Das Gewand

Caterina und der Bettler, Siena, San Domenico (Foto Mayr)

 

Raimund von Capua, Legenda Maior 137

In der folgenden Nacht jedoch, während Caterina betete, erschien ihr der Erlöser der Welt, unser Herr Jesus Christus, in der Gestalt jenes Bettlers. In seiner Hand trug er das Gewand, das ihm die Jungfrau geschenkt hatte, geschmückt mit Perlen und leuchtenden, funkelnden Steinen. Er sprach: „Erkennst du, liebste Tochter, diese Tunika?” Als sie ihm antwortete, sie erkenne sie zwar wieder, aber sie sei nicht so geschmückt gewesen, als sie sie ihm geschenkt hätte, fuhr der Herr fort: „Du hast Mir gestern diese Tunika mit so großer Güte geschenkt und Meine Blöße mit solcher Liebe bekleidet, um Kälte und Schimpf von Mir abzuwehren; dafür will Ich dir jetzt aus Meinem heiligen Leib ein Kleid schenken, unsichtbar zwar für die Menschen, für dich aber sichtbar und auch spürbar. Dein innerer und äußerer Mensch wird damit vor jeder schädlichen Kälte geschützt werden, bis er einst mit Glanz und Ehre vor den Heiligen und Engeln bekleidet werden wird.” Sogleich zog er mit seinen heiligsten Händen aus der Wunde seines Herzens ein blutrotes Kleid heraus, das nach allen Seiten leuchtende Strahlen aussandte und der Größe der Jungfrau angepasst war. Und indem er es ihr eigenhändig anlegte sprach er: „Dieses Kleid mit seiner Wirksamkeit übergebe Ich dir, solange du auf Erden weilst, als Zeichen und Unterpfand für jenes Gewand der Glorie, mit dem du einst im Himmel bekleidet werden wirst.” Hierauf schwand die Vision.

Die Gnade dieses Geschenkes aber war nicht nur in der Seele, sondern auch für den Leib der heiligen Jungfrau so wirksam, dass sie von dieser Stunde an im Winter niemals mehr Kleider trug als im Sommer; stets begnügte sie sich mit einer einzigen äußeren Tunika über dem Unterkleid. Nicht einmal bei Frost, den sie, wie sie mir bekannte, gar nicht spürte, musste sie zusätzliche Bekleidung anlegen, denn immer fühlte sie jenes Kleid auf ihrem Leib, so dass jedes weitere für sie nicht mehr nötig war.

 

Raimund von Capua, Legenda Maior 402

Als sie nämlich einmal vor dem Bild des gekreuzigten Christus betete, drängte sich der Teufel zwischen sie und das Bild; er hatte ein Kleid aus Seide in der Hand und schickte sich an, die Jungfrau damit zu bekleiden. Sie verspottete und verachtete ihn zwar, wandte sich dem Gekreuzigten zu und schützte sich mit dem Kreuzzeichen, doch als der Versucher ihren Augen entschwand, ließ er doch in ihr einen so verlockenden Gedanken an schöne Kleider zurück, dass sie völlig verwirrt war. Dann aber dachte sie an ihren Entschluss zur Jungfräulichkeit und wandte sich an ihren Bräutigam mit den Worten: „Mein süsser Bräutigam, Du weißt, dass ich stets nur Dich begehrt habe und sonst keinen. Steh mir bei, diese Versuchungen in Deinem heiligen Namen zu überwinden. Ich bitte nicht, sie mir zu nehmen, sondern dass Du mir in Deinem Erbarmen hilfst, sie siegreich zu überwinden.“ Nach diesen Worten sah sie die Königin der Jungfrauen, die Mutter Gottes, die aus der Seite ihres gekreuzigten Sohnes ein wunder–schönes Kleid herauszuziehen schien, das sie noch mit strahlenden und funkelnden Edel–steinen schmückte. Damit bekleidete sie Caterina und sagte zu ihr: „Du sollst wissen, meine Tochter, dass die Kleider, die aus der Seite meines Sohnes hervorgehen, alle anderen Kleider an Schönheit und Glanz übertreffen.“ Hierauf war in ihr jegliche Versuchung verschwunden, und die Jungfrau blieb völlig getröstet zurück.

 

Tommaso Caffarini, Supplementum I, 1, 4

Ehe die Jungfrau das Kleid des heiligen Dominikus empfing, stand sie eines Abends eine geraume Zeit im Gebet vor dem Bild des Gekreuzigten. Da erschien ihr der Teufel mit einem Seidenkleid in der Hand und schickte sich an, es ihr anzulegen; sie aber lachte, als sie ihn sah, sie verachtete ihn und wandte sich dem Bild des Gekreuzigten zu. Als sich dann der Teufel entfernt hatte, kam der Gedanke an den Prunk schöner Kleider, wie sie verheiratete Frauen tragen, als schreckliche Versuchung über sie. Sie aber wandte sich im Gebet an den Gekreuzigten und sagte: „Mein liebster Bräutigam, Du weißt, dass ich niemals einen anderen Bräutigam als Dich ersehnt habe. Komm mir zu Hilfe, dass ich diese Versuchungen überwinde. Ich bitte nicht, dass Du sie von mir nimmst, sondern dass Du mir den Sieg über sie schenkst.“ Als sie das gesagt hatte, erschien ihr sogleich die heilige Jungfrau und zeigte ihr das allerschönste Kleid, das aus der Seitenwunde des Gekreuzigten herauskam. Sie selbst schmückte es noch mit Geschmeide aus Gold und Perlen. Hierauf legte sie ihr das Kleid an und sprach: „Wisse wohl, dass die Kleider, die aus der Seite meines Sohnes hervorgegangen sind, alle anderen Kleider an Schönheit weit über­treffen.“

 

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