Mystische Hochzeit
Raimund von Capua, Legenda Maior, 114–115
Wie die Apostel begann sie den Herrn zu bitten, ihren Glauben gnädig zu stärken und ihr die Fülle der Tugend des Glaubens zu gewähren, der von keiner Gewalt der Feinde erschüttert und zugrunde gerichtet werden könnte. Der Herr antwortete ihr mit dem Wort: „Ich werde dich Mir im Glauben vermählen.”
Als die Jungfrau immer wieder die gleiche Bitte vorbrachte und der Herr ihr immer dieselbe Antwort gab, geschah es, dass die heilige Jungfrau einmal, als die Fastenzeit nahe war (die Zeit, in der sich die Gläubigen aller erdenklichen Fleischspeisen enthalten und vor der sie noch einmal in törichter Freude ein Fest der Gaumenlust feiern), sich in ihrer einsamen Zelle einschloss und mit Gebet und Fasten das Angesicht ihres ewigen Bräutigams suchte. Als sie die oben erwähnte Bitte wieder mit ganzer Glut und größter Leidenschaft vorbrachte, sprach der Herr zu ihr: „Weil du alle Torheiten um Meinetwillen abgelegt und gemieden hast, weil du alle Freuden des Fleisches verschmäht und allein in Mir die Wonne deines Herzens gesucht hast, und dies in der Zeit, in der die anderen Bewohner deines Hau ses sich an ihren Gelagen freuen und Feste der Fleischeslust feiern, will Ich mit dir die Feier der Verlobung deiner Seele festlich begehen. So, wie Ich verheißen habe, will Ich dich Mir im Glauben vermählen.”
Während er noch sprach, erschienen seine glorreichste jungfräuliche Mutter, der heilige Evangelist Johannes, der glorreiche Apostel Paulus, der heilige Dominikus, der Vater ihres Ordens, und mit ihnen der Prophet David mit der Harfe. Und während er darauf wundersam spielte, ergriff die jungfräuliche Gottesmutter mit ihrer heiligen Hand die Hand Caterinas, streckte sie ihrem Sohn entgegen und bat ihn, sich mit ihr im Glauben zu vermählen. Der eingeborene Sohn Gottes neigte sich huldvoll ihr zu und zog einen goldenen Ring hervor, der mit vier Perlen besetzt war und an dessen Fassung ein prachtvoller Diamant funkelte. Mit seiner ehrwürdigen Rechten steckte er ihn an den Ringfinger der Jungfrau, indem er sagte: „Siehe, Ich vermähle dich Mir, deinem Schöpfer und Erlöser, im Glauben. Du wirst diesen Glauben stets unversehrt bewahren, bis du im Himmel mit Mir ewige Hochzeit feiern wirst. Vollbringe, Meine Tochter, von jetzt an voll Zuversicht und ohne jedes Zaudern, was Meine begleitende Vorsorge dir auferlegen wird. Durch die Stärke des Glaubens bist du nun gefestigt, und so wirst du alle deine Widersacher glücklich überwinden.”
Nach diesen Worten schwand die Vision, der Ring aber blieb für immer an ihrem Finger; und wenn er auch für andere nicht sichtbar war, so hatte ihn Caterina dennoch ständig vor Augen. Tatsächlich bekannte sie mir mehrmals in der Beichte, wenn auch nur zaghaft, dass sie jenen Ring immer an ihrem Finger spüre, und es habe nie einen Augenblick gegeben, wo sie ihn nicht gesehen hätte.
Tommaso Caffarini, Supplementum I, 1, 10
Caffarini präzisiert in der Legenda Minor (I, 12), dass diese Vision „am Tag des Karnevals vor der Fastenzeit” gewesen sei, ohne allerdings das Jahr anzugeben (vermutlich aber 1368). Die Reliquie des Fingers, an dem Caterina einst den unsichtbaren Ring getragen hatte, wurde von Stefano Maconi gehütet und begleitete ihn auf seinen Stationen als Kartäuser (vgl. Suppl. III, 5, 12). Es scheint übrigens, dass Caterina auch einen sichtbaren Ring getragen hat (vgl. Suppl. II, 4, 1; Drane, 53, Anm. 1).
Als sie einmal den Herrn gebeten hatte, sie zu seiner Braut zu erwählen, erschien ihr Christus im Gebet und trug einen mit fünf Steinen geschmückten Ring in seiner Hand. Er gab ihn ihr, sie aber erfasste eine so große Liebe, dass sie es kaum ertragen konnte. Und man sah, dass sie den Ring immer an den Händen trug, und wenn sie sich einmal eine gewisse Nachlässigkeit hatte zuschulden kommen lassen, so empfand sie dann von Neuem Liebe und Wonne. Mit Christus zeigte sich ihr aber auch der Prophet David mit dem Psalter und der heilige Dominikus.