Außerhalb des Leibes

Caterina wird vor dem Bildnis des Gekreuzigten ihrer äußeren Sinne beraubt (Foto Mayr)

 

Brief 373 an Raimund von Capua

Als dann der Montagabend kam, fühlte ich mich gezwungen, an den Christus auf Erden und an drei Kardinäle zu schreiben;  darum ließ ich mir helfen und ging in das Arbeitszimmer. Und als ich dem Christus auf Erden geschrieben hatte, konnte ich nicht mehr weiterschreiben, so groß waren die Schmerzen in meinem Körper. Kurz darauf begannen die Dämonen. Sie machten ein derart Schrecken erregendes Getöse, dass ich wie betäubt war: voll Wut stürmten sie auf mich ein, als ob ich kleiner Wurm die Ursache wäre, dass ihnen nun das entrissen wird, was sie so lange Zeit in der heiligen Kirche in ihrer Gewalt gehabt hatten. Es war so furchtbar und entsetzlich, zusammen mit dem Schmerz des Leibes, dass ich – gleichsam als ob der gegenwartige Ort der Grund meiner Qualen gewesen wäre – aus dem Arbeitszimmer in die Kapelle fliehen wollte. Ich erhob mich also und stützte mich da-bei, da ich nicht gehen konnte, auf meinen Sohn Barduccio. Aber plötzlich wurde ich zu Boden geschleudert, und während ich ausgestreckt dalag, war mir, als ob meine Seele den Leib verlassen würde. Jetzt war es allerdings auf eine andere Art, als es damals geschah, denn damals empfand meine Seele das Glück der Unsterblichen und konnte dieses höchste Gut zusammen mit ihnen genießen. Diesmal aber schien es ein Ausnahmezustand zu sein; denn es kam mir vor, als ob die Seele nicht mehr in meinem Leib wäre, vielmehr wie wenn mein Leib jemand anderem gehörte. Und als meine Seele den Schmerz meines Begleiters sah, wollte sie wissen, ob ich mit dem Leib noch verbunden wäre und sagte zu ihm: „Mein Sohn, hab keine Angst!“ Aber ich sah, dass ich weder die Zunge noch ein anderes Glied bewegen konnte, höchstens so, wie man einen Leichnam bewegen kann.

So ließ ich also meinen Körper liegen, wie er war, und blickte gebannt auf das abgrundtiefe Geheimnis des dreifaltigen Gottes. Mein Gedächtnis war erfüllt von der Erinnerung an die Not der heiligen Kirche und des ganzen christlichen Volkes; und bei ihrem Anblick schrie ich laut auf und erbat vertrauensvoll seine göttliche Hilfe. Da bei opferte ich ihm mein sehnsüchtiges

Verlangen auf und flehte ihn an beim Blute des Lammes und bei den Schmerzen, die er ertragen hatte; und ich bat so inständig, dass ich mir sicher zu sein schien, er werde mein Gebet nicht abweisen.

Dann flehte ich für Euch alle, auf dass sein Wille und meine Wünsche in Euch erfüllt würden. Und ich bat ihn, er möge mich vor der ewigen Verdammnis erretten. Ich blieb sehr lange Zeit in diesem Zustand, so dass meine „Familie“ mich schon als tot beweinte. Unterdessen war der ganze Schrecken der bösen Geister vorüber, und es erschien vor meiner Seele das demütige Lamm und sagte: „Zweifle nicht! Denn Ich werde deine Wünsche und die Wünsche Meiner anderen Diener erfüllen. Ich wollte dir zeigen, dass Ich ein guter Meister bin, der wie der Töpfer seine Gefäße zerbricht und sie wieder neu formt, so wie es ihm gefällt. Ich kann Meine Gefäße

zerbrechen und wieder neu formen – darum nehme Ich das Gefäß deines Leibes und füge es im Garten der heiligen Kirche wieder zusammen, freilich in anderer Weise als bisher.“

Während mich diese Wahrheit in süssester Weise und mit Worten, die ich hier übergehen will, umfangen hielt, begann mein Leib allmählich wieder zu atmen zum Zeichen dafür, dass die

Seele in ihr Gefäß zurückgekehrt sei. Ich war voll Staunen, und in meinem Herzen blieb ein solcher Schmerz zurück, dass ich ihn jetzt noch fühle. Jede Freude, jeder Trost und jede Stärkung war mir von da an entzogen.

Als man mich dann in das obere Gemach hinauftrug, schien mir die Kammer voll von bösen Geistern zu sein. Erneut begannen sie mich zu bekämpfen, furchtbarer als je zuvor und wollten mich glauben machen, dass nicht ich in meinem Körper lebte, sondern ein unreiner Geist. Da rief ich mit süsser Zärtlichkeit die göttliche Hilfe auf mich herab. Ich scheute kein Opfer und sagte vielmehr: „Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen! Du hast zugelassen, dass ich diesen Kampf allein kämpfen musste, ohne die Hilfe meines geistlichen Vaters, dessen ich wegen meiner Undankbarkeit beraubt bin.“

Zwei Nächte und zwei Tage vergingen unter diesen Stürmen. Mein Geist und mein Verlangen erfuhren zwar dadurch keine Schwächung, vielmehr blieben sie immer fest auf ihr letztes Ziel

hin ausgerichtet, aber mein Leib war wie vernichtet. Am Fest Mariä Lichtmess wollte ich dann die heilige Messe mitfeiern. Da sah ich von neuem alle Geheimnisse, und Gott offenbarte mir

die drohende Not, die dann auch tatsächlich eintraf; denn ganz Rom war daran, zu revoltieren, und man führte erbärmliche, ehrfurchtslose Reden. Aber Gott hat ihre Herzen besänftigt, und ich glaube, dass alles ein gutes Ende nehmen wird.

(Ausschnitt), 15. Februar 1380)

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