Im Abgrund der Dreieinigkeit

Rom, das Haus in der ehem. Via S. Chiara, in der Caterina zuletzt lebte und starb (Foto Mayr)

 

Brief 371 (Ausschnitt)

Ich war schmerzlich bewegt beim Verlangen nach dem Kreuz. Diese Sehnsucht war vor Gottes Angesicht von neuem aufgebrochen, als mein Geist die ewige Dreieinigkeit erschaute: In diesem Abgrund sah ich die Würde des Menschen, sein Elend, wenn er in die Todsünde fällt, und die Notwendigkeit der heiligen Kirche, die Gott meinem Herzen offenbarte. Und ich sah, dass niemand zu Gott zurückkehren kann, um seine Schönheit im Abgrund der Dreieinigkeit zu verkosten, ohne die Hilfe dieser süssen Braut. Denn wir alle müssen durch die Pforte des gekreuzigten Jesus Christus gehen, und diese Pforte steht nur in der heiligen Kirche. Ich sah, dass diese Braut Leben schenkte, da sie eine solche Lebensfülle besitzt, dass niemand sie töten kann, und dass sie Kraft und Licht spendet, und dass niemand sie in ihrem Wesen schwächen oder verdunkeln kann. Und ich sah, dass ihre Fruchtbarkeit nie geringer wird, sondern sich ständig vermehrt. …

Worte reichen nicht aus, um all die Geheimnisse zu erzählen, die der Geist sah und die Liebe erspürte. Und so verging der Tag voller Bewunderung, und es kam der Abend. Ich spürte mein Herz von so liebender Hingabe gezogen, dass ich nicht widerstehen konnte, wieder an den Ort des Gebets zurückzukehren.

Und als ich wieder jenes Gefühl des Todes in mir verspürte, machte ich mir Vorwürfe, dass ich der Braut Christi mit so viel Unwissenheit und Nachlässigkeit gedient hatte und dass ich auch der Grund dafür war, dass es andere ebenso taten. Als ich mich erhob und noch den Eindruck des eben Geschilderten vor meinem geistigen Auge hatte, da stellte Gott mich vor sich. Nicht so, wie ich ihm immer gegenwärtig bin (da er ja in sich alles enthält), sondern auf eine neue Weise. Und zwar so, als ob mein Bewusstsein, mein Verstand und mein Wille nichts mehr mit meinem Leib zu tun hätten. In solcher Lichtfülle spiegelte sich diese Wahrheit in mir, dass mir in diesem Abgrund die Geheimnisse der heiligen Kirche wie neu erschienen; ebenso alle jemals in meinem Leben erhaltenen Gnaden und auch der Tag, an dem meine Seele mit Gott vermählt wurde. Doch all dies entschwand dann wieder in dem Maße, als das Feuer in mir wuchs, sodass ich nur zu erkennen suchte, wie ich mich Gott für seine heilige Kirche zum Opfer anbieten könnte, um denen die Unwissenheit und Nachlässigkeit zu nehmen, die Gott mir anvertraut hatte. Da begannen die Teufel mich mit Verwünschungen anzuschreien, um durch ihren Schrecken mein freies und brennendes Verlangen zu ersticken. Sie schlugen auf die Hülle meines Leibes ein, aber das Verlangen wurde immer brennender, und ich rief: „Oh ewiger Gott, nimm an das Opfer meines Lebens für den mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich habe nichts anderes anzubieten, als was Du mir gegeben hast. Nimm also mein Herz und presse es aus über dem Antlitz dieser Braut.“

Da wandte mir der ewige Gott sein gnädiges Auge zu, nahm mir mein Herz heraus und presste es aus in der heiligen Kirche. Mit solcher Macht hatte er es dabei an sich gezogen, dass ich gestorben wäre, hätte er es nicht sofort mit seiner Kraft umgeben. Denn noch wollte er nicht, dass das Gefäß meines Leibes zerbrochen würde.

(Februar 1380, Brieffragment – an Papst Urban VI. oder Raimund?)

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