Stigmen

Caterina empfängt am 1. April 1375 in S. Cristina in Pisa die Wundmale Christi (Foto Mayr)

 

Raimund von Capua, Legenda Maior 194–195

194. Im Zusammenhang mit diesem Thema, guter Leser, fühle ich mich gedrängt, dir noch von einem Ereignis zu erzählen, das sich lange nach dieser Zeit in der Stadt Pisa zugetragen hat und bei dem ich Augenzeuge war. Als sie nämlich dorthin gekommen war – und mit ihr einige Begleiter, unter ihnen auch ich –, fand sie gastliche Aufnahme im Haus eines Bürgers, der neben der Kirche Santa Cristina wohnte. In dieser Kapelle zelebrierte ich auf ihr Drängen an einem Sonntag die heilige Messe und spendete ihr, um es in der gebräuchlichen Sprache auszudrücken, die Kommunion. Hierauf blieb sie ihrer Gewohnheit nach lange dort zurück, ohne ihrer Sinne mächtig zu sein, denn ihr Geist verlangte nach seinem Schöpfer, dem höchsten Geist, und machte sich, soweit er konnte, von den leiblichen Sinnen los.

Wie gewohnt warteten wir, bis sie wieder zu sich käme, denn wir wollten von ihr Worte des geistlichen Trostes empfangen. Plötzlich richtete sich vor unseren Augen ihr zarter Körper, der am Boden hingestreckt gelegen war, ein wenig auf und verharrte in kniender Stellung. Sie streckte ihre Arme und Hände aus, und ihr Angesicht war wie von Feuer gerötet. So verblieb sie völlig starr und mit geschlossenen Augen. Auf einmal stürzte sie vor unseren Augen zu Boden, als wäre sie tödlich verwundet worden; nach kurzer Zeit aber kehrten ihre leiblichen Sinne wieder zurück.

195. Gleich darauf ließ sie mich rufen und sagte mir unter vier Augen: „Mein Vater, Ihr sollt wissen, dass ich durch die Barmherzigkeit des Herrn Jesus jetzt seine Wundmale an meinem Leib trage.“ Ich antwortete ihr, dass ich dies aus ihrem Verhalten während der Entrückung vermutet hätte. Und als ich sie fragte, wie der Herr dies bewirkt habe, sagte sie zu mir: „Ich habe gesehen, wie der ans Kreuz geschlagene Herr mit strahlendem Licht auf mich herabkam. Durch den unwiderstehlichen Drang meines Herzens wollte daher mein Körper seinem Schöpfer entgegeneilen und war genötigt sich aufzurichten. Da sah ich, wie aus den fünf Malen seiner heiligsten Wunden blutrote Strahlen auf mich herabkamen; sie waren auf meine Hände, Füsse und das Herz meines Leibes gerichtet. Ich begriff das Mysterium und rief sogleich: ‚Herr, mein Gott, ich bitte Dich, lass die Male in meinem Leib nicht äußerlich sichtbar werden!‘ Während ich noch redete und ehe jene Strahlen mich erreicht hatten, wandelten sie ihre blutrote Farbe in glänzendes Weiß und trafen in Form reinen Lichtes fünf Stellen meines

Leibes, nämlich die Hände, die Füsse und das Herz.“ Da sagte ich: „Traf also keiner der Strahlen deine rechte Seite?“ Sie erwiderte: „Nein, sondern die linke, direkt auf mein Herz. Jener leuchtende Strahl, der von seiner rechten Seite ausging, durchbohrte mich nämlich nicht von schräg, sondern in gerader Richtung.“ Ich sagte: „Fühlst du jetzt an jenen Stellen einen Schmerz?“ Da seufzte sie tief und sprach: „Der Schmerz, den ich an allen fünf Stellen, besonders aber um das Herz spüre und leide, ist so groß, dass ich glaube, mein irdischer Leib könnte dies unmöglich auch nur ein paar Tage überleben, wenn nicht der Herr ein neues Wunder wirkte.“

 

Die Stigmatisierung Caterinas wurde durch Papst Urban VIII. am 16. Februar 1630 von der Kirche offiziell anerkannt. Papst Johannes Paul II. schrieb 1980: „Um Caterina seinem Erlösungswerk gleichförmiger zu machen und um sie auf ihr unermüdliches Apostolat vorzubreiten, verlieh ihr der Herr das Geschenk der Wundmale.” Vgl. Apostolisches Schreiben Amantissima Providentia.

 

Prozess von Castello, 464–465

Als ich sie einmal fragte, wie denn jener Schmerz in der Brust sei, sagte sie mir, der Herr habe ihr enthüllt, dass bei seiner Kreuzigung die Kriegsknechte die eine Hand schon ans Kreuz genagelt, an dem anderen Arm aber dann mit solcher Gewalt gezerrt hätten, dass die Rippen der Brust, die nach beiden Seiten mit Sehnen verbunden sind, gewaltsam auseinandergerissen worden seien; dies sei der größte Schmerz und die größte Qual gewesen. Eine diesem Schmerz ähnliche Qual leide auch sie.

Doch damit war sie nicht ganz zufrieden. Inständig bat sie den Herrn, er möge sie in seiner Gnade ihm gleich machen, nicht durch für jeden sichtbare Wundmale an Händen, Füssen und an der Seite, sondern im Schmerz der genannten Wunden, so dass sie zwar so große Qualen im Herzen spüre, aber nach außen keine Zeichen dafür in den Augen der Menschen sichtbar würden. Ihr Bräutigam ließ auch diese so fromme Bitte nicht unerfüllt.

Als sie nämlich in Pisa war und eines Tages in der Kirche der heiligen Jungfrau und Märtyrerin Cristina nach der Kommunion in gewohnter Weise in Ekstase fiel und ihren Bräutigam besonders inständig und glühend um diese Gabe bat, schien es den Umstehenden, als würde sie Hände und Füsse ausbreiten, wie es gewöhnlich auf den Bildern des heiligen Franziskus zu sehen ist, als er, der Beschreibung zufolge, die heiligen Wundmale empfing.

Nachdem sie eine Zeit lang in dieser Haltung verweilte, wurde sie schließlich ihrer Sinne wieder mächtig und kehrte nach Hause zurück. Da nahmen ihre Vertrauten, die es gesehen hatten, sie beiseite, fragten sie und wollten wissen, was jene so ungewohnte und lang andauernde Ausbreitung der Hände und Füsse zu bedeuten gehabt hätte. Sie antwortete ihnen und sprach: „Meine Kinder, sagt mit mir Gott Dank, denn er hat die Gebete der Armen nicht verschmäht und die Bitten der Demütigen angenommen und erhört.” Dann verriet sie ihnen, dass sie die oben genannte Gnade schon lange vom Herrn erbeten hätte und an diesem Morgen, als sie noch brennender nach ihr verlangte, Erhörung finden durfte.

(Zeugenaussage des Bartolomeo Dominici)

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