Brief 310 – An drei italienische Kardinäle
Iacopo Orsini, Pietro Corsini und Simone di Borzano
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts war die Macht der Kardinäle auf finanziellem und politischem Gebiet so sehr angewachsen, dass sich die Päpste bei ihrer Amtsführung mehr und mehr den Wünschen des Kardinalskollegiums beugen mussten. Die Rückkehr Gregors aus Avignon nach Rom gegen den Willen der meisten seiner Kardinäle war hier schon wie ein kleines Wunder. Als aber dann Urban VI. diesem aristokratischen Machtblock der Kardinäle Grenzen setzen wollte (und dies noch dazu auf herbe und schroffe Weise), musste es zum Konflikt kommen. Dabei haben nicht nur die französischen Kardinäle Urban verlassen, sondern auch die drei italienischen (der vierte, der alte Kardinal Tebaldeschi, war noch vor der Wahl des Gegenpapstes gestorben).
Angeblich hatten die französischen Kardinäle heimlich einem jeden von ihnen die Tiara versprochen, weshalb auch keiner von diesen dreien direkt an der Wahl des Gegenpapstes in Fondi teilnahm. Dass schließlich Clemens VII. gewählt wurde, schmerzte sie tief, worauf sie sich frustriert zurückzogen, ohne sich jedoch wieder dem rechtmäßig gewählten Papst Urban VI. zuzuwenden. Vielmehr spielten sie mit dem Gedanken, die umstrittene Wahl Urbans VI. einem Konzil zur Entscheidung zu unterbreiten.[1]
Für die heilige Caterina war ein solches Verhalten unfassbar. Wenn sie in diesem vorliegenden Schreiben an die drei ihrem leidenschaftlichen Eifer freien Lauf lässt, so hat sie dabei letztlich auch alle anderen vor Augen. Und so ist dieser Brief gleichsam ein Resümee ihres Kampfes gegen die Verweltlichung der Kardinäle; eine Abrechnung mit jenen, die mittragen an der höchsten Verantwortung für die Kirche und sie dennoch so schmählich verraten. Was sie an ihnen vor allem abstößt, ist ihre Feigheit. Denn immer ist es der Mut, den sie bewundernd hervorhebt, und die Tapferkeit ist für einen Krieger ebenso wichtig wie für den, der im Dienst des Herrn steht.
Nachdem zwei dieser drei italienischen Kardinäle auf den vorhergehenden Seiten bereits vorgestellt wurden, soll noch der dritte kurz beschrieben werden. Kardinal Simone di Borzano (Brossano) war der Spross einer Mailänder Familie, hochgebildet, Doktor beider Rechte und ein bedeutender Rechtslehrer. Zunächst Archidiakon in Bologna, wurde er dann am 18. Juli 1371 zum Erzbischof von Mailand ernannt, verblieb dabei aber im Dienste der Kurie zu Avignon. Diese Stadt verließ er erst, als ihn Papst Gregor XI. am 21. Dezember 1375 zum Kardinal von SS. Giovanni e Paolo (auf dem Caelio-Hügel) erhob. Nach Gregors Rückkehr und Tod nahm er am Konklave in Rom teil. Als nach erfolgter Wahl Urbans VI. die französischen Kardinäle allmählich mit ihrer Kritik immer deutlicher wurden, erhielt er von Kardinal Corsini den Auftrag, Verhandlungen einzuleiten, um eine offene Rebellion gegen den Papst zu vermeiden. Letztlich aber half er doch wenigstens indirekt mit bei der Wahl des Gegenpapstes Clemens VII. Nachdem er einsehen musste, dass es für einen Ausgleich zwischen den beiden Päpsten keine Hoffnung mehr gab, zog er sich nach Nizza zurück, wo er am 27. August 1381 starb. Erst auf dem Sterbebett war er formell zum Gegenpapst übergetreten, vermutlich, weil er nun doch von dessen Rechtmäßigkeit überzeugt worden war; sonst wäre ein solcher Schritt angesichts des Todes nicht zu verstehen.
An ihn allein hat Caterina nicht geschrieben, sondern nur diesen vorliegenden gemeinsamen Brief an die drei italienischen Kardinäle. In ihrem letzten Brief (am 15. Februar 1380, Br. 373) schreibt Caterina an Raimund von Capua, wie sie die vorausgehenden Tage verbracht hatte: „Als dann der Montagabend kam, fühlte ich mich gezwungen, an den Christus auf Erden (Papst Urban) und an drei Kardinäle zu schreiben.“ Ob dieser Brief an die Kardinäle tatsächlich vollendet und abgeschickt wurde, ist fraglich. Der vorliegende (er kann damit nicht gemeint sein, da Kardinal Orsini bereits im August des Vorjahres verstorben war) entstand jedenfalls bald nach der Wahl des Gegenpapstes am 20. September 1378. Darin hält sie mit scharfen Worten den „feigen Mietlingen“ ihre Treulosigkeit vor Augen.
Ihr seid feige Mietlinge!
September / Oktober 1378
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria.
Teuerste Brüder und Väter in Christus, dem lieben Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut. Ich möchte Euch sehen, wie Ihr aus der großen Finsternis und Verblendung, in die Ihr geraten seid, herauskommt und wieder zum wahren, vollkommenen Licht zurückkehrt; dann kann ich Euch wieder als Väter betrachten, sonst aber nicht. Väter nenne ich Euch erst wieder, wenn Ihr dem Tod entflieht und zum Leben zurückkehrt, indem Ihr mit Papst Urban VI. im Glauben und im vollkommenen Gehorsam verbunden seid – denn derzeit seid Ihr ja des Gnadenlebens beraubt[2] und seid Glieder, die sich vom Haupt getrennt haben, von dem Ihr das Leben empfangen hattet. All jene, die das Licht haben und die in diesem Licht die Wahrheit erkennen und sie lieben, leben in diesem Gehorsam.
Was wir nicht sehen, können wir nicht erkennen, und was wir nicht erkennen, lieben wir auch nicht. Die aber nicht lieben, fürchten auch nicht den Schöpfer; sie lieben sich selbst in sinnlicher Liebe; und auch alles andere – Reichtum, Ehre und weltlichen Glanz – lieben sie nur mit sinnlicher Liebe. Da sie aber für die Liebe geschaffen wurden und ohne Liebe nicht leben können, lieben sie entweder Gott oder aber mit todbringender Liebe sich selbst und die Welt. Geblendet von der falschen Eigenliebe richten sie ihr geistiges Auge nur auf die vergänglichen Dinge, die wie ein Windhauch vergehen, wodurch sie unfähig werden, das Wahre und Gute zu erkennen. Weil sie kein Licht besitzen, erkennen sie nichts, sondern nur noch die Lüge. Denn hätten sie das Licht, so würden sie wahrlich erkennen, dass ihnen aus dieser Art von Liebe nur Pein und ewiger Tod erstehen und ihnen bereits jetzt ein Vorgeschmack der Hölle bereitet wird: denn diejenigen, die sich und die weltlichen Dinge nur in ungeordneter Weise lieben, werden sich selbst unerträglich.
O menschliche Verblendung! Seht Ihr denn nicht, Ihr unglückseligen Menschen, wie jene Dinge, die Ihr für dauerhaft, beständig, beseligend, trefflich und schön erachtet, in Wirklichkeit veränderlich sind, voll von Elend, hässlich und ohne jeden Wert? Damit meine ich nicht die geschaffenen Dinge, denn sie alle wurden von Gott, der die höchste Güte selbst ist, gut erschaffen, sondern der Fehler liegt in der Sünde derer, die diese Dinge in ungeordneter Weise besitzen. Wie vergänglich sind doch Reichtum und weltliche Ehren bei denen, die sie ohne Gott, das heißt, ohne Gottesfurcht besitzen! Heute gelten sie noch als reich und mächtig, und morgen sind sie schon arm. Wie erbärmlich auch ist unser leibliches Leben, da wir während unseres irdischen Daseins aus allen Teilen unseres Körpers nur üblen Geruch verbreiten! Er ist wahrlich ein Sack voll Unrat, ein Fraß für die Würmer und für den Tod. Unser Leben und die Schönheit der Jugend schwinden dahin wie eine Blume, nachdem sie gepflückt wurde. Niemand kann diese entschwindende Schönheit dem Menschen bewahren oder wieder zurückgeben, sobald es dem höchsten Richter gefällt, diese Blume des Lebens durch den Tod zu pflücken – und niemand weiß, wann das geschieht.[3]
O armselige Menschen! Die Finsternis der Eigenliebe macht Euch blind für diese Wahrheit. Denn würdet Ihr sie erkennen, so würdet Ihr lieber jede Pein ertragen, als ein derartiges Leben zu führen; Ihr würdet Eure Liebe und Euer Verlangen dann Dem schenken, der allein das Sein in Fülle ist; Ihr würdet seine Wahrheit mit Entschlossenheit verkosten und Euch nicht drehen wie ein Blatt im Wind; Ihr würdet Eurem Schöpfer dienen und alles in Ihm und nichts ohne Ihn lieben. Wie streng und vorwurfsvoll wird einmal am Ende diese Blindheit gerügt – und zwar in jedem! Um wieviel mehr aber noch bei denen, die Gott aus dem Elend der Welt herausgeholt und mit der größtmöglichen Würde bekleidet hat, indem er sie zu Dienern des Blutes des demütigen und unbefleckten Lammes bestellte!
O weh! Wohin seid Ihr nur gekommen, da Eure Tugend sich nicht Eurer hohen Würde angeglichen hat! Ihr wart dazu berufen, Euch an der Brust der heiligen Kirche zu nähren. Wie Blumen wurdet Ihr in diesen Garten gesetzt, um den Wohlgeruch der Tugend zu verbreiten. Als Säulen wart Ihr aufgestellt, um das Schiff der Kirche und den Stellvertreter Christi auf Erden zu stützen. Ihr wart dazu bestimmt, Lichter auf dem Leuchter zu sein, um die Christgläubigen zu erleuchten und den Glauben zu verbreiten. Ihr werdet schon wissen, ob Ihr dieser Euch gestellten Aufgabe gerecht geworden seid. Leider nicht! Denn die Selbstsucht hat Euch die Einsicht geraubt. Die Wahrheit ist, dass Ihr nur dazu in diesen Garten der Kirche eingepflanzt wurdet, um Kraft und Licht zu spenden und das Beispiel eines guten, heiligen Lebens zu geben. Wäret Ihr Euch dieser Wahrheit bewusst geworden, so hättet Ihr sie geliebt und Euch mit ihr bekleidet.
Wo ist denn Eure schuldige Dankbarkeit geblieben gegenüber dieser Braut, die Euch an ihrer Brust genährt hat? Ich sehe nichts als Undank. Undank aber lässt die Quelle der Frömmigkeit austrocknen. Und was zeigt mir Eure Undankbarkeit, Ihr feigen Mietlinge? Die Verfolgung, die Ihr jetzt zusammen mit den anderen dieser Braut (der Kirche) bereitet, in einer Zeit, wo Ihr doch wie ein Schild den Schlägen der Irrlehre und Spaltung widerstehen müsstet! Dabei kennt Ihr ganz genau die Wahrheit, daß Papst Urban VI. allein der wahre Papst und der oberste Hirte ist, der in einer rechtmäßigen, geordneten Wahl erwählt wurde – und nicht aus Furcht; und mehr durch göttliche Inspiration als durch Euer menschliches Bemühen. So habt Ihr es uns selbst mitgeteilt, und das war die Wahrheit.[4]
Jetzt aber habt Ihr eine Kehrtwendung gemacht wie feige, erbärmliche Ritter. Euer eigener Schatten hat Euch Angst eingejagt. Ihr habt Euch selbst abgetrennt von der Wahrheit, die Euch stark gemacht hat, und seid übergegangen zur Lüge, die Geist und Leib schwächt, indem sie Euch der geistlichen wie auch der zeitlichen Gnade beraubt. Und der Grund dafür? Das Gift der Eigenliebe, das die ganze Welt vergiftet. Dieses Gift hat Euch, Ihr Säulen, schwach gemacht wie Strohhalme.
Ihr seid nicht mehr Blumen, die Wohlgeruch verbreiten, sondern Gestank, der die ganze Welt verpestet. Ihr seid keine Lichter am Leuchter, die den Glauben verbreiten. Ihr habt Euer Licht unter dem Scheffel des Stolzes versteckt und seid daher nicht mehr Verkünder, sondern Beschmutzer des Glaubens, da Ihr nun Finsternis verbreitet in Euch selbst und den anderen.
Ihr wart Engel im Fleisch, und Eure Aufgabe war es, uns vor dem höllischen Teufel zu schützen. Engelsdienste solltet Ihr verrichten, um die Schafe zum Gehorsam gegen die heilige Kirche zurückzuführen, aber Ihr habt Teufelsdienste übernommen. Und nun versucht Ihr uns das Böse zu vermitteln, von dem Ihr selbst erfüllt seid, indem Ihr uns vom Gehorsam gegen den Christus auf Erden abbringen wollt und uns auffordert, dem Antichrist zu gehorchen. Er ist ein Glied des Teufels – und Ihr mit ihm, solange Ihr in dieser Häresie verbleibt! Diese Verblendung kommt aber nicht etwa aus einer Unkenntnis. Sie kommt nicht daher, denn Ihr seid ja von keinem Menschen unterrichtet worden! Nein, Ihr wisst, was die Wahrheit ist! Ihr habt sie uns selbst verkündet, nicht umgekehrt wir Euch! O was für ein Wahnsinn, uns die Wahrheit zu verkünden, während Ihr es vorzieht, die Lüge zu verkosten! Und jetzt wollt Ihr diese Wahrheit preisgeben und uns das Gegenteil vormachen, indem Ihr behauptet, Ihr hättet Papst Urban nur aus Furcht gewählt. Das ist nicht wahr! Und wer das behauptet – ich spreche jetzt ohne alle Ehrerbietung gegen Euch, da Ihr Euren Anspruch auf Ehrfurcht aufgegeben habt –, der lügt auf sein eigenes Haupt! Denn der, von dem Ihr behauptet, ihn aus Furcht erwählt zu haben, war ja ganz offensichtlich der Erzpriester von St. Peter.[5]
Ihr entgegnet mir vielleicht: „Warum glaubst du uns nicht? Wir, die wir ihn gewählt haben, kennen die Wahrheit besser als du, die nicht dabei war!“ Darauf antworte ich: Ihr selbst habt mir auf vielfache Weise bewiesen, dass Ihr von der Wahrheit abgewichen seid und ich Euch deshalb nicht glauben sollte (wenn Ihr jetzt sagt), Papst Urban sei nicht der wahre Papst. Wenn ich Euer Leben betrachte, habe ich nicht den Eindruck eines so guten und heiligmäßigen Wandels, dass Euer Gewissen Euch von Lügen abhalten würde. Und wodurch wird das deutlich? Durch die Tatsache Eures zuchtlosen Lebens und das Gift der Häresie. Wenn ich auf die regulär durchgeführte Wahl schaue, bei der Ihr dabei wart, so haben wir doch erfahren, dass Ihr ihn kanonisch richtig und gültig und nicht aus Furcht gewählt habt. Wir haben schon erwähnt, dass der, den Ihr aus Furcht präsentiert habt, der Erzpriester von St. Peter war. Was aber beweist mir die Rechtmäßigkeit jener Wahl, in der Ihr den Herrn Bartolomeo, den Erzbischof von Bari, den heutigen Urban VI., auserkoren habt? Die Festlichkeit, mit der seine Krönung gefeiert wurde, beweist uns die Gültigkeit seiner Wahl. Die Ehrfurcht, die Ihr ihm erwiesen habt, zeigt uns, dass die Feier echt war, und ebenso zeigen es die Gunstbeweise, die Ihr von ihm erbeten und von denen Ihr dann auch Gebrauch gemacht habt.[6] Diese Wahrheit könnt Ihr nicht bestreiten, höchstens durch Lügen!
Ihr Toren, die Ihr tausendmal den Tod verdienen würdet! In Eurer Verblendung seht Ihr Eure eigene Bosheit nicht! Ihr seid so verwirrt, dass Ihr Euch selbst zu Lügnern und Götzendienern macht! Denn wenn es wahr wäre – was aber nicht der Fall ist, und ich rufe es aus und verleugne es nicht, dass Papst Urban VI. der rechtmäßige Papst ist! –, wenn es auch wahr wäre, was Ihr jetzt behauptet: Hättet Ihr uns dann nicht belogen, als Ihr uns sagtet, er wäre (und er ist es auch!) der oberste Pontifex? Hättet Ihr ihm dann nicht Eure Ehrfurcht nur vorgetäuscht, als Ihr ihm, dem Christus auf Erden, die Huldigung erwiesen habt? Und wäret Ihr dann nicht der Simonie schuldig geworden, als Ihr Euch (von ihm) Gunsterweise erbatet und dann davon unerlaubterweise Gebrauch machtet? Ja, in der Tat! Und jetzt haben sie einen Gegenpapst aufgestellt. Und Ihr habt mitgeholfen – jedenfalls was Euer äußeres Auftreten und Handeln betrifft, da Ihr einverstanden wart, dort zu bleiben, als die fleischgewordenen Teufel den Teufel wählten![7]
Ihr könntet mir vielleicht sagen: „Wir haben ihn nicht gewählt!“ Aber ich weiß nicht, ob ich Euch das glauben soll. Und warum? Weil ich nicht annehme, dass Ihr es gewagt hättet, Euch dort einzufinden, wenn Euer Leben in Gefahr gewesen wäre. Jedenfalls machen mich Euer Verschweigen der Wahrheit und das Unterlassen eines Protestes geneigt zu glauben, Ihr wäret schuldig an dem Übel zusammen mit den anderen, obwohl Eure Absicht vielleicht weniger schlecht war als die ihre. Was kann ich da noch sagen? Nur dies: Wer nicht für die Wahrheit ist, der ist gegen sie.[8] All jene, die nicht für den Christus auf Erden, für Papst Urban VI., waren, waren gegen ihn. Darum sage ich Euch, dass Ihr Schuld habt an dem Übel, zusammen mit dem Gegenpapst, und ich kann nur sagen, dass ein Glied des Teufels gewählt wurde! Denn wäre er nämlich ein Glied Christi, so hätte er eher den Tod auf sich genommen, als einer solchen Untat zuzustimmen. Er weiß ganz genau, was die Wahrheit ist, und kann sich nicht mit Unkenntnis entschuldigen. Mit diesem Teufel aber begeht auch Ihr all diese Sünden. Ihr habt ihn als Papst anerkannt, obwohl es nicht wahr ist, und Ihr habt dem Ehrfurcht erwiesen, dem sie nicht gebührt. Ihr habt Euch vom Licht getrennt und seid zur Finsternis übergegangen, habt die Wahrheit verlassen und Euch mit der Lüge verbündet. Wie man es auch wendet: überall finde ich nichts als Lüge. Ihr verdient eine strenge Strafe, und ich sage Euch – um mein Gewissen in dieser Angelegenheit zu entlasten: Wenn Ihr nicht in echter Demut zum Gehorsam zurückfindet, wird dieses Strafgericht wirklich über Euch kommen.
O Elend über Elend! O Blindheit über Blindheit, die das eigene Vergehen und das Unheil für Leib und Seele nicht mehr erkennen lässt! Hättet Ihr es nämlich erkannt, so wäret Ihr nicht so leichtfertig in sklavischer Furcht von der Wahrheit abgewichen. Ihr wurdet von der Leidenschaft getrieben, gleich stolzen Menschen, die gewohnt sind, ihre Laune nach den Genüssen und Freuden der Welt zu richten. Ihr konntet einen Tadel wegen Eures augenblicklichen Verhaltens nicht ertragen[9] und seid wegen eines scharfen Vorwurfs sogleich rebellisch geworden – das ist der Grund, warum Ihr abgefallen seid. Denn die Wahrheit ist: Bevor der Christus auf Erden damit begonnen hatte, Euch zurechtzuweisen, habt Ihr ihn als Stellvertreter Christi (der er auch tatsächlich ist) anerkannt und verehrt. Aber Eure letzte todbringende Frucht zeigt, was für Bäume Ihr seid: nämlich Bäume, die gepflanzt sind im Erdreich des Stolzes, der aus Eurer Eigenliebe entspringt. Und diese Ichsucht hat Euch das Licht der Vernunft geraubt.
O weh! Um der Liebe Gottes willen, macht doch nicht so weiter! Benützt den Ausweg der Verdemütigung unter die starke Hand Gottes und des Gehorsams gegen seinen Stellvertreter, solange Ihr noch Zeit habt; denn, wenn die Zeit abgelaufen ist, gibt es keine Rettung mehr! Gesteht Eure Schuld ein! Werdet demütig und erkennt Gottes unendliche Güte darin, dass er der Erde noch nicht befohlen hat, Euch zu verschlingen,[10] und den wilden Tieren noch nicht den Befehl gab, Euch zu zerreißen![11] Er lässt Euch tatsächlich noch Zeit zur Umkehr. Wenn Ihr Eure Schuld nicht einsehen wollt, wird Euch die von Gott angebotene Gnade zu einem harten Gericht werden. Aber wenn Ihr bereit seid, in die Hürde zurückzukehren und Euch wieder an der Brust der Braut Christi in Wahrheit zu nähren, werdet Ihr vom Christus im Himmel und vom Christus auf Erden in Barmherzigkeit aufgenommen trotz des von Euch begangenen Unrechts.[12]
Ich bitte Euch, zögert doch nicht länger und schlagt nicht aus gegen den Stachel des Gewissens, das Euch ja doch beständig beunruhigt! Lasst Euch von der Verwirrung des Geistes und vom Bösen, das Ihr getan habt, nicht derart erdrücken, dass Ihr in Scham und Verzweiflung Euer Heil aufgebt, als ob keine Rettung mehr zu finden wäre. Nein, so dürft Ihr nicht handeln! Vertraut vielmehr in lebendigem Glauben und in fester Hoffnung auf Euren Schöpfer und kehrt in Demut zu Eurem Joch zurück! Denn diese letzte Sünde der hartnäckigen Verzweiflung wäre sogar ärger und abscheulicher in den Augen Gottes und der Welt und würde Euch mehr schaden als das erstere. So erhebt Euch also und lasst Euch erleuchten! Denn ohne Licht würdet Ihr in der Finsternis gehen, so wie Ihr es bisher getan habt.
Ich weiß in meiner Seele, dass wir ohne das Licht die Wahrheit weder erkennen noch lieben können. Und darum habe ich eingangs gesagt und sage es jetzt erneut, dass ich mit ganz großer Sehnsucht danach verlange, Euch der Finsternis entrissen und mit dem Licht vereint zu sehen. Zwar erstreckt sich dieses mein Verlangen auf alle Menschen, aber ganz besonders auf Euch drei, die Ihr mir mit Euren Sünden größeren Kummer bereitet habt als die anderen Schuldigen. Denn wenn auch alle anderen ihren Vater verlassen haben, so hättet wenigstens Ihr zu jenen Söhnen gehören müssen, die ihn unterstützen und sich zur Wahrheit bekennen. Und wenn der Vater Euch tatsächlich nichts als nur Vorwürfe gemacht hätte, so hättet Ihr dennoch nicht zu Verrätern werden und Seine Heiligkeit in jeder Hinsicht verleugnen dürfen.[13] Auch vom natürlichen Standpunkt aus – denn was die übernatürliche Tugend betrifft, sollten wir ja alle gleich sein. Aber rein menschlich gesprochen ist der Christus auf Erden ein Italiener wie Ihr, so dass Euch darum nicht falscher Patriotismus leiten konnte wie die ultramontanen (nichtitalienischen) Kardinäle.[14] Ich sehe also keinen anderen Grund für Euren Abfall als nur Eure Eigenliebe. Entledigt Euch heute noch dieser Selbstsucht und wartet nicht auf die Zeit, denn die Zeit wartet nicht auf Euch! Reißt sie nieder voll Hass gegen das Laster und aus Liebe zur Tugend!
Kehrt um, kehrt um und wartet nicht auf die Rute der Gerechtigkeit, denn der Hand Gottes können wir nicht entrinnen! Wir sind in seiner Hand, entweder für die Gerechtigkeit oder für die Barmherzigkeit. Und es ist besser für uns, unsere Schuld zu bekennen und in die Hand der Barmherzigkeit zu fallen, als in der Sünde zu verharren und in die Hand der Gerechtigkeit zu stürzen – denn unsere Sünden bleiben nicht ungestraft. Vor allem jene nicht, die gegen die heilige Kirche begangen werden. Ich aber will mich gerne verpflichten, Euch unter Tränen und in beständigem Gebet vor Gott hinzutragen und zusammen mit Euch die Buße auf mich zu nehmen, sofern Ihr nur zum Vater zurückkehren wollt, der Euch als wahrer Vater erwartet mit den geöffneten Flügeln der Barmherzigkeit.[15]
O weh, o weh, flieht doch nicht diese Barmherzigkeit und weicht ihr nicht aus, sondern nehmt sie demütig an und glaubt nicht heimtückischen Ratgebern, die Euch dem Tod überliefert haben! O weh! Liebe Brüder – ja, liebe Brüder und Väter werdet Ihr mir wieder sein, wenn Ihr zur Wahrheit zurückfindet – widersteht doch nicht länger den Tränen und dem Angstschweiß, den die Diener Gottes Euretwegen vergießen, so dass Ihr Euch vom Kopf bis zu den Füßen darin baden könntet. Aber wenn Ihr dieses süße, angstvolle und schmerzliche Verlangen, das sie um Euch erleiden, zurückweist, wird Euch eine noch viel härtere Strafe zuteilwerden. Fürchtet Gott und sein gerechtes Gericht! Ich hoffe, dass seine unendliche Güte an Euch das Verlangen seiner Diener erfüllen wird.
Lasst es Euch nicht lästigfallen, wenn ich Euch jetzt so lange zugesetzt habe mit Worten, die mir die Liebe für Euer Seelenheil diktierte. Wenn Gott es erlaubte, würde ich Euch viel lieber persönlich dazu auffordern – aber Sein Wille geschehe! Überdies verdientet Ihr ja, dass man Euch mehr mit Taten als mit Worten zusetzte. Aber ich will jetzt Schluss machen und nichts weiter mehr sagen, denn wenn es nach mir ginge, käme ich an kein Ende. So sehr erfüllt ist meine Seele von Schmerz und Trauer, weil ich bei jenen, die doch als Leuchten bestimmt sind, solche Verblendung sehe. Denn nicht Lämmer sind sie, deren Speise die Ehre Gottes, das Heil der unsterblichen Seelen und die Erneuerung der heiligen Kirche ist, sondern Räuber, die Gott die geschuldete Ehre rauben, um sie sich selbst zu geben. Sie sind wie Wölfe, die die Lämmer zerreißen. Das ist es, warum ich so große Bitterkeit empfinde.
Ich bitte Euch um der Liebe zu jenem kostbaren Blut, das mit solcher Liebesglut für Euch vergossen wurde, erfrischt meine Seele, die nur Euer Heil sucht! Mehr will ich nicht sagen. Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes! Badet Euch im Blute des unbefleckten Lammes! Darin verliert Ihr dann jede sklavische Furcht. Und bleibt mit dem Licht in der heiligen Gottesfurcht!
Geliebter Jesus! Jesus, unsere Liebe! Maria, geliebte Maria!
[1] Vgl. Fr. Bliemetzrieder, Die Kardinäle Peter Corsini, Simon de Borsano, Jakob Orsini und der Konzilsgedanke, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 24,1903, 360f u. 625f.
[2] Vgl. Br. 207: „Wer dem Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil.“ Ebenso Br. 171: „Wer den Stellvertreter Christi missachtet, missachtet das Blut.“
[3] Vgl. Mt 24, 36.
[4] Die Kardinäle gaben durchwegs der Öffentlichkeit gegenüber Zeugnis von der rechtmäßig erfolgten Wahl. So schrieb z.B. Kardinal Robert von Genf, der spätere Gegenpapst Clemens VII., an den Kaiser Karl IV.: „Die genannten Herren Kardinäle und ich haben einstimmig unsere Stimmen auf den damaligen Erzbischof von Bari gerichtet, der jetzt Papst ist.“ (Pastor, 1, 810.) Und Kardinal Corsini berichtete seinem Freund Johannes de Pistoris nach Padua: „Nachdem wir uns zur feierlichen Messe versammelt hatten, haben wir unter Eingebung des Heiligen Geistes den damals hochwürdigen Herrn Bartolomeo aus Neapel, Erzbischof von Bari, der die Stelle eines Vizekanzlers innehatte, einstimmig zum Papst erwählt. Nach offizieller Bekanntgabe der Wahl, haben wir ihn wie gewohnt mit den gebührenden Feierlichkeiten inthronisiert, und er gab sich den Namen Urban VI.“ Vgl. W. Brandmüller, Zur Frage nach der Gültigkeit der Wahl Urban VI., AHC, 1974, 1, 110–111.
[5] Es handelt sich um Kardinal Tebaldeschi. Nach erfolgter Wahl Urbans VI. in Rom hatten die Kardinäle aus Angst vor der aufgebrachten Volksmenge und um sie zu beruhigen, tatsächlich in aller Eile den alten Tebaldeschi mit päpstlichen Gewändern bekleidet und ihn zum Schein als Neugewählten vorgestellt. Kardinal Tebaldeschi war Erzpriester von St. Peter.
[6] Urban VI. verwendet dies als Beweis gegenüber Clemens VII., der, während er noch Kardinal war, eben diese Gunsterweise von Urban VI. erbeten hatte. Dies trifft auch für die anderen Kardinäle zu. Nimmt man dazu die Tatsache, dass sie monatelang Papst Urban VI. gehorcht hatten, ohne von ihrem verbürgten Einspruchsrecht Gebrauch zu machen, ist Urbans Rechtsgrundlage nicht mehr anfechtbar.
[7] Die drei italienischen Kardinäle hatten zwar in Fondi nicht für den Gegenpapst mitgestimmt (weil sie hofften, selber gewählt zu werden), aber durch ihre Anwesenheit und ihr Schweigen gaben sie der Wahl ihre Zustimmung. Sie enthielten sich eines Einwandes aus Angst um ihre Verwandten und um ihren Besitz, obwohl sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden waren (vgl. Gardner, 279).
[8] Vgl. Mt 12,30: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“
[9] Urban VI. hatte mit seiner Drohung einer konsequenten und strengen Reform die Kardinäle irritiert. Caterina äußerte sich bereits 1375 in Pisa Raimund von Capua gegenüber, dass, wenn der Papst damit beginnt, die Geistlichen wegen ihrer ungeordneten Sitten zurechtzuweisen, es zu einer Spaltung der Kirche kommen werde (vgl. Legenda Maior 286).
[10] Vgl. Num 16,31.
[11] Vgl. 2 Kön 2,24.
[12] Die drei Kardinäle waren in Tagliacozzo, als sie von Caterina diesen Brief erhielten und ebenso einen von Urban VI., indem er sie einlud zurückzukommen mit dem Versprechen, ihnen zu vergeben. Sie aber (sei es aus Furcht vor seiner Strenge oder in der Hoffnung auf eine bessere Regelung, wenn sie neutral blieben) verlangten nur ein allgemeines Konzil, um die Frage der Rechtmäßigkeit von Urbans Wahl zu entscheiden. Nach heutiger Erkenntnis kann gesagt werden, „dass es zuverlässige historische Quellen gibt, aus denen zwar nicht der Hergang, wohl aber die Gültigkeit der Wahl Urbans VI. mit Sicherheit erschlossen werden kann“ (W. Brandmüller, Zur Frage der Gültigkeit der Wahl Urbans VI. – Quellen und Quellenkritik, in: AHC 1 (Paderborn 1974), 94.
[13] Was Caterina den Defensoren von Siena schreibt (Br. 311), gilt auch für Kardinäle: „Egal ob der Papst gut oder schlecht ist, wir dürfen uns nicht zurückziehen und unsere Pflicht vernachlässigen. Denn unsere Ehrfurcht gilt ja nicht ihm, dem Menschen, sondern dem Blute Christi, der Autorität und Würde, die Gott ihm für uns verliehen hat. Diese Autorität wird durch keinen seiner Fehler geringer.“
[14] Während die französischen Kardinäle aus nationalistischen Gründen darauf drängten, einen französischen Gegenpapst zu wählen, waren die Italiener nicht ausreichend motiviert, um dem italienischen Papst die Treue zu halten.
[15] Vgl. Br. 339, in dem Caterina die Stadtväter von Perugia ermahnt, nach der Aussöhnung mit dem Papst ihm weiterhin dankbar zu bleiben, denn „die Flügel seiner Barmherzigkeit hat er über uns gebreitet, besorgt für unser leibliches und seelisches Heil.“ In Br. 173 dagegen sagt sie: „Verbergt euch unter die Flügel der Barmherzigkeit Gottes!“