Brief 43 – An Cristofano di Gano Guidini
Cristofano di Gano Guidini wurde durch Neri di Landoccio und Nigi di Doccio mit Caterina bekannt und zählte zu ihren frühen Schülern. Als Notar, nicht ohne Bildung und praktisch veranlagt, bekleidete er zunächst verschiedene Ämter in der Regierung Sienas, ehe er – unter dem Einfluss Caterinas – sich mit dem Gedanken trug, in einen Orden einzutreten. Schließlich entschied er sich aber zur Heirat (1375). Cristofano diente Caterina als Schreiber und begleitete sie auch gelegentlich. So war er während des Aufstandes in Florenz dabei, als sie sich in Lebensgefahr befand (1378). Er war auch der Überbringer jenes Briefes, den Caterina in Florenz kurz nach dem 22. Juni 1378 an Raimund geschrieben hat (Br. 295).
Nach dem Tod Caterinas übersetzte er, um ihre Verehrung zu verbreiten, den Dialog ins Lateinische,[1] sammelte zu einem großen Teil ihre Briefe, bemühte sich um ihre Kanonisation und verfasste über Caterina mehrere Gedichte. Im Pest Jahr 1390 verlor Cristofano seine Frau und sechs Kinder. Seine als einzige überlebende Tochter Nadda wurde Ordensschwester. Er selbst weihte daraufhin sein Leben ganz der Sorge für die Armen und diente als Bruder des Hospitals Santa Maria della Scala in Siena. Cristofano starb 1410 in den Armen Stefano Maconis. Über sein Leben berichtet zusammenfassend Tommaso Caffarini in seinem Supplementum.[2]
Die Umstände unter denen Caterina diesen Brief schrieb, sind detailliert beschrieben von Cristofano di Gano in seinen „Memorie“ (Erinnerungen). Beeinflusst von Caterinas Lehre wäre er den Umständen entsprechend in eine religiöse Gemeinschaft eingetreten, aber der Widerstand der Mutter hatte dies verhindert. Jetzt soll ihm Caterina raten, welche der drei in Aussicht stehenden Frauen er heiraten soll …
Was Eure Braut betrifft…
Ende Oktober 1375
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der süßen Jungfrau Maria.
Liebster und teuerster Bruder und Sohn in Christus Jesus. Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Christi, schreibe Euch im kostbaren Blut des Gottessohnes. Ich möchte Euch als einen jener treuen Söhne sehen, die immer das tun und vollbringen, was der wahre himmlische Vater meint, wenn er sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“.[3]
Es scheint also, als wünschte er, dass wir sie verlassen sollen. Ihr aber habt offenbar nicht die Absicht, dem zu folgen, da Ihr vorgebt, ihr könntet sie aus Gewissensgründen nicht zurücklassen.[4] Diese Art von Gewissen kommt aber mehr vom Teufel als von Gott, weil sie Euch abhalten will vom vollkommenen Weg des Lebens im Heiligen Geist, der Euch offensichtlich gerufen hat. Ihr mögt vielleicht sagen: „Gott befiehlt mir, ihnen (den Eltern) zu gehorchen.“ Das ist gewiss wahr, soweit sie Euch nicht von Gottes Weg abbringen. Aber wenn sie sich Euch in den Weg stellen, müssen wir mit dem Banner des heiligsten Kreuzes über ihre Leiber hinwegschreiten und unserem wahren himmlischen Vater folgen, indem wir zugleich unseren verkehrten Willen ertränken und töten.[5]
O weh! Liebster Bruder in Christus Jesus, es tut mir wahrhaft leid, dass Ihr widersteht, ohne diesen edlen Lebensweg zu kennen. Mir scheint, Ihr solltet Euch mehr ein Gewissen daraus machen, dass Ihr sie (Eure Mutter) nicht verlasst, als dass Ihr sie verlassen würdet. Aber weil es nun so ist, wie es ist, bitte ich die Höchste Ewige Wahrheit, ihre heiligste Hand auf Euer Haupt zu legen und Euch auf den Lebensweg zu führen, der ihr am wohlgefälligsten ist. Ich bitte Euch, was immer Eure Befindlichkeit ist und immer Ihr tun mögt: Haltet Euren Blick auf Gott gerichtet, sucht immer seine Ehre und das Heil der Geschöpfe und vergesst nie das Blut des Lammes, jenen Preis, der für uns mit so brennender Liebe entrichtet wurde!
Was Eure Braut betrifft, so antworte ich Euch, dass ich mich hier nicht gerne einmischen möchte, weil das mehr eine Angelegenheit der weltlichen Menschen ist, als meine. Aber ich kann Euch nichts abschlagen: Im Hinblick auf ihre Situation sind alle drei gut. Wenn Ihr meint, es würde Euch nicht stören, dass die eine schon einen Ehemann gehabt hat, könnt Ihr sie wählen – wenn Ihr nun schon das schwierige weltliche Leben vorziehen wollt. Ansonsten nehmt die Tochter des Francesco Ventura da Camporeggi.[6]
Mehr will ich nicht sagen. Ich bitte die Höchste Ewige Liebe, Euch das zu schenken, was ihr zur Ehre und Euch zum Heile dient. Möge er Euch beiden die Fülle der Gnade und seinen reichen ewigen Segen schenken.
Bleibt in der heiligen Liebe Gottes.
[1] Diese Übersetzung befindet sich im Codex T. II 4 der Stadtbibliothek Siena. Auch Stefano Maconi übersetzte den Dialog ins Lateinische. Cristofano schickte seine Übersetzung an Stefano in die Kartause von Pontignano, um sie von ihm überprüfen zu lassen. Eine weitere Übersetzung des Dialog ins Lateinische wurde auch von Raimund begonnen (ohne sie jedoch zu vollenden). Teile dieser Übersetzung wurden von Raimund in seine Legenda Maior eingebaut, wie Caffarini im Supplement bestätigt (vgl. Supplement III, 6, 2).
[2] Vgl. Supplement III, 6, 11.
[3] Vgl. Mt 10,37.
[4] Damit ist seine Mutter gemeint.
[5] Über Papst Gregors XI. Entschluss, Avignon für immer zu verlassen und nach Rom zurückzukehren und über den damit verbundenen Widerstand seiner Verwandten berichtet der Chronist, dass Gregor über seinen auf der Schwelle ausgestreckten Vater hinweggeschritten sei (vgl. Seckendorff, 123–124); Ähnliches, wenn auch umgekehrt, wird später über die hl. Johanna Franziska von Chantal erzählt: Sie sei über ihren jüngsten Sohn hinweggestiegen, als dieser sich auf die Türschwelle legte, um seine Mutter am Weggehen zu hindern. Caterina geht es bei ihrem Hinweis auf das Wort Jesu: „Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich“ nur um dieses „mehr“. Das vierte Gebot gilt unbedingt. Aber vor diesem und über allem steht die Priorität Gottes.
[6] Das ist möglicherweise ein Verwandter des Caterina-Schülers Pietro di Giovanni di Ventura.