Brief 270 - An Papst Gregor XI. nach Rom
Dieser letzte Brief an Papst Gregor ist genau datiert: Er wurde von Caterina diktiert am 16. April 1377 aus Belcaro, ihrem neuen Kloster Santa Maria degli Angeli, wo Raimund von Capua und Giovanni Tantucci bei ihr waren. Als Briefkurier diente ihr ein gewisser Anibaldo. Der Brief wiederholt viele bereits besprochene Themen und lässt zugleich ihre Sehnsucht durchblicken, selbst nach Rom zu kommen.
Zwischen den Dornen verbirgt sich die Rose
16. April 1377
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria.
Heiligster und gütigster Vater in Christus Jesus! Ich, Eure arme und erbärmliche Tochter Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut. Schon lange ersehne ich es, Euch als mutigen und furchtlosen Türhüter zu sehen. Ihr seid ja der Türhüter zum Weinkeller Gottes, das heißt, zum Blut seines eingeborenen Sohnes, dessen Repräsentant Ihr auf Erden seid. Nur aus Euren Händen bekommen wir das Blut Christi.[1] Ihr weidet und nährt die gläubigen Christen. Ihr seid jene Mutter, die uns an den Brüsten der göttlichen Liebe tränkt, indem sie uns weder Blut ohne Feuer noch Feuer ohne Blut reicht, da es im Feuer der Liebe vergossen wurde.[2]
O Ihr unser Lenker! Schon lange habe ich mich danach gesehnt, Euch als tapferen und furchtlosen Mann zu sehen, der vom geliebten Wort lernt – von jenem liebeglühenden Wort, das so mutig seinem schmachvollen Tod am Kreuz entgegeneilte, um den Willen des Vaters zu erfüllen und unser Heil zu wirken. Dieses geliebte Wort brachte uns den Frieden, da es der Mittler war zwischen Gott und uns.[3] Weder unser Undank noch Unrecht noch Misshandlung und Beschimpfung hielten dieses liebende Wort davon ab, gleich einem in unser Heil Verliebten zum schmachvollen Tod am Kreuz zu eilen. Denn anders konnten wir nicht zum Frieden kommen, der eben als Folge seines Todes entstand.
O unser Heiliger Vater! Um der Liebe des gekreuzigten Christus willen bitte ich Euch: Folgt doch Seinen Spuren! O weh! Friede! Friede, um der Liebe Gottes willen! Achtet nicht auf unsere Erbärmlichkeit, Undankbarkeit und Torheit, auch nicht auf die Verfolgung durch Eure rebellischen Söhne. O weh! Besiegt doch ihre Bosheit und ihren Stolz mit Eurer Güte und Geduld! Habt Mitleid mit so vielen Seelen und Leibern, die zugrunde gehen!
O Hirte und Hüter des Blutes des Lammes! lasst Euch nicht durch irgendwelche Mühen zurückhalten, noch durch Schmach oder Hohn (wo Ihr meint, dass sie Euch gelten) und auch nicht durch sklavische Furcht oder verkehrte Ratgeber des Teufels, die nur zu Krieg und Unglück raten![4] All das, Heiliger Vater, soll Euch nicht davon abhalten, dem schmachvollen Tod am Kreuze entgegenzulaufen und als sein Stellvertreter den Spuren Christi zu folgen. Nehmt all die Pein und Schmach, Qual und Hohn auf Euch und tragt so das Kreuz des heiligen Verlangens, des Verlangens nach der Ehre Gottes und dem Heil Eurer Kinder! Seid hungrig, seid hungrig danach, erhebt Euer geistiges Auge zu diesem Kreuz des Verlangens und betrachtet doch, wieviel Unheil aus diesem verkehrten Krieg entsteht und wieviel Segen dagegen dem Frieden folgt!
O weh, mein Väterchen! Wie unglücklich ist meine Seele, da meine Sünden die Ursache all dieser Übel sind! Es scheint, als ob der Teufel die Herrschaft über die Welt übernommen hat – zwar nicht aus eigener Kraft, da er ja ein Nichts ist, sondern weil wir sie ihm angeboten haben. Wohin ich mich auch wende, überall sehe ich, wie ihm die Menschen mit perverser Bereitwilligkeit die Schlüssel des freien Willens aushändigen: Laien, Ordensleute, Geistliche – sie alle gieren voll Stolz nach weltlichen Vergnügungen, nach Ämtern und Wohlstand, obwohl doch alles erfüllt ist von Schmutz und von Elend. Aber mehr als alles andere, was ich sehe, sind für Gott jene Blumen abscheulich, die in den mystischen Leib der heiligen Kirche eingepflanzt wurden.[5] Sie sollten Wohlgeruch verbreiten, ein Spiegel der Tugend sein, die Ehre Gottes lieben und Geschmack finden am Heil der Seelen – doch jetzt verbreiten sie den Gestank jedweder Erbärmlichkeit. Als Liebhaber, die sich nur selbst lieben, vereinigen sie ihre eigenen Sünden mit denen der anderen, besonders bei der Verfolgung der süßen Braut Christi und Eurer Heiligkeit. O weh! Wir sind hier dem Tod verfallen und haben Gott den Krieg erklärt![6] O mein Väterchen, Ihr wurdet für uns zum Vermittler bestellt, um hier wieder Frieden zu bringen.[7] Aber ich sehe nicht, wie das geschehen könnte, wenn Ihr nicht, wie gesagt, das Kreuz des heiligen Verlangens auf Euch nehmt. Wir sind im Krieg mit Gott, und Eure rebellischen Kinder sind im Krieg mit Gott und Eurer Heiligkeit. Gott will und befiehlt, dass Ihr entsprechend Eurer Macht dem Teufel die Herrschaft aus den Händen reißt! Legt Hand an und entfernt den Gestank der Diener der heiligen Kirche! Zieht das stinkende Unkraut heraus und pflanzt wieder duftende Blumen ein, nämlich tugendhafte Männer, die Gott fürchten.
Weiters bitte ich Eure Heiligkeit, lasst Euch herab und gewährt Frieden. Nehmt ihn an, egal auf welche Weise er bewirkt werden kann, einzig bedacht auf das Wohl der heiligen Kirche und auf Euer Gewissen. Gott möchte, dass Ihr mehr auf die Seelen und die geistlichen Angelegenheiten achtet als auf die weltlichen! Handelt mutig, denn Gott ist mit Euch! Geht furchtlos ans Werk! Habt keine Angst, wenn Ihr all die Mühen und Schwierigkeiten seht; ermutigt Euch in Christus, dem geliebten Jesus: Denn aus den Dornen erwächst die Rose und aus all diesen Verfolgungen die Erneuerung der heiligen Kirche, das Licht, das die Christen aus der Finsternis befreit, das Leben für die Ungläubigen und die Erhebung des heiligen Kreuzes![8]
Ihr seid unser Vermittler und ein Werkzeug (Gottes) – tut, was immer Ihr könnt, voll Eifer und ohne jede Nachlässigkeit oder Furcht! So seid Ihr ein wahrer Verwalter und werdet dann den Willen Gottes und die Sehnsucht seiner Diener erfüllen, die vor Schmerz sterben und doch nicht sterben können, weil sie sehen müssen, wie sehr ihr Schöpfer beleidigt und das Blut des Gottessohnes verachtet wird. Ich kann nicht mehr (weiter)! Verzeiht mir, Heiliger Vater, meine Anmaßung. Meine Liebe und mein Kummer mögen mich Euch gegenüber entschuldigen. Mehr will ich nicht sagen. Gebt Euer Leben für den gekreuzigten Christus! Reißt die Laster aus und pflanzt die Tugenden ein! Habt Mut und fürchtet Euch nicht!
Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes!
Ich habe ein aufrichtiges Verlangen, wieder bei Eurer Heiligkeit zu sein. Denn ich hätte vieles mit Euch zu besprechen. Der Grund, warum ich nicht gekommen bin, sind die vielen guten und notwendigen Dinge, die wir (hier in Siena) noch für die Kirche zu erledigen haben.[9] Friede! Friede um der Liebe des gekreuzigten Christus willen und keinen Krieg mehr! Es gibt keine andere Lösung.
Ich empfehle Euch Anibaldo, Euren ergebenen Diener.[10] Dieser Brief wurde geschrieben in unserem neuen Kloster, dessen Gründung Ihr mir erlaubt habt; es nennt sich Santa Maria degli Angeli.[11] Demütig bitte ich um Euren Segen. Eure nachlässigen Söhne, Magister Giovanni und Bruder Raimund, empfehlen sich Eurer Heiligkeit.[12]
Der gekreuzigte Jesus Christus sei mit Euch!
Geliebter Jesus! Jesus, unsere Liebe!
[1] Vgl. Dialog 115: „Ich zeigte dir den mystischen Leib der heiligen Kirche im Bild eines Weinkellers, und darin befand sich das Blut Meines eingeborenen Sohnes; aus diesem Blut ziehen alle Sakramente ihre wirkende und lebensspendende Kraft. An der Tür des Kellers stand der Christus auf Erden. Ihm wurde aufgetragen, das Blut auszuteilen, und ihm stand es zu, Diener einzusetzen, damit sie helfen, das Blut dem weltumfassenden Leib der Christenheit zuzuführen.“
[2] Dies ist das einzige Beispiel, wo Caterina den Papst in seiner Beziehung zum Blut Christi im Bild einer stillenden Mutter darstellt. Meist wird von ihr die Liebe als Mutter dargestellt (Br. 161, 165, 108, 322, 356 und 357). Einmal auch bezeichnet sie den Heiligen Geist als Mutter (Dialog 141), zweimal den gekreuzigten Christus (Br. 85 und 165) und manchmal auch die Kirche (Br. 67, 150). Und im Brief 105 an Fra Bartolomeo Dominici bezeichnet sich Caterina selbst als Mutter.
[3] Vgl. 1 Tim 2,5: „Einer ist Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus.“ Auch Eph 2,14: „Er ist unser Friede.“ Es ist dies ein bevorzugtes und immer wiederkehrendes Thema bei Caterina (vgl. Br. 3): „Dieses Lamm ist unser Mittler, denn es trat vermittelnd zwischen Gott und uns und machte aus dem großen Krieg den noch größeren Frieden.“
[4] Burlamacchi vermutet in seinen Anmerkungen zu diesem Brief (vgl. Gigli II, 85–86), dass diese Ratgeber jene französischen Kardinäle waren, die dann später mit Urban VI. unter anderem deshalb brachen, weil er keinen Krieg in Italien wollte.
[5] Gemeint ist der verdorbene Klerus. Vgl. Br. 206 an Papst Gregor XI.: „Ihr müßt zuallererst die stinkenden Blumen ausrotten, die voll Unreinheit sind, voll Gier und aufgeblasen von Stolz (damit meine ich die schlechten Hirten und Verwalter, die diesen Garten vergiften und verkommen lassen). O weh! Gebraucht doch Eure Autorität, da Ihr um uns besorgt sein sollt! Reißt dieses Unkraut aus und werft es hinaus, wo sie nichts mehr zu verwalten haben. Sagt ihnen, sie mögen bemüht sein, sich zuerst einmal selbst zu regieren mit einem guten, heiligen Leben! Pflanzt duftende Blumen in diesen Garten, Hirten und Verwalter, die wahre Diener des gekreuzigten Jesus Christus sein wollen ...“
[6] Vgl. Br. 207 an die Regierung von Florenz: „Wer immer sich gegen die heilige Kirche und unseren Vater, den Christus auf Erden, empört, ist ein eiterndes Glied und dem Bann des Todes verfallen. Was wir ihm antun, tun wir Christus im Himmel an, sei es nun Ehrfurcht oder Schmach.“
[7] Wieder setzt sie den Papst, den „Christus auf Erden“, in eine äußerste Nähe zu Christus, was zwar manchen befremdlich erscheinen mag, aber Lehre der Kirche ist. Vgl. II. Vatik. Konzil, Lumen Gentium 22: „Der Bischof von Rom hat nämlich kraft seines Amtes als Stellvertreter Christi und Hirt der ganzen Kirche volle, höchste und universale Gewalt über die Kirche und kann sie immer frei ausüben.“ Insofern er also aufgrund seines Amtes Christus vertritt, nimmt er auch für uns in gewisser Weise dessen Mittlerrolle ein.
[8] Gemeint ist wieder der Kreuzzug, wobei hier zusammenfassend die Motive aufgeführt werden für Caterinas leidenschaftlichen Einsatz für den Kreuzzug.
[9] Hatte Gregor Caterina nach Rom eingeladen, so wie es später Urban VI. tat? Oder handelt es sich bloß um eine Anspielung, daß sie eigentlich darauf wartete? Auf jeden Fall aber ist es ein Anzeichen ihrer Sehnsucht, nach Rom zu gehen.
[10] Nach Tommasèo gab es zu dieser Zeit in Rom einen Neffen von Kardinal Tebaldeschi, der Anibaldo hieß. Es ist aber kaum anzunehmen, daß Caterina ihn gemeint hat. Eher handelt es sich bei dem hier genannten Anibaldo um den Überbringer des vorliegenden Briefes.
[11] Diese ehemalige Villa und Festung wurde Caterina von Nanni di Ser Vanni Savini geschenkt zum Dank für seine Bekehrung. Mit Papst Gregors Erlaubnis (die sie während ihres Aufenthalts in Avignon erhalten hatte) und mit Zustimmung der Regierung von Siena (vom 25. Januar 1377) hatte sie das Gebäude in ein Kloster umgewandelt, wo sie Frauen aus ihrem Kreis unterbringen wollte. (vgl. Br. 112 und 114).
[12] Giovanni Tantucci und Raimund von Capua waren Caterinas Begleiter in Avignon und dem Papst von da her bekannt. Einer von beiden scheint wohl der Schreiber dieses gegenwärtigen Briefes gewesen zu sein, wie die demütigende Selbstbezeichnung „nachlässig“ vermuten läßt.