Brief 157 – An Vanni und Francesco Buonconti
Caterina war während ihres fast einjährigen Aufenthaltes in Pisa im Jahre 1375 vorwiegend zu Gast bei Gherardo Buonconti, einem führenden Bürger und Mitglied einer großen adeligen Familie. Sein Haus stand nahe der kleinen Kirche Santa Cristina am Arno, in der Caterina am 1. April die Wundmale empfing.
Die Buonconti gehörten im 13. und 14. Jahrhundert zu den politisch einflussreichen Handelsfamilien von Pisa. Der Zweig der Familie, bei dem Caterina Aufnahme fand, bestand aus Niccolò Buonconti, seiner Frau Nella, an die Caterina mehrere Briefe adressiert hat (Br. 151, 167 und 161), sowie ihren Söhnen Tommaso, Francesco, Vanni, Gherardo und dessen Frau Caterina.
Der vorliegende Brief ist an seine beiden Brüder Vanni und Francesco (und vermutlich auch an Tommaso) adressiert, die sie für den Kreuzzug zu begeistern suchte und die dann Dominikaner-Ordenspriester wurden. Ihre Schwester Agnes ging ebenfalls ins Kloster. Auf den Fundamenten der Casa Buonconti in der Via Toselli 13 wurde inzwischen ein neues Gebäude errichtet.
Führt ein tugendhaftes Leben!
Ende 1375 / Anfang 1376
Im Namen Jesu Christi und der lieben Jungfrau Maria.
Liebste und teuerste Brüder in Christus Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Gottes, schreibe und ermutige Euch im kostbaren Blut seines Sohnes. Ich möchte, dass Ihr wahre Söhne seid und immer so in heiliger Gottesfurcht lebt, dass Ihr nie das Blut Christi verachtet.[1] Eigentlich sollte Euch die Verdorbenheit der schweren Sünde, die den Tod des Gottessohnes verursacht hat, widerlich und abscheulich erscheinen. Diejenigen, die ihren Körper einer solchen schmutzigen Verderbtheit ausliefern, verdienen wirklich eine schwere Zurechtweisung – besonders im Hinblick darauf, dass Gott sich so vollkommen mit der Menschheit verbunden hat. Ich will also nicht, meine liebsten Brüder, dass so etwas bei Euch der Fall ist.
Besonders Du, Vanni: Ich möchte, dass Du Dein Leben änderst und nicht mehr so lebst wie bisher. Schau auf Deine Seele und wie kurz die Zeit ist. Denke daran, dass Du sterben musst und nicht weißt, wann. Wie schlimm wäre es, wenn Dich der Tod im Zustand der Todsünde ereilen würde; und wenn wir wegen eines erbärmlichen Vergnügens das wertvolle Gut und die Freude verlieren würden, Gott durch die Gnade in uns zu haben und schließlich das ewige Leben zu besitzen, das niemals mehr ein Ende nimmt!
Ihr seht, ich lade Euch alle drei ein, Eure Leiber aufzuopfern und bereit zu sein, für den gekreuzigten Christus sogar zu sterben, wenn es nötig sein sollte.[2] Und in der Zwischenzeit, bis die Stunde kommt, möchte ich, dass Ihr ein tugendhaftes Leben führt mit häufiger Beichte und dass Ihr gern das Wort Gottes hört. Denn wie der Leib nicht ohne Nahrung überleben kann, so kann auch die Seele nicht überleben ohne das Wort Gottes und ohne die Beichte.[3] Hütet Euch vor schlechter Gesellschaft, denn sie wäre ein großes Hindernis für Euer gutes Vorhaben.[4] Mehr will ich nicht sagen.
Liebste und süßeste Brüder in Christus Jesus,
bleibt in der heiligen Liebe Gottes.
Jesus! Jesus! Jesus!
[1] Caterina verwendet den Ausdruck „das Blut Christi verachten“ auf zweifache Weise: einmal für die Sünde ganz allgemein als eine Zurückweisung der Erlösung, und dann wieder als Rebellion gegen die Kirche (vgl. etwa Br. 171 an Niccolò Soderini: „Wenn Ihr mir sagt: Ich verachte das Blut nicht, so antworte ich und sage: Das stimmt nicht. Denn wer immer diesen lieben Stellvertreter (den Papst) verachtet, der verachtet das Blut.“
[2] Das ist eindeutig Kreuzzugsterminologie. Was die dritte angesprochene Person betrifft, so ist damit vielleicht ihr Bruder Tommaso gemeint, da der vierte Bruder, Gherardo, bereits verheiratet ist. Obwohl ihn andererseits sein Ehestand nicht davon abhalten wird, kurze Zeit später Caterina auf ihrer Reise nach Avignon zu begleiten.
[3] Wörtl.: „ohne das Wort Gottes, das heißt ohne die Beichte.“ An keiner der neunundsiebzig anderen Stellen in Caterinas Schriften, die auf die sakramentale Beichte hinweisen, wird die Beichte mit dem Wort Gottes identifiziert. Vielmehr verbindet sie ausdrücklich die Beichte mit dem „Hören des Gotteswortes“ und dem „Hören der Messe.“ Folglich ist ihr Hinweis auf das Wort Gottes hier in diesem Kontext mehr im Sinne des „Anhörens der Predigt“ aufzufassen. Vgl. besonders ihren Rat an den Dominikaner Tommaso d´Antonio da Siena (Caffarini) in Br. 325: „Ihr seid verpflichtet, beim Beichthören und beim Predigen das Volk dahin zu bringen, sein Möglichstes zu tun.“
[4] Vgl. Br. 107 an Luigi Gallerani: „Höre nicht auf die Leute und glaube ihnen nicht, wenn sie Dir von Deinem heiligen Vorhaben abraten wollen. Gehe oft zur Beichte und suche die Begleitung derer, die Dir helfen, in der Gnade Gottes zu bleiben.“