Brief 196 - An Papst Gregor XI. nach Avignon

Avignon (Foto Mayr)

 

Caterina schreibt erneut an den Papst nach Avignon, der sich inzwischen auf ihr Drängen hin persönlich um die italienischen Angelegenheiten vermehrt zu bemühen beginnt. Auf seine Bitte hin versuchen die Königin von Neapel und der Doge von Venedig zu vermitteln, aber umsonst: Immer mehr Städte greifen gegen die Kirche zu den Waffen, um die päpstliche Besatzung zu vertreiben und sich mit Florenz gegen den Heiligen Stuhl zu verbünden. Aus dieser Situation heraus ist der drängende Ton des Briefes zu verstehen. Der Papst droht mit dem Interdikt. Caterina bittet um Milde für ihre Landsleute.

 

Friede! Friede! Friede!

Februar 1376

Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria.

Hochwürdigster Heiliger Vater in Christus, dem geliebten Jesus! Ich, Caterina, Eure unwürdige und erbärmliche Tochter, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blut. Ich möchte Euch als guten Hirten sehen, mein liebes Väterchen, denn ich sehe, wie der höllische Wolf Eure Schäflein davonträgt und niemand da ist, der sie befreit. Deshalb wende ich mich an Euch, unseren Vater und Hirten, und bitte Euch im Namen des gekreuzigten Christus: Lernt von ihm, der sich mit so glühender Liebe dem schmachvollen Tod am Kreuz hingegeben hat, um das verirrte Schäflein, das Menschengeschlecht, den Händen des Teufels zu entreißen, da durch seine Auflehnung gegen Gott das Schäflein unter die Gewalt der Teufel kam.[1]

Da kommt nun Gott in seiner unendlichen Güte und sieht den kläglichen Zustand des Schäfleins, seinen Untergang und seine Verdammnis. Er weiß, durch Zorn oder Krieg kann er es ihnen nicht entreißen. Und obwohl er von ihm beleidigt wurde (da die Menschheit sich im Ungehorsam gegen Gott erhob und dafür eine ewige Strafe verdiente), wollte die höchste und ewige Weisheit nicht dementsprechend verfahren. Nein, sie fand einen milden Weg, und zwar den süßesten und lieblichsten, der überhaupt möglich war: Denn sie weiß, dass das Herz des Menschen durch nichts so sehr zu gewinnen ist wie durch Liebe, da er ja aus Liebe und für die Liebe erschaffen ist.[2] – Das ist übrigens auch der Grund, warum die Menschen so sehr lieben, weil sie an Leib und Seele nicht anders entstanden sind als durch Liebe: In Liebe erschuf sie Gott nach seinem Bild und Gleichnis, und in Liebe gaben ihnen Vater und Mutter bei der Empfängnis und Geburt von ihrer Substanz.[3]

Da Gott also nun sah, wie sehr das Menschengeschlecht zum Lieben bereit ist, warf er nach uns die Angel der Liebe aus[4] und gab uns das Wort, seinen eingeborenen Sohn. Und der Sohn nahm unsere Menschennatur an, um so den großen Frieden zu bringen. Aber die Gerechtigkeit verlangt auch Sühne für das Gott zugefügte Unrecht. Und nun tritt Gottes Barmherzigkeit und unaussprechliche Liebe dazwischen, bekleidet seinen Sohn mit unserer Menschennatur (der Masse des sündigen Adam)[5] und verdammt ihn zum Tod, um sowohl die Gerechtigkeit als auch die Barmherzigkeit gleichermaßen zufrieden zu stellen. So wurde durch seinen Tod der Zorn des Vaters besänftigt und der Gerechtigkeit genüge getan, nachdem über die Person des Sohnes das Urteil verhängt worden war. Die Barmherzigkeit aber ist zufriedengestellt, weil er das Menschengeschlecht den Händen des Teufels entriss.

Dieses Wort trug ein Turnier aus zwischen Leben und Tod am Holz des heiligsten Kreuzes. Durch seinen Tod vernichtete er unseren Tod und gab uns das Leben, indem er sein eigenes leibliches Leben verschenkte.[6] So hat er uns mit Liebe an sich gezogen und mit seiner Güte die Bosheit besiegt, um dadurch jedes Herz zu gewinnen. Denn eine größere Liebe kann niemand zeigen (so sagte er selbst) als in der Hingabe des Lebens für seinen Freund.[7] Wenn er aber schon eine Liebe preist, die das Leben für den Freund hingibt, was sollen wir dann erst von jener verzehrenden glühenden Liebe sagen, die ihr Leben hingibt für ihren Feind?[8] Denn durch die Sünde waren wir ja Feinde Gottes geworden. O süßes, liebevolles Wort! Mit Liebe hast Du Dein verlorenes Schäflein wiedergefunden, und aus Liebe schenktest Du ihm das Leben. Du hast es zurückgebracht zum Schafstall, indem Du ihm die Gnade wiedergabst, die es verlor! O mein liebes heiligstes Väterchen! Ich sehe keinen anderen Weg, keine andere Hilfe, um Eure verlorenen Schäflein zurückzubringen, die sich in rebellischem Ungehorsam von der Hürde der heiligen Kirche getrennt haben und Euch, ihrem Vater nicht mehr untertan sind!

Deshalb bitte ich Euch im Namen des gekreuzigten Christus: Gebraucht Eure Güte, um ihre Bosheit zu besiegen! Wir gehören Euch, Vater, und ich weiß mit Sicherheit, dass sie alle ihr begangenes Unrecht einsehen. Angenommen, sie haben keine Entschuldigung für ihr schlechtes Verhalten, so glaubten sie doch, nicht anders handeln zu können angesichts der vielen Leiden, Ungerechtigkeiten und Schandtaten, die sie durch die schlechten Hirten und Gouverneure zu erdulden hatten. Sie spürten den Gestank der Lebensweise vieler Verwalter (von de­nen Ihr wissen müsst, dass sie eingefleischte Teufel sind) und wurden so schrecklich furchtsam, dass sie wie Pilatus – der Christus töten ließ, um seine Herrschaft nicht einzubüßen – gegen sie vorgingen, um ihre Posten nicht zu verlieren. Deshalb, Vater, er­bitte ich für sie Eure Barmherzigkeit.

Schaut nicht auf die Unwissenheit und den Stolz Eurer Kinder, sondern bringt mit dem Köder der Liebe und Eurer eigenen Güte uns armen sündigen Kindern den Frieden, wobei Ihr jegliche süße Züchtigung und milde Zurechtweisung verhängen könnt, die Eurer Heiligkeit gefällt. Ich sage Euch, süßer Christus auf Erden, im Namen des Christus im Himmel, wenn Ihr so handelt, ohne Sturm und Gewitter heraufzubeschwören, werden alle kommen und den Kopf in Euren Schoß legen aus Reue über das, was sie getan haben. Ihr werdet Euch dann freuen und ebenso wir alle, da Ihr durch Liebe Euer verlorenes Schäflein wieder in den Schafstall der heiligen Kirche zurückgeführt habt. Und dann, mein liebes Väterchen, könnt Ihr Euer Verlangen und den Willen Gottes verwirklichen – ich meine den heiligen Kreuz­zug. In seinem Namen lade ich Euch ein, dies bald zu beginnen, und zwar ohne Nachlässigkeit. Dann werden auch jene mit großer Begeisterung sich zur Verfügung stellen und bereit sein, ihr Leben hinzugeben für Christus.[9]

O weh! Gott, du süße Liebe! Erhebt bald das Banner des heiligsten Kreuzes, Väterchen, und Ihr werdet sehen, wie die Wölfe zu Lämmern werden! Friede! Friede! Friede! – damit der Krieg nicht diesen süßen Augenblick verzögert! Wenn Ihr aber unbedingt Rache nehmen und Gerechtigkeit haben wollt, dann tut das an dieser armen Elenden. Verhängt über mich jede Pein und Qual, wie es Euch gefällt, auch sogar den Tod. Ich glaube, der Gestank meiner Sünden war die Ursache der vielen Übel, Uneinigkeiten und großen Misslichkeiten. So nehmt also an mir, Eurer erbärmlichen Tochter, Rache, so viel, als Ihr wollt!

O weh! Vater, ich sterbe vor Schmerz und kann doch nicht sterben![10] Kommt! Kommt und widersteht nicht länger dem Willen Gottes, der Euch ruft! Die ausgehungerten Schäflein warten darauf, dass Ihr kommt, um den Ort Eures Vorgängers und Vorbildes, des Apostels Petrus, in Besitz zu nehmen. Als Stellvertreter Christi sollt Ihr Euch an dem Ort niederlassen, der Euch zu­steht.[11] Kommt! Kommt! Kommt! Haltet Euch nicht länger da­von fern! Habt Mut und fürchtet nichts, was noch geschehen könnte, denn Gott wird mit Euch sein. Ich bitte Euch demütig um Euren Segen für mich und alle meine Kinder. Und ich bitte Euch, verzeiht meine Anmaßung!

Mehr will ich nicht sagen. Bleibt in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes!

Geliebter Jesus! Jesus, unsere Liebe!



[1] Im Brief 97 an Monna Pavola aus Siena spricht Caterina vom Menschengeschlecht als der Braut Christi, die deshalb, „weil sie eine Ehebrecherin war“, unter die Herrschaft des Teufels fiel.

[2] Vgl. Dialog 26: „Das menschliche Herz wird immer von der Liebe angezogen.“

[3] Vgl. Caterinas Brief an Bartolomeo Smeducci (Gardner I): „Das erste Kleid, das wir besaßen, war die Liebe, da wir einzig aus Liebe erschaffen wurden nach dem Bild und Gleichnis Gottes. Deshalb können wir ohne Liebe nicht leben. Was immer wir leiblich oder geistlich besitzen, haben wir nur aus Liebe – denn es geschieht durch die Liebe mit Hilfe der Gnade Gottes, dass ein Vater und eine Mutter ihrem Kind das Leben schenken.“

[4] In Dialog 139 heißt es, Gott gebraucht Maria als Köder, um seine Geschöpfe zu fangen. An vielen anderen Stellen verwendet Caterina das Bild von der Angel (wie es ähnlich bereits bei Origenes, Gregor von Nyssa und Gregor dem Großen zu finden ist) in unterschiedlicher Weise. So etwa, dass das Wort den Teufel fing mit der Angel der Menschennatur (Br. 136), oder dass Gott den Teufel einfing „mit dem Köder unserer Menschennatur, in der Du den Angelhaken der Gott­heit verstecktest“ (Gebet 13; Dialog 135); oder dass umgekehrt der Teufel die Seelen gefangen hatte mit dem Angelhaken ihrer eigenen geistlichen Lust (Dialog 71).

[5] Caterina fasst hier die Sicht des Erlösungswerkes zusammen, wie es der heilige Augustinus und die mittelalterliche Theologie gelehrt haben: Weil die Erbsünde eine Beleidigung des unendlichen Gottes darstellte, forderte dies einerseits eine Sühne seitens der Menschheit, die gesündigt hatte, zugleich aber auch eine Sühne durch ein unendliches Sein; ein Erfordernis, das eben nur durch den Gottmenschen Jesus Christus verwirklicht werden konnte.

[6] Vgl. Dialog 30: „Dein Erbarmen ließ Deinen Sohn am Kreuzesholz Seine Arme ausspannen und den Tod für das Leben und das Leben für den Tod eintauschen. Das Leben durchbohrte unseren Sündentod, und der Tod der Sünde entriss dem unbefleckten Lamm das leibliche Leben. Wer unterlag? Der Tod. Und der Grund? Dein Erbarmen.“ Ähnlich 2 Tim 1,10: „(Christus) hat dem Tod die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch sein Evangelium.“ Und in Hebr 2,14–15: „Da nun die Kinder Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel.“ Vielleicht hat Caterina dabei auch an die bekannte Ostersequenz gedacht: „Tod und Leben kämpften einen unbegreiflichen Zweikampf; des Lebens Fürst, der starb, er herrscht nun lebend.“

[7] Vgl. Joh 15,13

[8] Vgl. Röm 5, 6–10.

[9] Möglicherweise eine Anspielung auf ein Caterina gegebenes Versprechen der Toskanischen Gemeinden, dass sie einen eventuellen Kreuzzug unterstützen würden, was aber wahrscheinlich nur dazu dienen sollte, den Papst im Augenblick günstig zu stimmen.

[10] Caterina gebraucht diesen Ausdruck sehr oft. Ähnliche Ausdrücke sind in etwa auch uns heute geläufig: Ich sterbe vor Freude! Ich vergehe vor Sehnsucht!

[11] Man war im 14. Jahrhundert durchaus der Ansicht, dass der Papst grund­sätzlich überall residieren könnte nach dem Motto: „Dort wo der Papst ist, dort ist Rom.“ Dennoch aber war Rom in der Sicht der meisten Menschen der eigentliche Ort, seitdem der heilige Petrus hier lebte und für Christus starb.

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