Geistliches Testament

Rom, Caterinas Sterbezimmer (Foto Mayr)

 

Kurz vor ihrem Tod hatte Caterina auf Drängen von Tommaso Petra eine Zusammenfassung ihrer geistlichen Lehren diktiert, die dann weite Verbreitung fand und großen Einfluss auf ihre geistliche Familie ausübte. Tommaso Caffarini übernahm den Text in sein Ergänzungswerk
(vgl. Supplementum III, 2, 2–3)

 

Nach den glaubwürdigen Berichten von Augenzeugen und deren Aufzeichnungen, die ich bis heute bei mir habe, wie auch durch ihr mündliches Zeugnis, das sich bis jetzt lebendig erhalten hat, rief die Jungfrau – als sie durch göttliche Offenbarung sah und erkannte, dass ihre Todesstunde nahe sei – ihre Familie zu sich, nämlich jene Söhne und Töchter, die sich ihr angeschlossen hatten und ihr vom Herrn anvertraut waren.

Zu ihnen sprach sie zunächst ganz allgemein und hielt eine lange und denkwürdige Ansprache, die das Ziel hatte, sie zur Vollendung in den Tugenden zu ermuntern. Darin hob sie einige bemerkenswerte Gedanken hervor, die ich bei den erwähnten Augenzeugen in gleicher Weise aufgeschrieben und notiert gefunden habe. Es ist, glaube ich, nicht recht, sie euch vorzuenthalten.

Ihre erste und grundlegende Unterweisung war: Wenn jemand an den Dienst Gottes herangeht und Gott wahrhaft besitzen will, müsse er sein Herz frei machen von jeder sinnlichen Liebe, nicht nur zu irgendeiner Person, sondern auch zu jeder Kreatur; mit einfachem und ganzem Herzen müsse er sich Gott dem Schöpfer zuwenden. Denn wie sie sagte, kann das Herz nicht völlig Gott gegeben werden, wenn es nicht frei ist von jeder anderen Liebe; es sei offen, hell, einfach und ohne jede Arglist. Sie versicherte, dass sie sich mit großer Sorge und großem Eifer bemüht habe, vor allem dies zu erreichen.

Ferner sagte sie, sie habe auch erkannt, dass sie zu diesem Zustand, in dem sie ihr ganzes Herz Gott schenkt, nur durch das Mittel des Gebetes vollkommen gelangen könne. Sie sagte jedoch, dieses Gebet müsse ihren Ursprung in der Demut haben, das heißt, es dürfe nicht ausgehen von einem Vertrauen auf irgendeine Tugend des Betenden, sondern dieser müsse stets erkennen, dass er von sich aus nichts ist. Sie fügte hinzu, dass sie selbst mit großem Eifer und großer Sorge versucht habe, sich stets dem Gebet hinzugeben, um sich ganz in sein Wesen zu versenken, weil sie sehe, dass vom Gebet alle Tugenden ihr Wachsen und ihre Kraft gewinnen, ohne Gebet aber schwach werden und schwinden. Darum suchte sie alle, mit denen sie sprach, dazu zu bewegen, sich besonders um die Ausdauer im Gebet zu bemühen. Sie unterschied zwischen zwei Arten des Betens, nämlich einem Beten mit Worten und einem im Herzen, und sie lehrte sie, dass sie das Gebet mit Worten zu den vorgeschriebenen Stunden ausüben sollten, das innere Gebet aber immer im Werk und in der Haltung.

Weiters sagte sie, sie habe im Licht des lebendigen Glaubens deutlich gesehen und im Geist erkannt, dass alles, was ihr und anderen zustoße, einzig von Gott ausgehe, nicht aus Hass, sondern aus der großen Liebe, die er zu seinen Geschöpfen habe. Dies sei die Quelle, aus der sie die Liebe und die Bereitwilligkeit zum Gehorsam sowohl zu den Geboten Gottes als auch zu den ihrer Vorgesetzten geschöpft und gewonnen habe, denn sie bedenke immer, dass auch deren Gebote von Gott ausgehen, sei es, weil es ihr Heil verlange, sei es, um die Tugenden in ihrem Herzen zu fördern.

Wie sie ferner sagte, sei es für die Reinheit des Herzens notwendig, dass der Mensch sich vor jedem Urteil über den Nächsten und vor jedem unnützen Gerede über dessen Taten hüte, denn in allen Taten müssten wir einzig den Willen Gottes sehen. Darum sagte sie ihnen mit großer Eindringlichkeit, sie dürften kein Geschöpf aus irgendeinem Grund richten, das heißt in der Art eines Richters oder Gerichtes verachten oder verdammen, selbst dann nicht, wenn sie im Licht des Glaubens sehen, dass jemand eine Sünde begehe; wenn sie von der Sünde eines anderen überzeugt wären, müssten sie mit ihm Mitleid haben und für ihn beim Herrn beten, nicht aber dürften sie ihn verachten oder durch ihr Urteil verdammen.

Sie selbst, sagte sie weiters, habe immer die größte Hoffnung und das größte Vertrauen auf die göttliche Vorsehung gefasst und besessen. Auch uns forderte sie dazu auf, indem sie erzählte, sie wisse wohl und habe durch Erfahrung kennengelernt, dass die göttliche Vorsehung über alle Maßen groß und unschätzbar sei; dies hätte sie auch selbst einmal erfahren, als ihr der Herr auf wunderbare Weise in ihrer Not zu Hilfe gekommen sei. Sie fügte hinzu, dass die göttliche Vorsehung niemals denen fehle, die auf sie hoffen, und ihnen stets in besonderer Weise zur Seite stehe.

Diese und andere heilsame und überzeugende Worte sprach die heilige Jungfrau.

Sie schloss ihre Ansprache mit dem Gebot des Erlösers, indem sie sie demütig und inständig bat, einander zu lieben. Sie sprach mit der ganz glühenden Art ihrer Sprache und wiederholte oftmals, dass sie vor allem dadurch zeigen würden, ihre geistigen Kinder gewesen zu sein und auch weiterhin sein zu wollen, wenn sie die wahre Liebe hätten; sie selbst wolle sich dann als ihre Mutter zeigen. Ja, sie sagte, dass sie ihr Ruhm und ihre Krone seien, wenn sie einander liebten, und sie selbst würde sie für immer als ihre Söhne annehmen und die göttliche Güte anflehen, die Fülle der Gnade, die sie in ihr Herz eingießen wollte, auch in ihre Seelen überfließen zu lassen.

Ihnen allen trug sie mit einer gewissen Autorität der Liebe auf, ihr Verlangen immer lebendig zu bewahren und es mit demütigem und frommem Gebet für die Erneuerung und gute Verfassung der heiligen Kirche Gottes und für den Statthalter Christi vor Gott zu bringen. Sie versicherte, dass sie selbst immer und besonders in den letzten sieben Jahren dieses Verlangen in ihrem Herzen getragen und niemals unterlassen habe, insbesondere in den besagten sieben Jahren, es vor das Angesicht der göttlichen Majestät und Güte zu bringen.

Sie bekannte, dass sie, um diese Gnade zu erlangen, ganz offensichtlich viele Qualen und Krankheiten in ihrem Leib ertragen habe; sie sagte aber, dass sie besonders in der Zeit, in der sie jetzt dies spreche, für diese Sache bitterste Schmerzen leide. Wie der Satan, fügte sie hinzu, von Gott die Macht erlangt und über den Leib Ijobs viele Krankheiten und Leiden gebracht hätte, so scheine er vom Herrn die Freiheit erlangt zu haben, auch ihren Körper mit vielen und mannigfachen Foltern zu quälen und heimzusuchen, so dass von der Fußsohle bis zum Scheitel nichts Heiles an ihr erscheine (Jes 1,6); denn jedes Glied ihres schwachen Leibes erdulde für sich eine besondere Qual, wenn auch manche Glieder gleichzeitig von mehreren Martern erfasst würden, wie es alle bei ihrem Anblick deutlich erkennen könnten, auch wenn sie selbst schweige.

Nach all diesen Worten aber sprach sie zu ihnen: 'Meine geliebten Kinder, es scheint offensichtlich, dass mein süßester Bräutigam bestimmt hat und will, dass in und nach dem erwähnten brennenden und unruhigen Verlangen, nach diesen Leiden, die er mir in seiner Güte gewährt hat, meine Seele aus diesem dunklen Gefängnis herausgeführt wird und zu ihrem Ursprung zurückkehrt.'

Die genannten Augenzeugen erzählen und erwähnen in ihren Schriften, dass ihnen ihre so schrecklichen Qualen Schauder einflößend erschienen, unerträglich für jeden, der nicht von der großen Gnade Gottes gestärkt wird, und sie staunten, wie sie diese mit solchem Gleichmut ertragen konnte, ohne jedes Zeichen irgendeiner Betrübnis.

Als sie so staunten und voll Trauer seufzten, fügte sie hinzu: 'Meine geliebten Kinder, ihr müsst nicht traurig sein über meinen Tod, freut euch vielmehr mit mir und beglückwünscht mich, dass ich den Ort der Leiden verlasse und mich aufmache, im Meer des Friedens, im ewigen Gott, meine Ruhe zu finden. Euch aber versichere ich fest, dass ich euch nach meinem Hinscheiden nützlicher sein werde, als ich es je war und sein konnte, solange ich noch unter euch weilte in diesem Leben voll Finsternis und Elend. Aber wie dem auch sei, ich lege Leben und Tod und alles in die Hand meines ewigen Bräutigams. Wenn er sieht, dass ich irgendeinem Geschöpf nützlich sein werde, und wenn er will, dass ich noch weiter in Mühen und Qualen ausharre: Ich bin bereit, zur Ehre seines Namens und für das Heil des Nächsten hundertmal am Tag, wenn es möglich ist, Tod und Marter auf mich zu nehmen. Gefällt es ihm aber, dass ich jetzt hinscheide, dann nehmt es als sicher an, meine teuersten Kinder, dass ich mein Leben für die heilige Kirche hingegeben habe; das halte ich für die höchste Gnade, die mir vom Herrn gewährt werden wird.'

Nach all diesen Worten aber rief sie jeden einzeln zu sich und wies jeden an, welche Lebensweise er nach ihrem Tod beachten solle. Sie wollte, dass sie mir alles berichten und statt ihrer Obhut sich der meinen anvertrauen sollten. Manchen empfahl sie das Klosterleben, manchen das Leben eines Eremiten, wieder anderen das Priesterleben. Für die Frauen von der Buße des heiligen Dominikus bestimmte sie Alessa als Oberin. Und so ordnete sie alles, auch im Einzelnen, wie es ihr der Heilige Geist eingab. Das weitere Schicksal machte alles glaubhaft, denn alles, was sie auftrug, erwies sich als heilbringend. Hierauf bat sie alle um Verzeihung und sagte: 'Zwar galt mein Verlangen und meine Sehnsucht immer eurem Heil – ich wage nicht es zu leugnen –; dennoch weiß ich, dass ich euch in vielem nicht genügte, einerseits weil ich euch kein Beispiel des geistlichen Lichtes, der Tugenden und der guten Werke war, wie ich es hätte sein müssen und auch gekonnt hätte, wenn ich eine wahre Magd und Braut Christi gewesen wäre, andererseits auch, weil ich für eure leiblichen Bedürfnisse nicht so gewissenhaft und besorgt war, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Darum bitte ich euch alle und jeden einzelnen um Verzeihung und Nachsicht. Demütig und inständig flehe ich jeden von euch an und bitte ihn: Folgt dem Weg und dem Pfad der Tugenden bis zum Ziel, denn wenn ihr so handelt, werdet ihr, wie ich vorhin sagte, meine Freude und meine Krone sein.' Mit diesen Worten beendete sie ihre Rede.

 

(Caterinas geistliches Testament findet sich auch bei Drane, S. 555–560 u. Kirschstein, S. 107–113, siehe Bibliografie)

 

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