Herzenstausch

Siena, Haus der hl. Caterina, Relief im Eingangsbereich (Foto Mayr)

 

Raimund von Capua, Legenda Maior 180–182

180. Eines Tages hielt sich Caterina in der Kapelle der Kirche der Predigerbrüder von Siena auf, wo sich gewöhnlich die erwähnten Schwestern von der Buße des heiligen Dominikus zum Gottesdienst zusammenfanden. Anschließend war sie allein betend zurückgeblieben. Als sie schließlich aus der Tiefe ihrer gewohnten Entrückung erwachte und nach Hause gehen wollte, umstrahlte sie plötzlich ein Licht vom Himmel. In diesem Glanz erschien ihr der Herr; er trug in seinen heiligen Händen ein menschliches, purpurn glänzendes Herz. Zitternd vor der Erscheinung des Schöpfers und des Lichtes fiel sie zu Boden. Der Herr näherte sich ihr, öffnete zum zweiten Mal ihre linke Seite und legte das Herz, das er in seinen Händen trug, hinein. Er sprach: „Meine vielgeliebte Tochter, wie Ich dir neulich dein Herz genommen habe, so übergebe Ich dir jetzt Mein Herz, mit dem du fortan leben sollst.“ Nach diesen Worten verschloss er fest die offene Wunde, die er ihrem Körper zugefügt hatte. Als Zeichen des Wunders blieb an jener Stelle ein vernarbtes Mal zurück. Ihre Mitschwestern versicherten mir und vielen anderen wiederholt, diese Narbe gesehen zu haben, und als ich sie selbst eindringlich darüber befragte, konnte sie den Tausch nicht leugnen und erklärte mit Nachdruck, dass es so gewesen sei. Sie fügte hinzu, dass sie seit dieser Stunde niemals mehr wie bisher sagen konnte: „Herr, ich empfehle dir mein Herz an.“ …

181. Im übrigen glaubte sie, nach dem wunderbaren Tausch des Herzens in gewisser Weise nicht mehr die zu sein, die sie gewesen war. Darum sagte sie zu Fra Tommaso, ihrem Beichtvater: „Seht Ihr nicht, Vater, dass ich nicht mehr diejenige bin, die ich war, sondern in eine andere Person verwandelt worden bin?“

 

Dieser Herzenstausch markiert im Leben Caterinas eine entscheidende Wende. Das Wort des heiligen Paulus: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20), wurde in ihr zur Wirklichkeit. Das eigene Ich war endgültig überstiegen und eine neue, mit Christus verbundene Personmitte entstanden. Ihr vielzitiertes „io voglio“ – ich will besagt letztlich nichts anderes als diese gänzliche Übereinstimmung mit dem Willen Gottes: Weil es Sein Wille ist, deshalb will sie es auch – und sei es die Hingabe des eigenen Lebens für das Heil des Nächsten. Damit wird bei Caterina die Gleichgestaltung mit Christus der Ausgangspunkt für ihren Einsatz in der Welt. Nicht mit dem eigenen, sondern mit dem Herzen des Herrn (mit seiner Gesinnung) soll sie hinausgehen zu den Menschen.

 

Tommaso Caffarini, Supplementum II, 2, 8

Einmal erzählte sie ihrem Beichtvater: Als sie im Gebet versunken war, habe sie deutlich gespürt, dass sie berührt und ihr das Herz herausgenommen wurde. So sei sie eine lange Zeit hindurch ohne Herz gestanden. Hierauf habe sie gespürt, dass sie aufs Neue an der Seite ihres Herzens berührt wurde, dass sie geöffnet und dort ein neues Herz hineingelegt wurde. Und sie hörte, wie Christus zu ihr sagte: „Siehe, Ich habe dir Mein Herz gegeben und aus deinem und Meinem Herzen ein einziges gemacht. Ich will, dass du in Hinkunft daraus eine Zelle und Wohnstätte machst, dass du immer mit Mir bist und Ich mit dir.“ Und so geschah es. Wenn sie einmal mit ihrer Tätigkeit oder äußeren Angelegenheiten beschäftigt war, so dass sie nicht in jener Entrückung verweilte, kehrte sie, wenn sie an das erwähnte Wort Christi dachte, sogleich in sich selbst zurück und fand sich in jener Zelle des Herzens Christi.

 

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