Alessa dei Saracini

Alessa war mit Niccolò di Francesco dei Saracini verheiratet, der einer der bedeutendsten Familien Sienas angehörte und den Raimund in seiner Legenda als einen „edlen und in der Wissenschaft bewanderten Mann“ bezeichnet. Sie war etwa gleich alt wie Caterina, besaß einen scharfen Verstand und ein hohes Maß an Bildung. Nach dem frühen Tod ihres Gatten und kinderlos geblieben, gab sie ihr Vermögen für wohltätige Zwecke und schloss sich dem Orden der Buße, den Mantellatinnen, an. Obwohl sie erst später zu Caterinas Schülerkreis dazu gekommen war, wird sie von Raimund als die heiligste und treueste Freundin bezeichnet, die in der Vollkommenheit der Tugenden „allen anderen voraus war“.
Alessa hing leidenschaftlich an Caterina und wollte sich nicht von ihr trennen. Wiederholt beherbergte sie ihre Freundin als Gast in ihrem Haus, einmal sogar einen ganzen Winter lang. Als treue Begleiterin auf fast allen ihren Reisen war Alessa auch in Rom immer bei ihr. Caterina starb in ihren Armen, ehe sie zuvor noch Alessa zu ihrer Nachfolgerin als Mutter und Oberin der Schwestern von der Buße bestimmt hatte. (Ihre geistlichen Söhne hatte Caterina Raimund von Capua anvertraut.) Nach Caterinas Tod 1380 blieben die Schwestern in Rom und bildeten eine Genossenschaft, deren erste Priorin Alessa war. Sie überlebte aber ihre geliebte Freundin und Mutter nur um zwei Jahre.
Es ist anzunehmen, dass Alessa zu Lebzeiten ihres Schwiegervaters, Francesco Saracini, einen Teil des Saracini-Palastes in Siena besessen hatte. Als ein Mann von über 80 Jahren, lebte Francesco damals in Feindschaft mit dem Prior einer Klosterkirche und hatte seit Jahren seine religiösen Pflichten vernachlässigt. Alessa bat deshalb Caterina zu sich ins Haus, und so wohnte Caterina einige Monate bei ihr. Schließlich gelang es, den alten Mann zur Versöhnung und zur Beichte zu bewegen, so dass er seine letzte Lebenszeit noch in frommer Gesinnung verbrachte. Eine ähnliche Bekehrung wurde auch einem anderen Verwandten Alessas geschenkt: Niccolò Saracini.
Wie Raimund berichtet, hing Alessa so sehr an Caterina, dass sie nach der Aufnahme bei den Schwestern von der Buße (den Mantellatinnen) ihren bisherigen Wohnort (Palazzo) verließ, in der Nähe von Caterina ein Haus mietete und hier wohnte, „um auf diese Weise mehr als bisher den Umgang mit ihr genießen zu können“ (Legenda Maior 299).
Die 6 Briefe im Überblick
1. Schaut niemals zurück!
Brief 126 (Ende September 1377). Der Brief ist gerichtet an Alessa und zugleich an Cecca di Clemente Gori. Anspielungen auf das „Geschwätz über Caterina in Siena“ und die Bemerkung, dass das „kleine Boot“ ihrer Seele von all dem leer sei außer von Gott, legen es nahe, dass dieser Brief bald nach Raimunds Abreise nach Rom geschrieben wurde, etwa Mitte September 1377.
2. Achte auf Dein Sprechen!
Brief 49 (Ende Oktober 1377). Alessa scheint nur zu Beginn der Val d´Orcia-Mission bei Caterina gewesen zu sein. Wir wissen, dass zu Beginn dieser Periode Alessa und eine gewisse Frau Bruna „in einem besonderen Auftrag“ in der Nähe von Montegiovi waren (vgl. Br. 118 an Caterina dello Spedaluccio und Giovanna di Capo, der am Anfang von Caterinas Orcia-Mission geschrieben wurde: „Alessa und Monna Bruna sind in Montegiovi, achtzehn Meilen von Montepulciano entfernt. Sie sind (dort) bei der Gräfin und bei Frau Isa“). Möglicherweise kehrten sie unmittelbar danach nach Siena zurück.
Jedenfalls war Alessa zumindest bis Anfang Oktober in Siena. Der vorliegende Brief gibt keinen Hinweis, wann und von wo aus er geschrieben wurde. Der einzige Anhaltspunkt sind einige inhaltliche Parallelen zum Dialog (der in dieser Zeit seinen Anfang nahm). Meattini nennt den Brief eine „kleine pädagogische Abhandlung über die Konversation“ (Verschwende keine Zeit mit Geschwätz!). Darüber hinaus bietet er auch eine Anleitung für das geistliche Leben und die Tagesgestaltung einer Mantellatin.
3. Gott hat wunderbar gesorgt
Brief 119 (Advent 1377). Caterina befasst sich in diesem Brief mit dem Geschwätz vonseiten einer gewissen nicht näher genannten Frau (vielleicht mit Alessa selbst). Ein Geschwätz, das ihr offenbar Schmerz bereitet. Es wird auch eine Frau erwähnt (vielleicht dieselbe, vielleicht eine andere), über deren Bekehrung Alessa Caterina informiert hat. Die Rubrik im Pagliaresi-Manuskript vermerkt, dass der gegenwärtige Brief geschrieben wurde, „als Caterina auf Rocca war“. Und im Brief selbst bezieht sich Caterina darauf, dass es Advent ist (29. November – 24. Dezember 1377).
4. Seid Liebende der Wahrheit!
Brief 286 (25. Januar 1378). Der Brief ist am Tag der Bekehrung des hl. Paulus entstanden (vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Florenz) und neben Alessa auch noch an verschiedene andere ihrer geistlichen Töchter unter den Mantellatinnen in Siena gerichtet.
5. Leiden ertragen aus Liebe zur Wahrheit
Brief 271 (April / Mai 1378). Caterina ist in Florenz und harrt aus auf ihrem Posten. Der neue Papst, Urban VI., der am 8. April 1378 gewählt wurde, beginnt vielversprechend mit seinem Reformwerk. Der Brief fordert auf, für die Kirche besonders zu beten und zu opfern.
6. Die Morgenröte des nahenden Friedens
Brief 277 (Anfang Mai 1378). In diesem Brief überbringt Caterina die Nachricht, dass die Florentiner damit beginnen, das Interdikt, das sie gebrochen haben, wieder einzuhalten. Der Brief wurde zur selben Zeit geschrieben wie Brief 227 an William Flete, zwischen dem 1. und 10. Mai 1378.