Von der Handschrift zur CD

 

 

Die Sammlungen und Veröffentlichungen der Briefe im Überblick

 

Caterinas Briefe, die zum Großteil in den letzten sechs Jahren ihres Lebens entstanden sind, wurden vorwiegend von ihr diktiert – oftmals auch im Zustand der Ekstase, wie dies ihre Schüler, die ihr als Schreiber dienten, später gelegentlich mit den Worten fatta in abstractione als Randnotiz vermerkt haben. Ihre hauptsächlichen Sekretäre waren Neri di Landoccio Pagliaresi, Stefano Maconi und Barduccio Canigiani. Nach dem Tod Caterinas haben diese drei und auch weitere Schüler Caterinas damit begonnen, die Kopien der jeweiligen Briefe zu sammeln. Cristofano di Gano in Siena – so berichtet uns Tommaso Caffarini im Supplement III, 6, 11 – „sammelte fast alle Briefe der Jungfrau, die überall verstreut waren, und machte daraus zwei Bände … die ich von dort nach Venedig mitnahm, abschreiben ließ und ihnen eine genaue Ordnung gab“. Caffarini spricht von „155 Briefen an Männer und Frauen des geistlichen Standes“ und von „139 Briefen an Männer und Frauen des weltlichen Standes“ (vgl. Prozess, S. 84). Die bedeutendste Sammlung gelang Neri di Landoccio Pagliaresi, der 220 Briefe, vorwiegend eigenhändig geschrieben, in einem Band vereinte und den Codex testamentarisch dem Kloster Monteoliveto Maggiore überließ. Heute wird dieser Codex in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt. Weitere Kopien der Briefe Caterinas finden sich in insgesamt 68 Handschriften verstreut in verschiedenen Bibliotheken Europas.

Pagliaresi-Handschrift (Palatino 3514, Mo), Wien, Österr. Nationalbibliothek, 220 Briefe

 

Die ersten gedruckten Ausgaben 1492 / 1500 / 1562

Mit dem Aufkommen des Buchdrucks war das mühevolle Abschreiben der Briefe beendet. 1492, im Jahr der Entdeckung Amerikas, erschien durch den Dominikaner Jacomo Fontanesi in Bologna die erste gedruckte Ausgabe von 31 Caterina-Briefen. Acht Jahre später erfolgte dann durch Aldo Manuzio in Venedig die erste umfassende Edition der Briefe, die Fra Bartholomeo Alzano OP in 20 Jahren zusammengetragen hatte. Mit insgesamt 368 Briefen war dies die bisher kompletteste Sammlung, die lange Zeit maßgebend blieb. Die Anordnung der Briefe erfolgte dabei nach dem Vorbild der Caffarini-Sammlung (zuerst die Päpste, der Klerus usw. und dann die Laien).

1562 erschien diese Sammlung erneut auf 750 Seiten unter der Bezeichnung Briefe der seligen Jungfrau Santa Caterina da Siena, mit aller Sorgfalt neu gedruckt, Venedig, al segno della Speranza.

 

Venezia, 1562, al segno della Speranza

 

Girolamo Gigli

1707–1721 veröffentlichte der Sieneser Literatur-Professor Girolamo Gigli in mehreren Bänden Caterinas Schriften (mit Anmerkungen des Jesuiten Frederico Burlamacchi) und verdrängte damit die bisherige Ausgabe von Manuzio. Gigli hatte zudem 21 neue Briefe entdeckt, so dass sich die Anzahl auf 373 erhöhte, ein Wert, der die nächsten 200 Jahre stabil blieb.

 

Girolamo Gigli, 1707–1721, Lettere di S. Caterina da Siena

 

Niccolo Tommaseo

1860 kam es auf Grundlage der Gigli-Edition zu einer Neuausgabe der Briefe durch Niccolo Tommaseo. Die neue Gestaltung und das handliche Format sicherten dieser vierbändigen Ausgabe eine weite Verbreitung. Tommaseo versuchte auch eine Neuordnung der Briefe in zeitlicher Folge, wodurch seine Nummerierung von der bisherigen zählweise wesentlich abwich.

 

Die Ausgabe von Niccolo Tommaseo aus dem Jahr 1860

 

Piero Misciatelli

1912 wurde Tommaseos Briefausgabe durch Piero Misciatelli neu gedruckt unter Hinzufügung eines eigenen Bandes mit den Briefen der Schüler Caterinas. Zwischen 1918 und 1930 veröffentlichte Lodovico Ferretti praktisch einen Nachdruck der Tommaseo-Ausgabe. 1940 wurde die Ausgabe von Piero Misciatelli neu herausgegeben.

 

Die Misciatelli-Ausgabe von 1940

 

D. Umberto Meattini

1966 veröffentlichte D. Umberto Meattini unter dem Titel „Epistolario“ Caterinas Briefe in drei Bänden und in einem 4. Band ihren Dialog; 1987 wurden die Briefe unter dem Titel „Le Lettere“ in einem einzigen Band von über 1700 Seiten auf Dünndruckpapier neu herausgegeben.

 

Die beiden Meattini-Ausgaben von 1966 und 1987

 

Giuseppe Di Ciaccia

1996 besorgte Giuseppe Di Ciaccia OP eine Übersetzung sämtlicher Briefe in zeitgemäßem Italienisch.

 

1996 Sämtliche Briefe in zeitgemäßem Italienisch

 

Eugenio Dupré Theseider

Aufgrund der kritischen Stellungnahmen des französischen Historikers Robert Fawtier in den Jahren 1921–1948 hatte das Institut für die Geschichte des Mittelalters in Italien Prof. Eugenio Dupré Theseider beauftragt, eine kritische Ausgabe der Briefe Caterinas vorzubereiten. Prof. Theseider starb 1975. Er hinterließ nur einen ersten Band mit 88 Briefen.

 

Dupré Theseiders kritische Ausgabe von 1940, 1. Band

 

Antonio Volpato

Die Weiterführung des Projektes, das Prof. Theseider begonnen hatte, erfolgte ab 1980 durch seinen Schüler Antonio Volpato. Der von ihm vorgelegte Text der Briefe der hl. Caterina (zusammen mit der kritischen Ausgabe des Dialog und der Gebete, die beide von Giuliana Cavallini besorgt wurden) ist sowohl als CD erhältlich als auch unter der angegebenen Internetadresse frei abrufbar (LETTERE_ed._Volpato.pdf).

 

Santa Caterina da Siena Opera Omnia, Testi e Concordanze, OP-Pistoia, 2002

 

Suzanne Noffke OP (engl. Ausgabe)

Auf der von Theseider und Volpato geleisteten Grundlage und auch durch eigene Studien bereichert, veröffentlichte die amerikanische Dominikanerin und Caterina-Spezialistin Suzanne Noffke in den Jahren 2000–2008 in vier Bänden eine englischsprachige Gesamtausgabe der Briefe mit zahlreichen Anmerkungen zu den einzelnen Adressaten und den Inhalten der jeweiligen Briefe.

 

Suzanne Noffke, OP, The Letters, 2000–2008

 

Deutsche Ausgabe

Zwischen 2005 und 2014 entstand eine deutschsprachige Ausgabe sämtlicher Briefe Caterinas in sechs Bänden (drei Bände gelb: Klerus und Ordensleute und drei Bände blau: Laien), wobei die Übersetzung des Meattini-Textes (durch Rita Manlik-De Cesaris und Claudia Reimüller) im ständigen Rückgriff auf Prof. Sr. Suzanne Noffke ergänzt und bereichert wurde.

 

Caterina von Siena – Sämtliche Briefe, 2005–2014

 

2014/15 – Beginn der gedruckten kritischen Ausgabe

Seit dem Jahr 2014 ist die römische Provinz der Dominikaner in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Historischen Institut für das Mittelalter darum bemüht, die Veröffentlichung der kritischen Ausgabe der Caterina-Briefe (nach fast hundertjährigem Stillstand) wieder fortzusetzen. Im Vorwort des Einleitungs-Bandes heißt es: „Das Verzeichnis der Handschriften und Drucke, aus denen sich die Überlieferung der Caterina Korrespondenz zusammensetzt, ist der erste Band der neuen kritischen Ausgabe, die das Italienische Historische Institut für das Mittelalter 2014 angeregt und 2015 in Zusammenarbeit mit der Römischen Provinz des Predigerordens tatsächlich herausgebracht hat.“ Die Sammlungen der Briefe Caterinas sind „ein historisches Dokument von absoluter Einzigartigkeit für die Rekonstruktion der politischen, sozialen und religiösen Realität des 14. Jahrhunderts.“

Im Jahr 2023 erschien dann der erste Band der kritischen Ausgabe mit 75 Briefen, geordnet nach den Anfangsbuchstaben der Adressaten A – B (Buonaccorso di Lapo). Pater Antonio Cocolicchio, der Prior der Römischen Dominikaner-Provinz, schreibt in seiner Einleitung: „Dieses Werk, an dem mehrere Wissenschaftler mit sich ergänzenden Kompetenzen mitgewirkt haben, wird dank des neuen historischen Kommentars, den es uns bietet, ein wertvolles Instrument sein, um das Studium der hl. Caterina von Siena auf einer wissenschaftlicheren Grundlage fortzusetzen, für diejenigen, die ihre Kenntnisse über sie vertiefen und die mündliche und schriftliche Überlieferung der Lehre Caterinas fördern wollen. Mein Dank gilt allen Herausgebern des Werkes in der Hoffnung, dass Caterina von Siena immer mehr bekannt und geliebt wird und so jene menschlichen und christlichen Werte vermehrt werden, die die heutige Gesellschaft so dringend braucht. Rom, Januar 2023.“

Neben einer Digitalisierung werden sämtliche Forschungsergebnisse in einer eigenen Datenbank DEKaS (= Database Epistolario Katerina da Siena) gesammelt und zugänglich gemacht, wobei die Beibehaltung des „K“ auf die traditionelle Schreibweise des Namens „Caterina“ in vielen der handschriftlichen Zeugnisse verweist.

 

Liegend der Einleitungsband (Textzeugnisse) und rechts der 1. Band mit 76 Briefen von A - B (Buonaccorso di Lapo)

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