Kommunionempfang
Raimund von Capua, Legenda Maior 318–324
318. Eines Morgens geschah es, dass sie sich zwar nach dem Kommunionempfang sehnte, die Darmbeschwerden aber und die anderen, ihr schon vertrauten körperliche Leiden sie besonders stark quälten. Dennoch hielt sie an ihrem Verlangen fest, ja es wurde eher noch mehr entflammt. Im Vertrauen, dass ihre Schmerzen bald wieder nachlassen würden, schickte sie eine ihrer Mitschwestern zu mir, als ich gerade zur Stunde der Messe die Kirche betrat, und ließ mir sagen: „Caterina bittet Euch, mit Eurer Messe noch ein wenig zu warten, weil ihre Schmerzen gerade sehr groß sind; sie will aber an diesem Morgen unter allen Umständen das Sakrament empfangen.“ Ich stimmte dem gerne zu und ging zum Chorgebet.
Inzwischen hatte ich das Ordensoffizium beendet und wartete noch immer. Die Jungfrau des Herrn aber war, ohne dass ich es wusste, etwa zur Stunde der Terz zur Kirche gekommen, um ihr Verlangen zu stillen. Ihre Mitschwestern aber bedachten die späte Stunde, sie wussten, dass Caterina gewöhnlich nach der Kommunion drei oder vier Stunden in Ekstase geriet, sich nicht von ihrem Platz entfernen konnte und die Kirche daher zu der sonst üblichen Schließzeit (nach Mittag) noch offen bleiben würde (worüber einige unwissende Brüder bereits mehrfach verärgert waren); daher versuchten sie, Caterina zu überreden, an diesem Morgen nicht zu kommunizieren, damit sich die murrenden Brüder darüber nicht noch mehr erregten. Caterina, ganz demütig und bescheiden, wagte keinen Widerspruch und fügte sich. Ihre Sehnsucht aber war so groß, dass sie Zuflucht suchte beim Gebet; sie warf sich bei einem Stuhl im hintersten Teil der Kirche auf die Knie und begann mit glühendem Herzen ihren Bräutigam anzuflehen: Wie er selbst das Verlangen in ihr Herz gesenkt und voll Gnade gegeben habe, so möge er es jetzt selbst stillen, da sie dies von den Menschen nicht erlangen könne.
319. Der allmächtige Gott, der das Verlangen seiner Diener niemals unbeachtet lässt, erhörte seine Braut nicht nur voll Erbarmen, sondern auch auf folgende wunderbare Weise. Während ich in Unkenntnis der vorhin erwähnten Ereignisse und in der Annahme, die Jungfrau sei noch immer zu Hause, in der Kirche auf sie wartete, kam eine ihrer Mitschwestern zu mir, um mir ihre Entscheidung mitzuteilen, heute nicht zu kommunizieren: „Caterina lässt Euch sagen, dass Ihr zelebrieren möget, wann es Euch gefällt, da sie heute nicht kommunizieren kann.“ Als ich das gehört hatte, ging ich in die Sakristei, legte die heiligen Gewänder an, trat an den Altar an der Frontseite der Kirche (wenn ich mich nicht irre, ist der Altar nach dem heiligen Apostels Paulus benannt) und begann die Messe nach dem üblichen Ritus. Caterina aber stand am anderen Ende der Kirche, ohne dass ich davon wusste. Als ich nach der Konsekration und nach dem Herrengebet die heilige Hostie gemäß dem Ritus der Kirche zunächst in zwei Teile und hierauf den einen Teil in zwei weitere Teile trennen wollte, entstanden beim ersten Brechen nicht bloß zwei Teile, sondern drei: zwei große und ein kleiner Teil – nach meiner Erinnerung etwa von der Größe einer Bohne, nur schmäler. Dieses Teilchen nun, das immerhin so groß war, dass es für mich ohne Zweifel das wahre Sakrament enthielt, sprang vor meinen aufmerksam blickenden Augen am Kelch, über dem ich gemäß dem Ritus das Brechen vollzogen hatte, vorbei und fiel, wie mir schien, auf das Korporale. Ich sah nämlich deutlich, dass es nicht weit vom Kelch nach unten zum Korporale fiel; ich konnte es aber darauf nirgends entdecken.
320. Weil ich aber glaubte, dass ich auf Grund der weißen Farbe des Korporale die weiße Partikel nicht erkennen könne, vollzog ich das zweite Brechen der Hostie. Ich sprach das Agnus Dei und empfing selbst die heilige Eucharistie. Als ich meine rechte Hand wieder frei hatte, streckte ich sie auf das Korporale jenseits des Kelches aus, weil ich dorthin die besagte Partikel fallen gesehen hatte. Ich tastete mit den Fingern und strich hierhin und dorthin über das Korporale, aber ich konnte nichts finden. Darüber tief im Herzen betrübt, setzte ich fort, was fortzusetzen war: Ich teile die Kommunion aus und suche aufs Neue, ich betaste das ganze Korporale, streiche überall mit den Fingern darüber, doch vergeblich. Ich kann weder etwas sehen noch etwas fühlen. Darüber wurde ich noch trauriger und bekümmerter und war den Tränen nahe. Wegen der am Altar stehenden Laien gedachte ich die Messe zu Ende zu führen und wollte, wenn sich die Leute entfernt hätten, wieder mit aller Sorgfalt jene Partikel auf allen Seiten des Altares suchen. Als schließlich die Leute weggegangen waren, untersuchte ich nicht nur das Korporale von einem Ende zum anderen aufs sorgfältigste, sondern auch alle Seiten des Altares, aber es zeigte sich nichts, was der besagten Partikel irgendwie ähnlich gewesen wäre. Da sich mir gegenüber eine große Tafel mit Heiligenbildern befand, war eigentlich nicht anzunehmen, dass das besagte Teilchen auf diesem Weg über den Altarrand hinausgelangen konnte, obwohl ich ganz deutlich gesehen hatte, dass es in diese mir gegenüberliegende Richtung weggesprungen war. Aber um ganz sicher zu gehen, suchte ich auch die seitlichen Teile ab, ich bückte mich sogar zur Erde und suchte nach allen Seiten sorgfältig und behutsam, doch es fand sich nichts.
Innerlich beunruhigt, gedachte ich mich mit dem Prior des Klosters, den ich als gebildet und gottesfürchtig kannte, zu beraten. Ich deckte den Altar mit ganzer Sorgfalt zu, rief den Sakristan herbei und trug ihm auf, niemanden an diesen Altar herantreten zu lassen, bis ich zurückgekommen wäre. Und so ging ich ganz traurig und niedergeschlagen in die Sakristei zurück, legte die heiligen Gewänder ab und wollte sogleich den Prior aufsuchen, um seinen Rat einzuholen.
321. Kaum aber hatte ich die Gewänder abgelegt, kam Don Cristiforo, der Prior der Kartause von Belriguardo, herein, der mir in Freundschaft verbunden war, und bat mich, ihm eine Unterredung mit der Jungfrau Caterina zu vermitteln. Ich bat ihn, ein wenig zu warten, bis ich eine Angelegenheit, die ich mit dem Prior besprechen müsste, erledigt hätte; er aber antwortete: „Heute ist feierlicher Fasttag, sodass ich unbedingt wieder rechtzeitig im Kloster zurück sein muss, und wie Ihr wisst, ist es einige Meilen von der Stadt entfernt. Lasst mich um Gottes willen nicht warten, denn in einer dringenden Gewissensangelegenheit muss ich unbedingt mit Caterina sprechen.“ Als ich das hörte, sagte ich zum Sakristan: „Du bleibst hier, bis ich wieder zurück bin, und passt auf, dass niemand in die Nähe des Altares kommt.“ Dann eilte ich mit dem Prior zum Haus, wo Caterina wohnte. Dort angekommen wurde uns mitgeteilt, dass Caterina schon vor geraumer Zeit in die Kirche der Brüder gegangen sei und sich noch immer dort befinde. Erstaunt darüber kehrte ich mit dem Prior zur Kirche zurück und fand ihre Mitschwestern im rückwärtigen Teil der Kirche. Auf meine Frage nach Caterina gaben sie mir zur Antwort, dass sie bei einem Betstuhl auf den Knien liege und wie gewöhnlich ihrer Sinne entrückt sei. Da mir jedoch der Vorfall mit dem Hostienteilchen keine Ruhe ließ, bat ich die Schwestern, sie sollten mit allen Mitteln versuchen, Caterina aus ihrer Ekstase zu lösen, da wir große Eile hätten.
322. Als Caterina wieder ihrer Sinne mächtig war, trafen wir uns mit der heiligen Jungfrau zu der Unterredung. Da ich aber innerlich zutiefst beunruhigt war, nahm ich sie beiseite und erzählte ihr mit wenigen Worten von dem Geschick, das mir zugestoßen war, und von dem Schmerz, der mich erfüllte. Sie aber gab mir, als ob sie alles wüsste, mit einem sanften Lächeln zur Antwort: „Ihr habt doch überall gesucht, nicht wahr?“ Als ich das bejahte, fuhr sie fort: „Warum also seid Ihr dann so traurig?“ Bei diesen Worten konnte sie sich nicht enthalten, wieder ein wenig zu lächeln. Ich nahm ihre Worte mit einer gewissen Beruhigung zur Kenntnis und schwieg, bis der oben genannte Prior sein Anliegen vorgebracht hatte und weggegangen war, nachdem er von Caterina die gewünschte Antwort erhalten hatte. Da sagte ich, erfreut durch die erste Antwort und die Wahrheit ahnend: „Ich glaube wahrhaftig, Mutter, dass du es warst, die mir das Hostienteilchen weggenommen hat.“ Sie aber erwiderte mit einem Lachen: „Vater, gebt nicht mir die Schuld! Ihr müsst nämlich wissen, dass es ein anderer war, nicht ich. So viel jedoch kann ich Euch sagen: Ihr werdet dieses Teilchen nicht mehr finden.” Nun drängte ich sie, mir eindeutig alles offenzulegen, was sie darüber wusste. Sie sagte: „Mein Vater, legt jede Traurigkeit ab, die Euch hinsichtlich dieses Hostienteilchens erfasst hat. Ich will Euch, meinem Beichtvater und geistlichen Vater, die Wahrheit sagen: Jenes Hostienteilchen kam von selbst zu mir, und ich habe es aus der Hand Jesu Christi empfangen. Da nämlich meine Mitschwestern nicht wollten, dass ich an diesem Morgen kommuniziere, weil manche darüber murrten, wollte ich ihnen die Trauer ersparen, dass andere daran Anstoß nehmen könnten. Ich wandte mich an meinen gütigsten Bräutigam, und dieser erschien mir selbst. Er nahm Euch jene Partikel weg und reichte sie mir voll Erbarmen, und so empfing ich sie aus seinen heiligsten Händen. Freut Euch also in ihm, denn Euch ist nichts Schlimmes widerfahren, mir aber ist an diesem Tag ein großes Geschenk zuteil geworden, wofür ich meinem Erlöser aus ganzer Seele Lob und Danksagung darbringen will.“ Als ich das hörte, wandelte sich meine Trauer in Freude, und mein Herz wurde durch ihre Worte so besänftigt, dass ich nicht länger zweifeln konnte.
323. Ich dachte noch einmal über alles nach und sagte zu mir: Habe ich nicht deutlich gesehen, wie das Stück Hostie auf das Korporale fiel? Und doch konnte ich es dort nirgends sehen. Es war dort absolut windstill, da der Altar nach allen Seiten abgeschlossen ist. Weder innen noch außen gab es einen Luftzug, und selbst wenn es einen gegeben hätte, hätte ich doch gesehen, nach welcher Seite das Hostienteilchen gefallen wäre, da ich meine Augen aufmerksam darauf gerichtet hatte. Nun gab es aber weder einen schwachen noch einen starken Windhauch, und ich habe das Teilchen wegspringen gesehen und genau auf die Stelle geachtet, auf die sie fallen würde. Als es aber wegsprang, entschwand es meinen Augen, so dass ich es weder an dieser noch an einer anderen Stelle finden konnte, obwohl ich dreimal so gewissenhaft suchte, dass ich sogar ein Senfkorn hätte finden müssen. Mir kam auch in den Sinn, dass die Jungfrau nicht wie sonst ein Mitgefühl mit mir zeigte, ja sogar lächelte, als ich ihr von der großen Herzensnot erzählte, in der ich mich befand. Und als ich ihr gesagt hatte, dass ich ein Teilchen der konsekrierten Hostie verloren hätte, kam sie keineswegs aus der Fassung, sondern fragte mit der gleichen Miene: „Ihr habt doch sorgfältig gesucht und dennoch nichts finden können? Warum also seid Ihr darüber so betrübt?“ Durch diese und zahllose andere Aussagen und Zeichen kehrte eine solche Sicherheit in mein Gemüt ein, dass ich, ob ich wollte oder nicht, zugleich meine Traurigkeit und das besorgte Suchen aufgeben musste. So viel zu dem Wunderbaren im Zusammenhang mit dem ehrwürdigen Sakrament. Was hier der Herr durch die Verdienste der heiligen Jungfrau vor meinen Augen gewirkt hat, habe ich aufgeschrieben, damit ich nicht von Gott oder den Menschen zu Recht der Undankbarkeit oder Gleichgültigkeit beschuldigt werden kann.
Jetzt aber wollen wir zu Ereignissen desselben Themas übergehen, die ich von anderen erfahren habe.
324. Viele glaubwürdige Männer und Frauen, die manchmal an der Messe teilnahmen, wenn Caterina den Leib des Herrn empfing, haben mir berichtet, sie hätten deutlich gesehen, wie die heilige Hostie aus den Händen des Priesters wegschwebte und in ihren Mund flog, auch aus meinen Händen, sagten sie, wenn ich ihr die konsekrierte Hostie reichte. Ich selbst habe freilich darüber keine eindeutige Erfahrung, allerdings vernahm ich stets deutlich ein Geräusch, das die heilige Hostie verursachte, wenn sie in ihren Mund eintrat; es war, als wäre mit Gewalt von ferne ein Steinchen in ihren Mund geworfen worden. …