Apostolat im Dienst der Kirche (1375–1380)
Caterinas zweiter Lebensabschnitt (1375 – 1380) wurde im Wesentlichen von zwei kirchenpolitischen Ereignissen geprägt: Zum einen von der Auseinandersetzung zwischen den italienischen Stadtstaaten mit dem Papsttum – einem über drei Jahre dauernden Krieg, der mit Söldnerheeren geführt wurde (1) – und zum anderen vom Ausbruch des großen Abendländischen Schismas. Beide Ereignisse haben Caterina nicht nur in eine gewisse Beziehung zu den jeweiligen Protagonisten gebracht – zu den Päpsten Gregor XI. und Urban VI. und zu verschiedenen kirchlichen und politischen Persönlichkeiten –, sondern auch den Rest ihres Lebens (und letztlich ihren Tod selbst) entscheidend mitbestimmt.
Diese letzten Jahre, in denen sich ihre schriftstellerische Tätigkeit voll entfaltete, waren von fünf Orten gekennzeichnet, die mit ihrem Wirken untrennbar verbunden bleiben: Pisa, Avignon, Rocca d’Orcia, Florenz und Rom. Sie waren sozusagen der Einsatzbereich, für den Gott sie ein Leben lang vorbereitet hat.
1375 hielt sich Caterina fast das ganze Jahr über in Pisa auf. Hier empfing sie am 1. April in der kleinen Kirche Santa Cristina am linken Ufer des Arno das Geschenk der Wundmale Christi, die auf ihre Bitte hin für Außenstehende unsichtbar blieben. Hier in Pisa (und im benachbarten Lucca) gewann sie auch viele Frauen für die Nachfolge Christi (übrigens auch in Siena, wo die Zahl der Mantellatinnen durch Caterinas Einfluss auf etwa 100 Mitglieder anstieg).
1376 reiste Caterina mit einem Teil ihrer geistlichen Familie nach Avignon: Es ging um den Frieden mit Florenz und um das Zustandekommen eines Kreuzzuges! Dabei konnte sie auch Gregor XI. bei seiner Erwägung einer Rückverlegung des päpstlichen Stuhls nach Rom entscheidend bestärken.
1377 verbrachte Caterina den Sommer und Herbst in der südlichen Toskana in Rocca d’Orcia, wo sie zwischen verfeindeten Familienmitgliedern Frieden stiftete und durch ihr Auftreten und durch ihre Worte unzähligen Menschen eine Versöhnung mit Gott erwirkte. Es wird berichtet, dass sie bei solchen Missionen zu Tausenden kamen, um sie zu hören, wobei mehrere Priester von morgens bis abends im Beichtstuhl saßen (vgl. Legenda Maior 239f.; Prozess, S. 595f). In einem Brief an ihre Mutter Lapa schrieb Caterina damals: „Für nichts anderes bin ich auf der Welt. Denn dazu hat mich mein Schöpfer berufen“ (vgl. Brief 117).
1378 reiste Caterina im Auftrag des Papstes ins aufrührerische Florenz, um den Frieden voranzutreiben. Trotz Unruhen und Revolten, bei denen sie beinahe ums Leben kam, harrte sie aus, bis zum Ende des Krieges (Ende Juli). Inzwischen war Gregor XI. in Rom verstorben und als Nachfolger wurde Urban VI. gewählt, ein Neapolitaner. Auf Grund seines ungestümen Temperaments und der radikalen Reformforderungen fühlten sich die meisten seiner Kardinäle (vorwiegend elegante Franzosen) so gekränkt, dass sie sich von ihm zurückzogen, seine Wahl als ungültig erklärten und in Fondi einen neuen Kandidaten wählten, der sich Clemens VII. nannte. Damit begann das große Abendländische Schisma, das die Christenheit in zwei und zuletzt sogar in drei Teile spaltete. In seiner Not und weil er Caterina von Avignon her bereits kannte, berief Urban VI. sie Anfang November 1378 nach Rom. Caterina erreichte noch Ende des Monats mit einer Schar ihrer Getreuen die Ewige Stadt.
1379–1380 In diesen letzten eineinhalb Jahren in Rom galt ihre ganze Sorge der Einheit der Kirche – ein Einsatz, der ihre physischen Kräfte zunehmend schwächte. Als dann die Römer auch noch gegen ihren ungestümen Pontifex vorgingen und ihm sogar nach dem Leben trachteten, war es für Caterina zu viel, sie brach gesundheitlich zusammen. In einer Vision sah sie, wie ihr „das Schiff der Kirche“ auf die Schultern gelegt wurde und sie daraufhin wie tot zu Boden fiel (2). Wenn einst der hl. Franziskus die „einstürzende Kirche“ mit seinen Schultern noch zu stützen vermochte (wie es in einem Traum Papst Innozenz III. gezeigt worden war), so war jetzt durch das Schisma und die gegenwärtige Rebellion die Gesamtlast für Caterina zum Tragen zu groß. Sie war jedoch bereit, für die Einheit der Kirche und für den Papst ihr Leben zu geben – und Gott nahm dieses Opfer an. Einst in Siena hatte er ihr Herz mit dem seinen getauscht. Und nun sah sie, wie Gott dieses Herz aus ihrer Brust nahm und über der Kirche zerdrückte. Dieses mystische Erlebnis war zwar noch nicht ihr Ende, aber eine gewisse Vorwegnahme. Denn bald darauf, am 29. April 1380, starb sie, abgezehrt und entkräftet und von den Dämonen furchtbar gequält und geschlagen, im Alter von 33 Jahren aus Liebe zur Kirche.
Caterina hatte den Schülern und Freunden, die vor ihrem Sterben um ihr Bett versammelt waren, eine Art geistliches Testament hinterlassen und einzelnen unter ihnen auch direkte Anweisungen für ihren weiteren Lebensweg gegeben. Ihren Sekretär und Lieblingsschüler Stefano Maconi bestimmte sie zum Eintritt bei den Jüngern des hl. Bruno. Stefano gehorchte und wurde so zu einem der berühmtesten Kartäuser des Spätmittelalters: Elf Jahre regierte er als Generalprior des urbanistischen Flügels in der Kartause in Seitz und verbreitete von hier aus die Werke Caterinas in ganz Europa (3).
Raimund von Capua, der bei ihrem Tod nicht anwesend war, übernahm später die Gesamtleitung des urbanistischen Flügels des Dominikanerordens. Seine Caterina-Biographie (Legenda Maior) ist nach wie vor die wichtigste historische Quelle. Einen ähnlichen hohen Stellenwert haben übrigens auch die beeideten Zeugenaussagen ihrer Schüler, die bei dem in Venedig durchgeführten bischöflichen Informativprozess im Hinblick auf ihre Kanonisation (Prozess von Castello) in den Jahren 1411–1416 gesammelt wurden. Sie waren eine wesentliche Grundlage für die im Jahre 1461 erfolgte Heiligsprechung Caterinas durch Pius II.
W.S.
Anmerkungen:
(1) Der Liga-Krieg (so bezeichnet nach dem von Florenz betriebenen Bündnis der italienischen Städte gegen den Papst) war aus dem Versuch entstanden, die weltliche Macht des Papsttums zu brechen. Da den Päpsten durch ihre fast 70-jährige Abwesenheit von Rom der Kirchenstaat praktisch verloren gegangen war und die einigende Zentralgewalt in Italien fehlte, wollte Florenz in diesem Vakuum seine Vormacht erweitern. Weil eine Rückkehr des Papstes dem im Wege stand, propagierte Florenz in ganz Italien im Namen der Freiheit ein Bündnis gegen den Papst. – Das Schisma, die Spaltung der Kirche, entstand unmittelbar nach Ende des Liga-Krieges, als sich die Kardinäle gegen die unklug vorgebrachten Reformforderungen des neu gewählten Papstes Urbans VI. auflehnten und in Fondi unter dem Schutz der Königin von Neapel zu einer Neuwahl schritten.
(2) An der Fassade im Eingangsbereich der damaligen Peterskirche befand sich ein berühmtes Giotto-Mosaik (genannt die Navicella), eine Darstellung des Schiffleins Petri, wie es vom Sturm hin und her geworfen wird. William Flete, ein Schüler Caterinas, erzählt in einer Predigt, die er nach ihrem Tod hielt, unter anderem: „Als sie nach St. Peter ging, hatte sie dort die Vision, dass das Schiff der Kirche auf ihre Schultern gelegt wurde und so schwer auf ihr lastete, dass sie (wie) tot zur Erde fiel.“ Vgl. Supplementum 3,1,3; Prozess, S. 147.
(3) Eine ähnliche Verbreitung in noch größerem Stil erfolgte von Venedig aus durch seinen Jugendgefährten, den Dominikaner Thomas von Siena (Caffarini), der ebenfalls ein Schüler Caterinas war.