Einführung

Venedig, Zanipolo, Grab Caffarinis (Foto Mayr)

 

Caffarini hatte sich auf vielfältige Weise bemüht, die Werke Caterinas und das Beispiel ihres Lebens überall bekannt zu machen, indem er ihre Schriften in seiner Schreibstube in Venedig vervielfältigen ließ. Aus der Erfahrung der seelsorglichen Praxis hatte er aber allmählich gemerkt, dass Raimunds Biographie zu umfangreich war und die Herstellung einer handschriftlichen Kopie zu lange dauerte. Prediger und zahlreiche Interessenten drängten ihn deshalb zu einer Kurzfassung. „In der Folge ging ich auch daran, die ausgedehnte Legende der Jungfrau zu kürzen und diese Kurzform unter die Leute zu bringen. Und so habe ich beide Formen vervielfältigt und sie zur Verbreitung des Ruhmes der Jungfrau und ihres heiligen Lebens und ihrer Lehre nach allen Seiten hin ausgesandt, sodass ihr Glanz gleichsam über die ganze Christenheit in einem fort verbreitet wurde und täglich noch mehr verbreitet wird“[1].

Diese von Caffarini in den Jahren 1316/17 erstellte Kurzform, die Legenda Minor – wie er sie als Unterscheidung zu Raimunds Legenda Maior benannte –, ist gewiss kein rein eigenständiges Werk. Aber weil sie von einem Zeitzeugen und Schüler Caterinas verfasst wurde und auch einige ergänzende Berichte enthält, ist sie dennoch eine eigene biographische Quelle.

Caffarini hatte seine „Minor“ ebenso wie Raimund zunächst in Latein abgefasst; auf diese Weise konnte man sie unter den Gebildeten im ganzen Abendland lesen. Bald zeigte sich aber, dass auch Übertragungen ins Italienische notwendig waren. Zu der Zeit, als Caffarini seine Legenda Minor in die Volkssprache übertrug (eine Übersetzung, die bis heute noch nicht aufgefunden wurde), sandte er auch eine Kopie des lateinischen Textes an Stefano Maconi, der erneut Prior in der Kartause von Pavia war. Und wie er damals die Legenda Maior „zur Erbauung der Ungebildeten aus dem Lateinischen in die Volksssprache übersetzen ließ“ (Suppl. III, 6, 14–15), so übertrug Maconi auch jetzt den lateinischen Text der Legenda Minor in die Umgangssprache. Francesco Grottanelli hatte diese Handschrift (T. II. 6), zusammen mit einigen Briefen unter dem Titel Leggenda Minore di S. Caterina da Siena e Lettere dei suoi discepoli (Bologna 1868) veröffentlicht, die auch in deutscher Übersetzung vorliegt.[2]

Auch hier gilt, ähnlich wie für Caffarinis Kürzung, in der die Kraft des Ursprünglichen noch zu spüren ist, dass sich nicht irgend jemand mit dem Text befasste, sondern dass es Caterinas Schüler und Sekretär Stefano Maconi war. Er hat bei der Übersetzung seine eigenen Erlebnisse mit Caterina wiedererkannt und sie manchmal durch eine Randnotiz bestätigt oder gelegentlich sogar ergänzt.

Caffarini hatte seine Legenda sehr bald durch eine zweite, straffere Version ersetzt, die er als die offizielle Legenda Minor bestimmte und auch als alleinige Grundlage für weitere Kürzungen sehen wollte.[3] Damit wurde der Erstversion seiner Legenda keine Beachtung mehr geschenkt, und sie wäre auch in ungenauen lateinischen Abschriften untergegangen, wenn sie uns nicht in der vollständigen Übersetzung des Stefano Maconi erhalten geblieben wäre.

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. Supplementum III, 6, 15; Prozess, S. 649

[2] Tommaso Caffarini: Caterina von Siena – Erinnerungen eines Zeitzeugen. Die Legenda Minor, hg. von Werner Schmid, Kleinhain 2001.

[3] Im Auftrag von Tommaso Caffarini haben Massimino da Salerno und Antonio della Rocca um das Jahr 1417 weitere Zusammenfassungen bzw. Kürzungen, sogenannte Legende Minime, verfasst.

 

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