Brief 68 – An Madonna Bandeçça Bocchino
Bandeçça di Giovanni de‘Rossi, eine vornehme Dame aus Florenz, war die Gattin des Bocchino de‘Belforti, des Herrn von Volterra. Der Versuch der Belforti-Familie,[2] in Volterra eine Signorie zu errichten, scheiterte am Widerstand von Florenz, das ihrerseits die Vorherrschaft erstrebte und den Volksaufstand von 1361 unterstützte. Aufgebracht durch das Gerücht, Bocchino beabsichtige, Volterra um 32 000 Gulden an Pisa zu verkaufen, nahmen ihn die Aufständischen am 5. September gefangen und übergaben ihn zusammen mit seiner Gattin und den Kindern den Florentinern. Am 10. Oktober 1361 wurde er auf der Piazza dei Priori öffentlich enthauptet. In seinem am selben Tag verfassten Testament bestimmte er seinen Bruder Roberto und die Söhne Giovanni, Corsino, Filippo, Attaviano und Bartolomeo als Erben.[3]
Von diesen fünf Söhnen hatte Bandeçça in den folgenden Jahren vier verloren, so dass ihr schließlich nur noch ihr Sohn Filippo geblieben war. Als Caterina davon erfuhr, schrieb sie (vermutlich Anfang des Jahres 1378 nach ihrer Ankunft in Florenz) an die Witwe, die nun wieder in der Arno-Stadt lebte, um sie zu trösten und zu ermutigen. Caterina verweist auf die liebevolle Vorsehung Gottes, die alles so fügt und zulässt, wie es für das ewige Heil der Seele am besten ist. Im Blick auf die Ewigkeit, die vor uns liegt, lässt sich die Last dieser kurzen Erdenzeit ertragen.
Gott läßt es zu aus Liebe
Anfang 1378
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus.[4]
Liebste und teuerste Mutter und Schwester in Jesus Christus. Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch, um Euch in seinem kostbaren Blut zu bestärken. Ich möchte, dass Ihr den alten Menschen ablegt und den neuen Menschen anzieht,[5] indem Ihr Euch mit der Geduld des neuen Menschen, des gekreuzigten Christus, bekleidet – denn Ihr wisst, dass wir ohne Geduld Gott nicht gefallen können.
Daher lade ich Euch sehr herzlich zu dieser wahren Geduld ein. Denn wenn wir keine Geduld haben, sind wir noch mit dem alten Menschen, das heißt mit der Sünde, bekleidet. Wir haben unsere Freiheit verloren und sind nicht im Besitz der Stadt unserer Seele, da wir uns vom Zorn beherrschen lassen.[6] Nicht so diejenigen, die Geduld haben, denn sie beherrschen sich selbst. So hat unser lieber Erlöser gesagt: „In der Geduld werdet ihr Eure Seelen gewinnen.“[7]
O süße Geduld, voller Freude und Glück! Wenn die Geduld aus der Liebe hervorgeht – wenn sie also für Gott jedes Leid erträgt, sei es im Leben oder sei es im Tod, wie auch immer Er es zulassen mag –, dann wird unter dem Joch der Geduld, die mit dem süßen Willen Gottes erworben wurde, alles Bittere süß und jede schwere Last leicht.[8] Dieses heilige und süße Kleid zieht die Seele also an, wenn sie sich mit Gottes Willen bekleidet, der nichts anderes als unsere Heiligung will.[9] Was immer er zulässt und was er uns schenkt, geschieht zu unserem Besten und damit wir in ihm geheiligt werden. Es sollte Euch also nicht schwer erscheinen, liebste Mutter und Schwester in Christus, dem lieben Jesus: denn der Arzt des unvergänglichen Lebens ist in die Welt gekommen, um unsere Krankheiten zu heilen. Er handelt tatsächlich so wie ein richtiger Arzt.[10] Um unsere Gesundheit zu bewahren, gibt uns (der weltliche Arzt) bittere Medizin und nimmt uns Blut ab. Und der Kranke nimmt alles auf sich, weil er Wert legt auf seine Gesundheit. O weh! Und warum behandeln wir dann den himmlischen Arzt schlechter? Er will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehrt und lebt.[11] Deshalb ist das, geliebte Mutter, was der liebe Jesus uns verabreicht, zwar bitter für unsere Empfindung, nicht aber für unseren Verstand. Und wenn er uns unsere Kinder, unsere Gesundheit, unseren Wohlstand oder sonst irgendetwas wegnimmt, dann nimmt er uns Blut ab.[12] Tröstet Euch also, denn er hat es nicht getan, um Euch den Tod zu geben, sondern um Euch das Leben zu schenken und Euer Heil zu bewahren.
Darum bitte ich Euch um der Liebe seines süßen Blutes willen, das in so überreichem Maße für unsere Erlösung vergossen wurde, dass Ihr Euch in Wahrheit mit der Tugend der Geduld bekleidet, auf dass sich der Wille Gottes in Euch erfüllt und all diese bitteren Dinge zu Eurer Heiligung dienen, wie es dem Willen Gottes entspricht.
Ich möchte nicht, liebste Mutter, dass Ihr von Eurem noch lebenden Sohn so denkt, als wäre er Euer Eigentum, denn er gehört nicht Euch (sonst würden wir uns wie Diebe verhalten). Betrachtet ihn vielmehr als Leihgabe, die Euch Euretwegen anvertraut ist. Ihr wisst sehr wohl, dass es so ist. Denn wenn er Euch gehören würde, dann könntet Ihr ihn behalten und nach Eurem Willen behandeln. Da er Euch aber nur geliehen ist, müsst Ihr ihn wieder zurückgeben, wenn es dem süßen Meister der Wahrheit, der alles, was ist, schenkt und geschehen lässt, so gefällt. O unermessliche Liebe! Wie groß ist Deine Geduld zu den verhärteten und unwissenden Herzen, die das, was Dein ist, für sich besitzen wollen und die sich über das beklagen, was Du für Ihr eigenes Wohl getan hast! Lasst uns nicht so handeln, um der Liebe Gottes willen, sondern geduldig annehmen, was er uns auferlegt.
Wenn Ihr mir jetzt sagt: „Ich kann meine Empfindungen nicht dazu bringen, dem zuzustimmen,“ so möchte ich, dass Ihr den Verstand stärker sein lasst und drei Dinge[13] beachtet: Erstens, wie kurz die Zeit ist. Zweitens, dass es der Wille Gottes ist, dass er Eure Söhne zu sich genommen hat, wie Ihr mir mitgeteilt habt. (Als ich davon hörte, habe ich mich darüber um ihres Heiles willen gefreut. Ich hatte zwar auch ein wenig Mitleid mit Euch, dennoch freue ich mich mehr über die Früchte, die Ihr aus diesem Leid ziehen könnt.) Drittens, wieviel Schaden aus der Ungeduld erwachsen würde.[14] Tröstet Euch also, denn die Zeit ist kurz, die Last gering und der Ertrag groß.
Der Friede Gottes sei mit Euch.
Caterina, die unwürdige Magd, empfiehlt sich Euch.
[1] Einige Handschriften haben im Titel noch als Vermerk „essendo in Firenze“. Dieser Hinweis auf den gegenwärtigen Aufenthalt in Florenz meint vermutlich die Adressatin, könnte sich aber ebenso auf Caterina beziehen, die Anfang des Jahres 1378 im Auftrag Papst Gregors XI. nach Florenz kam, oder es sind beide Personen damit gemeint.
[2] Rudolf Borchardt bringt mit dem dramatischen Monolog „Die Beichte des Bocchino Belforti“ (in: ders., Rudolf Borchardts Schriften, Poetische Erzählungen, Berlin 1923, 29–44; verlängerte Fassung in dem Band Gedichte, 398–413) ein an den historischen Quellen orientiertes Sittengemälde dieser Familie.
[3] Vgl. Ottavio Banti, Belforti, Paolo, detto Bocchino, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Vol. 7, Roma 1970.
[4] Der Codex T.II.3 (Siena, Stadtbibliothek) ergänzt: „und der lieben Maria“. Unüblich sind auch die folgende Briefeinleitung und der Briefschluss.
[5] Vgl. Eph 4,22–24; Kol 3,9–10.
[6] Vgl. Kol 3, 5–8: „Darum tötet, was irdisch an euch ist ... Zorn, Wut und Bosheit.“ Vgl. Br. 177 an Kardinal Pietro Corsini nach Avignon: „Lasst es zu, dass sich die Stadt Eurer Seele ergibt: Und wenn es aus keinem anderen Grund geschieht, so muss sie sich doch dem Feuer ergeben – denn Christus hat überall Feuer gelegt. Und wohin auch immer Ihr Euch wendet, sei es körperlich oder geistlich: Ihr werdet dem Feuer der Liebe begegnen.“
[7] Lk 21,19
[8] Für gewöhnlich spricht Caterina vom „Joch des Gehorsams“. Dieser hier einmalig verwendete Ausdruck „Joch der Geduld“ unterstreicht die enge Verwandtschaft, die für Caterina zwischen Liebe, Gehorsam, Geduld und Demut besteht. Vgl. Br. 84 an Filippo di Vanuccio und Niccolò di Pietro da Firenze: „O teuerste Söhne, wie süß ist doch diese liebliche Tugend des bereitwilligen Gehorsams! Jede Mühsal wird dadurch genommen, denn der Gehorsam gründet in der Liebe. Die Liebe aber will Geduld und Demut, weil die Demut die Amme der Liebe ist.“ Vgl. dazu auch Dialog 159.
[9] 1 Thess 4,3.
[10] In Caterinas Vorstellung handelt Christus, der Arzt, so, wie es für den Patienten am besten ist, sei es mit Salben, mit schmerzenden „Eingriffen“ oder mit bitterer Medizin: „Denn er ist der Arzt, und wir sind die Kranken. Daher müssen wir die Medizin nach seinem Willen einnehmen. Es wäre doch dumm und töricht, wollten wir sie nach unserem Willen einnehmen, so als ob wir mehr wüssten als Gott“ (Br. 340 an Agnesa da Toscanella). In Br. 260 an die Gefangenen in Siena verbindet Caterina das Bild vom Arzt mit dem Bild einer Amme: „Er kam als Arzt ... und hat uns sein Blut als Heilmittel gegeben. ... Er hat unsere Krankheiten auf sich genommen ... und handelte wie eine Amme, die einen Säugling nährt. Wenn das Kind krank ist, nimmt sie selbst die Arznei, denn das Kind ist zu klein und schwach, um die Bitterkeit zu ertragen, weil es nur Milch trinken kann. O Jesus, höchste Liebe! Du bist die Amme, die die bittere Arznei nahm, indem Du Schmerzen, Ungnade, Todesangst und Schmähungen auf Dich genommen hast...Uns hältst Du an Deine Brust wie eine Amme, um uns die Milch der göttlichen Gnade zu geben, und Du nahmst die Bitterkeit. Und auf diese Weise wurden wir gesund.“
[11] Vgl. Ez 33,11.
[12] Gemeint als Aderlass
[13] Von diesen „drei Dingen“ spricht sie auch im Brief an ihren Bruder Benincasa (Br. 18).
[14] Vgl. Br. 5 an Francesco da Montalcino: „lasst uns mutig ... mit großer und heiliger Geduld am Banner des heiligen Kreuzes festhalten in dem Wissen, dass die Zeit kurz und die Mühe gering ist, aber der Lohn und die Früchte groß sind