Brief 18 – An Caterinas Bruder Benincasa

 

Caterina war das zweitjüngste von 25 Kindern, aber wir wissen relativ wenig über ihre Geschwister. Als Caterinas Vater Giacomo 1368 starb, ging das Woll-Färbergeschäft der Familie auf Benincasa, Bartolomeo und Stefano über. Im September des Jahres wurden die drei zu Defensoren der Stadt gewählt, ein Amt, das sie kaum ein Jahr innehatten. Am 14. Oktober 1370 bewarben sich die drei Brüder um das Bürgerrecht von Florenz. Ihr Geschäft muss schlecht gegangen sein, nachdem ihre Partei die Macht verloren hatte. 1373 mussten sie schließlich ihren Besitz in Siena verkaufen. Vier Briefe an ihre Brüder sind uns erhalten. Während der erste (Brief 14) an alle drei Brüder gerichtet ist, gelten die drei folgenden (Brief 18, 20, 10) ausschließlich ihrem ältesten Bruder Benincasa. An dessen Tochter Giovanna (Nanna) hat Caterina Brief 23 geschrieben.

Einige Bemerkungen im Brief und die Tatsache, dass Lapa von nun an meist mit Caterina anzutreffen ist, lassen vermuten, dass die Sorge um die Mutter einzig von Caterina wahrgenommen wurde – mit Hilfe ihrer Freundin Alessa, die nach dem Zusammenbruch des Benincasa Familienunternehmens Caterina und Lapa ihre Gastfreundschaft angeboten hatte.

 

Kümmere Dich mehr um Deine Mutter!

Ende 1373 / Anfang 1374

Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und der süßen Jungfrau Maria.

Liebster Bruder in Christus Jesus. Ich, Caterina, unnütze Dienerin, segne und ermutige Dich, und ich lade Dich ein zu einer süßen und heiligen Geduld, denn ohne Geduld können wir Gott nicht gefallen. Ich bitte Dich also, ergreife diese Waffe der Geduld, dann wirst Du aus Deinen Betrübnissen Frucht ziehen.[1] Und wenn es Dich hart ankommt, die viele Mühsal zu ertragen, dann erinnere ich Dich an drei Dinge, die Dir helfen werden, alles geduldiger anzunehmen.

Erstens würde ich daran denken, wie kurz Dein Leben ist, so dass Du des morgigen Tages nicht sicher bist. Daher können wir wahrhaft sagen, dass wir weder die Mühen der Vergangenheit tragen noch jene der Zukunft, sondern nur den Augenblick, den wir gerade leben.[2] Weil also die Zeit so kurz ist, tun wir gut daran, in Geduld zu ertragen. Zweitens würde ich an die Früchte denken, die aus den Mühen erwachsen. Der Apostel Paulus sagt, dass die Leiden nichts bedeuten im Vergleich zu der Frucht und dem Lohn der ewigen Herrlichkeit.[3] Drittens solltest Du an den Verlust jener denken, die jetzt voll Zorn und Ungeduld die Mühen ertragen, denn die Folge davon ist nicht nur ein gegenwärtiger Schaden, sondern dass sie danach eine ewige Strafe erleiden. Ich bitte Dich daher, liebster Bruder, ertrage alles mit großer Geduld.

Ich möchte nicht, dass Du Deine Undankbarkeit und Ungezogenheit vergisst, das heißt die Schulden, die Du gegenüber Deiner Mutter hast und die Du gemäß dem göttlichen Gebot ehren sollst. Ich habe gesehen, wie Deine Undankbarkeit immer mehr gewachsen ist, so dass Du ihr nicht einmal die gebotene Hilfe geleistet hast – obwohl ich das noch entschuldige, weil Du dazu nicht in der Lage warst. Ich weiß aber nicht, ob Du es getan hättest, wenn Du es hättest tun können, weil Du sogar mit den Worten sehr sparsam gewesen bist und kaum etwas hören ließest! O welch ein Undank! Du denkst überhaupt nicht an ihre Schmerzen bei Deiner Geburt und an die Milch aus ihrer Brust, mit der sie Dich gestillt hat, und an die Sorgen um Dich und die anderen.[4] Und wenn Du mir erwiderst: Sie hatte keine Geduld mit uns! Dann antworte ich, dass das nicht stimmt. Denn sie hatte viel Geduld mit Dir und Deinem Bruder, das hat sie viel gekostet.[5] Aber gesetzt den Fall, es wäre wahr, dann bist Du trotzdem ihr gegenüber verpflichtet und nicht sie Dir gegenüber. Sie hat von Dir kein Fleisch genommen, aber sie hat Dir ihres gegeben.

Ich bitte Dich, verbessere diesen und Deine anderen Fehler, und verzeihe meine Torheit. Wenn ich Deine Seele nicht liebte, würde ich Dir das nicht sagen, was ich Dir sage. Denke daran, zur Beichte zu gehen, Du und auch Deine Familie. Mehr will ich nicht sagen …[6]

Bleibe in der heiligen und zärtlichen Liebe Gottes.

Geliebter Jesus! Jesus, die Liebe!



[1] Vgl. Br. 201 an den Kartäuser Don Giovanni: „Die Geduld steht auf dem Schlachtfeld! Sie wehrt die Schläge ab mit den Waffen der Tapferkeit und mit dem Schild des heiligsten Glaubens. Sie siegt, indem sie erträgt.“

[2] Vgl. Augustinus, Confessiones XI, 14–18: „Die Vergangenheit ist bereits nicht mehr, und die Zukunft ist noch nicht. Wir sollten daher nicht sagen: Die Zeit ist lang … und die Gegenwart dauert nicht, denn im Nu ist sie weg.“

[3] Vgl. Röm 8,18.

[4] Lapa und Giacomo hatten insgesamt fünfundzwanzig Kinder. Raimund berichtet (vgl. Legenda Maior 26), dass Caterina, die Zweitjüngste, das einzige Kind war, das Lapa selbst bis zur Entwöhnung gestillt hatte.

[5] Ein Hinweis auf Bartolomeo. Stefano, der dritte der drei Brüder, die nach Florenz gingen, starb im Herbst 1373.

[6] Hier wurde durch die Kopisten vom Original etwas weggelassen

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