Mirabilis in Ecclesia Deus

 

Papst Paul VI.

Apostolisches Schreiben zum immerwährenden Gedenken an die Erhebung der hl. Caterina von Siena zur Kirchenlehrerin (4. Oktober 1970)

 

1. Wunderbar ist Gott in seiner Kirche, denn obwohl er seine geheimen Pläne vor Weisen und Klugen verbirgt, enthüllt er sie dennoch den Kleinen (vgl. Mt 11, 25; Lk 10,21). Auch beruft Gott – unter dem Anhauch des Himmels – mit Vorliebe die einfachen und niedrigen Schüler „für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12), wobei er ihnen heilsame Arbeiten aufträgt, die oft nur überaus schwer und mühevoll zu vollbringen sind.

Zeuge für diese Tatsache ist Paulus. Er wiederholt die Worte des göttlichen Meisters und zeigt damit auf, wie sich die Geheimnisse der höchsten Gottheit als Plan der Verwaltung dieser Welt erweisen. Zugleich erklärt er, dass sich diese Worte auch auf ihn beziehen, den Diener der göttlichen Vorsehung, der berufen wurde, die Völker dem Glauben an Christus zu unterwerfen: „Denn das Törichte an Gott“, sagt er, „ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (1 Kor 1,25). Tatsächlich beschenkt der überaus weise Gott alle, die er für ein Amt berufen hat, mit überirdischen Gaben, damit die Kirche das erlangt, was ihr von Christus, ihrem Stifter, zum ewigen Heil der Menschen gewährt wurde.

Wenn auch Gott als Herrscher alles mit seinem Wink leitet und dabei immer mit den Menschen ähnlich verfährt, so ist doch dieser Grundsatz des höchsten Herrn ganz besonders in stürmischen Zeiten der Kirche wirksam. Gerade in der Konfrontation mit den Widerwärtigkeiten des Alltags sollen die Gläubigen lernen, wie groß und kraftvoll das Versprechen des Himmels ist: „Habt Mut! Ich habe die Welt besiegt“ (Joh. 16,33), und wie wichtig es ist, sich den Plänen und Ratschlüssen der göttlichen Vorsehung zu unterwerfen. Das war nämlich damals die Situation der christlichen Gemeinschaft, als die selige Caterina, die Jungfrau aus Siena, lebte. In dieser beklagenswerten Zeit hörte sie – sittsam und unbefleckt – aufmerksam das Wort Gottes und handelte stets weise und tapfer; sie setzte ihr Vertrauen auf Gott und gab dadurch allen wieder neue Hoffnung.

Mit allen Kräften setzte sie sich ein für die Wahrung der Autorität und Freiheit des Römischen Papstes und für seine Rückkehr nach Rom, das von Gott eingesetzte Haupt des christlichen Erdkreises. Dabei ist es nicht zu verwundern, dass die göttliche Weisheit der keuschen und sittsamen Jungfrau für die Erfüllung dieser Aufgaben einzigartige Gnadenlichter geschenkt hat, und zwar zusätzlich zu jenen Erleuchtungen, die nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils auch den Gläubigen geschenkt werden, wenn sie Gottes Taten und Worte betrachten und in ihrem Herzen erwägen (vgl. Lk 2,19 und 51) bzw. wenn sie aus ihrer geistlichen Erfahrung heraus zu innerer Einsicht kommen (vgl. DV 8). Caterina, die in der Tat keinen menschlichen Lehrer hatte, wurde von Gott mit so reichen Geschenken „der Weisheit und des Wissens“ (1 Kor 12,8) überhäuft, dass sie zur hervorragendsten Lehrerin der Wahrheit wurde. Sie war sich in höchstem Maß bewusst, dass es nun ihre Aufgabe war, mit Hilfe dieser Gaben unter den Menschen die Wahrheit zu verkünden und die Liebe zu vermehren. Und so widmete sie sich mit voller Hingabe den darniederliegenden und im ärmlichsten Zustand geborenen Bürgern ihrer Zeit, indem sie die Gnadengaben austeilte, die sie von Gott empfangen hatte.

Unter diesen Umständen kann man leicht verstehen und einsehen, warum Wir – nach der von Unserem Vorgänger, Papst Pius II., verliehenen Krone der Heiligkeit –, nun auch den Wunsch haben, der heiligen Jungfrau den Titel eines Lehrers der gesamten Kirche zu verleihen. Zugleich erhoffen Wir uns dadurch eine wunderbare Hilfe für die Kirche in unserer Zeit. Denn einerseits wird durch Caterinas Lehre, durch ihr Denken und Handeln die Liebe in den Herzen der Christen genährt, andererseits aber wird – neben einer Festigung der kirchlichen Einheit – den Menschen auch eine größere Sehnsucht nach Heiligkeit eingegeben, und zwar unter der Führung und Leitung des Stellvertreters Christi.

2. Diese heilige Jungfrau, von der wir sprechen, erblickte im Jahre 1347 in Siena Julia das Licht der Welt. Die Eltern waren Jakob Benincasa und Lapa Piagenti. Der anbetungswürdige Geist Gottes aber bewegte sie derart frühreif zur Heiligkeit, dass sie, solange sie lebte, niemals vom rechten Weg der Tugend abwich. Kaum sechs Jahre alt begegnete ihr – in einer wahren Erscheinung – Christus, bekleidet mit den Insignien eines Pontifex und segnet sie. Als sie acht Jahre alt war, weihte sie Gott ihre Keuschheit durch ein Gelöbnis. Zuerst versuchte sie die alten Väter nachzuahmen, die an einsamen Orten gelebt hatten, dann aber wollte sie den Spuren des seligen Dominikus folgen, dessen Eifer bei der Verbreitung der Tugend sie bewunderte.

Im Jahre 1363 wurde sie bei den heiligen Jungfrauen des heiligen Dominikus aufgenommen, die im Volksmund „Mantellate“ heißen. Mit ihnen war sie ganz eins in der Frömmigkeit und in den Werken des Erbarmens. Als sie jedoch durch göttliche Erleuchtung die Nöte der Kirche sah und zugleich erkannte, dass man sich vor diesen Übeln am besten durch Gebet und Frömmigkeit bewahren könne, verlegte sie sich bis zum Jahr 1367 mit Vorliebe auf Gebete und auf Werke der Nächstenliebe. Auffallend dabei war ihr Eifer, sich selbst immer geringzuschätzen.

Dennoch wurde dieser so einzigartige Beschluss, das Leben zu verbringen – der im Vergleich mit der allgemeinen Norm des Lebens gewiß ungewöhnlich war –, von vielen ganz und gar abgelehnt. Caterina jedoch besiegte auf den Rat des heiligen Paulus (vgl. Röm 12,21) das Böse durch das Gute, indem sie den Schwachen diente und sich um das Krankenhaus La Scala und das Aussätzigenhaus S. Lazaro, wie sie genannt werden, sorgte. Dabei hatte sie sich gerechterweise besonders ihrer Schwestern angenommen, für die sie – da sie unter dem Laster der Undankbarkeit litten –, die Milde des Heiligen Geistes, des Abgrunds der Liebe, herabflehte.

Während Caterina beinahe täglich in der Tugend erstarkte, begann sie im Jahre 1370 – von Gott durch eine Vision eingeladen und angezogen – mit einem Apostolat, das man wirklich und eigentlich so bezeichnen kann. Weil derartiges aber zur damaligen Zeit den Frauen verwehrt war, bedurfte es für das Wirken der Jungfrau der Erlaubnis des Generalmagisters der Predigerbrüder. Im Übrigen bekräftigte Papst Gregor XI. im Jahre 1376 die Taten Caterinas seiner Überzeugung gemäß mit folgenden Worten: „Sie sorgte sich sehr fruchtbar um das Heil der Seelen, um die Sache des Kreuzzuges, um die Aufgaben im Heiligen Rom und um andere (Anliegen) der Kirche“.

Am 1. April 1375 wurden derselben Caterina – als sie sich in die Predigt über den Kreuzzug, der zur Befreiung des Heiligen Landes unternommen werden sollte, vertiefte – die Wundmale Christi oder, wie man sagt, die Stigmata eingedrückt. Allerdings haben sie sich – wenn man dem seligen Raimund von Capua, der ihre Beichten hörte, glaubt – „ihren Händen, ihren Füßen und ihrem Herzen in der Form reinen Lichtes eingesenkt“.

Da sich die Bindungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Stadt Florenz allmählich verschlechtert hatten, versuchte die heilige Jungfrau alles, um die Städte davon abzuhalten, aufgrund ihres untereinander bereits geschlossenen Vertrages gegen den Heiligen Stuhl vorzugehen. Mit allen Kräften bemühte sie sich, die Stadt Florenz mit dem Papst zu versöhnen, nachdem er über sie das Interdikt verhängt hatte. Dadurch veranlasst kam es dazu, dass Caterina einen langen und beschwerlichen Weg auf sich nahm und nach Avignon reiste. Sie suchte Gregor XI. auf, der sie freigiebig und aufs gütigste aufnahm, drei Monate bei sich verweilen ließ und ihre überaus klugen Ratschläge in den größten und schwierigsten Aufgaben der Kirche zur Anwendung brachte. So groß war die Frömmigkeit dieser Jungfrau, ihr Eifer und ihre Weisheit, dass sie den Papst nicht nur zur Milde stimmte, sondern ihn auch dahin brachte, nach Rom zurückzukehren, dem Sitz und Wohnort des Stellvertreters Christi. Zweifelsohne ist aber die Rückkehr Gregors XI. mehr der Heiligkeit Caterinas zuzuordnen als ihrer menschlichen Klugheit: Denn nur durch göttliche Eingebung wurde sie vom Gelübde des Papstes, die Stadt (Rom) wieder aufzusuchen, in Kenntnis gesetzt – ein Gelöbnis, von dem niemand sonst wusste und das der oberste Hirte der Christen am Tage seiner Wahl auf sich genommen hatte.

Als Gregor am 13. September 1376 aus Avignon abreiste, folgte ihm Caterina bis nach Genua. Dann begab sie sich nach Pisa und von dort ins Orcia-Tal, wo sie über göttliche Themen sprach und auch einige zerstrittene Mitglieder der Familie Salimbeni wieder besänftigte.

Aus demselben Grund ist die Vermittlerin des ersehnten Friedens bald darauf nach Florenz aufgebrochen. Dort hat sie, nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten und vielfältiger Gefahren, die Bürger dieser Stadt mit dem höchsten Pontifex Urban VI., der inzwischen Gregor XI. in die Leitung der Kirche nachgefolgt war, versöhnt, und zwar am 18. Juli 1378.

In diesem Jahr aber wurde auch Clemens VII. in der Kirche zum Gegenpapst gewählt. Durch diese höchst bittere Tatsache kam Caterina, von Urban VI. herbeigerufen, nach Rom; sie sprach in der Versammlung der Kardinalsväter mit solcher Eindringlichkeit, dass sie die Bedrückten aufrichtete und ermutigte und ihnen schließlich folgende Worte entlockte: „Niemals sprach so ein Mensch, und ohne Zweifel ist es nicht diese Frau, die spricht, sondern der Heilige Geist.“ Am Ende gebrochen durch Mühen, verzehrt durch Trauer über die ungerechten Zustände der Kirche, die wie ein Schiff vom Sturm dahingetrieben wurde, verschied Caterina zum ewigen Licht am 29. April 1380. Ihr Leib, der schon so viele Jahrhunderte hindurch fromm und heilig verehrt wird, ruht in Rom, und zwar – aus der zu obersten Inschrift ersichtlich – in der Kirche Santa Maria sopra Minerva, wo sie die Auferstehung der Gerechten erwartet.

3. Wenn wir nun zu ihrer Lehre übergehen, so stellen wir tatsächlich fest, dass Caterina – obgleich sie aus dem Volk war, keine Schule besucht hatte und kaum schreiben oder lesen konnte – so viele Beispiele himmlischer Weisheit von sich gab und in ihrem Sprechen derart erleuchtet war, dass sie eine einzigartige Familie von Schülern anzog, die wie Kinder die Nahrung für den Geist aufsaugten und sie mit dieser süßen Bezeichnung der Italiener „Mamma“, d.h. Mütterchen, nannten. Diese waren aber nicht nur durch Arbeit und Studium bereit zu apostolischen Unternehmungen und zu Werken der Nächstenliebe, sondern sie überließen sich gänzlich dem Heiligen Geist, der in ihr sprach (vgl. Mk 13,11).

In dieser Familie waren Männer und Frauen jeglichen Ortes und Standes; ebenso Ordensleute und Prälaten, Lehrer und Theologen, die nicht nur Caterinas Menschlichkeit und der Ruf ihrer Wunder gefangen nahm, sondern auch – und dies am allermeisten – das Licht eines Geistes, einer Begabung und eines Rates, der von oben erleuchtet war.

Als aber ihr überaus helles Licht allmählich immer mehr zu leuchten begann und auch außerhalb ihrer Heimat erstrahlte und von ihr Ratschläge erbeten wurden, da entstanden auf ihren Willen hin jene Briefe, die sehr häufig an beliebige Leute geschickt wurden, die sie mit einer gewissen natürlichen Leichtigkeit gleichzeitig mehreren Schreibern zugleich diktierte.

Diese Briefe zeigen die Glut und Leidenschaft ihres in Liebe entflammten Geistes. Sie belegen aber ebenso ihre im höchsten Maß keusche Treue und die Beständigkeit ihrer Grundsätze, die Bedeutsamkeit ihrer Rede, die Klugheit der Urteile sowie die Feinheit ihrer theologischen Gedanken. Etwas später, gegen Ende ihres kurzen Lebens, diktierte Caterina in ekstatischem Zustand ein Buch – im Volksmund Dialog der Göttlichen Vorsehung genannt –, dessen ganzer Aufbau darin gelegen ist, dass ihre Seele Gott fragt und Gott der Fragenden Antwort gibt. So geschieht es, dass der ewige Vater des Himmels vieles von dem, was sich auf das ewige Leben bezieht – sei es den einzelnen oder die ganze Kirche betreffend – Caterina erklärt. Bei der Zusammenstellung dieses Themas gereicht es ihr in besonderer Weise zum Lob, dass sie immer das herausfordert, was den inneren Menschen berührt bzw. Göttliches in den Mittelpunkt stellt.

Was sie schrieb, ist außerdem ein ruhmvolles Beispiel und Denkmal jener Gnaden, die in Worten der Aufmunterung, Weisheit und Wissenschaft bestehen, wie sie nach dem Zeugnis des hl. Paulus in der ersten Zeit der Kirche wirksam waren. Freilich hatte er deren Gebrauch durch beste Institutionen und Gesetze geregelt und er mahnte auch zu Recht, dass solche Gaben nicht zum Vorteil einzelner, sondern zum Nutzen der gesamten Kirche von Gott gegeben wurden. Denn wie – der Autor ist (nun) der Apostel selbst – „ein und derselbe Geist einem jeden seine besondere Gabe zuteilt, wie er will“ (1 Kor 12,11), so muss auch allen Gliedern des mystischen Leibes Christi zuteilwerden, was immer es an himmlischen Schätzen des Heiligen Geistes gibt (vgl. 1 Kor 11,5; Röm 12,8; 1 Tim 6,2; Tit 2,15). Das ist nämlich der Grund, weshalb aus den Schriften und Beispielen der Jungfrau von Siena die Nachfahren ebenso ausführlich schöpften wie die Zeitgenossen, Ungebildete und Gelehrte, Heilige wie auch Sünder.

Wenn man einer so ausgesuchten Lehre Lob erweist, so muss man ebenso den Zusammenhang der Sätze bewundern, die eine Sicherheit und Bestimmtheit verraten, wie auch die Tatsache, dass sie Nebensächliches zurückweist, wie es sich eben für diejenige geziemt, die die „Lehre des Lebens“ darlegt, welche von dem anbetungswürdigen Wort Gottes zu den Menschen gebracht worden ist.

Daher ist es recht, auf Caterina die Worte des Sohnes des Ewigen Vaters zu übertragen: „Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (Joh 7,16), und auch folgende Worte des Apostels Paulus: „Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). Denn nicht darum ging es der heiligen Jungfrau, ein menschliches und oberflächliches Wissen zu übermitteln (vgl. ebd. 4–9), sondern eine himmlische Weisheit, die sie – aus den Heiligen Schriften genommen –, beinahe zu Blut gewandelt hatte (vgl. ebd. 10–13) durch die Betrachtung und den (oftmaligen) Umgang mit himmlischen Dingen.

Daher schien das, was sie über die Sitten lehrte, weil sie es mit der ihr eigenen und geradezu einzigartigen Weise aus den Hauptwahrheiten des Glaubens ableitete, neu; und so sagte sie zu Recht: „Ich lade euch ein, in dieses einzig friedvolle und tiefe Meer glühendster Liebe hineinzutauchen. Ich habe das jetzt aufs Neue erlebt – nicht, weil das Meer selbst neu ist, sondern weil es für mich neu ist im Gefühl meiner Seele – beim Bedenken des Wortes: Gott ist die Liebe“ (Brief 146).

Wegen derselben Tatsache bilden verschiedene Kapitel der Lehre Caterinas eine komprimierte Verdichtung, die aus den verborgensten Geheimnissen unserer Religion herrührt: der Heiligsten Dreifaltigkeit und der Fleischwerdung des Herrn, in der das Wort Gottes Mensch wurde und für uns starb. Daran hängen – gewissermaßen wie an einer Türangel – sowohl alle ihre Sätze als auch, was sie zu tun und zu machen vorlegt. Ihr ganzes Sprechen ist immer daraufhin gerichtet, dass jeder zur Selbsterkenntnis kommen möge und zur Erkenntnis Gottes, der in uns wohnt. In dieser menschlichen und göttlichen Erkenntnis verwurzelt zu sein und in ihr wie in einem Kämmerchen zu leben, dazu mahnt Caterina der göttliche Lehrmeister selbst.

Natürlich nehmen in der Unterweisung Caterinas die Kraft des Blutes Christi und die Aufgabe der Kirche den ersten Platz ein: denn durch das kostbarste Blut werden in hervorragender Weise sichtbar sowohl die Wahrheit des Vaters (Brief 102) wie auch der Wille Christi, der diese Wahrheit erfüllte. Zugleich wird für die Lehre Christi ein Weg aufgezeigt, der allen offensteht, und den alle vollenden können „im Blut seiner fleischgewordenen Wahrheit“ (Dialog 135).

Auf diese Weise wird in den Schriften Caterinas die Menschheit Christi gewissermaßen in „Brust und Schoß“ der gesamten christlichen Frömmigkeit gesetzt und ebenso die Wahrheiten des Glaubens, von denen die Liebe genährt wird: die Eucharistie, die Leiden Christi und sein heiligstes Blut.

Über die Kirche sagt Caterina, dass sie nichts anderes sei als Christus (Brief 171), weil sie durch die Liebe mit ihm eine Einheit bilde, so wie der Vater und der Sohn eins sind (vgl. Joh 17,21). Sie besaß einen außergewöhnlichen und einzigartigen Eifer für die Kirche und für den Papst und war sogar bereit, Gott dafür ihr Leben als Opfergabe darzubringen (vgl. Brief 371). Ihr Denken und ihre Lehre aber waren so stark, dass sie nach den schwierigen Zeiten des abendländischen Schismas – allein aufgrund ihrer Autorität – ungemein viel erwirken konnte zur Vermehrung der Liebe gegenüber dem mystischen Leib Christi.

Die Jungfrau aus Siena betrachtete den Römischen Pontifex als „süßen Christus auf Erden“ (Brief 196), dem immer Liebe zu bewahren sei und dem es stets zu gehorchen gelte. Wenn jedoch diesem irdischen Christus irgend jemand nicht gehorcht – obwohl er doch derselbe ist wie der himmlische Christus –, dann hat er nicht teil an der Frucht des Blutes des Gottessohnes (Brief 207). Was Caterina außerdem lehrt über das Verhältnis, das jedem einzelnen von uns mit den Gliedern des mystischen Leibes zukommt, ebenso, was sie über den heiligen Stand der Priester lehrt, die sich für Christus bemühen als „Diener des Blutes“ (Dialog 117), oder was sie über alle Christgläubigen sagt, das alles stimmt völlig überein mit dem, was das Zweite Vatikanische Konzil lehrt (vgl. LG 23).

Dabei darf aber nicht verschwiegen werden, wieviel Mühe Caterina aufgewendet hat, um die Sitten der Kirche – insbesondere der heiligen Hirten – zu reformieren, die sie eindringlich ermahnt, doch nicht zuzulassen, dass durch ihre Sorglosigkeit die Herde zugrunde gehe: „Schweigt doch nicht mehr! Ruft mit tausend und abertausend Zungen! Denn durch Schweigen ist, wie ich sehe, die Welt ins Elend gekommen. Die Braut Christi ist blass und farblos geworden. Man hat ihr das Blut ausgesogen, das Blut Christi“ (Brief 16, an einen hohen Prälaten). Sie sagt, dass dieser Braut des Gottessohnes nicht durch Kriege der alte Liebreiz wiedergegeben werden könne, sondern nur durch das Geschenk des versöhnten Friedens und der Ruhe, und dass dazu auch die demütigen Bitten, die Mühen und Tränen der Diener Gottes nötig seien (vgl. Dialog 15; 86).

Die vielfältigen Bindungen der Menschen untereinander, die das gemeinsame und eigentümliche Leben der Kirche ausmachen, werden geleitet durch die Liebe. Ihre Kraft, ihre Notwendigkeit und Bedeutung ist dabei so umfassend, dass kein Mensch jemals Gott gefallen kann, wenn er nicht bemüht ist, dem Nächsten nützlich zu sein.

Auf die Lehre Caterinas bezieht sich auch das Bild von der „Brücke“ bzw. die Allegorie, in der Christus, vom Vater gesandt, gewissermaßen als Brücke dargeboten wird, die beide Ufer – das himmlische und das irdische – miteinander verbindet, so dass jeder, der über diese (Brücke) schreitet, zum Heil gelangt.

4. Obwohl Caterinas Ruf und ihr hervorragender Name nach ihrem Tod auf vielfältige Weise besungen wurde und in aller Munde war, muss man sagen, dass ihre vortreffliche Tugend bereits zu ihren Lebzeiten bei allen in hohen Ehren stand. Um aber dennoch einige Beispiele von den höchsten Autoritäten der Kirche anzuführen: Sie stand bei Gregor XII. immer in hohem Ansehen, der auch gerne „ihre Bücher und Schriften sehen“ wollte. Pius II. schmückte im Jahre 1461 die selige Jungfrau mit den höchsten Ehren der Heiligen im Himmel. Nach seiner eigenen Aussage verfasste er selbst die Heiligsprechungsbulle „Misericordias Domini“ („Die Barmherzigkeit des Herrn“), worin er bestätigt: „Niemand kam zu ihr, der nicht weiser und besser von ihr wegging. Ihre Lehre war eingegossen, nicht erworben. Sie war mehr Lehrerin als Schülerin“. Benedikt XIV. verkündet das Lob der so staunenswerten Lehre Caterinas sehr weise, wenn er sagt, ihre Lehre sei – ähnlich wie beim hl. Paulus – „vom Feuer der Liebe entflammt“. Weiters kommen hinzu: Urban VIII., der die Wunden bzw. Stigmata Caterinas kraft seiner Autorität anerkannte; Pius IX., der in unruhigen Zeiten wollte, dass der Heilige Stuhl Petri sich unter dem Schutz Caterinas stelle; Pius XII., in dessen Edikt sie zusammen mit Franz von Assisi als die besondere Schutzpatronin des italienischen Volkes ausgerufen und „Stärkste und Frömmste“, „Zierde des Vaterlandes“ und „Schutz der Religion“ genannt wurde. Und schließlich das gewichtige Zeugnis von Johannes XXIII., auf dessen Aufforderung hin anlässlich der 500. Wiederkehr der Heiligsprechung der seligen Jungfrau alle Christgläubigen zu den heiligen Feiern eingeladen wurden, „junge Männer und Jungfrauen, Alte und Junge, jede Gruppe und jedes Alter, die Vornehmsten und die Bürger aus dem Volk“; damals hat unser Vorgänger seligen Andenkens Caterinas Schriften zu Recht lobend hervorgehoben, da sie „so sehr in die Höhe emporgestiegen war, dass das, was sie, die Ungelehrte, lehrte, auch die Weisen zu Bewunderung mitgerissen hat. Die Briefe aber und der Dialog sind auch für kommende Generationen und werden ihnen wie ein lieblicher Garten Gottes sein, in dem sie die himmlischen Geheimnisse, die erhabensten Tugenden und lieblichen Mahnungen gleichsam wie Balsam erquicken.“

5. Wir selbst aber sind, durch diese Zeugnisse angeregt, zutiefst zur Überzeugung gekommen – die wir uns übrigens schon längst angeeignet und im Oktober 1967 auch vorgetragen haben –, dass es gut wäre, wenn wir den Namen der Heiligen Caterina von Siena in die Zahl der Kirchenlehrer aufnehmen würden; mit diesem Titel war bisher noch keine der heiligen Frauen geziert worden.

Weil es sich aber doch um eine Angelegenheit von größter Bedeutung handelt, gaben wir der Heiligen Ritenkongregation den Auftrag, die Sachlage genauer zu untersuchen; von ihr wurde, nach Heranziehung der erfahrensten Männer, eine bejahende Antwort gegeben.

So wurde also am 20. Dezember 1967 in der Ritenkongregation nach Erstellung einer eigenen Positio, wie man sagt, folgende Frage erörtert: „Können Titel und Kult eines Kirchenlehrers heiligen Frauen verliehen werden, die durch Heiligkeit und außerordentliche Lehre zum gemeinsamen Wohl der Kirche in besonderer Weise beigetragen haben?“ Jeglicher Zweifel wurde genommen aufgrund der Meinung der anwesenden Kardinalsväter und der amtlichen Prälaten. Sie haben alle einstimmig mit Ja geantwortet. Wir selbst haben diese Ansicht gutgeheißen und am 21. März 1968 mit unserem Urteil bekräftigt.

Danach legte der geliebte Sohn Anicetus Fernandez, der Generalmeister des Ordens der Predigerbrüder in seinem eigenen Namen und im Namen seines gesamten Ordens eine Schrift vor und erbat mit großer Eindringlichkeit, dass wir die heilige Caterina, Jungfrau von Siena, in die Zahl der Lehrer der gesamten Kirche aufnehmen sollten. Dazu kamen auch die Bitten sehr vieler Kardinalsväter, Erzbischöfe, Bischöfe, Generalleiter von religiösen Orden und Kongregationen und Rektoren von Studienuniversitäten.

Dies alles nun ließen wir derselben Heiligen Ritenkongregation übergeben, damit sie sich darüber eine Meinung bilde. Sie hat alle Details sorgfältig geprüft, ihre Zustimmung gegeben und schließlich die entsprechende Positio erstellt, die in diesem Fall – aufgrund der reichhaltigen Lehre – ein vermehrtes Maß an Studien umfasste.

Als aber die Kardinalsväter der dafür zuständigen Heiligen Kongregation für Heiligsprechungsprozesse – nachdem sie gemäß der apostolischen Konstitution Sacra Rituum Congregatio vom 8. Mai 1969 errichtet worden war – die Positio begutachtet hatten und gefragt wurden, ob sie, unter Berücksichtigung der außerordentlichen Heiligkeit des Lebens und der hervorragenden Lehre und ihrer segensreichen Bedeutung im Leben der Kirche, glaubten, darangehen zu können, die Heilige Caterina von Siena zur Kirchenlehrerin zu erklären, blieben bei der am 2. Dezember im Vatikanpalast abgehaltenen Plenarversammlung, nach Anhörung eines überaus genauen Berichtes des Kardinals Michael Browne, der diesen Fall darlegte, alle bei dieser Meinung: „Die Heilige Caterina von Siena ist würdig, von uns in die Liste der Kirchenlehrer eingetragen zu werden.“

Von all dem nun in Kenntnis gesetzt, haben wir am 8. Jänner in diesem Jahr 1970 das, was die Kardinäle in ihrer Meinung ausgesprochen hatten, gebilligt und bestätigt und zugleich bestimmt, dass es mit feierlichem Ritus vollzogen werde.

Dies ist nun mit heutigem Tag unter dem Schutz Gottes und dem Applaus der gesamten Kirche geschehen. Denn im Heiligtum Petri, wohin aus allen Völkern und vor allem aus Italien die Gruppen der Gläubigen zusammengeströmt sind – wobei sehr viele Kardinäle und Bischöfe der Römischen Kurie und der Katholischen Kirche dabei waren –, haben wir alle Akten bestätigt, sind den Forderungen der Angehörigen des Ordens der Predigerbrüder nachgekommen und haben die Wünsche der übrigen Bittsteller sehr gerne erfüllt und schließlich während des Eucharistischen Opfers diese Worte verkündet:

In sicherem Wissen und reiflicher Überlegung sowie aus der Fülle apostolischer Macht erklären wir die Heilige Caterina, Jungfrau von Siena, zur Lehrerin der gesamten Kirche.

Nach dem Vortrag dieser Worte und der mit allen Anwesenden verrichteten Danksagung an Gott hielten wir über die bewundernswerte Heiligkeit und Lehre der neuen Kirchenlehrerin eine Predigt und haben am Hauptaltar des Heiligtums das göttliche Opfer dargebracht.

Indem wir diesen Zeilen ein Ende setzen, entscheiden wir, dass sie fromm aufbewahrt werden und ihre Bedeutung haben mögen, nun und für späterhin, wobei alle gegenteiligen Bestimmungen aufgehoben sind.

Gegeben in Rom beim heiligen Petrus unter dem Ring des Fischers am 4. Oktober im Jahre des Herrn 1970, und im 8. Jahr unseres Pontifikats.

PAPST PAUL VI.

 

(Original auf Latein in: AAS 63 (1971) 674–682)

 

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