerzen von Kopf bis Fuß, dass sie oftmals sagte: ‚Das sind keine körperlichen oder natürlichen Schmerzen, sondern es scheint, als hätte ich den Dämonen erlaubt, diesen Leib nach ihrem Belieben zu martern.‘ Und wahrlich, es schien so zu sein; denn sie ertrug die schlimmsten Schmerzen, von denen man je hörte, und es schiene mir eine Profanierung, wenn ich Euch von ihrer Geduld erzählen wollte. Aber so viel will ich Euch sagen, dass sie – sobald eine neue Schmerzwelle kam – die Augen voll Freude zu Gott erhob und sagte: ‚Dank sei dir, ewiger Bräutigam, der du mir, dem elenden Weib und deiner unwürdigen Dienerin, jeden Tag aufs Neue solche Gaben und Gnaden gewährst.‘“

Tommaso Petra berichtet uns, wie er sie besuchen ging, als er von ihrem Zustand hörte, und sie auf den harten Brettern, die ihr Lager bildeten, liegen sah in dem Raum, der bereits in ein Oratorium umgewandelt worden war. Er drängte sie, ihren Letzten Willen und ihr Testament zu verfassen, indem sie eine Lebensregel für jeden ihrer Schüler aufstellte, damit jeder wüsste, was er oder sie nach ihrem Tod tun sollte. „Lasst uns“, sagte er, „alle reich an göttlicher Liebe zurück durch diesen Letzten Willen und Euer Testament, denn ich bin gewiss, dass diese Anordnung, die ich Euch auferlege, dem Herrn gefällig ist.“[18] Auf sein Geheiß rief sie alle ihre geistlichen Söhne und Töchter, die sich damals in Rom aufhielten, zu sich und hielt ihnen „einen frommen, bemerkenswerten und fruchtbaren Vortrag“, von dem einer der Anwesenden einen schriftlichen Bericht hinterlassen hat. Es ist gleichsam eine Zusammenfassung dessen, was sie ihr ganzes Leben lang durch Wort und Tat zu lehren bemüht war.

„Als erstes sagte sie, dass sie zu Beginn ihres geistlichen Lebens erkannte, dass es, um sich Gott ganz hinzugeben und ihn ganz zu besitzen, zunächst notwendig war, ihr Herz und ihre Zuneigung von jeder sinnlichen Liebe zu jeglichem Geschöpf und jedem geschaffenen Ding außerhalb Gottes zu befreien. Denn das Herz könne Gott nicht ganz hingegeben werden, wenn es nicht frei, offen, rein und einfach sei. Sie hätte hauptsächlich danach getrachtet, dies mit großem Eifer zu tun, weil sie danach verlangte, Gott auf dem Weg des Leidens zu suchen.

Weiter sagte sie, dass sie das Auge ihres Verstandes unerschütterlich im Licht des lebendigen Glaubens behielt und es als gewiss annahm, dass alles, was ihr oder den anderen geschah, von Gott ausging, und zwar aus großer Liebe, die er für Seine Geschöpfe hegt, und nicht etwa aus Hass. Und daraus erwarb und bewahrte sie eine Liebe und Bereitschaft zum heiligen Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes und jenen ihrer Oberen, weil sie dachte, dass alle ihre Befehle von Gott kämen – entweder als notwendig für ihr Heil oder zum Wachstum der Tugend in ihrer Seele. Und sie fügte hinzu: ‚Das darf ich im Angesicht meines süßen Schöpfers sagen: Ich habe niemals im mindesten gegen den Gehorsam gesündigt, dank seiner Güte.‘

Dann sagte sie, Gott habe sie erkennen lassen, dass sie ohne das Mittel des demütigen, gläubigen und beständigen Gebetes niemals zur Vollkommenheit gelangen und in sich selbst keine wahre Tugend erwerben könne; denn: ‚dies ist die Mutter, die alle Tugenden in der Seele empfängt und nährt, und ohne sie werden sie alle schwach und versagen.‘ Sie forderte uns eindringlich auf, eifrig im Gebet zu sein, und definierte zwei Artes des Gebetes, das gesprochene und das geistige. Das gesprochene Gebet betreffend sagte sie, wir sollten uns an bestimmte Zeiten halten; das geistige Gebet dagegen solle ständig stattfinden, indem wir stets trachteten, uns selbst und die große Güte Gottes gegen uns zu erkennen. Sie sagte auch, dass es – um die Reinheit der Gesinnung zu erlangen – notwendig sei, sich völlig jedes Urteils über unsere Mitmenschen und jedes leeren Geredes über das, was sie tun, zu enthalten, sondern stets den Willen Gottes in Seinem Geschöpf zu bedenken. Mit großem Nachdruck fügte sie hinzu: ‚Auf keinen Fall dürfen wir über den Willen eines Geschöpfes urteilen. Selbst wenn wir etwas als offenkundige Sünde erkennen, dürfen wir kein Urteil darüber abgeben, sondern sollen es Gott in heiligem und echtem Mitgefühl mit demütigem und frommem Gebet darbringen.‘ Und bei einer anderen Gelegenheit, als sie wieder über diesen Punkt sprach, versicherte sie dem Vater ihrer Seele, dass ihr niemals wegen irgendeiner Verfolgung, eines Murrens, einer Verleumdung, einer Verletzung oder Beleidigung, die ihr gesagt oder auf irgendeine Weise angetan worden seien, etwas anderes in den Sinn gekommen sei, als dass jener, der so redete oder handelte, von Liebe oder Eifer für das Heil ihrer Seele dazu gezwungen worden sei. Dafür dankte sie der unermesslichen Güte Gottes, der sie durch diese Erkenntnis dank seiner Gnade vor der Gefahr bewahrt hatte, über ihren Nächsten zu urteilen.

Zuletzt sagte sie, sie hätte große Hoffnung und Vertrauen in die göttliche Vorsehung. Dazu forderte sie uns alle auf. Sie erzählte uns, dass sie deren wunderbare Größe von Kindheit an erfahren und verkostet hatte. Und sie fügte hinzu: ‚Auch ihr habt sie erfahren und in so reichem Maß erlebt, dass – selbst wenn unsere Herzen härter als Stein gewesen wären – unsere Härte und Kälte notwendig hätte aufgelöst werden müssen. Liebt also, meine Kinder, diese süße Vorsehung, denn sie wird niemanden im Stich lassen, der auf sie vertraut, und ganz besonders euch nicht.‘

Während sie uns ermahnte und uns mit einfachen Worten zu diesen und vielen anderen Dingen aufforderte, bat sie uns eindringlich um das, was unser Erlöser seinen heiligen Aposteln als sein Testament hinterlassen hatte: dass wir einander lieben sollten. Mit flammenden Worten sagte sie oftmals: ‚Liebt einander, meine Kinder, liebt einander, denn dadurch könnt ihr zeigen, dass ihr mich als Mutter hattet und verdientet – und ich werde euch als meine innig geliebten Kinder behalten. Denn wenn ihr tugendhaft seid, werdet ihr meine Ehre und meine Krone sein. Ich will die göttliche Güte bitten, die ganze Fülle der Gaben und Gnaden über euch alle auszugießen, die er geruht hat in meine Seele einströmen zu lassen.‘

Außerdem legte sie uns allen dieses Gebot auf: ‚Meine Kinder, lasst euer Verlangen niemals ermüden, was die Erneuerung und den guten Zustand der heiligen Kirche angeht. Sondern bringt – immer neu entflammt – eure Tränen mit demütigem und beständigem Gebet vor das Angesicht Gottes für diese süße Braut und für den Stellvertreter Christi, Papst Urban VI.‘ Und von sich selbst sagte sie: ‚Lange Zeit habe ich dieses Verlangen getragen; aber insbesondere seit mehr als sieben Jahren scheint es, dass Gott diese Übung und dieses brennende Verlangen in meine Seele gelegt hat. Von damals bis heute gab es keine Zeit, in der ich es nicht vor der göttlichen Güte aufgeopfert hätte, mit trauerndem und schmerzlichem und süßem Verlangen. Es hat Seiner Güte gefallen, es diesem schwachen Körper aufzuerlegen und ihn verschiedene Krankheiten und Leiden ertragen zu lassen. Aber besonders in der gegenwärtigen Zeit scheint es, dass mein lieber Schöpfer – wie er es mit Hiob getan hat – den Dämonen erlaubt hat, mich zu quälen und zu schlagen, wie es ihnen gefällt. Ich erinnere mich nicht, jemals so süße Leiden und Qualen ertragen zu haben, wie ich sie jetzt dulde. Dank sei seiner unendlichen Güte, die mich würdig macht, zum Ruhm und zur Ehre seines Namens in dieser süßen Braut zu dulden. Und jetzt, am Ende, scheint mir, dass mein liebster Bräutigam nach so glühendem und verzehrendem Verlangen, nach so vielen Leiden und körperlichen Gebrechen will, dass meine Seele dieses dunkle Gefängnis gänzlich verlässt und zu ihrem Ursprung zurückkehrt. Ich spreche nicht so, als ob ich seinen Willen mit Gewissheit erkennen könnte, sondern es scheint mir so zu sein.‘

Dann fügte sie mit Nachdruck hinzu: ‚Seid gewiss, liebste Kinder, dass ich – wenn ich diesen Körper verlasse – in Wahrheit mein Leben in der Kirche und für die Kirche verzehrt und hingegeben habe, was für mich eine ganz besondere Gnade ist.‘ Und um uns alle zu trösten, die um sie herum bitterlich weinten, sagte sie: ‚Meine Kinder, ihr solltet darüber nicht traurig sein, sondern eine einzigartige Freude und Wonne empfinden. Bedenkt, dass ich einen Ort so großer Leiden verlasse und in das friedliche Meer, den ewigen Gott, eingehen werde, um unmittelbar mit meinem liebsten Bräutigam vereint zu sein. Ich verspreche euch, dass ich dort vollkommener bei euch sein und euch mehr helfen kann, als ich es hier vermochte, da ich aus der Dunkelheit befreit und mit dem wahren und ewigen Licht vereint sein werde. Dennoch überlasse ich Leben und Tod dem Willen meines Schöpfers; denn, wenn er sieht, dass ich irgendjemandem hier noch nützlich sein kann, würde ich keine Mühe, keine Qual und keinen Schmerz scheuen. Ich wäre bereit, zu seiner Ehre und zur Rettung meiner Mitmenschen mein Leben tausendmal am Tag zu geben und jedes Mal mit schmerzlicheren Leiden, wenn das möglich wäre.‘

Nachdem sie ihre Rede beendet hatte, rief sie uns alle mit Namen an und trug jedem auf, was er – ihrem Wunsch entsprechend – nach ihrem Tod tun solle, falls es Gott gefiele, dass sie jetzt sterben werde. Jeder nahm in Demut und Verehrung ihren Auftrag an. Dann bat sie uns alle demütig, ihr zu verzeihen, wenn sie uns durch ihre Lehre und ihr Leben kein tugendhaftes Beispiel gegeben und uns mit ihren Gebeten vor Gott nicht so geholfen hätte, wie sie konnte und sollte, und wenn sie unsere Bedürfnisse nicht in dem Maß erfüllt habe, wie sie verpflichtet wäre, und für jeden Schmerz, jeden Kummer und jede Sorge, zu denen sie uns Anlass gegeben habe, indem sie sagte: ‚Jedes Versagen geschah durch meinen Mangel an Wissen. Aber ich bekenne aufrichtig im Angesicht Gottes, dass ich immer ein starkes und glühendes Verlangen nach eurer Vollkommenheit und eurem Heil in mir getragen habe und noch trage. Wenn ihr, meine innig geliebten Kinder, dem folgt, werdet ihr, wie ich sagte, meine Krone und meine Ehre sein.‘ Und am Ende, während wir alle weinten, segnete sie jeden einzelnen auf ihre übliche Art in Christus.“[19]

Am Abend des Karsamstags, dem 24. März, traf Fra Bartolommeo di Domenico in Rom ein. Er war damals Prior von San Domenico in Siena und war von seinem Provinzial in Angelegenheiten des Ordens geschickt worden. Da er nichts von Caterinas Krankheit wusste, ging er sofort zu ihrem Haus und war entsetzt über ihr verändertes Aussehen. Nur mühsam, indem er sein Ohr zu ihrem Mund beugte, konnte er sie flüstern hören, dass es ihr dank der Gnade unseres lieben Erlösers gut ginge. Am nächsten Morgen, es war der Ostertag, feierte er in ihrem Zimmer die heilige Messe. Zum großen Erstaunen und Trost aller erhob sie sich ohne fremde Hilfe von ihrem Lager und empfing zusammen mit ihren geistlichen Kindern das Allerheiligste Sakrament aus seinen Händen. Anschließend fiel sie wieder in ihren regungslosen Zustand zurück, hatte aber die Sprache so weit wiedererlangt, dass sie sich, während der wenigen Tage, die er in Rom blieb, frei mit ihm unterhalten konnte. Schließlich rief die Pflicht Bartolommeo zurück, und sie hieß ihn nach Siena zurückkehren und erteilte ihm ihren letzten Auftrag, er solle sich zum ständigen Begleiter von Fra Raimondo machen, der in Kürze zum Generaloberen des Ordens gewählt werden würde. Der Mönch bat sie daraufhin, wenn es der Wille Gottes sei, dass er gehen solle, so möge sie von ihm als Zeichen erbitten, dass er sie zuerst wieder gesund sehen könne. So kam es, dass er sie am nächsten Tag fröhlich und munter vorfand wie in alten Tagen, als sie die Schmerzen in ihrer Seite hatte. Sie streckte ihre Arme aus, umarmte ihn zärtlich und bat ihn erneut zu gehen. „Ich aber, wenn ich mit dem Propheten sprechen darf, wurde vom Herrn getäuscht und beschloss, mich auf den Weg zu machen. Ich reiste also ab; aber nachdem ich meinen Konvent in Siena erreicht hatte, wurde ich von einem ihrer Söhne durch einen Brief informiert, dass sie am gleichen Tag, nicht lange nach meiner Abreise, in den Zustand der Bewegungsunfähigkeit von Leib und Gliedern, in dem sie sich zuvor befunden hatte, zurückgefallen war. Wenige Tage später – wie die Legenda berichtet – ging sie aus diesem sterblichen Leben und dem Tal der Tränen selig hinüber in die langersehnte, süße Umarmung ihres Bräutigams.“[20]

Einige Tage nach Bartolommeos Abreise traf Stefano Maconi endlich in Rom ein. Caterinas letzter Brief an ihn – in dem sie ihn halb spielerisch aufforderte, herzukommen, da sie ihm sonst keine Ablässe mehr erwirken und auch sonst nichts mehr für ihn tun würde, und in dem sie sich erstaunt, vielleicht auch ein wenig verletzt zeigte über die Nachricht, dass er beabsichtige, Mönch zu werden (wovon er ihr nichts erzählt hatte) – enthielt keinerlei Hinweis auf ihr nahendes Ende.[21] Aber er hatte von den anderen von ihrem Zustand gehört, und als er nachts in großem Kummer in der Krypta des Ospedale betete, hatte er eine Stimme gehört: „Geh nach Rom, denn die Zeit des Heimgangs deiner lieben Mutter steht bevor.“ Es war nun seine Aufgabe, den wohl letzten Brief zu schreiben, der in ihrem Namen verfasst wurde: „Schreibe, mein Sohn Stefano“, sagte sie, „nach Siena an Fra Bartolommeo, dass der Herr sich meiner erbarmt und er und alle seine Gefährten in San Domenico den Bräutigam Jesus innig bitten sollen, dass er mich mein Leben aufopfern lässt, bis hin zum Vergießen meines Blutes zu seinem Ruhm, um das Antlitz der Kirche zu erleuchten.“[22]

Der Tod kam am 29. April, dem Sonntag vor Christi Himmelfahrt, nach langem und andauerndem Leiden. Einige Stunden vor Tagesanbruch wurde die gesamte geistliche Familie zusammengerufen, und Giovanni Tantucci erteilte ihr die Absolution, a culpa et a poena, um [349/350] den vom Papst in der Todesstunde gewährten Ablass zu erhalten. Als es Tag wurde, spendete ihr der Abt von Sant‘ Antimo, dessen Verfehlung ihm schon verziehen worden war, die letzte Ölung.

Caterina lag wie bewusstlos da. Aber kurz nachdem sie die Salbung erhalten hatte, begann sie sich völlig zu verändern und Kopf und Arme zu bewegen, als ob sie einen letzten und besonders schrecklichen Angriff der bösen Geister erdulden müsste. Das dauerte beinahe zwei Stunden. Immer und immer wieder sagte sie: „Peccavi, Domine, miserere mei“ [Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt.] und: „Credo, credo“ [Ich glaube, ich glaube.]. Und dann, nachdem sie eine Weile still gewesen war, als ob sie eine gegen sie vorgebrachte Anschuldigung hörte, antwortete sie mit fröhlichem Antlitz: „Niemals Eitelkeit, sondern stets den wahren Ruhm und das Lob des gekreuzigten Jesus Christus.“ Dann, als ob sie einen Sieg errungen hätte, war ihr Gesicht plötzlich völlig verwandelt, ihre Augen strahlten, „und es schien, als wäre sie aus einem tiefen Abgrund herausgetreten.“ Sie halfen ihr, sich aufzusetzen, und während sie sich auf Monna Alessa stützte, in deren Armen sie gelegen hatte, und ihre Augen auf das Kruzifix gerichtet hielt, begann sie von der Güte Gottes zu sprechen und eine Generalbeichte abzulegen, in der sie sich insbesondere der Nachlässigkeit beim Versuch, die Seelen zu retten und die Kirche zu erneuern sowie des Undanks für die göttlichen Gaben bezichtigte. „Ich habe die unzähligen Gaben und Gnaden so vieler süßer Qualen und Leiden, wie es Dir gefallen hat, diesem schwachen Leib aufzuerlegen, nicht geschätzt. Deshalb habe ich sie nicht mit demselben brennenden Verlangen und der Liebe ertragen, mit der Du sie mir gegeben hast.“ Dann bat sie nochmals um den Ablass a culpa et a poena und sagte, er sei ihr sowohl von Papst Gregor als auch von Papst Urban gewährt worden. „Sie sprach“, schreibt Barduccio, „wie eine, die nach dem Blut Christi dürstet.“ Sie wandte sich an diejenigen ihrer geistlichen Kinder, die bei der Rede, die sie „viele Tage zuvor“ gehalten hatte, nicht anwesend gewesen waren, und sagte nun zu jedem von ihnen (so wie sie es auch mit den anderen getan hatte), was er nach ihrem Tod tun solle. Sie zeigte mit dem Finger auf Stefano und sagte: „Und dir befehle ich kraft heiligen Gehorsams im Namen Gottes, unter allen Umständen in den Kartäuserorden einzutreten, denn dazu hat Gott dich berufen und erwählt.“ Mit großer Demut bat sie alle um Verzeihung für die – wie es ihr schien – geringe Sorge um ihr Seelenheil, richtete einige Worte an einen römischen Schüler namens Lucio und zuletzt zu Barduccio und kehrte dann zu ihren Gebeten zurück. Den Rest soll uns Barduccio berichten:

„O hättet Ihr gesehen, mit welcher Ehrerbietung und Demut sie viele Male den Segen ihrer betrübten Mutter empfing! Wahrlich, ich sage Euch, Ihr hättet den süßen Kummer mitempfunden. O was für ein heiliger Augenblick, zu sehen, wie sich diese untröstliche Mutter ihrer gesegneten Tochter anempfahl und um ihren Segen bat und ihn erhielt! Sie rührten unsere Herzen. Insbesondere bat die Mutter die Tochter, für sie die Gnade von Gott zu erflehen, damit sie ihn in ihrem tiefen Kummer nicht beleidige. Alle diese Dinge hielten sie nicht von ihren Gebeten ab, sondern sie sprach unablässig von Gott und betete weiter. Als ihr Ende näher rückte, sprach sie besondere Gebete für die heilige Kirche, wobei sie wiederholte, dass sie für sie ihr Leben hingeben wolle. Hierauf betete sie für Papst Urban VI., den sie eindringlich als den wahren Papst bezeichnete, und forderte ihre Kinder auf, ihr Leben für diese Wahrheit hinzugeben. Dann betete sie voll innerer Glut für alle ihre geliebten Kinder, die Gott ihr aus Liebe anvertraut hatte – dabei gebrauchte sie viele Worte, die unser Erlöser verwendete, wenn er zu seinem Vater für seine Apostel betete. Sie betete so inständig, dass nicht nur unsere Herzen, sondern die Steine selbst hätten zerbrechen müssen. Mit dem Zeichen des Kreuzes segnete sie uns alle. So näherte sie sich dem langersehnten Ende, verharrte beständig im Gebet und sagte: ‚Herr, du rufst mich zu dir, und ich komme zu dir, nicht durch meine eigenen Verdienste, sondern allein durch deine Barmherzigkeit, die ich von dir kraft deines Blutes erbitte.‘ Zuletzt rief sie mehrere Male laut: Sangue, Sangue! Schließlich sagte sie nach dem Beispiel unseres Erlösers: ‚Vater, in deine Hände empfehle ich meine Seele und meinen Geist.‘ Und so neigte sie selig und mit engelgleichem Antlitz ihr Haupt und gab ihren Geist auf.“[23]

Es war um die Mittagszeit, „die sechste Stunde, das heißt, der Höhepunkt des Tages“, wie Dante es ausdrückt, als Caterina so in die Umarmung ihres göttlichen Bräutigams überging. Stefano trug den Leichnam zur Minerva-Kirche, wo er bis zum Abend des Dienstags, dem 1. Mai, zur Verehrung durch das Volk aufgebahrt lag und nach Ansicht der Menschen unzählige Wunder an Seele und Leib derer wirkte, die sich ihm näherten. In der Absicht, ihre Verehrung stärker zu entfachen, trat Giovanni Tantucci auf die Kanzel und versuchte, sich an die Anwesenden zu wenden. Aber der Lärm der Menschenmenge war so groß, dass er sich kein Gehör verschaffen konnte. Er rief mit lauter Stimme: „Ich hatte die Absicht, etwas zum Lobpreis dieser heiligen Jungfrau zu sagen, aber es ist offenkundig, dass sie unsere Ansprachen nicht braucht, denn ihr ewiger Bräutigam erklärt selbst ihre Verdienste und ehrt sie auf seine Weise.“ Dann stieg er herunter und mischte sich unter die Menge. Urban selbst ordnete an, dass das Begräbnis mit höchster kirchlicher Festlichkeit durchzuführen sei, und Giovanni Cenci, der Senator vom Rom, ließ ein weiteres Requiem im Namen des römischen Volkes mit gleicher Feierlichkeit halten. So schienen sich das Papsttum und die Republik Rom für einen kurzen Augenblick in Harmonie und Eintracht an Caterinas Grab zu treffen.



[1] Im Casanatense, MS. 2422, heist es noch: „Di frate Raimondo abiamo buone novelle, che egli sta bene, et lavora molto forte per la santa Chiesa.“ – „Von Fra Raimondo haben wir gute Nachrichten, es geht ihm gut und er arbeitet eifrig für die heilige Kirche.“

[2] Brief 364 (21).

[3] Brief 370 (22), korrigiert nach dem Harley-MS., bei der ich lese: „della risposta che v‘ ha fatta l‘ empio prefetto, drittamente empiuto d‘ ira“, – „der Antwort des gottlosen Präfekten, der geradezu von Zorn erfüllt war, etc.“ Im weiteren Verlauf bezieht sich Caterina auf eine Beleidigung eines sienesischen Botschafters. Die Sieneser hatten versucht, Frieden zwischen dem Papst und dem Präfekten zu stiften. Vgl. Cronica Sanese, S. 265. Augusta Drane (II. S. 235, 236) hat den Hinweis der Heiligen auf die römische Ratsversammlung seltsamerweise missverstanden und falsch übersetzt.

[4] Das heißt, wenn Fra Tommaso Caffarini Recht hat, wenn er ihn mit jenem identifiziert, der von Caterina selbst im Brief 373 (102) erwähnt wird, worüber er sich nicht ganz sicher zu sein scheint. Supplementum, III. i. (Casanatense, MS. 2360), S. 132–134.

[5] Vgl. Legenda, III. ii. 2–4 (§§ 345, 346); Gobelinus Persona, Cosmodromium, Kap. 76. Die Schilderungen dieser Ereignisse bei Raynaldus, vii. S. 389, und Maimbourg, I. S. 147, 148, sind lediglich von Gobelinus übernommen worden; jene von St. Antoninus, III. S. 714, 175, basieren auf der Legenda. Raynaldus und Maimbourg datieren sie in der zweiten Jahreshälfte 1379, aber Caterina scheint im Brief 373 (102) zu implizieren, sie hätten sich am 2. Februar 1380 zugetragen. Wir lesen im Anonimo Fiorentino, S. 401, 402, unter dem Datum 10. Oktober 1379 von einem früheren Tumult, wo es heißt, dass das römische Volk Giovanni Cenci zum Tribun von Rom ernannt hätte: „E ‘l Papa ebbe gran paura. Onde la cosa si riposò in questo tribuno.“ – „Der Papst hatte große Angst, und so wurde die Sache durch diesen Tribun wieder abgebrochen.“ 1380 wurde Giovanni Cenci zum Senator von Rom ernannt.

[6] Stando in su la corda due giorni – sich zwei Tage in den Stricken befindend, wörtlicher, „zwei Tage auf dem strappado“ [Streckbett], die Methode des Gefangenenverhörs im mittelalterlichen Italien. Ich zitiere das landessprachliche Original dieses Briefes, das sich im Anhang der frühen venezianischen Editionen des Dialogo findet.

[7] [„… Sunday of Sexagesima, on which day there were, as in brief I am writing you in the other letter, those mysteries which you shall hear.“ Mit dem „anderen“ Brief könnte nur das Fragment Br. 371 vom 15. Februar 1380 gemeint sein. – Im Volpato-Text heißt es nur: „come in breve vi scrivo, quelli misterii che udirete, …“ Noffke übersetzt: „… Sexagesima Sunday. That is the Sunday on which the events I am briefly writing you about took place, the mysteries you will hear.”]

[8] Sie bezieht sich auf ihren Trancezustand oder mystischen Tod im Jahr 1370. Vgl. Kap. V.

[9] Tommaso Petra, damals einer der päpstlichen Sekretäre.

[10] D.h., die päpstlichen Instruktionen, von denen einige – adressiert an Raimondo in Genua – im Archivio Vaticano, Reg. 310, aufbewahrt sind.

[11] Brief 373 (102). Ich zitiere aus dem umfangreicheren und genaueren Text des Casanatense MS. 292.

[12] Dieser Abschnitt im Plural richtet sich an Caterinas Nachfolger im Allgemeinen, tutti quelli ch ti seguitano et seguiteranno [alle, die dir folgen und folgen werden], während quella ch‘ io ho posta che vi governi [die, die Ich bestimmt habe, euch zu leiten] Caterina selbst meint. Der Wechsel von „dir“ zu „euch“ und zurück vom „euch“ zu „dir“ wird so klar.

[13] Ma altri verrà che con amore l‘ accompagnerà e la riempierà. Dass die zeitgenössischen Jünger Caterinas den Satz so verstanden haben, geht aus der Übersetzung Fra Tommaso Caffarinis hervor: Sed alius veniet qui cum amore eum associabit et replebit Ecclesiam. Im Italienischen könnte es ebenso gut bedeuten: „Es wird ein anderer kommen, der sie in Liebe begleiten und wieder mit ihr erfüllen wird.“ Vgl. Dante, Purg. vi., 114. In jedem Fall handelt es sich einfach um die typische mittelalterliche Prophezeiung des idealen Papstes, des papa angelico, der die Kirche erneuern und reformieren soll.

[14] Das war offenkundig der Gegenstand des Briefes an drei Kardinäle, den sie sich nicht in der Lage fühlte zu schreiben.

[15] Das heißt, im Jahr 1370.

[16] E il dì che in fede fu sposata l‘anima mia. – „Und der Tag, an dem meine Seele im Glauben vermählt wurde.“ So lautet der Text im Casanatense MS., mit dem Fra Tommasos lateinische Version übereinstimmt.

[17] Brief 371 (103), korrigiert und ergänzt durch das Casanatense MS. 292. Eine lateinische Version von Fra Tommaso Caffarini findet sich in seinem Supplementum, III. I, I (Casanatense, MS. 2360), S. 123–126 v.

[18] Tommaso Petras Brief an Fra Bartolommeo ist – mit einigen geringfügigen Varianten – sowohl im Supplementum [III, 4, 2] als auch im Processus enthalten [Prozess, S. 514–518].

[19] Dieser Text wurde zuerst von Gigli als Anhang zum Dialogo veröffentlicht, offenkundig nach einem zeitgenössischen Manuskript. Vgl. Legenda, III. iv. 1–5 (§§ 360–364). Aus Barduccios Brief an Suor Caterina wird deutlich, dass sich das viele Tage vor ihrem Tod ereignete, bevor sowohl Fra Bartolommeo als auch Stefano Maconi nach Rom gekommen waren.

[20] Processus, S. 1358–1361 [Prozess, S. 509–513].

[21] Brief 369 (263).

[22] Barth. Senensis, op. cit., Lib. I. Kap. 11, 12. Vgl. Augusta Drane, II. S. 258–260.

[23] Lettera cit., di Barduccio di Piero Canigiani a suor Caterina Petriboni; Leggenda minore, S. 163 ff.; Legenda, III. iv. 6 (§ 365); Epist. Domni Stephani, § 7.