Ein erster Blick

Andrea Vanni, 1332–1414, Fresco in der Gewölbe-Kapelle in San Domenico (Foto Mayr)

 

Für einen ersten Blick auf Caterina würde es bereits genügen, die zahlreichen Aus­zeichnungen und Titel aufzuzählen, die sie bisher von der Kirche erhalten hat: „Doctor ecclesiae – Kirchenlehrerin“, „Mystikerin des menschgewordenen Wortes“, „Sängerin des Kostbaren Blutes Christi“, „Mystikerin der Kirche“, „Mystikerin der Politik“, „Schutzengel der Kirche“, „Patronin Europas“, „Patronin der Stadt Rom“, „Patronin der Stadt Varazze“, und schließlich „Patronin Italiens“ – zusammen mit dem hl. Franz von Assisi.

Caterina ist tatsächlich in einem gewissen Sinn das dominikanische Gegenstück zu Franziskus. Beide sind einander ähnlich: in ihrem Einsatz für die Kirche, in ihrer Liebe zu Christus, und auch durch den Empfang der Wundmale. Was sie allerdings unterscheidet, ist die äußere Wahr­nehmung, die Rezeption ihrer Worte und Taten. Franziskus ist durch die unzähligen Anek­doten und Legenden, die es über ihn gibt, populär geworden. Bei Caterina ist das anders. Sie wurde nie volkstümlich so wie Franziskus. Über sie gibt es keine Anekdoten und Legenden, sondern nur die Berichte der Zeitzeugen und ihre eigenen Werke. Und diese Quellen sind in reichem Maß vorhanden.

Wenn man das Gemälde betrachtet, das uns Andrea Vanni, ein Schüler Caterinas, von ihr hinterlassen hat, dann kann man etwas von dieser Rätselhaftigkeit erahnen. Es ist übrigens das einzige Bild, das sie authentisch wiedergibt. Caterina wirkt auf diesem Bild gegenwärtig und zugleich so, als käme sie aus einer anderen Welt. So als würden sich Diesseits und Jenseits, Zartheit und Kraft, geduldige Güte aber auch drängende und befehlende Autorität ganz harmonisch in ihr begegnen. Diese scheinbaren Widersprüchlichkeiten – die es ja tatsächlich alle gab – können zunächst irritieren. Bei längerem Betrachten aber entdeckt man sie in ihrer wahren Gestalt, in ihrer Demut und Liebenswürdigkeit und in ihrem unwiderstehlichen Charme. Das war auch der Grund, warum sie die Menschen in ihren Bann gezogen hat. Cate­rinas Geheimnis war ihre beständige Verbundenheit mit dem dreifaltigen Gott. Ihr Denken war ununterbrochen davon erfüllt und daher sah sie auch alles Geschehen auf diesem Hintergrund. Nur so kann man ein wenig erahnen, warum sie sich nach Leiden gesehnt hat, und nach dem Martyrium.

Caterina hat sich in allen ihren Briefen (exakt sind es 359 von insgesamt 383 Briefen) als „serva e schiava de´servi di Gesù Cristo“ – als „Dienerin und Sklavin der Diener Jesu Christi“ vorgestellt und bezeichnet, nämlich der Priester (was dann zumeist mit Dienerin und „Magd“ übersetzt wird). Schon allein hier merkt man, warum sich Caterinas Anhängerschaft heute in Grenzen hält. „Diener“ der „Diener Jesu Christi“ – wer möchte das schon sein? Aber Caterina hat das ernst gemeint. Das war ihr Selbstporträt, ihre Visitenkarte.

Für Caterina stand das Mysterium der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, im Mittelpunkt ihres Denkens und Liebens und damit verbunden die Kirche, die aus dem Herzen Christi geboren wurde als seine Braut und mit der sich der Sohn Gottes für immer vermählte. Christus lieben und die Kirche lieben war für sie daher eins. Sie sah die Kirche bildlich in zwei großen Kreisen: einem äußeren – den universalen Leib der christlichen Religion, der alle getauften Laien umfasst – und in einem inneren, den sie den mystischen Leib nannte. Und damit meinte sie die reale Anwesenheit des Herrn im Geheimnis der Eucharistie, das Kostbare Blut Christi und dessen Verwalter, den Papst und die Priester, die das Blut dem universalen Leib zur Nahrung austeilen.

Caterina selbst hatte sich die letzten sechs Jahre ihres Lebens ausschließlich von der hl. Kommunion ernährt. Weil die Eucharistie untrennbar mit dem Priestertum verbunden ist und dessen Würde begründet, hatte sie auch stets eine große Achtung gegenüber den „Dienern des Herrn“, die in ihrem Hauptwerk, dem Dialog, von Gott Vater als meine „Gesalbten“ bezeichnet werden. Schon als Kind lief sie auf die Straße hinunter, wenn sie einen der Dominikaner vorbeigehen sah, um seine Fußspuren zu küssen. Später blieb sie ganze Nächte wach, um für sie zu beten. Und wenn dann ihr Brief an einen Priester gerichtet war, fügte sie in der Anrede zumeist bei: „An Euch, Vater, aus Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten Sakrament ...“

Bereits vor einigen Jahren hat die katholische Frauenbewegung Österreichs die hl. Caterina von Siena zu ihrer Schutzpatronin erwählt. Auf ihrer Internetseite heißt es über sie sehr schön: „Katharina von Siena – froh, liebend, achtsam und mutig! Eine Frau mit Durchhaltevermögen.“ Aber dann weiter: „Sie lebt nach den Geboten einer Ordensfrau und bleibt doch Laiin und Alltagsfrau. Das erinnert an die Situation der Frau in der Kirche heute: wir sind drinnen und doch draußen durch den Ausschluss von Weiheämtern.“ Hier endet natürlich das Patronat Caterinas, denn einem derartigen Selbstmitleid hätte sie niemals zugestimmt. Von Gott wurde sie belehrt, dass es für ihn (was die Wertigkeit und Würde des Menschen betrifft) weder Mann noch Frau gibt, d.h. dass es auf das Geschlecht nicht ankommt, sondern nur auf das Maß der Liebe. Caterinas priesterliche Funktion war ihre Hingabe, ihr Verlangen, Christus ähnlich zu werden und an seinem Sühnewerk mitzuwirken. Dieses Charisma wollte sie leben. Und das kann man mit und ohne Weihe.

Als damals im Herbst 1970 Teresa von Avila und Caterina von Siena mit dem Titel einer Kirchenlehrerin ausgezeichnet wurden, hat es neben lebhafter Zustimmung auch manche Kritik gegeben. Nicht nur, weil dieser Titel bisher nur gelehrten Theologen vorbehalten war, sondern weil die Kirche in den Erschütterungen nach dem Konzil mit ihren zahlreichen Austritten aus den Reihen der Ordensleute und Priester damit auch ein Zeichen gesetzt hat. An Teresa und Caterina war nämlich abzulesen, wie eine Erneuerung aussehen soll und wo sie beginnen muss: Teresa erinnert an die absolute Notwendigkeit des Gebetes. Und Caterina stellt uns die Wahrheit und Schönheit des Glaubens und der Liebe zur Kirche vor Augen. Es gibt kaum einen Bereich, den Caterina – vom Geist Gottes belehrt – nicht klar und überzeugend dargestellt hätte. Nicht in systematischer Form, sondern verstreut in ihren Schriften, aber immer orientiert am Dogma der Kirche. Ich darf hier persönlich anmerken, dass mir Caterina anfangs der 70er Jahre während meines Studiums in Salzburg zur wichtigsten Lehrmeisterin geworden war. Denn die Krise des Glaubens erfasste damals nicht nur Ordensgemeinschaften, sondern auch theologische Fakultäten.

Caterina ist kompromisslos, wenn es um die Wahrheit des Glaubens geht, aber zugleich ist in ihr eine ungemeine Weite und Offenheit da, und eine große innere Freiheit. Als der Prior von Monteoliveto einem jungen Mann wegen seiner unehelichen Geburt die Aufnahme verweigerte, schrieb sie ihm: „Ich wundere mich sehr, dass Eure Antwort ein Nein war … Gott verachtet die Seele, die in einer Todsünde empfangen wurde, ebenso wenig wie jene, die in einem Akt empfangen wurde, der durch das Ehesakrament geheiligt ist. Worauf Gott sieht, ist das gute und heilige Verlangen.“ Und dann mit einem Hauch weiblicher Diplomatie: „Ihr dürft dem Heiligen Geist jetzt keinen Widerstand entgegensetzen – wobei ich natürlich weiß, dass ihr das gar nicht wollt“ (Brief 8).

W. S.

Siehe auch: Caterinas Persönlichkeit als Frau

 

Zurück