Brief 28 – An Bernabò Visconti
Tyrann von Mailand
Bernabò (1323–1385), der älteste Sohn der Familie des Stefano Visconti, dem bei der Aufteilung des Familienbesitzes die Stadt Mailand zufiel, war ursprünglich für die kirchliche Laufbahn und das Jurastudium bestimmt, zeigte aber sehr bald eine Neigung zur Gewalttätigkeit und zog das Kriegshandwerk dem Studium vor. Nach Ausschaltung seines eigenen Bruders (Giftmord?) vergrößerte er seine Besitztümer und seinen Einfluss und wurde zwischen 1360 und 1380 zur politisch zentralen Gestalt im westlichen Nord- und Mittelitalien. Er war nicht nur in beständigem Streit mit den toskanischen Städten, sondern vor allem auch mit den Päpsten und wurde von ihnen zweimal exkommuniziert (1362 von Innozenz VI., der sogar zum Kreuzzug gegen ihn aufrief, und 1373 von Urban V.). Gardner charakterisiert Bernabò als einen „blutrünstigen Tyrannen“, der zu „Wutanfällen mit bestialischem Ausmaß neigte“ und zugleich „ein kluger und scharfsinniger Politiker“ war. Als leidenschaftlicher Jäger erzwang er die Einhaltung seiner Jagdgesetze durch unmenschliche Grausamkeiten gegenüber seiner unglücklichen Landbevölkerung.
Während Bernabò ständig in Kämpfen verwickelt war und zur Deckung der Kriegskosten dem Volk erdrückende Steuern auferlegte, verwaltete seine Frau Regine Beatrice della Scala, die ehrgeizige und fähige Tochter des Despoten von Verona, einen Großteil der Besitzungen ihres Mannes. Auch sie war „eine Herrschernatur, stolz und kühn und unersättlich nach Reichtum.“ Bernabòs siebzehn Kinder, die er so hochschätzte, dass er für sie die Kirche Santa Maria della Scala erbauen ließ (nach der dann das Teatro della Scala benannt wurde), versuchte er mit einflussreichen ausländischen Herrscherhäusern zu verbinden, um dadurch seine Machtposition zu festigen. So verheiratete er vier seiner Töchter mit bayerischen Wittelsbacher-Herzögen und eine weitere mit dem Habsburger-Herzog Leopold III. von Österreich. Auch der berühmt-berüchtigte englische Söldnerführer John Hawkwood wurde sein Schwiegersohn. Bernabòs Sohn Marco hingegen war mit Elisabeth von Bayern vermählt (von der uns übrigens ein Brief, den sie an Caterina geschrieben hat, im Original erhalten ist).
Dieser autoritär und skrupellos agierende Herrscher verhielt sich aber zugleich äußerst schlau und raffiniert. In seiner beständigen Ausschau nach geeigneten Gehilfen, die seinen Zwecken dienstbar sein konnten, versuchte er durch Vermittlung seiner Gesandten auch Caterina für sich zu gewinnen. Die Zusammenarbeit, die ihm Caterina anbot, war allerdings anders, als er es sich dachte.
Caterina hatte sowohl Königin Johanna in Neapel (in sechs Briefen) als auch Bernabò in Mailand ins Gewissen geredet und sie auf ihre Verantwortung vor dem ewigen Richter hingewiesen. Doch wie es scheint, haben ihre Bemühungen bei diesen Machtpolitikern keine erkennbaren Spuren hinterlassen. Beide endeten zudem tragisch: Johanna wurde im Kerker erdrosselt und Bernabò vom eigenen Neffen beseitigt.
Obwohl Caterina keine Scheu hatte, die Dinge offen beim Namen zu nennen, überfällt sie diesen brutalen Gewaltmenschen in ihrem Brief nicht mit Vorwürfen, sondern stellt ihm einzig die Größe und die Macht der Liebe vor Augen, im Vertrauen darauf, dass sie auch das Herz eines Tyrannen zu berühren vermag. In einem liebenswürdigen Ton weist sie allerdings darauf hin, dass er die von Gott erhaltene Macht gegen seinen Stellvertreter missbraucht habe. Im Übrigen möge er sich um seine eigenen Städte kümmern und dort Frieden halten. Zur Sühne schlägt sie ihm vor, sich als Anführer an einem Kreuzzug zu beteiligen.
Ihr sollt lieben, lieben!
Mitte Juli 1375
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Maria.
Verehrtester Vater in Christus, dem lieben Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut. Ich möchte, dass Ihr am Blut des Gottessohnes teilhabt – als Sohn, der vom höchsten Vater nach seinem Bild geschaffen, und als Diener, der erlöst wurde –, damit Ihr in Liebe und heiliger Gottesfurcht wandelt.
Ihr wisst, dass jene, die ihren Schöpfer nicht mit kindlicher Liebe lieben, am Blut nicht teilhaben können; deshalb sollt Ihr ihn lieben. O liebster Vater, kann ein Herz so verhärtet und eigensinnig sein, dass es sich beim Anblick der göttlichen Liebe und Güte nicht erweicht? Ihr sollt lieben, lieben! Denkt daran: Ihr wurdet zuerst geliebt, bevor Ihr zu lieben begonnen habt. Denn als Gott in sich blickte, verliebte er sich in die Schönheit seines Geschöpfes und erschuf uns. Er wurde dazu bewogen durch das Feuer seiner unaussprechlichen Liebe, die nur ein Ziel hatte: dass wir ewig leben und uns an dem unendlichen Gut erfreuen, das Gott in sich selbst genießt.[1] O unschätzbare Liebe, wie sehr hast Du für diese Liebe Zeugnis abgelegt! Als wir durch die Todsünde, durch unseren Ungehorsam gegen Dich, Mein Herr, die Gnade verloren hatten, haben wir auch die Liebe verloren. Aber seht, Vater, welchen Weg die Milde des Heiligen Geistes gewählt hat, um uns die Gnade zurückzugeben. Seht, wie Gott, der Allerhöchste, die Knechtschaft unserer Menschennatur angenommen hat in solcher Erniedrigung und so tiefer Demut, dass unser Stolz völlig beschämt sein sollte.
Die törichten Kinder Adams sollten sich schämen! Gibt es denn etwas Größeres, als zu sehen, wie Gott sich zur Menschheit erniedrigt – als ob die Menschheit über Gott und nicht Gott über die Menschheit herrsche? Denn die Menschheit ist aus sich selbst nichts; was wir haben, haben wir von Gott aus Gnade und nicht, weil er es uns schuldet.[2] Aus diesem Grund wird auch niemand, wenn er sich selbst erkennt, Gott jemals beleidigen oder auf die eigene Position, Macht oder Berühmtheit in der Welt stolz sein. Selbst wenn er die ganze Welt beherrschen könnte, so würde er sich selbst als nichts erachten. Denn er ist genauso wie das niedrigste Geschöpf dem Tod verfallen. Die törichten Freuden der Welt vergehen und bedeuten ihm und den anderen nichts. Er kann sie nicht festhalten, weder das Leben noch die Gesundheit noch sonst irgendetwas Geschaffenes, weil sie verwehen wie der Wind.
Keine Herrschaft, die wir in der Welt besitzen, erlaubt uns, dass wir uns als Herrscher betrachten können – denn ich wüsste nicht, was das für eine Herrschaft wäre, wenn sie mir genommen werden kann und sie nicht unter meiner freien Verfügung steht! Es sollte sich also niemand als Herr betrachten oder bezeichnen, sondern nur als Verwalter. Und diese Verwaltung dauert nicht ewig, sondern nur eine gewisse Zeit – solange es unserem lieben Herrn gefällt. Und wenn Ihr mich fragt: „Haben wir denn gar keine Herrschaft in dieser Welt?“ Dann antworte ich Euch: Doch, wir haben eine. Wir haben die schönste, größte und mächtigste Herrschaft, die es gibt – die Herrschaft über die Stadt unserer eigenen Seele.[3]
Gibt es denn etwas Größeres oder Schöneres, als eine Stadt zu besitzen, in der der allgütige Gott wohnt und wo man Frieden, Ruhe und Trost finden kann? Diese Stadt ist so stark und ein so vollkommenes Reich, dass niemand und kein Teufel sie je überwältigen können, solange wir es nicht selbst zulassen. Sie geht nie verloren, außer durch die Todsünde. Denn in diesem Fall werden wir Diener und Knechte der Sünde; wir werden zu nichts und verlieren unsere ganze Würde, die wir zuvor hatten.[4] Niemand kann uns zwingen, auch nur die geringste Sünde zu begehen, denn Gott hat in das Stärkste, das es gibt, nämlich in unseren freien Willen, das Ja und das Nein gelegt. Stimmt unser Wille zu, indem er ja sagt, dann haben wir Gott beleidigt, weil wir an der Sünde Gefallen und Freude gefunden haben; sagt er nein, so würden wir lieber sterben, als Gott zu beleidigen und unsere eigene Seele zu beflecken. Auf diese Weise werden wir nicht sündigen, sondern unsere Stadt bewachen und uns selbst und die ganze Welt beherrschen. Das heißt, dass wir über die Welt und ihre Freuden lachen, weil wir sie für vergänglicher und minderwertiger halten als Mist. Deshalb sagen die Heiligen, dass die Diener Gottes als einzige vollkommen frei sind: Sie haben den Sieg errungen. Es gibt allerdings viele, die zwar eine Stadt oder Festung besiegt, aber sich selbst und ihre Feinde – die Welt, das Fleisch und den Teufel – noch nicht besiegt haben, so dass sie letztlich mit leeren Händen dastehen.
Deshalb auf, Vater! Haltet fest an der Herrschaft über die Stadt Eurer Seele. Kämpft tapfer gegen diese drei Feinde. Ergreift das Schwert des Hasses und der Liebe (das heißt Hass auf die Sünde und Liebe zur Tugend) und streckt diese Feinde nieder mit der Hand des freien Willens. Zögert nicht, denn diese Hand ist stark, und das Schwert ist, wie gesagt, mächtig, und niemand kann es Euch entreißen. Das meinte wohl der Apostel Paulus, als er sagte: „Weder Bedrängnis noch Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, weder Engel noch Mächte können mich scheiden von der Liebe Christi, wenn ich es nicht will.“[5] Es ist, als würde der liebe Paulus sagen: „So wie es für die Engel unmöglich ist, mich von Gott zu trennen, genauso unmöglich ist es für irgendjemanden, mich gegen meinen Willen zu einer einzigen Todsünde zu zwingen.“
Unsere Feinde sind machtlos geworden, weil das makellose Lamm sich durch den schändlichen Tod am Kreuz geopfert hat, um unsere Freiheit wiederherzustellen und uns freizumachen. Welch unbeschreibliche Liebe! Durch seinen Tod gab er uns das Leben. Indem er Schmach und Schande ertrug, hat er unsere Würde wiederhergestellt. Mit seinen ans Kreuz genagelten Händen befreite er uns von den Fesseln der Sünde. Mit seinem durchbohrten Herzen hat er all unsere Hartherzigkeit geheilt. Durch seine Entblößung bekleidet er uns, und mit seinem Blut gibt er uns einen stärkenden Trank. Seine Weisheit entmachtete die Bosheit des Teufels. Durch seine Geißelung besiegte er unser Fleisch. Durch seine Demut und Schmach überwand er die Reize und den Hochmut der Welt. Er hat uns reingewaschen mit seinem überfließenden Blut. Deshalb haben wir nichts zu fürchten.
Mit unbewaffneten Hand hat er unsere Feinde besiegt und uns den freien Willen wiedergegeben. O süßes Wort, Sohn Gottes, Du hast dieses Blut im Leib der heiligen Kirche aufbewahrt, und Du willst, dass es von den Händen Deines Stellvertreters verwaltet wird. So sorgt Gottes Güte für unsere Bedürfnisse, die wir tagtäglich die Herrschaft über uns selbst verlieren und unseren Schöpfer beleidigen. Darum hat sie uns ein Mittel bereitgestellt, die heilige Beichte, die ihre ganze Kraft aus dem Blut des Lammes bezieht. Und sie gibt uns dieses Mittel nicht nur ein- oder zweimal, sondern immer und immer wieder. Wir wären also töricht, wollten wir diesen Stellvertreter ablehnen bzw. den bekämpfen, der die Schlüssel zum Blut des gekreuzigten Christus besitzt.[6] Selbst wenn dieser Stellvertreter ein eingefleischter Teufel wäre, so darf ich ihn dennoch nicht verachten, sondern ich muss mich demütigen und um das Blut des Erbarmens bitten. Nur so könnt Ihr es empfangen und an der Frucht des Blutes teilhaben.[7] Daher bitte ich Euch, um der Liebe des gekreuzigten Christus willen, Euch nie wieder gegen Euer Oberhaupt aufzulehnen.
Wundert Euch nicht, wenn der Teufel den Anschein erweckt hat und noch erweckt, es sei tugendhaft, über die schlechten Hirten wegen ihrer Fehler zu urteilen.[8] Glaubt dem Teufel nicht, und urteilt nicht über etwas, was Euch nichts angeht.[9] Unser Erlöser will das nicht. Er nennt sie seine Gesalbten. Er will nicht, dass Ihr oder jemand anderer über sie urteilt, denn er will es selbst tun.
Wie unangemessen wäre es für einen Diener, wenn er dem Richter die Vollmacht entreißen wollte, um einen Verbrecher zu bestrafen! Es wäre sehr bedauerlich, denn es geht den Diener nichts an. Es ist die Aufgabe des Richters. Vielleicht sagen wir: „Wenn es der Richter nicht tut, dann sollte doch ich es tun.“ Nein, Ihr werdet dafür zur Rechenschaft gezogen. Wenn Ihr jemand zum Tode verurteilt, wird das Todesurteil genauso Euch selbst treffen. Das Gesetz wird Euch nicht entschuldigen wegen Eurer guten Absicht, weil Ihr durch Euren Mord die Welt von einem Verbrecher befreien wolltet. Weder das Gesetz noch die Vernunft würden es Euch erlauben, so etwas zu tun, selbst wenn der Richter böse und ungerecht wäre. Ihr müsst das Bestrafen dem höchsten Richter überlassen, der keine Ungerechtigkeit oder andere Sünde durchgehen lassen wird: Sie werden alle bestraft, wann und wo er will – insbesondere in der Todesstunde, wenn dieses dunkle Leben vorüber ist und jede gute Tat belohnt und jede Sünde bestraft wird.
Ich sage Euch also, liebster Vater und Bruder in Christus, dem lieben Jesus: Gott will nicht, dass Ihr oder jemand anderer Euch zum Richter dieser Diener macht. Diese Aufgabe hat er sich selbst vorbehalten und sie seinem Stellvertreter übertragen, der die Pflicht hat, es zu tun. Sollte er es aber nicht tun – was schlecht wäre –, dann müssen wir demütig auf die Bestrafung und Zurechtweisung durch den höchsten göttlichen Richter warten. Selbst wenn diese Diener unseren ganzen Besitz raubten, sollten wir lieber zeitliche Dinge und das leibliche Leben verlieren als geistliche Güter und das Leben der Gnade. Erstere sind vergänglich, aber Gottes Gnade ist unendlich. Sie bringt uns unendliches Gutes, und deshalb wäre ihr Verlust ein unendliches Unglück.
Denkt daran, dass weder Gott noch das göttliche Gesetz Eure Ausrede entschuldigen werden, Eure Absicht sei gut gewesen. Im Gegenteil, Ihr würdet dem ewigen Tod verfallen. Das soll Euch nie passieren! Ich sage Euch dies, und Ich bitte Euch im Namen des gekreuzigten Christus, mischt Euch nie mehr in so etwas ein. Haltet Frieden in Euren eigenen Städten, indem Ihr unter Euren Untergebenen Gerechtigkeit übt, wenn sie Unrecht tun. Aber urteilt niemals über diese anderen, denn sie sind die Verwalter dieses glorreichen kostbaren Blutes. Ihr könnt nur aus ihren Händen dieses Blut empfangen, und ohne sie habt Ihr keinen Anteil an seinen Früchten. Ihr würdet vom Leib der heiligen Kirche getrennt wie ein krankes Glied. Genug damit, Vater!
Ich möchte jetzt ganz einfach, dass wir in Liebe unseren Kopf in Christi Schoß im Himmel legen und in den Schoß des Christus auf Erden (seines Stellvertreters) mit unserer Achtung für das Blut Christi, zu dem er die Schlüssel hat. Wem immer er öffnet, dem wird aufgetan; vor wem er es verschließt, dem bleibt es verschlossen.[10] Er hat die Macht und Gewalt, und niemand kann sie seinen Händen entreißen. Sie wurde ihm von der süßen Ersten Wahrheit verliehen. Denkt daran: Gott missfällt – und er bestraft es am strengsten –, wenn er sieht, dass seine Gesalbten angegriffen werden, mögen sie auch noch so böse sein. Und glaubt nicht, dass diese Strafe, auch wenn Christus sie in diesem Leben scheinbar übersieht, im nächsten Leben geringer ist. Sobald die Seele vom Leib getrennt ist, wird Christus zeigen, dass er es sehr wohl gesehen hat.
Deshalb will ich, dass Ihr ein treuer Sohn der Kirche seid und eintaucht in das Blut des gekreuzigten Christus. Dann werdet Ihr ein gesundes und kein krankes Glied der heiligen Kirche sein. Ihr werdet so viel Kraft und Freiheit besitzen, dass weder der Teufel noch jemand anders sie Euch rauben können. Ihr werdet frei sein von der Knechtschaft der Todsünde der Auflehnung gegen die heilige Kirche. Ihr werdet stark sein durch die Kraft der Gnade, die dann in Euch lebt, und Ihr werdet eins sein mit Eurem Vater. Ich bitte Euch, diese Einheit zu vollenden. Verliert keine Zeit!
Aber wie können wir die Zeit wiedergutmachen, in der Ihr ausgeschlossen wart?[11] Mir scheint, Vater, dass die Zeit gekommen ist, wo wir eine süße und wohlgefällige Entschädigung leisten können. Denn so wie Ihr einst im Krieg gegen Euren Vater Euren weltlichen Besitz und sogar Euer Leben aufs Spiel gesetzt habt, so lade ich Euch jetzt im Namen des gekreuzigten Christus ein, mit diesem gütigen Vater, dem Christus auf Erden, wirklich ganz Frieden zu schließen. Führt hingegen Krieg gegen die Ungläubigen, indem Ihr Euren Besitz und Euren Leib für Christus, den Gekreuzigten, hingebt. Bereitet Euch darauf vor, denn es ist angemessen, dass Ihr eine solche Wiedergutmachung leistet. Wie Ihr ihn zuerst bekämpft habt, so kommt jetzt Eurem Vater zu Hilfe, wenn er das Banner des heiligen Kreuzes aufrichtet. Der Heilige Vater wartet darauf und wünscht es.[12] Ich will, dass Ihr der Anführer seid, und dass Ihr den Heiligen Vater aufruft und zur Eile drängt. Was für eine Schande und Schmach ist es für die Christen, dass das, was ihnen rechtmäßig zusteht, die Ungläubigen in der Hand haben.[13] Wir verhalten uns töricht und feige, wenn wir uns gegenseitig bekriegen! Wir sind durch Hass und Bitterkeit untereinander entzweit, während wir durch das Band der brennenden göttlichen Liebe verbunden sein sollten, die so stark war, dass sie den Gottmenschen an das Holz des heiligen Kreuzes angenagelt hielt.
Auf denn, Vater, um der Liebe Gottes! Erfüllt meinen brennenden Wunsch, und seid bereit, Euer Leben für den gekreuzigten Christus hinzugeben und Euer Blut aus Liebe zu seinem Blut zu vergießen. Wie selig wäre Eure Seele und meine (aus Sorge um Euer Heil), zu sehen, wie Ihr Euer Leben für den Namen des guten lieben Jesus opfert! Ich bitte den allmächtigen Gott, uns der großen Gnade würdig zu machen, dass wir unser Leben für ihn hingeben. Lauft, beeilt Euch und vollbringt große Taten für Gott und für die Erhöhung der heiligen Kirche, so wie Ihr das bisher gegen sie getan habt und zugunsten der Welt. Wenn Ihr das tut, werdet Ihr am Blut des Gottessohnes teilhaben. Antwortet auf den Ruf und die liebevolle Güte des Heiligen Geistes, der Euch so freundlich einlädt und die Diener Gottes um Euretwillen laut rufen lässt, um Euch das Leben der Gnade schenken zu können.
Denkt daran, Vater! Gottes Güte hat seine Diener so viele Tränen und so viel Schweiß für Euch vergießen lassen, damit Ihr Euch von Kopf bis Fuß reinwaschen könnt! Missachtet diese große Gnade nicht, und seid nicht undankbar! Seht, wie sehr Gott Euch liebt! Worte können es nicht sagen, und Euer Herz kann es nicht erfassen, ebenso wenig können es Eure Augen sehen, wie groß die Gnaden sind, die er auf Euch ausgießen möchte – sobald Ihr bereit seid, die Stadt Eurer Seele von der Knechtschaft der Todsünde zu befreien! Seid dankbar und erkenntlich, damit die Quelle der Frömmigkeit in Euch nicht austrocknet. Mehr will ich nicht sagen.
Seid treu! Seid treu! Unterwerft Euch der mächtigen Hand Gottes! Liebt und fürchtet den gekreuzigten Christus! Bergt Euch in den Wunden des gekreuzigten Christus. Seid bereit, für den gekreuzigten Christus zu sterben.
Verzeiht meine törichte Anmaßung. Ich spreche sehr kühn, aber nehmt meine Liebe und Sorge um Euer Heil als Entschuldigung. Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes. Was die Bitte Eures Dieners betrifft, der in Eurem Namen zu mir kam ...[14]
Geliebter Jesus! Jesus, die Liebe!
[1] Gott ist Liebe, Liebe, die sich aus unfassbarer Güte verschenkt und verschwendet und den Menschen erschafft zur Teilhabe an der Fülle göttlichen Lebens – um diese Betrachtung kreist das ganze Denken Caterinas. Vgl. Br. 204: „Gott sah auf uns, indem er in sich selbst blickte. Und dabei verliebte er sich so maßlos, dass er uns aus Liebe erschuf mit dem Wunsch, uns selig zu machen und teilnehmen zu lassen an der unendlichen Fülle des Guten, die er in sich besitzt.“ Ähnlich Gebet 1 (Vigil von Maria Himmelfahrt 1376): „Mit unsagbarer Liebe hast Du mich aus Dir hervorgezogen und ziehst uns alle aus Gnade, nicht aus Schuldigkeit an Dich.“ Und im Gebet 13 (18. Februar 1379): „Weil Du mich in Deinem Licht schautest, hast Du Dein Geschöpf ... aus Dir hervorgezogen und es nach Deinem Bild und Gleichnis geschaffen ... Du hast Dein Auge auf der Schönheit Deines Geschöpfes ruhen lassen und hast Dich wie verrückt und trunken von Liebe in es verliebt. Aus Liebe hast Du es aus Dir hervorgezogen und ihm das Sein nach Deinem Bild und Gleichnis geschenkt.“ Vgl. dazu die umfassende Arbeit von Paul Hirtz: Das Geschöpf der Liebe – Menschsein in der Spiritualität
[2] Vgl. 1 Kor 4,7: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich ...“
[3] Wenn Caterina die Seele des Menschen im Bild mit einer Stadt vergleicht, deren Tore bewacht werden müssen, um sie vor Feinden und verderblichen Eindringlingen bzw. Einflüssen zu schützen, so ist das wohl auch zu sehen auf dem Hintergrund der himmlischen Stadt, deren Leuchte das Lamm ist, deren Tore Tag und Nacht offen stehen und in die nichts Unreines mehr hineinkommt (vgl. Offb 21) und die sowohl als Bild für die Kirche wie auch der je einzelnen Seele bzw. des vollendeten Menschen gedeutet wird.
[4] Für Caterina ist es die Sünde, die die menschliche Person zu einem Nichts macht. Aufgrund seines Ursprungs aus der Liebe Gottes hat das menschliche Sein eine überaus hohe Würde, auch wenn es eine abhängige Würde ist. Sündigen bzw. sich gegen Gott auflehnen heißt daher, sich gegen sein eigenes geschenktes Sein zu erheben und daher wieder ein „Nichts“ zu werden.
[5] Vgl. Röm 8,35–39.
[6] Das Thema „Schlüssel zum Blut Christi“ ist weiter entfaltet in Dialog 115.
[7] Vgl. Dialog 116: „Wegen ihres Dienstes müsst ihr sie ehren und zu ihnen gehen, nicht ihretwegen, sondern wegen der Vollmacht, die Ich ihnen verliehen habe, wenn ihr die heiligen Sakramente der Kirche empfangen wollt.“
[8] Vgl. Dialog 116: „Deshalb kann sich keiner mit den Worten entschuldigen: Ich will die Kirche nicht beleidigen und empöre mich nicht gegen sie, sondern bloß gegen die Fehler ihrer schlechten Hirten. Ein solcher Mensch lügt auf sein Haupt, und von der Eigenliebe verblendet, merkt er es nicht. Das heißt, er sieht es sehr wohl, aber er stellt sich so, als merke er es nicht. ... Ich sage es noch einmal: Ich will nicht, dass man an Meine Gesalbten Hand anlegt, denn es steht Mir allein zu, sie zu bestrafen und niemand sonst.“
[9] Bernabò hatte sich dem Papst und seinen Legaten gegenüber als Richter aufzuspielen versucht und Priester und andere geistliche Personen vor sein Gericht gezogen. Wie Caterina darüber dachte, hat sie sehr klar in Dialog 115–117 und 123 zum Ausdruck gebracht, wo sie sich auf den achtköpfigen Kriegsrat in Florenz bezieht, dessen Agitationen gegen das Papsttum und die Priesterschaft sie als ungerecht und skandalös bezeichnet.
[10] Vgl. Mt 16,19: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“
[11] Bernabò war vom Papst zweimal exkommuniziert worden, und Caterina legt ihm jetzt nahe, als Wiedergutmachung einen Kreuzzug anzuführen.
[12] Wenn die Briefdatierung stimmt, dann wäre dies eine Anspielung auf die Bulle vom 1. Juli 1375, die Caterina in Br. 144 an Monna Pavola erwähnt.
[13] Es war damals vorausgesetzt, dass das Heilige Land der privilegierte Besitz der Christenheit ist.
[14] Hier fehlt der weitere Text. Über den Inhalt der Bitte ist nichts bekannt.