Legenda Maior: Epilog
Caterinas Geduld
395. Die für unser Heil Mensch gewordene Erste Wahrheit verkündet, dass diejenigen, die das Wort mit reinem und aufrichtigem Herzen bewahren, Frucht bringen in der Geduld. Der heilige Gregor, so hörten wir bereits, sagt im Buch der Dialoge: „Ich halte die Tugend der Geduld für größer als alle Zeichen und Wunder.“[1] Aber auch der Apostel Jakobus sagt in seiner Lehre: „Die Geduld führt zu einem vollendeten Werk“[2], nicht, weil sie die größte Tugend oder die Königin der Tugenden ist, sondern weil sie die unzertrennliche Begleiterin der Liebe ist,[3] die nach dem Zeugnis des Apostels größer ist als die anderen Tugenden und keine Grenze kennt und niemals aufhört. Ohne die Liebe ist jede andere Tugend im Menschen nutzlos. Über sie sagt derselbe Apostel, wenn er sie beschreibt: „Sie ist geduldig und gütig, sie ereifert sich nicht, sie lässt sich nicht zum Zorn reizen, sie sucht nicht den eigenen Vorteil.“
Wenn darum die heilige Mutter Kirche das Leben derjenigen prüft, die in den Katalog der Seligen aufgenommen werden sollen, achtet sie daher nicht zuerst auf ihre Wunder, die sie gewirkt haben, sondern auf ihre Taten. Und zwar aus einem doppelten Grund: Erstens, weil auch viele Schlechtgesinnte Zeichen getan haben und tun werden, die als Wunder erscheinen, obwohl sie es nicht sind, wie etwa die Magier des Pharao und wie dereinst auch der Magier und Antichrist mit seinen Anhängern wirken wird; zweitens, weil bisweilen manche auch mit göttlicher Kraft Wunder gewirkt haben, dann aber dennoch verworfen worden sind, wie Judas und diejenigen, von denen es im Evangelium heißt, dass sie am Tag des Gerichtes zum Herrn sagen werden: „Haben wir nicht in deinem Namen Wunder getan?“ Ihnen wird er antworten: „Weicht von mir, ihr Übeltäter!“[4]
Daran kann man klar erkennen, dass Zeichen oder Wunder nach dem Urteil der Gelehrten zu prüfen sind; sie können nicht von sich aus der kämpfenden Kirche Gewissheit geben, dass die Person, durch die sie gewirkt wurden, zur ewigen Glückseligkeit auserwählt oder vorherbestimmt ist, auch wenn die Zeichen ganz deutlich ein Bild der Heiligkeit erkennen lassen. Am ehesten vermögen es jene Wunder, die nach dem Scheiden aus dieser Welt geschehen; aber auch diese gewähren nicht volle Sicherheit. Denn es könnte ja auch sein, dass die Wunder, die an den Gräbern derer geschehen, die keine Heiligen sind, der barmherzige Gott deshalb wirkt, um den Glauben derer zu belohnen, die sie für Heilige halten. Das geschieht dann nicht wegen der Verstorbenen, sondern zur Ehre seines Namens, damit die Gläubigen nicht in ihrer Sehnsucht getäuscht werden.
396. Wenn also die heilige Mutter Kirche, die vom Heiligen Geist gelenkt wird, über das Verdienst der Heiligen Sicherheit gewinnen will, soweit es in diesem Leben möglich ist, forscht sie nach ihrem Leben, das heißt nach dem, was sie in diesem Leben verrichtet haben. So lehrt sie auch ihr Bräutigam, wenn er sagt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, das heißt an ihren Werken, denn, wie der Erlöser gleich hinzufügt, „ein schlechter Baum kann keine guten Früchte tragen, und ebenso ein guter Baum keine schlechten Früchte.“[5] Diese Werke aber sind die Liebe zu Gott und zu dem Nächsten; an ihnen hängt nach dem Wort des Erlösers das ganze Gesetz und die Propheten. Weil aber diese Werke in gleicher Weise, wie sie Gott gefallen, dem Teufel missfallen, versucht der Teufel auf jede ihm mögliche Weise, sie zu verhindern, sowohl von sich aus als auch durch die Welt, das heißt durch Menschen, die der Welt ergeben sind.
Aus diesem Grund ist für heilige Menschen, die im Guten ausharren wollen – denn ohne Ausdauer könnten sie nicht den Siegeskranz erlangen –, die Geduld absolut notwendig. Durch sie bewahren sie sich in der rechten Liebe zu Gott und dem Nächsten und kümmern sich nicht um irgendwelche Verfolgungen. Daher sagt der Erlöser seinen Jüngern: „Durch eure Geduld werdet ihr eure Seelen gewinnen.“[6] Und der Apostel nennt die erste Eigenschaft der Liebe mit dem Wort: „Die Liebe ist geduldig.“[7]
Das ist also der Grund, warum bei der Kanonisation der Heiligen mehr nach ihren Werken als nach Zeichen gefragt wird und unter den Werken mehr nach den Werken der Geduld als nach anderen Werken geforscht wird, denn sie sind es, die ein größeres Zeugnis der Liebe und Heiligkeit geben.
397. Was ich damit sagen möchte, ist folgendes: Da alles, was oben geschrieben worden ist, von mir deshalb diktiert und geschrieben wurde, damit die Heiligkeit dieser Jungfrau der heiligen katholischen Kirche und ihren Lenkern kundgetan werde, hielt ich es für angemessen, neben den oben angeführten Fällen noch ein Kapitel über ihre Geduld zu diktieren, damit niemand berechtigterweise an ihrer Heiligkeit zweifeln kann.
Weil aber ihr ganzes Leben ein einziger Lobpreis der Geduld war, möchte ich mit der Schilderung ihrer Werke der Geduld dieser ganzen Legende gleichsam ein zusammenfassendes Nachwort anfügen, soweit der Herr es erlaubt. Es geschieht vor allem im Hinblick auf jene Leser, die sich schnell langweilen, denen bei frommen Themen eine Stunde länger als ein Tag erscheint, bei Geschichten und Possen dagegen der Tag nicht lang genug sein kann. Wenn wir also mit wenigen Worten über die Geduld dieser Jungfrau berichten wollen, müssen wir uns an eine bestimmte Ordnung halten, damit dadurch eine Weitschweifigkeit vermieden und die gebotene Kürze erreicht werden kann.
398. Jeder, der das Wesen der Tugenden kennt, weiß, dass die Tugend der Geduld in dem erprobt wird, was sich gegen den Menschen richtet; das sagt schon der Name selbst, der sich offensichtlich von „er-dulden“ (d.h. erleiden) ableitet. Die Widrigkeiten, die dem Menschen begegenen, lassen sich ganz allgemein, seinem zweifachen Wesen entsprechend, ebenso in zwei Bereiche einteilen: die einen richten sich gegen die Seele, die anderen gegen den Leib. Geduld zu haben mit dem, was sich als Gefährdung gegen die Seele richtet, wäre nicht tugendhaft, sondern schädlich. Eine solche Geduld tadelt ironisch und in bildhafter Sprache der heilige Apostel, wenn er an die Korinther schreibt: „Ihr lasst euch die Törichten ja gern gefallen, ihr klugen Leute.“[8] In den Widrigkeiten des Leibes aber hat die Tugend der Geduld vorzüglich ihren Platz, wenn man erkennt, dass alles, was durch den Leib dem Menschen auf seiner irdischen Reise zu Diensten steht, sich entweder auf die Sorge um das Leibliche oder auf die Entfaltung des Geistigen bezieht, wie wir noch deutlicher sehen werden.
Die Güter aber, die in diesem Leben Besitz des Menschen werden können, werden nach Ansicht der Philosophen in drei Gruppen geteilt: in erfreuende, nützliche und ehrenhafte. Beim dauernden oder zeitlichen Verlust dieser Güter hat, wie man erkennt, die Tugend der Geduld ihre Geltung. Zu den erfreuenden Gütern gehören: das Leben des Leibes, die Gesundheit, die Freude am Essen und an den Kleidern und was sonst noch den Leib ergötzt; dazu gehören auch die Freuden der sinnlichen Liebe. Nützliche Güter hingegen sind der Reichtum in all seinen Äußerungen, wie: Häuser, Äcker, Geld, Tiere, Vergnügungen und alles, was damit zusammenhängt, aber auch die große Zahl von Verwandten und Dienern und alles, was in diesem sterblichen Leben dem Menschen nützt, solange er lebt. Ehrenhafte Güter sind jene, die den Menschen in den Augen anderer ehrenwert machen, wie ein guter Name oder guter Ruf, ehrenvolle Freundschaft, lobenswerte Studien und alles, was ein tugendhaftes Handeln fördert.
Von all diesen Gütern sind manche unerlaubt und müssen zur Gänze ausgemerzt werden; manche sind von sich aus hinderlich für eine vollkommene Tugend; sie sollte man meiden oder, was noch besser ist, verachten; manche sind erlaubt und manche für das Leben des Menschen notwendig, und wenn man dieser Güter beraubt wird, dann gilt es den Verlust mit Geduld zu ertragen. Dies alles wird dann im Folgenden noch besser ersichtlich, wenn wir in der oben erwähnten Ordnung die Taten dieser heiligen Jungfrau im Einzelnen betrachten werden.
398a. Fassen wir also nun mit Gottes Hilfe noch einmal zusammen, was wir über die Vollkommenheit der Geduld dieser Jungfrau gesagt haben.
Du erinnerst dich noch, lieber Leser: Als die heilige Jungfrau erkannte, dass die Geduld nichts nützen könne, wenn sie sich nicht zuvor von den unerlaubten Gütern und vor allem von den sinnlichen Lüsten fernhielte, hat sie diese mit Stärke und Klugheit von sich gewiesen; und zwar noch bevor sie in das Alter kam, in dem sie solche Erfahrungen machen konnte, was freilich nicht ohne göttliche Eingebung geschah und nicht ohne eine denkwürdige Vision.
Sie war erst sechs Jahre alt, als sie über der Kirche der Predigerbrüder mit ihren leiblichen Augen den Herrn sah. In einem wunderschönen Brautgemach saß er auf einem Thron, angetan mit bischöflichen Gewändern und mit einer Tiara gekrönt; ihm zur Seite waren Petrus und Paulus und der Evangelist Johannes. Christus blickte sie mit gütigen Augen an und segnete sie mit seiner königlichen Rechten. Dabei erfüllte er ihre Seele mit einer so vollkommenen Gottesliebe, dass sie ihr kindliches Wesen ablegte und sich in diesem so zarten Alter der Buße und dem Gebet weihte und so weit ging, dass sie im folgenden Jahr im Alter von sieben Jahren (nach reiflicher Überlegung und langem Gebet) vor der heiligen Jungfrau, das heißt vor ihrem Bild, das Gelübde immerwährender Jungfräulichkeit ablegte. Darüber wurde bereits im zweiten und dritten Kapitel des ersten Teiles ausführlich gesprochen.
399. Weil das fromme Mädchen aber wusste, dass für die Bewahrung der Jungfräulichkeit eine bescheidene Lebensweise und die Enthaltsamkeit in Speise und Trank sehr nützlich, ja vielleicht notwendig sind, begann sie damit schon im zarten Alter und brachte, als sie erwachsen war, diese Enthaltsamkeit auf lobenswerte und wunderbare Weise zur Vollendung. Wie bereits im dritten Kapitel des ersten Teiles angedeutet und dann im sechsten Kapitel ausführlicher behandelt wurde, begann sie schon in ihrer Kindheit, den Genuss von Fleischspeisen so weit wie möglich einzuschränken; später, als sie ein wenig älter war, verzichtete sie ganz darauf. Dem Wein mischte sie so viel Wasser bei, dass er kaum noch nach Wein Ab dem 15. Lebensjahr trank sie dann überhaupt keinen Wein mehr und ernährte sich nur noch von Brot und rohen Kräutern. Mit zwanzig Jahren schließlich ließ sie auch das Brot beiseite und stärkte ihren Leib nur noch mit rohen Kräutern. Diese Lebensweise behielt sie bis zu dem Zeitpunkt, da ihr der allmächtige Gott eine neue und wunderbare Art des Lebens gewährte, nämlich ohne jegliche Nahrung zu existieren. Wenn ich mich recht erinnere, war sie damals fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt. Ich habe darüber sehr ausführlich im fünften Kapitel des zweiten Teiles geschrieben, wo auch berichtet wird, warum und wie sie zu diesem Zustand gelangte; dort wird auch hinreichend – wenn ich mich nicht allzu sehr täusche – denen geantwortet, die gegen diese Weise des Lebens murrten und sie verachteten.
400. Nachdem wir also gesehen haben, wie sich ihre keusche und enthaltsame Lebensweise entwickelte, mit der sie alle Regungen des Fleisches auslöschte, als wären es unerlaubte Freuden, wollen wir uns nun der Geduld dieser heiligen Jungfrau zuwenden.
Zunächst sollst du aber eines wissen, lieber Leser: Obwohl Caterina auch körperliche Krankheiten und die Gefahren eines gewaltsamen Todes zu erdulden hatte, so zeigte sich ihre Geduld besonders dort, wo man sie zu hindern suchte, das in sich Bessere und Gott Wohlgefälligere[9] zu tun. Denn sowohl die Krankheiten als auch die Gefahren, die sie immer wieder heimsuchten, waren gleichsam ein Vergnügen im Vergleich zu jenen Leiden, die ihr durch den Verlust der ehrenwerten Güter entstanden.
Es gab kaum jemand aus ihrem Haus und ihrer Umgebung, die ihr nicht – und zwar von ihrer Kindheit an bis zu ihrem Tod – hier zugesetzt hätten.
An erster Stelle waren da ihre Mutter und ihre Brüder, die sie am Beginn ihrer Jugend verheiraten wollten und ihr deswegen – soweit es in ihrer Macht stand – alle ehrenhaften Güter entzogen. Sie nahmen ihr die eigene Kammer weg und wiesen ihr Arbeiten in der schmutzigen Küche zu, damit sie weder beten noch meditieren noch sich irgendeinem Akt der Besinnlichkeit und Betrachtung hingeben konnte. Wie geduldig und heiter sie dabei in dieser Verfolgung war, wird im vierten Kapitel des ersten Teiles dieser Legende genauer berichtet. Denn auf bewundernswerte Art und Weise verharrte sie unerschütterlich in ihrem Entschluss, jungfräulich zu bleiben, wobei sie frohen Herzens und mit heiterer Miene ihren niederen Dienst verrichtete.
Trotz der Tätigkeit als Dienerin und trotz der Wegnahme ihrer Kammer ließ sie in ihren Gebeten nicht nach; vielmehr empfahl sie sich noch mehr dem Herrn, bis sie endlich den Sieg über die Verfolgungen und Verfolger errungen hatte. Auch davon ist in dem besagten Kapitel die Rede.
Als nach diesen Widerwärtigkeiten der alte Feind die strengen nächtlichen Züchtigungen und Wachen und die Härte des Lagers unterbinden wollte, stachelte er aufs Neue ihre Mutter Lapa gegen sie so lange auf, bis sie in Zorn geriet. Mit Staunen muss gesagt werden, mit welch großer Geduld und bewundernswerter Klugheit Caterina sich schützte, so dass es ihr gelang, den Zorn der Mutter zu besänftigen und sich ihre eigene strenge Lebensweise zu bewahren, wie im sechsten Kapitel des ersten Teiles darüber ausführlich zu lesen ist.
401. Wie viele Hindernisse ihr der böse Feind in den Weg legte und sie damit des ehrenvollen Gutes zu berauben suchte, wenn sie im Gebet versunken war, ihren Leib kasteite oder dem Nächsten zu Hilfe kam, lässt sich kaum nacherzählen. Ich werde daher nur mit wenigen Worten davon reden und darauf hinweisen, wo es in der Legende aufgezeichnet ist.
Der alte Feind bemühte sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, die heilige Jungfrau aus den Umarmungen ihres ewigen Bräutigams zu lösen, dann sie davon wegzuziehen und schließlich, wenigstens für kurze Zeit, daran zu hindern. Sie aber streckte ihn mit fester Entschlossenheit zu Boden, besiegte ihn mit kluger Überlegung und brachte ihn mit standhafter Tugend aus der Fassung.
Zunächst versuchte der böse Feind Caterina von ihrem heiligen Entschluss dadurch wegzuziehen, dass er sie durch ihre verheiratete Schwester zu eitler Freude am Haarschmuck und zu schönen Kleidern verlockte, was der Herr zu ihrer größeren Verherrlichung auch zuließ. Darüber ist im vierten Kapitel des ersten Teiles mehr zu lesen. Den zweiten Versuch machte der Feind durch ihre Brüder und ihre Mutter, die die Absicht hatten, sie zu verheiraten, wie im selben Kapitel ausführlich erzählt wird. Als drittes bemühte er sich selbst, indem er sie mit Versuchungen belästigte. Er ging so weit, dass er ihren Augen Sinnestäuschungen vorgaukelte, wie ich unlängst aus einer Schrift erfahren habe, die durch ihre Briefschreiber aufgezeichnet wurde, bevor sie das heilige Ordenskleid annahm, worüber im siebten Kapitel des ersten Teiles berichtet wird.
402. Als sie nämlich einmal vor dem Bild des gekreuzigten Christus betete, drängte sich der Teufel zwischen sie und das Bild; er hatte ein Kleid aus Seide in der Hand und schickte sich an, die Jungfrau damit zu bekleiden. Sie verspottete und verachtete ihn zwar, wandte sich dem Gekreuzigten zu und schützte sich mit dem Kreuzzeichen, doch als der Versucher ihren Augen entschwand, ließ er doch in ihr einen so verlockenden Gedanken an schöne Kleider zurück, dass sie völlig verwirrt war. Dann aber dachte sie an ihren Entschluss zur Jungfräulichkeit und wandte sich an ihren Bräutigam mit den Worten: „Mein süßer Bräutigam, Du weißt, dass ich stets nur Dich begehrt habe und sonst keinen. Steh mir bei, diese Versuchungen in Deinem heiligen Namen zu überwinden. Ich bitte nicht, sie mir zu nehmen, sondern dass Du mir in Deinem Erbarmen hilfst, sie siegreich zu überwinden.“ Nach diesen Worten sah sie die Königin der Jungfrauen, die Mutter Gottes, die aus der Seite ihres gekreuzigten Sohnes ein wunderschönes Kleid herauszuziehen schien, das sie noch mit strahlenden und funkelnden Edelsteinen schmückte. Damit bekleidete sie Caterina und sagte zu ihr: „Du sollst wissen, meine Tochter, dass die Kleider, die aus der Seite meines Sohnes hervorgehen, alle anderen Kleider an Schönheit und Glanz übertreffen.“[10]
Hierauf war in ihr jegliche Versuchung verschwunden, und die Jungfrau blieb völlig getröstet zurück. So geschah es, dass Caterina mit fester Entschlossenheit die dreifache Schlachtreihe besiegte, von der eine jede bemüht war, sie ihrem heiligen Vorhaben zu entziehen.
403. Auf diese Weise besiegte sie mit kluger Überlegung die Schar derer, die sie der Umarmung ihres Bräutigams entziehen wollte. Erstens besänftigte sie ihre Mutter, die sie von ihrer strengen Lebensweise abbringen wollte, mit wohlüberlegten Worten, ohne dabei in ihren Bußübungen in irgendeiner Weise nachzulassen, wie oben berichtet wurde. Zweitens änderte sie auf sehr kluge Art und Weise die Meinung ihres Beichtvaters und ihrer Angehörigen, die in ihrer Unkenntnis sie dazu überreden wollten, Speise zu sich zu nehmen; davon ist im fünften Kapitel des zweiten Teiles die Rede. Und drittens ist zu sagen: Als ihre Oberen und andere ihr verbieten wollten, zu bestimmten Plätzen zu gehen, wohin sie die göttliche Offenbarung rief, oder zu tun, was der Herr ihr auszuführen befahl, da besänftigte sie Caterina auf ebenso kluge wie erstaunliche Weise, ohne dabei die vollkommene Erfüllung des göttlichen Gehorsams zu vernachlässigen. Wie groß ihre Geduld war, die sie dabei zeigte, könnten weder die Feder noch die Zunge ausreichend zur Kenntnis bringen!
Ich weiß von dem häufigen Unrecht, dass ihr bei ähnlichen Gelegenheiten selbst von denen zugefügt wurde, von denen sie eher Trost erwarten durfte, so dass ich mich nicht in der Lage sehe, es gebührend zu erzählen, und mich auch nicht für berechtigt halte, es zu erklären. Ich weiß aber auch, dass sie alle diese Widrigkeiten mit fester Geduld und kluger Überlegung überwunden hat.
404. Als schließlich die alte Schlange sah, dass sie Caterina von ihrem heiligen Entschluss weder losreißen noch heimlich wegziehen könne, versuchte sie, ihr wenigstens von Zeit zu Zeit ein Hindernis in den Weg zu legen, sowohl von sich aus als auch durch verschiedene Personen, von denen unten besonders berichtet werden wird.
Zuerst versuchte es der böse Feind durch ihre Mutter. Sie fuhr mit ihrer Tochter in ein Bad, um sie wenigstens für kurze Zeit von ihrer strengen Lebensweise abzuhalten. Caterina aber verstand es, sich dort noch härteren Bußübungen zu unterziehen als in ihrer Zelle, indem sie lange und geduldig die heißen Wasserstrahlen ertrug, wie ich im siebten Kapitel des ersten Teiles genauer geschrieben habe. Dort habe ich auch gesagt, dass dies meiner Meinung nach nicht ohne ein Wunder geschehen sein konnte, da ihr Körper ohne tödliche oder wenigstens sichtbare Verbrennung daraus hervorging.
Zweitens versuchte es der Feind durch ihre verständnislosen männlichen und weiblichen Vorgesetzten oder durch völlig uneinsichtige Priorinnen. Von ihnen wurde sie sehr oft an der Beichte gehindert, am Empfang der Kommunion wie auch an den verschiedenen Akten ihrer Frömmigkeit. Sie verstanden dies alles nicht, denn sie waren Menschen dieser Welt; sie lebten in der Finsternis und missbilligten das Licht, sie wohnten in der Tiefe des Tales und wollten die Spitzen der Berge messen. Darüber habe ich, wie ich mich erinnere, im fünften Kapitel des zweiten Teiles ausführlicher geschrieben.
Damit aber die Größe ihrer Geduld noch offensichtlicher werde, habe ich mir vorgenommen, hier einiges gesondert zu berichten, was dort nicht erwähnt wurde. Denn wenn es auch nicht ohne Beschämung für einige Ordensleute veröffentlicht werden kann, ist es doch besser, es den Lesern mitzuteilen, als dass die der heiligen Jungfrau gewährten Gaben des Heiligen Geistes verborgen bleiben. So wird nämlich der Leser daraus sowohl Furcht als auch Liebe erfahren können: Furcht, wenn er von der Schuld der sie Kränkenden hört, und Liebe, wenn er die Liebe der Duldenden erkennt, so dass er durch das eine vom Bösen zurückscheut, durch das andere aber bewegt wird, in fester Geduld das Gute zu tun.
405. Du musst wissen, lieber Leser: Schon bevor ich Caterina kennen lernen durfte, konnte sie in der Öffentlichkeit kaum auch nur eine einzige Handlung der Frömmigkeit zeigen, ohne dass sie nicht dabei Kränkungen, Hindernisse und Verfolgungen zu erdulden hatte, vor allem von denen, deren Pflicht es gewesen wäre, sie bei ihren frommen Handlungen zu fördern und zu unterstützen. Aber das ist gar nicht verwunderlich, denn wenn geistliche Personen ihre Eigenliebe nicht völlig abgetötet haben, stürzen sie noch schneller in die Fallgrube des Neides als weltliche Menschen. Ich habe oben im fünften Kapitel des zweiten Teiles darauf hingewiesen und dort als Beispiel von den Mönchen des Pachomius gesprochen. Wegen der strengen Enthaltsamkeit des Makarius, die sie nicht nachahmen konnten, verlangten sie seine Entlassung, andernfalls sie damit drohten, das Kloster zu verlassen. Gar nicht anders verhält es sich auch in unserem Fall: Als nämlich die Schwestern von der Buße des heiligen Dominikus bemerkten, dass das Mädchen Caterina hinsichtlich ihrer strengen Lebensweise, ihrer sittlichen Reife, ihrer Frömmigkeit und ihres Gebetslebens alle anderen Schwestern übertraf, da fuhr sogleich in einige von ihnen die alte Schlange, die Urheberin des Neides, und sie begannen nach Art der Pharisäer sowohl öffentlich als auch im Geheimen Caterinas Handlungen herabzusetzen und untereinander wie auch vor den Oberen dreist zu verkünden, sie müsse zurechtgewiesen werden. Und wenn sie nicht leugnen konnten, was allen bekannt war – dass es nämlich manches gab, was ihre besondere Vortrefflichkeit erkennen ließ, ja ganz deutlich zeigte –, machten sie es wie die Pharisäer und Schriftgelehrten: Sie behaupteten, sie wirke die Wunder im Namen Beelzebuls, des Fürsten der Dämonen.
Diese Frauen, echte Töchter Evas, beeinflussten Adam, das heißt gewisse Leiter und Väter des Predigerordens, und fanden bei ihnen Zustimmung mit ihren falschen Ansichten, so dass sie Caterina bald in ihrer Lebensweise, bald am Empfang der heiligen Kommunion hinderten, bald auch die Beichte untersagten oder den Beichtvater von ihr fernhalten ließen.
Caterina ertrug dies mit größter Geduld und nahm es ohne Murren hin, als ob nicht sie es wäre, der solche Ungerechtigkeiten widerfuhren. Keiner konnte sie jemals darüber klagen oder murren hören, vielmehr glaubte sie, dies alles geschehe in heiliger Absicht und zum Heil ihrer Seele, und sie dachte, für sie eher beten zu müssen, aber nicht so, als wären sie Verfolger, sondern, als wären sie ganz besondere und liebenswerte Wohltäter.
406. Wenn sie ihr aber trotzdem einmal erlaubten, die Kommunion zu empfangen, dann wollten sie, dass sie sich gleich nach der Danksagung erhebe und die Kirche unverzüglich Das aber war ihr ganz und gar unmöglich, denn sie empfing die heilige Kommunion mit solcher Glut, dass ihr Geist der Sinne entrückt wurde und ihr Körper während dieser Zeit nichts wahrnahm; in diesem Zustand verharrte sie mehrere Stunden, wie oben im zweiten und im letzten Kapitel des zweiten Teiles ausführlicher berichtet wird. Jene aber, die sich von den besagten Schwestern beeinflussen ließen, waren bisweilen über Caterina so erbost, dass sie sie während ihrer Ekstase packten, mit Gewalt aufhoben und sie in ihrer Gefühllosigkeit und Starre vor das Kirchentor warfen, als ob sie ein Stück Abfall wäre. Nicht ohne Tränen beschützten sie dort zur Mittagsstunde in der Sonnenhitze ihre Gefährtinnen, bis sie wieder aus ihrer Ekstase erwachte.
Wie mir berichtet wurde, gab es sogar einige, die sie voll Zorn mit Füßen traten, während sie in jener Entrückung verharrte; aber niemals wurde ein Wort aus ihrem Mund gehört, mit dem sie erwähnt hätte, dass sie über alle diese Kränkungen oder eine andere Misshandlung bedrückt sei, ja, sie verlor niemals auch nur ein Wort darüber, außer vielleicht ein Wort des Verzeihens für die, die das getan hatten, wenn manchmal Frauen oder Männer aus ihrer Umgebung ihren Unwillen darüber äußerten.
407. Je mehr sie aber selbst über das ihr zugefügte Unrecht vollkommen die Geduld bewahrte, desto stärker zürnte ihr Bräutigam, der gerechteste Richter, denen, die das Unrecht begingen, und bestrafte sie umso härter.
Gleich am Beginn, als ich sie kennen lernen durfte, erfuhr ich von ihrem Beichtvater, meinem Vorgänger, und von anderen vertrauenswürdigen Personen, dass eine Frau sie voll Zorn mit den Füßen getreten hatte, während sie in Ekstase war. Sobald sie aber in ihr Haus zurückkehrte, wurde sie plötzlich von tödlichem Schmerz erfasst und hauchte in kürzester Zeit ihr Leben aus, ohne den Trost der Sakramente der Kirche.
Ein anderer Unseliger, der besser niemals geboren wäre, der ihr in gleicher Weise einen Fußtritt versetzt und sie obendrein einmal frevelhaft und gewaltsam vor das Kirchentor hinausgeschafft hatte, wurde so hart bestraft, dass ich es kaum zu berichten wage.
Dieser Erbärmliche, den ich gut gekannt habe, ging in seinem hassenswerten Verhalten gegen die Jungfrau so weit, dass er (wie mir von zuverlässiger Seite berichtet wurde) neben den oben beschriebenen Freveltaten einmal daran dachte, sie zu töten. Die Ausführung wurde einzig dadurch vereitelt, dass er sie nicht dort fand, wo er sie vermutete.[11] Sie selbst wusste von all dem nichts, ihr Bräutigam aber, dem nichts verborgen ist, bestrafte ihn für seine Missetaten. Denn als er bald danach an einen anderen Ort gehen wollte, wurde er, der vorher immer gesund war, wahnsinnig bzw. tobsüchtig. Oder soll ich sagen, von Dämonen ergriffen? Tag und Nacht schrie er: „Um Gottes Willen, helft mir! Seht ihr nicht, dass der Scharfrichter mich ergreifen und mir den Kopf abschlagen will?“ Als seine Hausgenossen das hörten, wollten sie ihn beruhigen; doch wie aus seinen Worten und seinem Verhalten bald zu erkennen war, gab es für ihn kein Heilmittel mehr. Er hatte völlig den Verstand verloren. Daher bewachten sie ihn sorgfältig, vor allem deswegen, weil er durch Worte und Zeichen zu erkennen gab, dass er sich selbst töten wolle. Was soll ich noch mehr sagen? Als es nach einigen Tagen den Anschein hatte, dass er wieder zur Vernunft gekommen sei, und die Bewachung nicht mehr so streng wie früher war, schlich er heimlich aus der Stadt hinaus und erhängte sich wie ein zweiter Judas in den Bäumen, oder um es genauer zu sagen, er erwürgte sich selber.[12] Denn er befestigte den Strick, mit dem er sich tötete nicht an einem höheren Ast, sondern er band ihn am Boden sitzend um den Stamm eines Baumes, während er das andere Ende an seinem Hals festknüpfte und sich so in wilder Wut erdrosselte.
So jedenfalls hat es mir derjenige berichtete, der ihn auf solche Weise erwürgt fand und den Leichnam der Erde zurückgab. Er wurde freilich nicht an heiliger Stätte und mit den üblichen Zeremonien bestattet, sondern heimlich in ungeweihter Erde verscharrt, wie er es verdiente.
Aus all dem kann der Leser ermessen, wie groß die Tugend der Geduld in dieser Jungfrau war und wie lieb ihre Werke dem Allerhöchsten waren, dass er jedes Unrecht an ihr so hart bestrafte.
408. Weil zu den ehrenvollen Gütern zu Recht auch der gute Ruf und echte Freundschaft gezählt werden, fühle ich mich genötigt, zu den oben erwähnten Leiden noch von einigen sehr schweren Kränkungen zu berichten, die sie im Zusammenhang mit diesen genannten Gütern erlitten hat, und daran ihre unvergleichbare Geduld zu zeigen, die man vielleicht eher Tapferkeit und einzigartige Liebe als Geduld nennen müsste. Im vierten Kapitel des zweiten Teiles habe ich ausführlich darüber berichtet.
Alle heiligen Gelehrten stimmen darin überein, dass der Ruf einer Jungfrau leicht gefährdet und die Keuschheit eines Mädchens sehr schnell irgendwelchen Gerüchten ausgesetzt ist. Deswegen ist hinsichtlich dieser Güter nichts schlimmer als der Makel einer Verdächtigung, nichts ehrenrühriger als die Vermutung einer Verführung. Dies war neben anderen auch ein Grund, warum der Herr seine Mutter, die Königin der Jungfrauen, nach außen hin einem Manne verlobte, und deshalb vertraute er auch am Kreuz diese jungfräuliche Mutter dem jungfräulichen Johannes an. Eine solche Verdächtigung, woher sie auch kommen mag, geduldig zu ertragen zeigt an der Jungfrau die Tugend der Geduld klarer als jede Folter, die dem Leib angetan wird. Aus diesem Grund wiederhole ich hier zusammenfassend drei Begebenheiten, die auf dieses Thema Bezug haben und im erwähnten vierten Kapitel des zweiten Teiles geschildert werden. Das erste Ereignis ist staunenswert, das zweite noch erstaunlicher, das dritte aber über alle Maßen bewundernswert.
409. Die erste Begebenheit, die dort aufgeschrieben ist, betrifft eine Frau namens Cecca. Sie war vom Aussatz befallen worden und lag krank in einem Hospital. Es fehlten ihr nicht nur die nötigsten Dinge, sondern auch jemand, der sich um sie gekümmert hätte, denn niemand wollte wegen der Ansteckungsgefahr Dienste bei ihr verrichten. Als die heilige Jungfrau dies erfuhr, ging sie freudig zu ihr und bot ihr an, sie persönlich zu pflegen und zu bedienen und für alles Nötige zu sorgen. Wie sie versprach, so tat sie es auch.
Doch im Laufe der Pflege wurde die Kranke gegen Caterina anmaßend, sie schalt ihre Wohltäterin mit kränkenden und geradezu verleumderischen Worten und brach immer wieder einen Streit vom Zaun. Caterina aber, gerüstet mit fester Geduld, ließ sich durch nichts aus der Fassung bringen. Als dann die Hände der Jungfrau durch die Berührung der Aussätzigen von der Lepra erfasst wurden, harrte sie standhaft in ihrem frommen Dienst aus und wollte lieber aussätzig werden als die Betreuung ihrer Tadlerin aufgeben. Sie ließ sie nicht im Stich und begrub sie schließlich mit eigenen Händen. Und wie durch ein Wunder schwand der Aussatz von den Händen der Jungfrau. Dies alles zu erdulden und zu überwinden, lehrte sie die Liebe, die geduldig und gütig ist.
410. Als zweites Beispiel wird dort die Geschichte einer gewissen Palmerina angeführt. Sie trug das gleiche Ordenskleid wie Caterina, verfolgte und verleumdete aber die Jungfrau mit glühendem Hass, der sich durch nichts erweichen ließ. Zuerst erkrankte ihr Körper, schließlich aber drohte durch ihre Schlechtigkeit der Tod für Leib und Seele, und sie wäre der ewigen Verdammnis nicht entronnen, wenn ihr nicht die Gebete derjenigen, die sie so hasste, aufs wirksamste zu Hilfe gekommen wären.
Auf wundersame Weise ging der Herr in diesem Falle vor: Während sich nämlich das Herz der Sünderin durch den Entzug seiner Gnade verhärtete, wurde das Herz der Jungfrau Caterina durch das Einströmen seiner Liebe umso mehr entflammt. Und je mehr sich Palmerina verhärtete, desto größer wurde Caterinas Liebe. Am Ende siegte das Licht der heiligen Liebe, und die Finsternis der Verhärtung löste sich auf. Die Jungfrau Caterina besiegte durch ihr glühendes und unaufhörliches Gebet, was die alte Schlange in Palmerina gewirkt hatte; und so groß war die Gnade, die im Herzen und auf den Lippen Caterinas ausgegossen war, dass sie auf wunderbare Weise die Seele Palmerinas vor der Verdammnis bewahrte. Aber auch dem Erlöser gefiel der Dienst Caterinas so sehr, dass er ausdrücklich sagte, die Seele Palmerinas sei auf ihre Bitten hin gerettet worden.
Das alles erwirkte die vollendete Geduld, die im Herzen Caterinas durch die Liebe hervorgerufen wurde, wie im besagten vierten Kapitel des zweiten Teiles ausführlicher dargelegt wird.
411. Mag die heilige Jungfrau sich auch in der ersten der oben beschriebenen zwei Begebenheiten als sehr geduldig zeigen, in der zweiten geduldig und zugleich bewundernswert erscheinen, so erweist sie sich doch in dem dritten Ereignis, von dem jetzt die Rede sein soll, mehr als geduldig und über alle Maßen bewunderungswürdig.
Wie im letzten Teil des besagten Kapitels geschrieben ist, lebte in Siena eine alte Frau, die dem gleichen Orden angehörte wie die heilige Jungfrau; sie hieß Andrea, denn in jener Gegend war es gebräuchlich, die männliche Form eines Namens in die weibliche zu ändern. Sie hatte Brustkrebs, der bereits so fortgeschritten war und einen so üblen Gestank verbreitete, dass sich jeder nur mit zugehaltener Nase ihr nähern konnte. Aus diesem Grund fand sich so gut wie niemand, der sie betreut oder gepflegt hätte.
Caterina erfuhr dies und zögerte nicht, um Christi willen die Betreuung Andreas zu übernehmen. Weder der Gestank noch irgendeine Ansteckungsgefahr hielt sie davon ab, sich der Krebskranken mit offener Nase, fröhlichem Herzen und heiterer Miene zu nähern, sie aufs sorgfältigste zu betreuen, die Wunde bloßzulegen, den Eiter abzuwischen, sie zu waschen und mit ganzer Sorgfalt neu zu verbinden. Dies alles tat sie ohne jeden Widerwillen, und wenn doch einmal, wie es natürlich ist, Übelkeit in ihr aufstieg, strafte sie gleichsam unerbittlich das eigene Fleisch, indem sie ihr Gesicht über die Wunde hielt und jenen schrecklichen Gestank so lange ertrug, bis sie fast ohnmächtig wurde.
412. Wie aber Satan zuvor von Palmerina Besitz ergriffen hatte, so drang er jetzt in das Herz Andreas ein. Es begann damit, dass sie gegen Caterina misstrauisch wurde, dann über sie zu murren begann, bis sie schließlich in ihrer Verblendung so weit ging, sie auf hässliche Weise bei den Mitschwestern zu verleumden, indem sie behauptete, die reine Jungfrau hätte durch unkeusche Verführung ihre Jungfräulichkeit verloren. Als Caterina von diesem Gerede erfuhr, war sie im Herzen zutiefst getroffen; mit überzeugenden Worten verteidigte sie vor den Mitschwestern ihre Unschuld und rief im Gebet unter Tränen ihren Bräutigam zu Trotzdem vernachlässigte sie nicht den Dienst an der Kranken, ja sie pflegte sie noch sorgfältiger als zuvor und stand ihr bei, und so überwand sie mit fester Geduld die Bosheit der Kranken.
Als Beweis für die Verdienste ihrer Geduld und zum Zeugnis ihrer Heiligkeit sah die besagte Verleumderin einmal Caterina vor ihren Augen verwandelt und von den Strahlen eines hellen Lichtes umgeben, und sie bemerkte ganz deutlich, wie das Antlitz der Jungfrau in das eines Engels verwandelt wurde. Sie spürte einen ungewohnten Trost in ihrem Herzen und erkannte, wie sie später selbst bezeugte, durch die große Gnade Gottes ihre Schlechtigkeit. Unter Tränen bat sie Caterina um Vergebung, sie rief alle Schwestern, bei denen sie sie verleumdet hatte, zu sich, bezeichnete sich als schuldige Lästerin und erzählte mit von Schluchzen unterbrochener Stimme, was sie gesehen hatte. Sie widerrief ihre früheren lügnerischen Worte und versicherte, dass Caterina nicht nur eine reine Jungfrau, sondern eine große Heilige vor dem Herrn sei; dafür gebe es für sie nicht den geringsten Zweifel. Wo Satan also geglaubt hatte, den Ruf der Jungfrau besudeln zu können, da hatte er ihn, wie er mit Zähneknirschen erkennen musste, zu noch größerem Glanz gebracht. Dies alles wirkte der Herr kraft der Tugend der Geduld. Durch dieses Ereignis begann das Ansehen der Jungfrau noch heller zu leuchten, bis ihr Ruf schließlich bis zum Apostolischen Stuhl gelangte, das heißt bis zum Thron zweier Päpste und sehr vieler Kardinäle.
413. Zu dieser Geschichte gehört auch ein Ereignis, das ich nicht verschweigen darf. Als nämlich Caterina nach all den Vorfällen die krebskranke Andrea weiter aufs sorgfältigste pflegte, geschah es – vielleicht auf Betreiben des Feindes des Menschengeschlechtes –, dass ihr Magen beim Aufdecken der übelriechenden Wunde nicht mehr widerstehen konnte und zu rebellieren begann. Darauf zürnte sie ihrem eigenen Leib, indem sie sprach: „So wahr der Herr, mein Bräutigam, lebt, um dessen Liebe willen ich dieser meiner Schwester diene: das, wovor dir so sehr ekelt, soll nun in deinem Inneren aufgenommen werden.“ Nach diesen Worten wusch sie die Wunde, sammelte das Waschwasser mit der abscheulichen Wundflüssigkeit in einer Schale und trank es aus.
In der darauffolgenden Nacht erschien ihr der Herr und sagte, sie habe durch diese Handlung alle ihre bisherigen Taten in den Schatten gestellt. Und er fügte hinzu: „Weil du deiner Natur so sehr Gewalt angetan hast und aus Liebe zu Mir diesen abscheulichen Trank zu dir genommen hast, will Ich dir einen wunderbaren Trank schenken, durch den du bei allen Menschen Verwunderung finden wirst.“ Nach diesen Worten drückte er, wie ihr schien, ihren Mund an seine Seite und sprach: „Trink, meine Tochter, in vollen Zügen den Trank aus Meiner Seite. Er ist wunderbar und köstlich zugleich, und durch ihn wird nicht nur deine Seele gesättigt werden, sondern auch dein Leib, den du um Meinetwillen verachtet hast.“
Von dieser Stunde an hatte ihr Magen kein Verlangen mehr nach einer leiblichen Nahrung, und sie konnte auch nichts mehr verdauen. Ist es verwunderlich? Die Quelle des Lebens war ihr nahe gewesen, und sie hatte ausgiebig den Leben spendenden Trank genossen. Nun bedurfte sie keiner anderen Speise mehr, weil sie für immer gesättigt war. Das war die Quelle und der Ursprung ihres so erstaunlichen Fastens, über das im fünften Kapitel des zweiten Teiles ausführlich geschrieben wird und das auch oben mit kurzen Worten berührt wurde.
Dies alles aber erwuchs aus der Tugend der Geduld, denn die Liebe im Herzen der Jungfrau hatte wie ein gutes Erdreich das Wort des Lebens aufgenommen und reiche Frucht getragen: dreißigfach in dem Wunder an der aussätzigen Cecca oder Francesca; sechzigfach im zweiten, das heißt in dem, das der Herr durch die Jungfrau Caterina an Palmerina wirkte; und hundertfach, ja, wenn das Wort erlaubt ist, mehr als hundertfach in dem zuletzt genannten dritten Wunder an Andrea.
414. Nachdem ich also von diesen denkwürdigen Wundern, die in Caterinas Legende von mir genauer beschrieben worden sind, noch einmal erzählt habe, halte ich es für angebracht, dass wir an dieser Stelle auch etwas anführen, was in der besagten Legende unerwähnt geblieben ist.
Es ist schon ungewöhnlich, darüber zu sprechen, noch ungewöhnlicher aber war es, als es geschah. Es gab nämlich kaum einen Mann oder eine Frau aus dem Kreis ihrer Vertrauten, die ihr nicht im Hinblick auf ihre Mahnungen und Beispiele das eine oder andere Mal Unrecht getan oder sie empfindlich betrübt hätten. Das war das Werk Satans, der sie auch durch ihre engsten Angehörigen verfolgte. Auch wenn sie mir bekannte, dass sie an solchen Verfehlungen weit mehr litt als an Ungerechtigkeiten durch Fremde, überwand sie doch alles durch ihre starke und unerschütterliche Geduld. Ich glaube, es schon früher wiederholt gesagt zu haben, und bekenne es jetzt vor der ganzen Kirche Gottes: Diese Geduld erbaute mich mehr als alles, was ich von ihren Sitten und Handlungen gesehen und gehört habe, ob es Wunder waren oder andere Verdienste, mochten sie noch so groß sein.
Caterina war wie eine starke Säule, die der Heilige Geist so fest in der Liebe gegründet hatte, dass kein Sturm der Verfolgungen in der Lage war, ihre Miene auch nur im Geringsten zu wandeln. Und das ist kein Wunder, denn sie war gegründet auf einem festen Felsen, wie es im Buch der Weisheit heißt: „Wie Grundfesten der Ewigkeit auf festen Felsen, so sind die Gebote Gottes im Herzen einer heiligen Frau.”[13] Ihre Seele hatte sich mit dem stärksten Felsen Christus, dem ewigen Fundament, so fest verbunden, dass die heilige Frau die Satzungen Gottes unverrückbar im Herzen bewahrte.
415. Ich habe erfahren, dass einer unserer Leute einmal vom Satan so schrecklich verführt wurde, dass er oft Beschimpfungen und die beleidigendsten Ungerechtigkeiten gegen sie aussprach, auch in Gegenwart ihrer Mitschwestern. Sie aber ging in ihrer Geduld so weit, dass sie kein einziges Wort und nicht das geringste Zeichen der Erregung oder des Unmutes gegen ihn äußerte; sie trug vielmehr ihren Gefährtinnen, die die Beleidigungen gehört hatten, aufs strengste auf, jenen Mann in keiner Weise zu beunruhigen oder zu kränken, und sie verbot ihnen, uns über das, was sie gehört hatten, etwas durch Wort oder Zeichen mitzuteilen.
Durch diese Geduld aber wurde jener nur noch schlechter; er ging so weit, dass er Gelder entwendete, die der Jungfrau zu Almosenzwecken gegeben worden waren. Caterina aber wurde in ihrer bisherigen Liebe nicht im Geringsten schwankend und erlaubte nicht, dass jemand von uns, die wir von diesem Diebstahl wussten, sich darüber zu einem Wort oder einer Äußerung irgendeiner Klage hinreißen lasse.
Sie aber blieb in ihrem Schweigen und in ihrer Hoffnung stark und unbeirrt, und so überwand sie alles. Uns aber lehrte sie durch Wort und Beispiel, in gleicher Weise den Sieg zu erringen.
416. Wollten wir jetzt auch noch jene Geduld darzustellen versuchen, die sie in ihren körperlichen Leiden gezeigt hatte, dann würde dazu nicht nur das Papier, sondern auch unsere Vorstellung nicht ausreichen. Sie litt nämlich nicht nur häufig, ja andauernd an Schmerzen im Darm (im sechsten Kapitel des zweiten Teiles, etwa am Anfang, ist darüber genauer berichtet; dort wird auch die Ursache jener Krankheit angeführt, nämlich die Errettung ihres Vaters Giacomo aus den Qualen des Fegefeuers), sondern auch an ständigen Kopfschmerzen. Zudem hatte sie, wie sie mir selbst bekannte, in der Brust einen eigenartigen und unaufhörlichen Schmerz, und sie sagte, sie hätte ihn seit jenem Tag, an dem der Erlöser ihr an den Qualen seines heiligsten Leidens Anteil gewährte (wie oben im sechsten Kapitel des zweiten Teiles geschrieben ist). Dieser Schmerz in der Brust blieb ihr, und sie beteuerte, dass es ein Schmerz sei, der alle ihre anderen körperlichen Schmerzen übersteige. Zu diesen oft unerträglichen Schmerzen kamen auch noch ihre häufigen Fieberanfälle dazu.
Doch trotz all dieser Leiden hörte oder sah man sie niemals klagen oder mit einem traurigen Gesicht, im Gegenteil: Sie empfing alle, die zu ihr kamen, mit heiterer Miene und tröstete sie. Und wenn einmal Trostworte nicht ausreichten und es nötig war, für das Heil der Seelen irgendwelche Mühen auf sich zu nehmen, dann konnten alle die vorhin aufgezählten Krankheiten sie nicht daran hindern, vom Lager aufzustehen und das Werk zu verrichten, so als ob sie niemals irgendein Leiden gespürt hätte. Darüber ist im besagten siebten Kapitel des zweiten Teiles geschrieben worden.
417. Es ist nicht leicht, all das wiederzugeben, was sie sonst noch von den Dämonen erlitten hat. Im zweiten Kapitel des zweiten Teiles ist davon die Rede, dass sie wiederholt von ihnen ins Feuer gestoßen wurde, ohne den geringsten Schaden zu nehmen, wie Augenzeugen glaubwürdig berichten.
Ich selbst habe einmal folgendes gesehen und erlebt: Wir befanden uns auf dem Rückweg nach Siena und waren der Stadt schon nahe. Caterina saß auf einem Esel, als sie plötzlich durch einen heftigen Schlag von ihrem Reittier herabgestoßen wurde und kopfüber eine Böschung hinunterstürzte. Sowie ich das bemerkte, rief ich die allerseligste Jungfrau an, gleich darauf aber sah ich sie fröhlich lachend auf dem Boden sitzen; und sie sagte, das wäre Malatasca, der Dämon, gewesen. Als wir sie wieder auf den Esel gesetzt hatten und kaum eine Steinwurflänge weitergezogen waren, warf sie der gleiche böse Geist mitsamt dem Tier in den Schmutz, wobei der Esel auf ihr zu liegen kam. Da lachte sie abermals und sagte: „Dieses Eselchen wärmt mir die Seite, wo ich meine Bauchschmerzen spüre.“ So missachtete sie den Feind und erlitt nichts Böses. Als wir sie aber mit Mühe aus dem Morast herausgezogen hatten, wo sie unter dem Reittier lag, wollten wir sie nicht noch einmal aufsteigen lassen, und weil wir der Stadt schon nahe waren, nahmen zwei von uns sie in die Mitte, und so führten wir sie zu Fuß weiter. Der alte Feind aber ließ nicht einmal jetzt ab, sie bald hierhin, bald dorthin zu zerren, und wenn wir sie nicht festgehalten hätten, wäre sie ohne Zweifel zu Boden gestürzt. Sie aber lachte und machte sich mit fröhlichem Gesicht über den Feind lustig, zeigte ihm ihre Verachtung und machte abweisende Gebärden.
Auf diesen Spuk folgte eine reiche Seelenernte, wie im besagten siebten Kapitel erwähnt wird. Das sah die alte Schlange voraus und brachte deshalb durch solche Belästigungen ihre Wut darüber zum Ausdruck.
418. Diese und andere Misshandlungen der Dämonen zeigen uns nicht nur Caterinas Geduld, sondern offenbaren sie auch, wenn ich recht sehe, vor aller Welt als Märtyrerin; denn die Dämonen zwangen sie, freilich unter Mitwirkung der Liebe, ihr irdisches Leben unter unglaublichen Qualen zu beenden, wie im zweiten Kapitel des dritten Teiles eingehender und ausführlicher erzählt wird.
Beachte auch, lieber Leser, dass der heilige Antonius, der nach dem Martyrium verlangte und es vom Herrn erbat, in der Weise Erhörung fand, dass er aufs grausamste von den Dämonen gegeißelt wurde; doch das Leben des Leibes büßte er dadurch nicht ein. Diese heilige Jungfrau aber wurde so oft geschlagen und gegeißelt, dass sie schließlich durch die Schläge der Dämonen ihr irdisches Leben beendete; was übrigens für alle einsichtigen Menschen ein unwiderlegbares Zeugnis für ihre Heiligkeit ist. Um jedoch einerseits ihre Stärke zu zeigen und andererseits die Lästerzungen einiger zum Verstummen zu bringen, sehe ich mich gezwungen, hier noch auf eines hinzuweisen, was sie ihrem Bräutigam ähnlich erscheinen lässt, zumindest was den Beginn seiner Passion anbelangt. Und weil mir gewisse Ursachen ihrer Leiden bekannt sind, von denen andere nichts wissen, halte ich es für notwendig, am Ende dieses letzten Kapitels die folgende Erzählung anzufügen, zum Ruhm und zur Ehre der Mensch gewordenen Wahrheit und der Jungfrau Caterina, ihrer Braut, was immer auch herabsetzend diejenigen sagen mögen, die ihre Zungen gelehrt haben, Lügen zu sprechen.
419. Im zehnten Kapitel des zweiten Teiles, das sich mit dem prophetischen Geist der Jungfrau beschäftigt, wurde berichtet, dass sich im Jahr des Herrn 1375 die Stadt Florenz, die aus vielfachen Gründen zu den besonderen Töchtern der heiligen römischen Kirche gezählt zu werden pflegte, mit den Gegnern der Kirche verbündete. Unter Beihilfe des Zwietracht säenden Feindes des Menschengeschlechtes und zusammen mit den genannten Feinden bemühte sie sich höchst wirkungsvoll, die ganze weltliche Macht der Kirche zu vernichten.[14]
Was war Schuld an dem Zerwürfnis? Vielleicht die Beamten der Kirche, vielleicht der Übermut der Florentiner, vielleicht aber lag das Verschulden auf beiden Seiten. Aus diesem Grund verlor der römische Pontifex, der in Italien über 60 Bischofsstädte und – wie es hieß – über 10 000 befestigte Plätze gebot, fast den gesamten Besitz, so dass nur wenige oder gar keine Ländereien unter seiner Herrschaft verblieben.
Als aber dies geschah,[15] verhängte Papst Gregor XI. seligen Angedenkens über die Florentiner abschreckende Sanktionen: fast auf dem ganzen Erdkreis wurden sie von den Regenten und Herrschern der Länder, in denen sie ihre Geschäfte betrieben, festgenommen oder aller ihrer Güter beraubt. Unter dem Druck dieser Maßnahmen sahen sie sich gezwungen, mit dem Papst in Friedensverhandlungen zu treten, wobei sie vor allem um solche Personen als Vermittler bemüht waren, die sie als Vertraute des Papstes kannten. Es war ihnen aber zu Ohren gekommen, dass die heilige Jungfrau wegen ihres Rufes der Heiligkeit in den Augen des Heiligen Vaters großes Ansehen genoss. Aus diesem Grund fassten sie den Beschluss, dass zuerst ich im Namen der Jungfrau Caterina zum Papst gehen sollte, um seinen Zorn zu beschwichtigen; hierauf ließen sie Caterina nach Florenz kommen.
Die priori (die Mitglieder der Signoria) zogen bei ihrer Ankunft zur Stadt hinaus ihr entgegen und baten sie inständig und mit großem Nachdruck, sie möge persönlich nach Avignon zum Papst reisen, um einen Friedensschluss auszuhandeln.[16] Und tatsächlich erklärte sich Caterina, ganz erfüllt von Liebe zu Gott und dem Nächsten und eifrig bedacht auf das Wohl der Kirche, zu dieser Reise bereit und kam nach Avignon, wo sie mich vorfand. Ich fungierte als Dolmetscher zwischen dem Papst und der Jungfrau, da jener Lateinisch, Caterina aber im toskanischen Dialekt sprach. Vor Gott und den Menschen kann ich bezeugen – da ich es selbst gehört und übersetzt habe –, dass der Papst den Frieden in die Hände der Jungfrau legte, indem er sprach: „Damit du klar siehst, dass ich den Frieden will, lege ich ihn einfach in deine Hände; vergiss aber nicht, dass dir damit auch die Ehre der Kirche anvertraut ist.“
420. Gewisse Männer jedoch, die damals Florenz regierten, sagten zwar in der Öffentlichkeit, dass sie den Frieden anstrebten, waren aber im Inneren voll Trug und dachten so lange nicht an Frieden, ehe sie nicht die Kirche so geschwächt hätten, dass sie, ihrer weltliche Macht völlig beraubt, die Florentiner nicht mehr zur Verantwortung ziehen konnte. Das wurde mir später aus ihren eigenen Äußerungen klar, aber auch aus dem Verhalten einiger von ihnen, die nach einer gewissen Zeit das offen aussprachen, was sie damals geheim gehalten hatten. Sie handelten nämlich damals wie echte, um nicht zu sagen perfekte Heuchler: Dem Volk sagten sie, dass sie nach bestem Können einen Frieden mit dem Papst oder der Kirche Gottes suchten; auf der anderen Seite aber verhinderten sie den Frieden, wo sie nur konnten; das wurde deutlich sichtbar an der Täuschung, die sie damals an Caterina begingen.
Als sie nämlich Caterina baten, diese mühevolle Reise auf sich zu nehmen, versprachen sie ihr, sie würden gleich danach ihre Unterhändler nachschicken mit dem ausdrücklichen Auftrag, nach jeder Seite hin nur das zu tun, was sie ihnen vorschreiben oder sagen würde. Aber ihre Bosheit traf nicht die heilige Jungfrau, sondern sie selbst. Sie sandten nämlich nach Caterinas Abreise ihre Unterhändler erst sehr spät weg, und infolge dieser Verzögerung sagte der Papst jedes Mal, wenn er die heilige Jungfrau sah: „Glaube mir, Caterina, sie haben dich hintergangen und werden das auch weiterhin tun; sie werden keine Gesandtschaft schicken, und wenn, dann wird ihre Mission so beschaffen sein, dass sie erfolglos bleibt.“[17]
Als die besagten Gesandten schließlich in Avignon eintrafen, rief sie die heilige Jungfrau in meiner Anwesenheit zu sich und sagte ihnen, was die Regenten der Stadt, von der sie gesandt worden waren, ihr, Caterina, versprochen hätten; sie berichtete, dass der Papst den Frieden in ihre Hände gelegt hätte und wie man daraus schließen könne, dass sie einen günstigen Frieden haben könnten, wenn sie nur wollten. Aber die Gesandten waren wie taube Nattern; sie verschlossen den Worten des Friedens ihre Ohren und antworteten, sie hätten keinen Auftrag, mit ihr zu verhandeln und ihre Weisungen zu befolgen.[18] Daran erkannte sie die Verschlagenheit der Gesandten und musste sich eingestehen, dass der Papst ein Prophet gewesen war. Dennoch ließ sie nicht ab, ihn zu bitten, er möge nicht als unerbittlicher Richter, sondern vielmehr wie ein barmherziger Vater mit ihnen verfahren.
420a. Nachdem sich damals der Stellvertreter Christi auf Caterinas Drängen hin endlich entschlossen hatte, seinen Sitz wieder nach Rom zu verlegen, was dann auch tatsächlich geschah, kehrten wir wieder in die verschiedenen Teile Italiens zurück. Die Jungfrau erledigte noch einige Angelegenheiten in der Toskana, die dem Heil der Seelen dienten,[19] und schickte mich dann nach einiger Zeit zum Heiligen Vater nach Rom mit gewissen Abhandlungen,[20] die für die heilige Kirche Gottes segensreich gewesen wären, wenn man sie richtig verstanden hätte.
Noch während meines Aufenthaltes wurde ich von meinem Orden beauftragt, die Last des Priorates im römischen Kloster zu übernehmen,[21] ein Amt, das ich bereits einmal innegehabt hatte, nämlich zu der Zeit, als Papst Urban V. seligen Angedenkens in Rom weilte. Aus diesem Grund konnte ich nicht zu Caterina zurückkehren. Vor meiner Abreise nach Rom war ich mit einem Bürger aus Florenz namens Niccolò Soderini zusammengekommen; er war ein frommer und treuer Diener der heiligen Kirche und ein großer Verehrer Caterinas.[22]
Mit ihm sprach ich über die Angelegenheit von Florenz, und ganz besonders über die bereits erwähnte Tücke, Friedensbereitschaft mit der von ihnen beleidigten heiligen Kirche vorzutäuschen, in Wahrheit aber nichts davon wissen zu wollen. Als ich mich über diese Arglist beklagte, antwortete mir jener treffliche, kluge und hochangesehene Mann: „Ihr könnt sicher sein, dass das Volk von Florenz in seiner Gesamtheit und alle redlichen Männer der Stadt den Frieden wollen; es gibt aber einige wenige übel Gesinnte, die zur Strafe für unsere Sünden gegenwärtig die Stadt regieren, und sie sind es, die den Frieden verhindern.“ Da fragte ich: „Kann man denn gegen dieses Übel nichts unternehmen?“ Worauf er zur Antwort gab: „Ja, man könnte, wenn sich einige von den guten Bürgern für die Sache Gottes mit Leidenschaft einsetzten und mit den Vertretern oder Häuptern der Guelfen-Partei dafür sorgten, dass jene wenigen als Feinde des Gemeinwohls ihrer Ämter enthoben würden. Wenn man vier oder höchstens sechs dieser Leute entmachten könnte, so würde das schon genügen.“
Was ich da gehört hatte, behielt ich bei mir. Als ich aber im Auftrag der Jungfrau den Statthalter Christi aufsuchte,[23] berichtete ich ihm alles, was ich gehört hatte. Niccolò, der mit mir in Siena darüber gesprochen hatte, kehrte nach Florenz zurück, ich aber reiste, wie gesagt, nach Rom.
421. Als ich dort bereits mehrere Monate lang in der Leitung des Konvents und in der Verkündigung des Wortes Gottes tätig war, kam eines sonntags in der Früh ein päpstlicher Bote zu mir, der mir den Auftrag überbrachte, mich zum Frühstück bei seiner Heiligkeit einzufinden. Ich gehorchte dem Befehl. Nach dem Essen rief mich der Papst zu sich und sagte: „Man hat mir geschrieben, ich werde Frieden haben, wenn sich Caterina von Siena nach Florenz begibt.“ Darauf antwortete ich: „Heiliger Vater, nicht nur Caterina, sondern wir alle sind bereit, im Gehorsam gegenüber Eurer Heiligkeit bis zum Martyrium zu gehen.“ Er aber sagte: „Ich will nicht, dass du gehst, denn sie werden dir übel mitspielen. Ihr aber, denke ich, werden sie nichts Böses antun, zum einen, weil sie eine Frau ist, aber auch, weil sie Respekt vor ihr haben. Du aber kümmere dich um die notwendigen Bullen, die für dieses Unternehmen nötig sind. Bring sie mir morgen in der Früh zusammen mit einer Denkschrift, damit die Angelegenheit rasch in die Wege geleitet werde.“ Ich tat es und brachte sie ihm. Nachdem die Dokumente unterfertigt waren, schickte ich sie der heiligen Jungfrau, und diese machte sich als Tochter des wahren Gehorsams unverzüglich auf die Reise.
In Florenz angekommen, wurde sie von verschiedenen Personen, die Gott und der heiligen Kirche treu ergeben waren, mit großer Ehrerbietung empfangen. Auf Vermittlung von Niccolò Soderini sprach sie mit einigen rechtschaffenen Bürgern und redete ihnen ins Gewissen, sie sollten doch um Gottes willen nicht auf Zwietracht oder Krieg mit dem obersten Hirten ihrer Seelen beharren, sondern sich so schnell wie möglich mit dem Statthalter Jesu Christi wieder versöhnen.
422. Durch Soderinis Vermittlung sprach sie dann auch mit Vertretern der Guelfenpartei. Ihnen sagte sie unter anderem: Wenn es Männer gibt, die ein Hindernis darstellen für Friede und Eintracht zwischen Vater und Söhnen, so verdienen sie es, aller Ämter enthoben zu werden, denn solche Leute dürften nicht Lenker genannt werden, sondern müssten Zerstörer des Allgemeinwohls und der Stadt heißen. Sie brauchten sich keine Gewissensbisse zu machen, wenn sie durch die Ausschaltung einiger Bürger ihre Stadt vor einem so großen Unheil bewahren; und sie fügte hinzu, dass dieser Friede nicht nur für die Menschen und die zeitlichen Güter gut sei, sondern auch – und zwar noch viel mehr – notwendig sei für das Heil der Seelen, das sie ohne diesen Frieden gewiss nicht erlangen könnten. Zudem stehe ja außer Zweifel, dass diese Leute, wie allgemein bekannt, mit Erfolg darauf hingearbeitet hätten, die römische Kirche jener Güter zu berauben, die ihr rechtmäßiges Eigentum sind. Selbst dann, wenn sie eine Privatperson wären, hätten sie vor Gott und jedem gerechten Richter die Pflicht, die Güter zurückzugeben, die sie geraubt oder deren Raub sie geduldet hätten. Wenn sie durch einen Frieden von dieser Schuld befreit werden könnten, wäre ihnen das in der Folge ein Nutzen für Leib und Seele. Mit solchen und anderen überzeugenden Ausführungen wurden die genannten Vertreter und viele gute Bürger von Caterina dazu gebracht, den Regenten oder Vorstehern zu raten, einen vollständigen Frieden zu schließen bzw. zu erbitten, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.
423. Da sich aber manche, vor allem jene acht Männer, die bisher mit dem Krieg gegen die Kirche beauftragt waren,[24] ganz offen dieser günstigen Ankündigung widersetzten, schritten die besagten Vertreter der Guelfen-Partei, soweit sie es konnten, zur Tat und enthoben einen von diesen acht und noch einige andere ihrer Ämter.
Doch kaum, dass dies geschehen war, brach ein zweifaches Feuer aus: eines bei denen, die abgesetzt wurden, und das andere bei jenen, die darauf brannten, einige besonders Verhasste zu enteignen und auf diese Weise – wider jedes göttliche Gebot – für erlittenes Unrecht Rache zu nehmen. Dieser zweite Brand richtete mehr Unheil an als der erste und führte dazu, dass sich viele gegen Caterina erhoben; denn die Zahl der Enteigneten war so groß geworden, dass die ganze Stadt gleichsam darüber aufschrie. Aber daran war nicht die heilige Jungfrau schuld, und es war nie ihre Absicht gewesen, geschweige dass sie dazu einen Auftrag gegeben hätte. Vielmehr empfand sie darüber einen großen Schmerz, und sie sprach sofort mit vielen darüber und ließ auch anderen ausrichten, dass es äußerst verhängnisvoll sei, ihre Hände nach so vielen und so angesehenen Menschen auszustrecken. Auch dürften sie nicht das, was dazu gedacht war, den Frieden herbeizuführen, nun in ihrem Hass zum Vorwand nehmen, um damit ihre privaten Kriege auszutragen.[25]
Während aber jene ihrer Bosheit folgten und ihre Untaten noch verstärkten, sammelten die Kriegskapitäne bewaffnete Scharen, wiegelten die ärmere Bevölkerung gegen die Urheber der Amtsenthebungen auf und stürzten so die Stadt in ein Chaos. Durch den Aufruhr und Überfall der gemeinen Scharen beziehungsweise des ärmeren und niedrigsten Volkes vertrieben sie die Anstifter der erwähnten Amtsenthebungen aus der Stadt, nahmen ihnen die Güter weg, zündeten ihre Häuser an und ließen auch, wie ich erfahren habe, den einen oder anderen mit dem Schwert hinrichten.
424. In diesen Wirren, die durch unvernünftige Menschen angezettelt wurden, kamen sehr viele Unschuldige zu Schaden, und alle, die irgendwie den Frieden ersehnten, wurden gezwungen, ins Exil zu gehen. Zu ihnen gehörte auch die heilige Jungfrau, die nur um des Friedens willen gekommen war und zu Beginn, wie gesagt, den Rat gegeben hatte, dass nur einige wenige, die den Frieden verhindern, abgesetzt werden sollten. Nun aber wurde sie zu den feindlich Gesinnten gezählt und dementsprechend dargestellt, sodass die Leute aus dem ungebildeten Volk auf den Straßen schrien: „Ergreifen und verbrennen wir dieses nichtsnutzige Weib, oder schlagen wir es mit den Schwertern nieder!“
Als Caterinas Gastgeber davon erfuhren, wollten sie ihr und ihrer Begleitung den weiteren Aufenthalt bei ihnen verwehren. Sie sagten: „Wir wollen nicht, dass uns euretwegen das Haus angezündet wird.“ Im Bewusstsein ihrer Unschuld und aus Liebe zur Kirche nahm sie dies gerne auf sich und blieb ruhig und fest, wobei sie lächelnd ihren Gefährten Mut zusprach, ehe sie sich in Nachahmung ihres Bräutigams an einen Ort begab, wo ein Garten war; dort sprach sie zu den Ihren noch einige aufmunternde Worte und versenkte sich dann ins Gebet.
425. Als sie so im Garten wie Christus betete, kamen lärmend mit Schwertern und Knüppeln die Spießgesellen Satans und schrien: „Wo ist dieses böse Weib? Wo ist es?“ Und sobald Caterina das hörte, machte sie sich für das ersehnte Martyrium bereit, so als wäre sie zu einem königlichen Gastmahl geladen. Dem, der mit gezücktem Schwert lauter als die anderen schrie: „Wo ist Caterina?“, ging sie mit heiterer Miene entgegen, kniete sich vor ihm nieder und sagte: „Ich bin Caterina. Mach mit mir, was immer Gott über mich verfügt hat. Aber im Namen des Allmächtigen gebiete ich dir: Tue keinem von den Meinen etwas zuleide!“ Durch diese Worte wurde der Ruchlose so sehr aus der Fassung gebracht, dass er weder die Kraft aufbrachte, sie zu töten, noch ihre Gegenwart länger zu ertragen vermochte.
Und er, der sie zuerst so wild entschlossen gesucht hatte, stieß sie jetzt, da sie vor ihm war, mit den Worten von sich: „Weg von mir!“ Caterina aber, die nach dem Martyrium verlangte, antwortete: „Ich stehe hier gut. Wohin soll ich denn gehen? Ich bin bereit, für Christus und seine Kirche zu leiden: Das ist es, was ich schon lange ersehnt und in allen meinen Gebeten erfleht habe. Und jetzt sollte ich fliehen, da ich gefunden habe, was ich verlangte? Ich biete mich meinem ewigen Bräutigam als lebendiges Opfer an. Wenn du dazu bestimmt bist, mich zu opfern, dann schlag getrost zu; ich werde gewiss nicht von hier fliehen! Aber verletze keinen meiner Gefährten!“ Was soll ich noch mehr sagen? Der Herr ließ es nicht zu, dass er noch länger gegen die Jungfrau wütete. Verstört entfernte er sich mit allen seinen Gesellen.
Als sich aber daraufhin ihre geistlichen Söhne und Töchter um sie versammelten und sich freuten, dass sie den Händen der Horde entkommen war, klagte sie zutiefst betrübt und unter Tränen: „Ach, ich Elende! Ich dachte, der Allmächtige würde heute meine Glorie vollenden und mir in seiner Gnade die rote Rose des Martyriums verleihen, so wie er mir in seinem mitleidsvollen Erbarmen auch die weiße Rose der Jungfräulichkeit geschenkt hat. Doch jetzt – wie beschämend! – wurde mein Verlangen stattdessen zunichte gemacht. Und dies alles wegen meiner zahllosen Sünden, die mich zurecht nach dem Urteil Gottes dieser so großen Gnade beraubt haben. Wie glücklich wäre meine Seele gewesen, wenn sie gesehen hätte, wie sich mein Blut aus Liebe zu dem verströmte, der mich mit seinem Blut erlöst hat!“[26]
426. Zwar begann sich der Aufruhr allmählich zu legen, doch waren die heilige Jungfrau und ihre Begleiter noch nicht völlig außer Gefahr: Alle Bewohner der Stadt hatte ein solcher Schrecken erfasst, dass es – wie in den Zeiten der frühen Märtyrer – niemanden gab, der sie in seinem Haus aufnehmen wollte. Deshalb rieten ihr ihre geistlichen Söhne und Töchter, nach Siena zurückzukehren. Sie aber antwortete, sie könne dieses Gebiet nicht eher verlassen, bis zwischen dem Vater und den Söhnen der Friede verkündet sei; diesen Auftrag, sagte sie, habe sie vom Herrn erhalten. Dem wagte niemand zu widersprechen. Schließlich fanden sie einen trefflichen und gottesfürchtigen Mann, der sie ohne Angst in sein Haus aufnahm,[27] dies aber wegen der aufgebrachten Menge und der feindseligen Menschen geheim hielt. Nach einigen Tagen zogen sich die jungfräuliche Mutter und ihre geistlichen Kinder an einen abgelegenen Ort zurück, der zwar außerhalb der Stadt lag, aber noch zum Florentiner Gebiet gehörte und für gewöhnlich von Einsiedlern bewohnt wurde.[28]
427. Als sich schließlich durch Gottes Vorsorge der Tumult wieder gelegt hatte, die Aufrührer gerecht bestraft und nach allen Seiten zerstreut wurden, kehrte die Jungfrau nach Florenz zurück, wo sie sich wegen der Regenten, die ihr offensichtlich noch feindlich gesinnt waren, zunächst verborgen Schließlich aber lebte sie frei und offen, bis endlich nach dem Tod Gregors XI. zwischen dem neugewählten Papst Urban VI. und den Florentinern der Friede ausgehandelt, geschlossen, von beiden Seiten bekräftigt und in der oben genannten Stadt verkündet war.[29]
Nachdem dies geschehen war, sagte die Jungfrau des Herrn ihren Söhnen und Töchtern in Christus: „Nun können wir uns aus dieser Stadt zurückziehen, denn durch die Gnade Christi habe ich den Gehorsam gegen ihn und seinen Statthalter erfüllt. Die ich zunächst als Rebellen gegen die Kirche angetroffen habe, lasse ich nun friedlich und ausgesöhnt mit ihrer liebevollen Mutter zurück. Wir können also wieder heimkehren nach Siena, woher wir gekommen sind.“ Und so geschah es. Auf diese Weise entkam Caterina im Namen des Herrn den Händen gottloser Menschen und erreichte den Frieden, den sie so ersehnt hatte. Dies geschah freilich nicht durch einen Menschen und nicht durch Menschenwerk, sondern es war allein Jesus Christus, der unsichtbar durch die Engel des Friedens das zu Ende führte, was böswillige Menschen unter Mitwirkung der Engel Satans verhindern wollten.
Jeder Verständige kann darin ganz klar ersehen, wie außergewöhnlich Caterinas Geduld war, die selbst vor dem Angesicht des Todes nicht zurückschreckte, und wie auch ihre natürliche Weisheit ihr sagte, was sie in einer ausweglosen Situation tun sollte. Und er kann zudem auch ihre unerschütterliche Standhaftigkeit erkennen, mit der sie beharrlich an das Tor des Friedenskönigs klopfte, bis der ersehnte Friede für die Kirche und für die Stadt Florenz zustande gekommen war. So erstrahlt also in ihrem oben geschilderten Wirken nicht nur die Tugend der Geduld, sondern es leuchtet auch der Glanz ihrer Liebe und ihrer unerschütterlichen Standhaftigkeit. Wenn du dir die Mühe machst, lieber Leser, kannst du das erkennen.
428. Nach dieser Betrachtung kommen wir nun zum letzten Akt ihrer Geduld, nämlich zu ihrem Tod, den sie für Christus und seine heiligen Kirche auf sich nahm und der so schrecklich und hart war, dass sie darin nicht nur den Verdiensten der heiligen Märtyrer gleichkam, sondern – wenn ich mich nicht ganz irre – einige von ihnen sogar noch übertraf. Denn diese haben durch Menschen gelitten, die sich irgendeinmal mäßigen, besänftigen lassen oder müde werden; Caterina aber erlitt ihre Qualen von Dämonen, die niemals müde werden, niemals in ihrer Grausamkeit nachlassen und niemals ihr erbarmungsloses Tun beenden. Manche von den Märtyrern vollendeten ihr Martyrium innerhalb kurzer Zeit und durch einen weniger harten Tod, sie aber wurde dreizehn Wochen lang, vom Sonntag Sexagesima bis zum vorletzten Apriltag, auf unglaubliche Weise gequält. Und obwohl ihre Leiden mit jedem Tag größer wurden, ertrug sie alles mit freudigem Herzen und größter Geduld, indem sie Gott dankte und ihr irdisches Leben bereitwillig darbot, um Christus mit seinem Volk zu versöhnen und die heilige Kirche vor einem Ärgernis zu bewahren. So fehlt also bei ihr für ein vollkommenes Martyrium weder der Anlass noch das Leiden, wie im zweiten Kapitel des dritten Teiles weiter ausgeführt und in den Kapiteln drei und vier wiederholt wurde.
Aus all dem kann man erschließen, dass sie im Himmel mit einer zweifachen Krone geschmückt wird: mit jener der Sehnsucht nach dem Martyrium wie auch mit der, die sie aufgrund ihres tatsächliches Martyriums erhält. Weiters ist daraus für jeden Verständigen ersichtlich, dass man mit größter Sicherheit und in allernächster Zeit mit ihrer Kanonisation rechnen darf, wie es die Kirche für gewöhnlich bei Märtyrern zu tun pflegt; denn dort, wo es die Kraft zum Martyrium gibt, ist zweifellos auch die Geduld vorhanden, darüber braucht man nicht lange erst zu reden. Die Zeugen, die im ersten Kapitel des dritten Teiles aufgezählt wurden, bezeugen eindeutig alles, was im zweiten Kapitel dieses Teiles und oben in den folgenden Kapiteln geschrieben wurde.
Alles in allem kann man also abschließend sagen, dass diese heilige Jungfrau und Märtyrerin es verdient, durch die kämpfende Kirche in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen zu werden.[30] Das möge mir und ihren anderen Söhnen und Töchtern huldvoll gewähren die ewige Güte, die, eins in der Dreiheit und dreifach in der Einheit, lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.
[1] Vgl. Gregor der Große, Dialoge I, 12; BKV2 II/3, 48.
[2] Jak 1,4.
[3] 1 Kor 13,8. Gregor der Große schreibt dazu in seiner Pastoralregel (III, 9; BKV2 II/4, 147): „Die Liebe, die Mutter und Hüterin aller Tugenden, geht durch Ungeduld verloren. Denn es steht geschrieben: Die Liebe ist geduldig (1 Kor 13, 4). Wo also kein Funke Geduld ist, da ist auch die Liebe nicht.“
[4] Vgl. Lk 13,27
[5] Mt 7,16.
[6] Lk 21,19 (Vulg.).
[7] 1 Kor 13,4.
[8] 2 Kor 11,19.
[9] Wörtlich: das ehrenwerte Gute, bonum honestum. Die scholastische Tradition unterscheidet zwischen dem nützlich Guten (bonum utile), dem angenehm Guten (bonum delectabile) und dem in sich Guten (bonum honestum), das meist dem sittlich Guten entspricht.
[10] Caffarini bringt diese Vision auch in seinem Supplementum (I, 1, 4).
[11] Möglicherweise verbirgt sich dahinter jener Pietro di maestro Lando, den Fra Simone da Cortona im Prozess von Castello erwähnt (456–457). Simone berichtet, dass die Kritiker sogar auf ihn losgegangen seien, wenn er versuchte, Caterina zu verteidigen. Einer von ihnen sei Fra Pietro, Sohn des Magisters Lando gewesen. Er habe die Jungfrau, während sie in Ekstase war, mit einer Nadel durchbohrt (von einer ähnlichen „Nadelprobe” durch eine Dame der Aristokratie, als Caterina in Avignon war, berichtet übrigens auch Stefano Maconi, vgl. Prozess 263), sei dann später – allerdings nicht deswegen – in Klosterhaft genommen worden und habe schließlich den Orden verlassen. Tatsächlich wird Pietro di Lando in den Akten von San Domenico in Siena mehrfach erwähnt, erstmals 1349, zuletzt 1375 (vgl. JJ. 1170).
[12] Von einem ähnlichen Fall berichtet der anonyme Autor der „Miracoli”(Kap. 16), wobei der unglückliche Ordensmann allerdings nicht wie hier aus Hass, sondern aus verschmähter leidenschaftlicher Liebe Selbstmord beging.
[13] Sir 26,24 (Vulg., Ecclesiasticus).
[14] Florenz, die nicht zum Kirchenstaat gehörende freie Stadtrepublik in der Toskana, Metropole der Kunst und Kultur, des Handels und der Finanz, sah sich durch die unter Albornoz erfolgte Befestigung der päpstlichen Territorialmacht und die nun mögliche Rückkehr des französischen Papsttums in das Geflecht der italienischen Politik bedroht. Mit Bernabò Visconti, dem Tyrannen von Mailand, verbunden und im Vertrauen auf die eigene intellektuelle und materielle Überlegenheit, glaubte Florenz seine Zeit für gekommen, um die weltliche Herrschaft des Heiligen Stuhls zu brechen. Zunächst wurden die Schwächen der päpstlichen Regierung, die Misswirtschaft der Legaten und die Vergehen im Klerus propagandistisch ins helle Licht gerückt und dem Spott und der Lächerlichkeit preisgegeben. Bald darauf aber begann man auch gewaltsam vorzugehen. Kirchliche Einrichtungen wurden beschlagnahmt, Priester angegriffen und die päpstlichen Legaten aus den Städten vertrieben. Zwischen dem 18. November 1375 (Erhebung von Viterbo) und dem 19. März 1376 (Aufstand in Bologna) hatten sich – von Florenz geschürt und gedrängt – Teile der Toskana und ein großer Teil des Kirchenstaates (mit Ausnahme von Rom) gegen die päpstliche Herrschaft erhoben. Es war nicht nur ein aufkommender Nationalismus, der sich gegen das französisch gewordene Papsttum und seine fremden Vertreter in Italien entlud, sondern letztlich ein fein gesponnenes Zerstörungswerk, das, von Florenz initiiert, die Vorherrschaft der Arnostadt in Mittelitalien zum Ziel hatte.
[15] In Florenz waren so schlimme Dinge vorgefallen (Folterung und Tötung des Mönches Niccolò, Unterstützung der den Kirchenstaat bedrohenden Rebellen, Plünderung von Kirchen und Klöstern, erzwungene Verletzung des Beichtgeheimnisses mit Todesfolge des Pönitenten, Inhaftierung des Bischofs von Narni, Belagerung des Kardinallegaten und des Bischofs von Bologna), dass dem Papst schließlich nur Strenge und Härte blieb: Am 3. Februar 1375 forderte er die Verantwortlichen in Florenz auf, bis zum 31. März in Avignon zu erscheinen und sich dafür zu rechtfertigen, andernfalls werde über die Stadt das Interdikt verhängt (der lat. Text der Bulle ist abgedruckt in: JJ. 1177– 1180).
[16] Vgl. dazu auch Brief 229 an Papst Gregor XI. und vor allem Brief 234, den Caterina Anfang September von Avignon aus an den Gesandten Buonacorso di Lapo nach Florenz richtet und in dem sie ihn an die ursprüngliche Bitte der Florentiner erinnert: „Ich sagte zu ihnen: Meine Herren, sofern sie in aller Demut sprechen und handeln wollen und einverstanden sind, dass ich Sie Ihrem Vater als reumütige Söhne vorstelle, werde ich mich mit allen Kräften für Ihre Sache einsetzen. Ich werde nur unter dieser Bedingung nach Avignon gehen. Und sie gaben mir ihr Einverständnis.”Auch Bartolomeo Dominici bemerkt im Prozess von Castello (300), dass Caterina „von den Florentinern nach Avignon gesandt worden war, um Papst Gregor XI. zu einem Friedensschluss mit ihnen zu bewegen.” Allerdings gab man Caterina keine schriftliche Empfehlung mit – und die offiziellen Archive und Chroniken schweigen darüber. Wie sich bald zeigen sollte, hatten die Florentiner bloß aus rein taktischen Gründen Caterina zu einer Reise nach Avignon vorgeschoben.
[17] Auch Caterina selbst hatte bald erkannt, dass hier kein faires Spiel gespielt wurde. In einem Brief an die acht Kriegsherren von Florenz schreibt sie: „Ich wundere mich, dass die Gesandten noch nicht da sind ...” (Brief 218).
[18] Caterina kommt darauf in ihrem Brief an den Florentiner Politiker Buonacorso di Lapo zu sprechen (Brief 234): „Als Eure Gesandten kamen, handelten sie nicht so, wie sie es hätten tun sollen. Ihr seid Euren eigenen Weg gegangen, und ich hatte keine Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen, obwohl Ihr mir das versprochen hattet, als ich Euch um ein Empfehlungsschreiben bat. Ihr gabt mir zur Antwort, dass Ihr ihnen sagen werdet, wir würden gemeinsam alles besprechen. Ihr habt gesagt: Wir glauben, dass diese Angelegenheit nur durch die Diener Gottes gelöst werden kann. Und genau das Gegenteil wurde getan.”
[19] Nach dreimonatiger Rückreise Ende Dezember wieder in Siena angekommen, gründete Caterina im Frühjahr des kommenden Jahres (1377) das Reformkloster Belcaro und hielt sich dann von Sommerbeginn bis Jahresende im Orciatal auf.
[20] Welchen Inhalts sie waren, ist nicht bekannt. Vielleicht aber sind sie im Zusammenhang mit Brief 267 zu sehen, den Caterina an Raimund nach Rom nachschickte und in dem sie eine indirekte Botschaft an den Papst beifügte.
[21] Raimund war bereits von 1367–1370 Prior von S. Maria sopra Minerva und wurde am 27. Dezember 1377 auf dem Provinzkapitel von Lucca erneut mit diesem Amt beauftragt, das er im Januar 1378 antrat. Caterina schrieb ihm dazu, gleichsam als „Programm für einen Seelsorger”, Brief 100.
[22] Niccolò Soderini war ein wohlhabender und angesehener Florentiner, Mitglied der Partei der Guelfen und in seinen Worten stets maßvoll und für den Frieden gestimmt. Caterina lernte ihn und seine Familie vermutlich während ihres Aufenthaltes in Florenz im Mai 1374 kennen und wandte sich danach mehrmals an ihn um Unterstützung bei ihrem Bemühen um die Stadt. Er starb 1381. Von Caterina sind uns drei Briefe an Niccolò Soderini erhalten (Brief 131, 171, 297), ebenso ein Brief an seine Gattin Costanza und deren Kinder, Brief 314.
[23] Anfang Oktober 1377 schickte sie Raimund einen Brief nach Rom nach (Brief 267) mit einer Botschaft an den Papst und der Aufforderung: „Sucht, sobald es Euch möglich ist, Seine Heiligkeit auf – und zwar mutigen Herzens und ohne Sorge um Euer Ansehen.”
[24] Im August 1375 hatten die Florentiner acht Richter gewählt, zwei aus jedem Viertel der Stadt, bekannt als die Otto della Guerra, um die Auseinandersetzung mit der Kirche zu koordinieren. Sie setzten sich aus Vertretern aller Stände des Staates zusammen: ein Adeliger, Alessandro de‘ Bardi; ein Handwerker, Giovanni di Mone; sechs Bürger: Giovanni Dini, Giovanni Megalotti, Andrea Salviati, Tommaso Strozzi, Guccio Gucci, Matteo Soldi. Sie waren im Grunde alle ausgezeichnete Männer, fähig und erfahren, von aufrichtigem Patriotismus geleitet, und hassten die Überheblichkeit der Guelfen-Partei. Sie erreichten durch die energische Durchführung aller Aufgaben, die ihnen übertragen wurden, solche Popularität, dass man sie die Otto Santi, die acht Heiligen, nannte.
[25] Caterina, in ihrer Lauterkein und Gutgläubigkeit betrogen, versuchte vergeblich der Absetzungswelle Einhalt zu gebieten, indem sie Stefano Maconi zu einzelnen Mitgliedern sandte, um sie flehentlich um Mäßigung zu bitten (vgl. Drane 409f). Die Propaganda der Gegenseite gab jedenfalls Caterina die Schuld an der Entwicklung, und in dem am 22. Juni ausgebrochenen Volksaufstand wurden die Häuser der führenden Mitglieder der Guelfen-Partei in Brand gesteckt und geplündert, darunter jener Familien, die mit Caterina befreundet waren (Soderini, Strozzi, Canigiani, Buonaccorso di Lapo). Caterina selbst entging dabei nur knapp dem Tod. In einem Brief an Raimund (Brief 295) berichtet sie selbst ausführlich über die dramatischen Ereignisse.
[26] In Brief 295 an Raimund schreibt Caterina dazu ergänzend: „Mein ewiger Bräutigam spielte mir vielmehr einen großen Streich! Cristofano wird Euch darüber mündlich genau berichten. Ich habe Grund zu weinen, da meine Sündhaftigkeit so groß war, dass ich es nicht verdiente, dass mein Blut Leben brächte oder Erleuchtung den Verblendeten oder die Versöhnung des Sohnes mit seinem Vater. Auch wurde (mit meinem Blut) kein Stein eingemauert in den mystischen Leib der heiligen Kirche. Ja es schien sogar, als ob die Hände dessen, der das tun wollte, gefesselt wären! Und als ich sagte: ‘Ich bin es. Nimm mich und lasse diese meine Familie in Ruhe!’, waren ihm meine Worte wie ein Schwert, das ihm geradewegs durchs Herz drang!”
Cristofano di Gano Guidini, Notar aus Siena, war während des Aufstandes bei Caterina und reiste dann nach Rom, um Raimund den Brief Caterinas zu überbringen und selber Bericht zu erstatten. Über dieses Ereignis berichtet (allerdings nicht als Augenzeuge) auch Bartolomeo Dominici im Prozess (315).
[27] Vermutlich handelte es sich um den Schneider Francesco di Pipino Sarto und seine Frau Agnes, die treue Verehrer Caterinas waren und denen sie zahlreiche Briefe geschrieben hat (wovon uns insgesamt 16 erhalten sind).
[28] Allgemein wird angenommen, dass es sich dabei um die Abtei Vallombrosa handelt, zu der Caterinas Freund Giovanni dalle Celle gehörte.
[29] Der Friede wurde am 28. Juli 1378 in Tivoli geschlossen. Die Kunde von der bevorstehenden Unterzeichnung gelangte am 18. Juli 1378 nach Florenz. In Brief 303 schreibt Caterina an Sano di Maco in Siena voll Freude: „Gott hat das Schreien und Rufen seiner Diener erhört ... Jetzt sind sie vom Tod zum Leben wiedererstanden ... Jetzt wird er (der Papst) das heilige Lamm und der Christus auf Erden genannt, während er zuvor als Häretiker bezeichnet wurde. Jetzt wird er wieder als Vater angenommen, während er vorher abgelehnt wurde ... Am Samstagabend erreichte uns der Ölzweig zur nächtlichen Stunde, und heute abend kam der andere.”
[30] Caterina von Siena wurde am 29. Juni 1461 in Rom durch ihren Landsmann Enea Silvio Piccolomini, Papst Pius II., heiliggesprochen.