Brief 5 – An Francesco da Montalcino
Francesco da Montalcino, Doktor in Zivilrecht, war Dozent an der Universität von Siena und ein Freund des Kanonisten Federigo Petrucci. Wie aus einem Brief an den Abt von Sant’ Antimo hervorgeht,[1] war Caterina mit Francescos Gemahlin, Monna Moranda, gut bekannt. Sie ist vermutlich auch jene Person, die Giovanni Colombini und Domenico da Monticchiello in ihren Briefen als großzügige und fromme Frau erwähnen.
Francesco ist offenbar schwer krank geworden, wie aus dem Brief hervorgeht. Caterina schreibt aus Rom, sie ermutigt ihn zur Geduld und zu einem tapferen Ja zum Willen Gottes. So kann auch die Krankheit zur Gnade werden, denn „sie reinigt uns von den begangenen Sünden.“
Nehmt die Krankheit an!
Dezember 1378
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria.
Lieber Bruder in Christus, dem lieben Jesus. Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut mit dem Wunsch, Euch in der wahren und heiligen Geduld gegründet zu sehen; denn ohne die Geduld könnten wir Gott nicht gefallen, ja, wir würden noch in diesem Leben die Hölle verkosten.
O wie töricht wäre der Mensch, wenn er die Hölle verkosten wollte, wo er doch das ewige Leben haben kann! Denn wenn ich recht sehe, so ist das ewige Leben nichts anderes als der fügsame Wille, der mit dem heiligen Willen Gottes übereinstimmt und ihm unterworfen ist! Ein solcher Mensch kann nichts anderes wünschen oder wollen als das, was Gott will, und jegliche Freude, die die wahrhaft Frohen[2] besitzen, beruht auf diesem fügsamen Willen. Das Gegenteil ist bei denen, die in der Hölle sind. Ihr böser, verkehrter Wille verbrennt und verzehrt sie; er bereitet ihnen grausame Qualen durch Ungeduld, Hass und Groll, die in ihnen nagen und sie traurig machen. Und das alles nur wegen ihrer Unwissenheit und Blindheit. Denn wären sie in diesem Leben weise gewesen, als sie noch in der Zeit der Gnade lebten (das heißt, als sie noch fähig waren, die Gnade zu empfangen), so hätten sie, wenn sie gewollt hätten, diese Blindheit und Unwissenheit vermieden.
O liebster Bruder, vereint Euch mit diesen wahrhaft Frohen,[3] die in diesem Leben Gott zu kosten beginnen, indem sie eines Willens mit ihm sind. Denn die einzige Quelle unserer Leiden ist, dass wir das wollen, was wir nicht haben können. Wenn unser Wille Ehre, Reichtum, Vergnügen, Ansehen oder leibliche Gesundheit liebt – und wenn er sie durch ungeordnetes Verlangen wünscht und ersehnt, aber dann doch nicht haben kann oder sogar oft das verliert, was er hat –, dann empfindet er starke Schmerzen, weil er sich selbst in ungeordneter Weise liebt. Also ist es der Wille, der bewirkt, dass er Schmerz erfährt. Nehmt mir deshalb meinen Eigenwillen – und all meine Qual hat ein Ende.
Wie aber können wir diesen Eigenwillen loswerden? Indem wir unseren alten Menschen ablegen und den neuen Menschen anziehen, den ewigen Willen des Mensch gewordenen Wortes Gottes.[4] Und wenn Ihr wissen wollt, was dieser süße Wille Gottes möchte, dann fragt den Apostel Paulus, der sagt, dass er nichts anderes möchte als unsere Heiligung.[5] Und was immer er uns gibt oder zulässt, sei es Qual oder Krankheit, gibt und gewährt er uns mit einem großen Geheimnis zu unserer Heiligung und zu unserem Heil.
Wir sollten daher über das, was unserem Heil dient, nicht unwillig werden, sondern dafür danken und bedenken, dass wir diese große Gnade, für den gekreuzigten Christus zu leiden, gar nicht verdienen. Das heißt, wir sollten daran denken, dass wir zwar die Frucht nicht verdienen, die auf die Mühsal folgt, wohl aber die Mühsal selbst aus Missfallen und Hass über uns selbst und über diesen sinnlichen Teil in uns, der sich gegen seinen Schöpfer aufgelehnt und ihn beleidigt hat.[6]
Und wollten wir sagen: „Diese Sinnlichkeit aber will die Mühsal keineswegs ertragen“, dann sollen wir sie zügeln durch eine heilige und süße Erinnerung an den gekreuzigten Christus, indem wir ihr zureden und drohen: „Meine Seele, ertrage es heute. Morgen ist vielleicht dein Leben zu Ende. Bedenke, dass du sterben musst und nicht weißt, wann.“ Wenn wir es recht betrachten, ist die Mühsal nur so groß und lange wie die Zeit – und die Zeit des Menschen nur so viel wie eine Nadelspitze, nicht mehr. Wie können wir also sagen, dass die Mühsal groß ist? Das dürfen wir nicht sagen, denn es ist nicht so. Und wenn diese sinnliche Leidenschaft trotzdem den Kopf hochhebt, dann jagt ihr Furcht und Liebe ein und sagt: „Schau, die Frucht der Ungeduld ist die ewige Strafe; und am jüngsten Tag des Gerichts wirst du mit mir zusammen bestraft.[7] Es ist also besser für dich, das zu wollen, was Gott will, und das zu lieben, was Gott liebt, als das zu wollen, was du willst und dich mit sinnlicher Eigenliebe zu lieben. Ich will, dass du sie mutig erträgst und daran denkst, dass die Leiden in diesem Leben nicht zu vergleichen sind mit der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott denen bereitet hat, die ihn fürchten und sich mit seinem heiligen Willen bekleiden.“[8]
Denkt darüber nach, liebster Bruder und Vater! Wenn wir uns so zur Verantwortung gezogen haben und erkennen, dass wir (aus uns) nicht sind (weil jedes Sein von Gott kommt), finden wir seine unschätzbare Liebe. Wir erkennen, dass er uns nach seinem Bild und Gleichnis schuf aus Liebe – und nicht aus Schuldigkeit –, damit wir an der höchsten und ewigen Schönheit Gottes teilhaben und sie genießen können; das ist das einzige Ziel, für das wir geschaffen wurden.
Die liebe Erste Wahrheit zeigte uns dies (dass er den Menschen für kein anderes Ziel erschaffen hat), als er am Holz des heiligsten Kreuzes starb, um für uns dieses Ziel wiederzuerlangen, das wir verloren hatten. Er öffnete seinen Leib, aus dem der Reichtum des Blutes aus allen Teilen mit solch flammender Liebe entströmte, dass sich jede Herzenshärte erweichen und jede Ungeduld verflüchten und in vollkommene Geduld verwandeln muss. Nichts ist so bitter, als dass es im Blut des Lammes nicht süß würde; nichts ist so schwer, als dass es nicht leicht würde.
Schlafen wir also nicht länger! Lasst uns mutig die uns noch verbleibende Zeit nutzen, indem wir uns am Banner des heiligen Kreuzes mit großer und heiliger Geduld festhalten in dem Wissen, dass die Zeit kurz und die Mühe gering ist, aber der Lohn und die Früchte groß sind. Ich will nicht, dass Ihr das wertvolle Gut wegen einer geringen Mühsal verliert, denn wenn Ihr jammert und klagt, wird die Mühsal nicht geringer, sondern doppelt so groß, weil Ihr den Willen auf sie richtet, indem Ihr etwas wollt, was Ihr nicht haben könnt.
Legt den Herrn Jesus Christus an, er ist ein so starkes Gewand, dass weder der Teufel noch ein Mensch es Euch gegen Euren Willen rauben kann. Er ist die höchste ewige Süßigkeit, die alle Bitterkeit vertreibt. In ihm kosten wir alle Lieblichkeit. In ihm werden wir so erfüllt, dass wir alles außer Gott für nichtig erachten. Wir freuen uns über Schmach, Verleumdung und Beleidigungen und wollen nichts anderes, als dem gekreuzigten Christus ähnlich werden. Ihm gilt unsere ganze Liebe. Je mehr wir leiden, umso mehr freuen wir uns, da wir sehen, dass das der rechte Weg ist. Nichts macht uns dem gekreuzigten Christus so ähnlich, als der Weg des süßen Leidens.
Ich will, daß Ihr mir ein tapferer Ritter seid, der um des gekreuzigten Christus willen dem schweren Schlag der Krankheit nicht ausweicht. Bedenkt, wie groß die göttliche Gnade ist, die während der Krankheit viele Laster und Fehler zügelt, die wir sonst im gesunden Zustand begehen würden. Sie reinigt uns von den begangenen Sünden, die eine unendliche Strafe verdienten, die aber Gott in seinem Erbarmen durch ein begrenztes Leiden bestraft.
Habt also Mut aus Liebe zum gekreuzigten Christus! Heftet Euch mit ihm ans Kreuz und erfreut Euch an seinen Wunden!
Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes.
Geliebter Jesus! Jesus, die Liebe!
[1] Vgl. Br. 12 an Giovanni di Gano: „Ich habe den Überbringer dieses Briefes beauftragt, Euch von Monna Moranda, der Gattin von Francesco di Montalcino, zu berichten. Sie kennt ein Mädchen, das den Wunsch hat, nach Gottes Willen zu leben, und das sie deshalb gerne in ein Kloster geben möchte, allerdings so, dass ich darüber nicht allzu glücklich bin.“
[2] Ital. i veri gustatori.
[3] Ital. veri gustatori.
[4] Vgl. Eph 4,22–24 und Röm 13,14.
[5] Vgl. 1 Thess 4,3.
[6] Nicht uns selbst sollen wir hassen, sondern nur die Sünde in uns, und auch unsere Sinnlichkeit als solche ist nicht zu verachten, sondern nur insofern sie egoistisch ist
[7] Die Seele wendet sich hier an den sinnlichen Leib.
[8] Caterina verwendet hier in freier Anpassung Röm 8,18 und 1 Kor 2,9.