Brief 293 – An Kardinal Simone (Pedro) di Luna
Kardinal Pedro di Luna, eigentlich Pedro Martinez, der um 1342 zu Luna bei Huesca im Königreich Aragon geboren wurde, war zuerst tapferer Ritter, dann gelehrter Jurist, der an der Universität Montpellier beide Rechte studierte und als Lehrer des kanonischen Rechts dann dozierte. Als Spätberufener in den geistlichen Stand eingetreten, versah er als Kanoniker seinen Dienst nacheinander in Vich, Tarragona, Huesca und Mallorca, bis er schließlich von Papst Gregor XI. am 20. Dezember 1375 zum Kardinal ernannt wurde (mit dem Titel S. Maria in Cosmedin).
Pedro de Luna war ein aufrechter Mann von unbescholtenem Charakter, der „menschlich sympathisch und oft ergreifend in seinen abenteuerlich wirren Lebensschicksalen“ wirkt, da er sich nach dem Tod Gregors XI. zuerst klar zum neu gewählten Papst Urban VI. bekannte, dann aber zum Gegenpapst Clemens VII. abschwenkte, schließlich selbst Gegenpapst wurde und als starrköpfiger Benedikt XIII., fast von allen verlassen, auf der Felsenburg Peñiscola an der südspanischen Küste am 23. Mai 1423 starb.
Zwei Briefe Caterinas an ihn sind uns erhalten: Brief 284 und der nachfolgende Brief 293. Am 10. Mai 1378 erreicht Florenz die Nachricht, dass sich einige Kardinäle in Rom gegen die rigorosen Reformvorschläge des Papstes erhoben hätten. Caterina muss von irgendwoher einen Wink bekommen haben, dass Pedro di Luna unter ihnen sein könnte, da sie ihn im Brief davor warnt, sich nicht selbst vom Haupt der Kirche zu trennen. Tatsächlich hatte Pedro di Luna zusammen mit anderen Kardinälen Rom am 24. Juni in Richtung Anagni verlassen.
Seid eine starke Säule!
Mai / Juni 1378
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria.
Liebster Vater in Christus, dem geliebten Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut. Ich möchte Euch als eine starke Säule sehen im Garten der heiligen Kirche, frei von jener Eigenliebe, die uns Menschen so sehr schwächt. Ich wünsche Euch, dass Ihr jene wahre Liebe habt, die auf den lebendigen Felsen des geliebten Christus gründet und dass Ihr immer seinen Spuren folgt.[1] Denn eine solche Liebe macht uns stark, weil sie vernichtet, was uns schwächt. Das kommt dann nicht nur uns selbst zugute, sondern stärkt oft auch unseren Nächsten. Besonders Ihr und jene, die in Eurer Position sind: Ihr könnt die anderen stärken, wenn Ihr den untergebenen Priestern und den Weltleuten das Beispiel eines heiligen und ehrenhaften Lebens gebt und die Lehre vermittelt, die in der Wahrheit gründet. Denn durch die Lehre und durch einen guten Lebenswandel zeigen wir, dass wir unsere Schwächen überwunden haben und gegen die drei Hauptfeinde[2] erstarkt sind: gegen den Teufel, da wir seiner listigen Bosheit widerstehen; gegen die Welt, indem wir ihre Verlockungen missachten und auf ihre eitlen Ehren und Vergnügungen verzichten; und schließlich gegen die Schwachheit unseres Fleisches, das wir zu Boden treten mit den Füßen unserer Frömmigkeit und mit dem Licht der Vernunft. Denn wir verwöhnen es weder durch übertriebene Sorge noch durch sinnliche Freuden oder auserlesene Speisen, sondern wir zwingen es nieder durch Buße, Fasten und Nachtwachen und durch demütiges, beharrliches Gebet. So werden wir nicht zu Sklaven unseres Fleisches, sondern zu Dienern der Vernunft; denn so sollte es ja sein: die Seele als Herrin, der die Sinnlichkeit dienstbar ist. Wie demütigend und beschämend ist es doch für uns, wenn wir als die Beherrscher unserer Freiheit (denn niemand kann die Festung unserer Seele einnehmen, wenn unser Wille sich verschließt) nun ganz erbärmliche Sklaven jener drei Feinde werden, die über uns beliebig herrschen und uns das Gnadenleben rauben!
Wirklich frei sind nur jene, die feststehen. Denn dann haben sie sich aus den Fesseln der Feinde befreit und die Festung ihrer Seele ausgerüstet mit wahren und wirklichen Tugenden. O wie gut können dann solche Menschen anderen Kraft geben, wenn sie selbst erfüllt sind von Eifer für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen! Und wie kann ihre gute Lebensführung andere zur Tugend aneifern, wenn sie sehen, wie sie selbst der schwächenden Eigenliebe entsagt haben! Deshalb habe ich gesagt, dass jene, die selbst innerlich stark geworden sind, auch oftmals ihre Mitmenschen bestärken.
Deshalb, teuerster Vater: Seid eine starke, standhafte Säule! Und lasst Euch durch nichts umwerfen, weder durch Gefahren von Seiten der Welt noch durch Verfolgungen, die unter Euch Geistlichen im mystischen Leib der heiligen Kirche entstehen. Ohne das Freiwerden von der Selbstsucht aber würdet Ihr ohne Zweifel ein Schwächling werden und dann aus Schwachheit umfallen.
Deshalb möchte ich Euch in solcher Festigkeit sehen, dass Euch nichts erschüttern kann, sondern Ihr vielmehr mit Euren Schultern den Schwachen zu Hilfe kommt. Stärkt Eure Seele mit dem Blut Christi, dann werdet Ihr von Liebe entflammt und bereit sein, mutig zu kämpfen! Füllt Euer Gedächtnis mit diesem kostbaren Blut und lasst Euren Verstand die Wahrheit des Wortes, des eingeborenen Gottessohnes, verstehen und erfassen! In seinem Blut hat er unsere Schlechtigkeit überwunden und die Bosheit des Teufels besiegt, indem er ihn einfing mit dem Angelhaken unserer menschlichen Natur.[3] Euren Willen aber (der ganz trunken ist vom Blut, da er darin den Abgrund der Liebe Christi entdeckte) lasst vorwärts eilen, um ihn mit ganzem Herzen zu lieben, mit ganzem Gemüt und mit all Euren Kräften bis in den Tod.
Denkt nicht an Euch selbst, sondern nur an den gekreuzigten Christus. Setzt Euch an den Tisch des Kreuzes und empfangt dort zur Ehre Gottes die Speise der Seelen durch Eure Bereitschaft, mit wahrer Geduld bis zum Tod alles zu ertragen: Ertragt die Schwächen der Mitmenschen im Angesichte Gottes mit großem Mitgefühl und ertragt voll Geduld das Unrecht, das uns zugefügt wird. So, teuerster Vater, müssen wir handeln – es ist höchste Zeit dafür!
Wenn ich recht gehört habe, so ist zwischen dem Christus auf Erden und seinen Jüngern ein Zwist ausgebrochen.[4] Das bereitet mir unerträgliche Schmerzen, da ich Angst habe vor dem Schisma und weil ich fürchte, dass diese Spaltung wegen meiner Sünden kommt.[5] Darum bitte ich Euch um jenes glorreichen, kostbaren Blutes willen, das mit so flammender Liebe vergossen wurde: Weicht nie ab von der Tugend und von Eurem Oberhaupt! Ich bitte Euch, fleht den Christus auf Erden an, er möge (mit Florenz) bald Frieden schließen, damit er sich ganz darauf konzentrieren kann, die drohende Spaltung zu verhindern. Denn einen Krieg gleichzeitig nach innen und außen führen zu müssen, das wäre zu schwer. Sagt ihm, er möge sich bei der Ernennung neuer Kardinäle mit zuverlässigen Säulen umgeben. Es sollen aber mutige Männer sein; und zwar solche, die den Tod nicht fürchten, sondern die entschlossen bereit sind, aus Liebe zur Wahrheit und für die Reform der heiligen Kirche alles zu erdulden – selbst um den Preis des eigenen Lebens, wenn es die Ehre Gottes verlangt. Ach, so verliert doch keine Zeit! Und wartet nicht mit den notwendigen Maßnahmen so lange, bis uns die Steine an den Kopf fliegen![6] Ach, meine unglückliche Seele! Alles andere, Krieg, Schmach und Trübsal, das alles scheint doch so unbedeutend wie ein Strohhalm oder ein Schatten im Vergleich zu diesem drohenden Unheil des Schismas!
Es lässt mich erzittern, wenn ich nur daran denke; besonders weil ich von einer gewissen Person (der es der Geist zu erkennen gab) hörte, wie furchtbar gefährlich dieses Unheil werden könnte, so dass der gegenwärtige Krieg ihr im Vergleich dazu wie nichts erschien![7] Ich sage Euch, aus Schmerz darüber drohte dieser Person das Herz zu versagen und das Leben zu entschwinden. Darum rief sie die Barmherzigkeit Gottes an und bat, dieses Unheil abzuwenden. Und schweißgebadet ersehnte sie voll Verlangen – da ihr dies noch zu wenig schien –, ihr Blut wie Blutschweiß dafür zu vergießen. Wie gerne hätte sie ihr Leben so zum Opfer dargebracht!
Ich glaube, liebster Vater, es ist jetzt besser zu schweigen, als weiter darüber zu reden. Aber ich bitte Euch aus ganzem Herzen: Fleht den Christus auf Erden und die anderen (Kardinäle) an, sie mögen doch bald diesen Frieden schließen und alles Notwendige tun, was zur Ehre Gottes, zur Reform der heiligen Kirche und zur Behebung dieses Ärgernisses erforderlich ist! Sollte das aber dennoch kommen (was befürchtet wird), dann müsst Ihr fest bleiben in der Tugend und mit Hilfe tugendhafter Männer Widerstand leisten, damit Ihr die Finsternis verjagen könnt und im Licht bleibt. Ich bin gewiss, Gott wird in seinem unendlichen Erbarmen die Finsternis und Fäulnis seiner Braut vertreiben und ihr zur rechten Zeit – wenn es seiner Güte und Liebe gefällt – den Wohlgeruch und auch das Licht wieder zurückgeben. Das tröstet mich und gibt mir wieder Freude. Denn sonst, glaube ich, müsste ich vor Kummer sterben. Seid also mutig und eine Säule, die nicht wankt! Ich werde dafür beten und beten lassen, dass Gott Euch das gewähre. Mehr will ich nicht sagen. Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes!
Verzeiht, Vater, meine Anmaßung, dass ich so viel geredet habe. Die Liebe und der Schmerz mögen mich bei Euch entschuldigen.
Geliebter Jesus! Jesus, unsere Liebe!
[1] Vgl. 1 Petr 2,4–5: „Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein ... lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus auferbauen.“
[2] Der Teufel, die Welt und das Fleisch sind die drei klassischen Feinde des geistlichen Lebens.
[3] Vgl. Dialog 135, wo die Menschheit der Köder und die Gottheit der Angelhaken ist: „Mit dem Köder deiner Menschheit und dem Angelhaken Meiner Gottheit fing Ich den Teufel, der Meine Wahrheit nicht erkennen konnte. Diese Wahrheit, das fleischgewordene Wort, kam, um die Lüge (des Teufels), mit der er das Menschengeschlecht getäuscht hatte, zu zerstören und zu beenden.“
[4] Die Nachricht von einer Auseinandersetzung zwischen Urban VI. und den Kardinälen am Päpstlichen Hof in Rom erreichte Florenz am 10. Mai 1378.
[5] Es scheint, Caterina hat tatsächlich bereits das Schisma befürchtet oder zumindest eine Revolte gegen Urban VI..
[6] Ein ähnlicher Ausdruck kommt im gesamten Schrifttum Caterinas nirgends mehr vor.
[7] Sie spricht hier von einer eigenen mystischen Erfahrung (wozu sie gewöhnlich die Form der 3. Person wählt). Raimund erzählt, Caterina habe ihm bereits 1375 gesagt: „Das, was ihr jetzt seht, ist wie Milch und Honig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird ... Denn jetzt tun das die Nichtpriester und Laien. Bald aber werdet ihr sehen, um wie viel schlimmer die Geistlichen gegen den Papst und gegen die Einheit der Kirche Gottes vorgehen. Wenn der Papst sie ihrer ungeordneten Sitten wegen zurechtweisen will, werden sie in der ganzen Kirche für einen allgemeinen Skandal sorgen, der sie zweifellos fast wie eine Häresie spalten wird. Wappnet euch also mit Geduld, denn all diese Dinge werdet ihr binnen kurzer Zeit sehen“ (Legenda Maior 286).