Die weiße Taube
Raimund von Capua, Legenda Maior 52
Als im Verlauf dieser Ereignisse Caterina eines Tages besonders andächtig im Zimmer ihres jüngeren Bruders betete und die Tür nicht verschlossen war – da ihr die Eltern verboten hatten, sich irgendwo einzuschließen –, geschah es, dass ihr Vater Giacomo das Zimmer betrat, vielleicht, um in Abwesenheit des Sohnes irgendetwas, was er benötigte, zu suchen. Als er nach seinem Eintreten in der Kammer umherblickte, sah er zwar nicht das Gesuchte, wohl aber seine Tochter – freilich mehr das Kind Gottes als sein Kind – in einem Winkel auf den Knien im Gebet. Auf ihrem Scheitel aber ruhte eine kleine, schneeweiße Taube. Beim Eintritt des Vaters flog sie sogleich in die Höhe und entschwand, wie ihm schien, durch das Fenster des Zimmers. Als er das sah, fragte er die Tochter: „Was war das für eine Taube, die da weggeflogen und entschwunden ist?” Sie antwortete, dass sie weder eine Taube noch sonst einen Vogel in der Kammer gesehen hätte. Darüber wunderte er sich noch mehr und bewahrte alle diese Worte in seinem Herzen und dachte darüber nach.