Caterinas geistliche Lehre

William Flete, Lecceto (Foto Mayr)

 

nach den Aufzeichnungen von William Flete (Suppl. III, 2, 3, S. 316f.)

 

Die heilige Mutter, die über sich wie über eine andere sprach, sagte, dass sie am Beginn ihrer Erleuchtung gegen die Eigenliebe als Fundament ihres ganzen Lebens den Stein der Selbsterkenntnis gesetzt hat. Diesen Stein unterteilte sie in die drei folgenden Einzelsteine:

Der erste Stein ist die Betrachtung der Schöpfung; nichts hatte das Sein von sich selbst, sondern einzig vom Schöpfer, im Ursprung wie in der Bewahrung. Und dies alles wirkte und wirkt der Schöpfer aus Gnade.

Der zweite Stein ist die Betrachtung der Erlösung. Durch sie hat er nach dem Verlust der Gnade mit seinem Blut aus reiner und brennender Liebe den früheren Zustand wiederhergestellt, einer Liebe, die der Mensch nicht verdient hat.

Der dritte Stein ist die Betrachtung ihrer eigenen Sünden, die sie nach der Taufe und der Erlangung der Gnade begangen hat. Dafür hatte sie die ewige Verdammnis verdient, und sie staunte über die ewige Güte Gottes, dass er nicht der Erde befohlen habe, sie zu verschlingen.

Aus diesen drei Betrachtungen erwuchs in ihr ein solcher Hass auf sich selbst, dass sie nichts nach ihrem Willen begehrte, sondern alles nach dem Willen Gottes, der, wie sie sah, einzig ihr Heil wolle. Die Folge war, dass ihr jede Bedrängnis und jede Versuchung zur Freude gereichten, teils weil sie aus dem Willen Gottes kamen, teils weil sie bewirkten, dass sie frei von sich selbst wurde. Deshalb sagte sie, dass sie das größte Missfallen an dem habe, worin sie früher ihre Freude fand, und ein großes Wohlgefallen an den Dingen, die ihr früher eine Last waren. Denn vor den Schmeichelworten ihrer Mutter, über die sie sich früher freute, wich sie jetzt zurück wie vor Schwert oder Gift, dagegen hieß sie Ungerechtigkeiten mit Freude willkommen.

Die Versuchungen des Teufels begrüßte sie und verschmähte sie gleichzeitig: sie begrüßte sie, weil sie sie plagten, und verschmähte sie, weil sie ihr sinnliche Freuden anboten. Dies alles erweckte das größte Verlangen nach Reinheit, und sie betete viele Monate beharrlich zum Herrn, er möge ihr die vollkommene Reinheit schenken. Schließlich erschien ihr der Herr und sprach:

„Meine geliebte Tochter, wenn du die Reinheit, nach der du verlangst, gewinnen willst, musst du mit Mir ganz eins werden, denn Ich bin die höchste Reinheit. Das aber wird geschehen, wenn du drei Dinge beachtest:

Das erste ist, dass du dein ganzes Streben auf Mich richtest, in allen deinen Taten einzig Mich zum Ziel machst und dich bemühst, Mich immer vor Augen zu haben.

Das Zweite ist, dass du deinen Willen völlig verleugnest und nicht den Willen irgendeines Geschöpfes berücksichtigst, sondern in allem, was dir geschehen könnte, nur Meinen Willen beachtest und erkennst, denn Ich will und erlaube nichts anderes als nur dein Wohl; wenn du darauf achtest, wirst du dich über nichts betrüben, du wirst niemandem auch nur eine Stunde zürnen, sondern eher bedenken, dass du jedem verpflichtet bist, der dir Unrecht tut; ferner wirst du über niemanden zu Gericht sitzen, außer wenn du ganz eindeutig eine Sünde siehst, und dann wirst du dem Fehler zürnen, mit dem Menschen aber Mitleid haben.

Das Dritte ist, dass du die Werke Meiner Diener nicht nach deinem Gutdünken, sondern nach Meiner Entscheidung beurteilst. Du weißt ja, Ich habe gesagt, dass im Haus Meines Vaters viele Wohnungen sind (Joh 14,2). Die Wohnung der Glorie richtet sich nach dem Verdienst des Weges, und wie es in der himmlischen Heimat verschiedene Wohnungen gibt, so ist auch der Wandel auf dem irdischen Weg verschieden. Deswegen sollst du alle Taten Meiner Diener, soweit sie nicht gegen Meine Lehre sind, respektieren und sie selbst keineswegs richten. Wenn du das beachtest, wirst du durch den ersten Rat in dir selbst und Mir gegenüber geordnet sein, durch den zweiten und dritten Rat gegenüber deinem Nächsten, dem schlechten wie dem guten; und so wirst du nicht durch Laster den Pfad der Tugenden verlassen und in der Folge die Reinheit vollkommen bewahren, denn mit dir wird stets Meine Gnade wirken.“

Zur Erklärung des Vorerwähnten sagte die heilige Jungfrau auch, dass die Eigenliebe die Quelle aller Übel und der Untergang alles Guten sei. Es gibt aber eine zweifache Eigenliebe, die sinnliche und die geistliche Liebe.

Die erste ist die Ursache aller Sünden, sowohl der fleischlichen als auch der anderen sichtbaren Sünden, die aus Liebe zu irdischen Dingen oder Geschöpfen begangen werden, da wegen der Liebe zu jenen Geschöpfen das Gebot des Schöpfers missachtet wird.

Die zweite ist die sogenannte geistliche Eigenliebe; das ist jene, die nach der Verachtung des Irdischen und aller Geschöpfe – und auch der eigenen Sinne – bewirkt, dass der Mensch so sehr dem eigenen Streben und dem eigenen Willen verhaftet ist, dass er nicht gewillt ist, Gott zu dienen oder auf Gottes Weg zu gehen, außer gemäß dem eigenen Trieb und der eigenen Empfindung. Und weil Gott einen Menschen will, der gänzlich ohne Eigenwillen ist, kann ein solcher Mensch nicht auf dem Weg Gottes gehen, ja er muss zu Fall kommen, denn er ist mehr vom eigenen als dem göttlichen Willen abhängig. Zu diesen Menschen gehören alle, die sich ihre Stellung und Beschäftigung nach eigenem Urteil aussuchen wollen und nicht danach, dass sie von Gott nach dem Rat von Einsichtigen berufen sind.

Zu ihnen gehören auch jene, die für eine einzige geistliche Tätigkeit eine allzu große Liebe zeigen, etwa zum Fasten oder einer anderen ähnlichen Betätigung, und für sich darin gleichsam das Ziel sehen; wenn sie aber aus irgendeinem Anlass dieses Ziel verlieren, verzweifeln sie sogleich und geben auch alles andere auf. Auch solche gehören dazu, die ihre Liebe allzu sehr in geistlichen Tröstungen suchen und auch sofort verzweifeln, wenn sie diese nicht mehr finden.

Wer aber wahrhaft aus dem Geist lebt, liebt Gott allein und um seinetwillen das Heil der Seelen. Alles andere dient ihm zu diesem Ziel, und es kümmert ihn nicht, was dazwischen liegt, wenn nur die Ehre Gottes und das Wohl der Nächsten das Ziel ist. Wer also die wahre geistliche Liebe hat, muss alles nach Gottes Willen, nicht nach dem Willen der Menschen beurteilen, und wenn er irgendeines geistlichen Trostes beraubt wird, soll er sogleich denken: Dies geschieht mir durch göttliche Vorsehung und mit Zulassung Gottes, der in allen Widrigkeiten, die er mir schickt, nichts anderes sucht und nichts anderes will als meine Heiligung. Wenn er so denkt, wird das Bittere süß werden.

Das waren ihre Worte.

Als die Jungfrau einmal von Gott die Einsamkeit erbat, sagte der Erlöser zu ihr: „Viele sind in einer Zelle und doch außerhalb der Zelle. Ich will, dass deine Zelle die eigene Erkenntnis deiner Sünden ist.“ Diese Zelle verließ sie nicht. Jeder Diener Gottes muss so handeln, und so wird er stets in seiner Zelle Schutz finden, wo immer er auch sein mag.

Über die Unterweisung auch dieser Art und über ähnliche Unterweisungen ist in der Legende dieser heiligen Jungfrau gegen Ende des ersten Teiles ausführlich die Rede; darum ist es nicht dienlich, darüber noch weitere Erläuterungen zu geben.

Zum Thema der vorliegenden vierten Unterweisung soll noch eines gesagt werden. Weil nämlich darüber sonst nirgends etwas erwähnt wurde, fühle ich mich gedrängt, es wenigstens hier einzufügen, damit es nicht in Vergessenheit gerät, noch dazu wo ich selbst anwesend war und Zeuge wurde …

Hinsichtlich der fünften Unterweisung in ihrer erwähnten Ansprache habe ich weiters erfahren: Als die Rede von der göttlichen Vorsehung war, sagte sie, dass sie von Kindheit an damit Erfahrung gemacht habe; und wenn wir die so große und unbegrenzte Vorsorge Gottes sehen, dann müssten unsere Herzen, selbst wenn sie härter als Stein wären, ihre Härte und Kälte ablegen; „darum müsst ihr mit Recht auf sie vertrauen.“

Was die sechste Unterweisung, die Nächstenliebe, betrifft, habe ich erfahren, dass sie besonders eindringlich allen ihren Lieben jenes Gebot ans Herz legte, das der Erlöser seinen Jüngern als letztes Vermächtnis hinterlassen hat, nämlich einander zu lieben.

Ebenso habe ich über die siebte Unterweisung erfahren, dass sie allen ihren Kindern im Herrn die Überzeugung beibrachte, man müsse zur Erneuerung der Kirche nicht bloß Wünsche vorbringen, sondern im Angesicht Gottes auch Tränen vergießen für diese so süße Braut und ihren Statthalter. Sie sagte auch, dass Gott ihr besonders in den letzten sieben Jahren diese Aufgabe und das brennende Verlangen ins Herz gelegt habe; seit dieser Zeit habe sie es niemals unterlassen, sagte sie, „die Kirche mit schmerzlichen, qualvollen und süßen Bitten der göttlichen Majestät vor Augen zu stellen.“

Sie erzählte auch, dass es Gott gefiel, dafür viele verschiedene und mannigfaltige Krankheiten ihrem zerbrechlichen Leib aufzuerlegen; sie erinnere sich nicht, zu irgendeiner anderen Zeit so süße Qualen und Martern ertragen zu haben, wie sie in dieser Größe und Härte zu dieser Zeit auf ihr lasteten. Dafür dankte sie der Güte Gottes, dass er sie würdig gemacht habe, so viel und so Furchtbares im Schoß der erwähnten süßen Braut zu erdulden. Sie sagte auch: „Seid überzeugt, meine liebsten und süßesten Kinder, wenn meine Seele ganz den Leib verlässt, dann habe ich in Wahrheit mein Leben vollendet und hingegeben in der Kirche und für die heilige Kirche.“

Sie sagte ferner, ihre Kinder sollten sich freuen über ihr Hinscheiden, „wenn ich gehe, um mich ohne irgendein Hindernis mit meinem süßen Bräutigam zu verbinden und zu vereinen.“ Und sie fügte hinzu: „Ich verspreche euch, dass ich euch vollkommener zur Seite sein werde, wenn ich im anderen Leben bin, und euch nützlicher sein werde, als ich es je in diesem Leben gewesen bin und sein konnte.“

Was ich schließlich über die achte und letzte Unterweisung beziehungsweise den letzten Teil ihrer Rede erfahren habe, ist folgendes: Nachdem sie jedem einzelnen aufgetragen hatte, was er nach ihrem Ableben zu tun habe, versprach ein jeder mit Demut und Ehrerbietung Gehorsam.

Schließlich, am Ende ihrer Rede, segnete sie nach ihrer Gewohnheit jeden mit dem Kreuzzeichen. Alle waren aufs tiefste betrübt.

 

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