Inde a primis
Da in den Schriften der heiligen Caterina von Siena das Kostbare Blut Christi eine so zentrale Rolle spielt, soll hier auch das folgende kirchliche Dokument aufgeführt werden – zum Zeichen dafür, dass Caterinas mystische Sichtweise des Blutes Christi keine private Sonderfrömmigkeit unserer Heiligen ist, sondern das Zentrum der Erlösung berührt und daher zur Mitte der Kirche gehört.
Johannes XXIII.
Apostolisches Schreiben über die zu fördernde Verehrung des Kostbaren Blutes unseres Herrn Jesus Christus
Ehrwürdige Brüder, Grüße und Apostolischer Segen
Seit den ersten Monaten Unseres Pontifikates ist es mehr als einmal geschehen – und Unser einfaches und einladendes Wort hat oft Unsere Empfindungen vorweggenommen –, dass Wir die Gläubigen in Fragen des Lebens und der täglichen Andachtsübungen aufgefordert haben, sich mit glühendem Eifer jener göttlichen Offenbarung der Barmherzigkeit des Herrn zuzuwenden, die er jeder Seele, seiner heiligen Kirche und der ganzen Welt, deren Erlöser und Retter Jesus ist, zuteil werden lässt – nämlich der Andacht zum Kostbarsten Blut. Diese Verehrung wurde Uns bereits im Schoße Unserer Familie eingeflößt, in der Wir aufgewachsen sind, und Wir erinnern uns noch lebhaft daran, wie Unsere Eltern jeden Tag im Monat Juli die Litanei vom Kostbaren Blute laut gebetet haben.
Im Gedenken an die Ermahnung des Apostels: „Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat“ (Apg 20,28), glauben Wir, Ehrwürdige Brüder, dass es die wichtigste und eigentümlichste Sorge Unseres Hirtenamtes ist, zunächst über die gesunde Lehre zu wachen, dann aber dafür zu sorgen, dass sowohl die liturgische wie die private Frömmigkeit sich in der richtigen Weise vollzieht und entwickelt. Es scheint Uns daher besonders angebracht, Unsere lieben Kinder auf den unauflöslichen Zusammenhang aufmerksam zu machen, der die im christlichen Volk so weit verbreiteten Andachtsübungen der Verehrung des Heiligsten Namens Jesu und seines Heiligsten Herzens mit der Verehrung des Kostbaren Blutes des menschgewordenen Wortes, das „für viele vergossen worden ist zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28), verbinden muss.
Es ist in der Tat von höchster Wichtigkeit, dass zwischen dem katholischen Glaubensbekenntnis und der liturgischen Handlung der Kirche volle Übereinstimmung besteht; denn da das Gesetz des Glaubens die Richtschnur für das Gesetz des Betens ist – lex credendi legem statuat supplicandi [1]– und Frömmigkeitsformen, die nicht den reinen Quellen des wahren Glaubens entspringen, nicht erlaubt sind, ist es wichtig, dass die verschiedenen Andachten harmonisch übereinstimmen. Jene Frömmigkeitsformen, die als grundlegend angesehen werden und der Heiligung am besten dienen, dürfen auf keine Weise miteinander in Widerstreit geraten oder sich gegenseitig behindern, und jene, die spezieller und weniger wichtig sind, sei es nach der Wertschätzung, die ihnen zuteil wird, oder nach ihrer Ausbreitung, müssen hinter jene zurücktreten, die besser dem allgemeinen Heil dienen, das der gewirkt hat, der der „Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“ (1 Tim 2,5–6). Wenn sich die Gläubigen in dieser Atmosphäre des wahren Glaubens und der gesunden Frömmigkeit bewegen, können sie sicher sein, mit der Kirche zu fühlen, d.h. in der Einheit des Gebetes und der Liebe mit Jesus Christus zu leben, dem Gründer und Hohenpriester jener erhabenen Religion, die durch seinen Namen ihre ganze Würde und ihre Kraft erhält.
Wenn Wir nun einen kurzen Blick auf das wunderbare Wachstum werfen, das die katholische Kirche auf dem Gebiet der liturgischen Frömmigkeit erlebt hat – und zwar in heilbringender Übereinstimmung mit der Entfaltung des Glaubens selber, der vollkommeneren Erfassung der göttlichen Wahrheiten –, so ist es zweifellos tröstlich festzustellen, dass im Laufe der Jahrhunderte die Ermutigungen und Approbationen der drei oben erwähnten Andachtsübungen durch den Heiligen Stuhl zahlreich und eindeutig waren: Andachtsübungen, die seit dem Mittelalter von vielen frommen Seelen praktiziert und in der Folgezeit von verschiedenen Diözesen, Orden und Kongregationen verbreitet wurden, jedoch noch der Bestätigung durch den Stuhl Petri bedurften, damit dieser ihre Übereinstimmung mit dem katholischen Glauben erklärte und ihre Gültigkeit auf die gesamte Kirche ausdehnte.
Es genügt, daran zu erinnern, dass Unsere Vorgänger seit dem 16. Jahrhundert die Verehrung des Namens Jesu, die der heilige Bernhardin von Siena im Jahrhundert zuvor unermüdlich in ganz Italien verbreitet hatte, mit geistlichen Gaben bereichert haben. Zu Ehren dieses heiligsten Namens wurden zunächst das Offizium und die Messe und dann die Litanei approbiert.[2] Nicht geringer waren die Privilegien, die die römischen Päpste der Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu gewährten, auf dessen bewundernswerte Verbreitung über die ganze Welt die Offenbarungen des Heiligsten Herzens Jesu an die heilige Margareta Maria Alacoque so großen Einfluss hatten. Diese Frömmigkeitsübung wurde durch die Päpste so hoch und so einstimmig geschätzt, dass sie sich bereit erklärt haben, ihr Wesen zu erklären, ihre Rechtmäßigkeit zu verteidigen und ihre Ausübung durch zahlreiche offizielle kirchliche Lehrerklärungen zu fördern, die durch drei wichtige Enzykliken zu diesem Thema vervollständigt wurden.[3]
Auch die Verehrung des Kostbaren Blutes, deren bewundernswerter Förderer im letzten Jahrhundert der römische Priester Gaspare del Bufalo war, hat die wohlverdiente Zustimmung und Unterstützung des Apostolischen Stuhles erhalten. Es sei daran erinnert, dass auf Anordnung Benedikts XIV. Offizium und Messe zu Ehren des anbetungswürdigen Blutes des göttlichen Erlösers zusammengestellt worden sind und dass Pius IX. in Erfüllung eines in Gaeta abgelegten Gelübdes das liturgische Fest auf die Gesamtkirche ausdehnte.[4] Schließlich erhob es Pius XI. zum Gedenken an die Neunzehnhundertjahrfeier der Erlösung des Menschengeschlechtes in den liturgischen Rang eines Duplexfestes 1. Klasse, damit durch diese Steigerung der Feierlichkeit des Ritus auch die Verehrung intensiviert und die Früchte des göttlichen Blutes noch reichlicher den Menschen zugute kämen.
Um die Verehrung des Kostbaren Blutes des makellosen Lammes Christus immer mehr zu fördern, haben Wir daher nach dem Beispiel Unserer Vorgänger die Litanei, die gemäß den Vorschriften der Heiligen Ritenkongregation verfasst worden ist,[5] approbiert und gleichzeitig empfohlen, sie in der gesamten katholischen Welt sowohl privat als auch öffentlich zu rezitieren, wofür auch besondere Ablässe gewährt werden.
Möge dieser Unser Akt der „Sorge für alle Kirchen“ (vgl. 1 Kor 11,28), die dem Papst gerade in Zeiten schwerster und dringlichster religiöser Nöte zukommt, bei den Gläubigen die feste Überzeugung wecken, dass die drei oben empfohlenen Andachten einen immerwährenden, universalen und äußerst praktischen Wert haben!
Während wir uns dem Fest und dem Monat nähern, der der Verehrung des Blutes Christi, des Preises unserer Erlösung, des Unterpfandes des Heils und des ewigen Lebens, geweiht ist, sollen die Gläubigen es zum Gegenstand ihrer andächtigsten Betrachtungen machen und als Frucht davon das Sakrament der Eucharistie häufiger empfangen. Mögen sie, erleuchtet von den heilsamen Lehren, die aus der Heiligen Schrift und aus den Lehren der Kirchenväter und -lehrer fließen, über den überreichen und unendliche Wert dieses wahrhaft kostbaren Blutes nachdenken, von dem bereits „ein einziger Tropfen die ganze Erde neu schafft“[6], wie die Kirche mit dem Doctor Angelicus singt und wie es Unser Vorgänger Clemens VI. weise bestätigt hat.[7]
Denn wenn der Wert des Blutes des Gottmenschen unendlich ist und wenn die Liebe unendlich ist, die ihn dazu trieb, es vom achten Tage nach seiner Geburt an bei der Beschneidung und dann in noch größerer Fülle in der Agonie im Garten Gethsemane (Lk 22,43), bei der Geißelung und Dornenkrönung, beim Aufstieg zum Kalvarienberg und bei der Kreuzigung zu vergießen, und wenn schließlich seine Seite geöffnet wurde, damit ein Zeichen jenes göttlichen Blutes existiere, das durch alle Sakramente der Kirche fließt, so ist es nicht nur angemessen, sondern in höchstem Maße gerecht, dass alle Gläubigen, die durch dieses Blut wiedergeboren worden sind, ihm fromme Verehrung, Anbetung und liebevolle Dankbarkeit entgegenbringen.
Es ist daher sehr passend und angebracht, dass dem Kult der Anbetung, der dem Kelch des Blutes des Neuen und Ewigen Bundes besonders bei der Erhebung während des Messopfers erwiesen wird, auch die Kommunion mit eben diesem Blut folgt, das im Sakrament der Eucharistie unauflöslich mit dem Leib unseres Erlösers verbunden ist. In Vereinigung mit dem zelebrierenden Priester können dann die Gläubigen innerlich die Worte wiederholen, die er im Augenblick der Kommunion spricht: „Ich will den Kelch des Heiles erheben und anrufen den Namen des Herrn ... Das Blut unseres Herrn Jesus Christus bewahre meine Seele zum ewigen Leben. Amen.“ Auf diese Weise werden die Gläubigen, wenn sie sich ihm würdig nähern, reichere Früchte der Erlösung, der Auferstehung und des ewigen Lebens ernten, denn das Blut, das Christus „unter dem Antrieb des Heiligen Geistes" (Hebr 9,14) vergossen hat, hat diese Heilsgüter für das gesamte Menschengeschlecht erworben. Genährt vom Leib und Blute Christi und ausgestattet mit seiner göttlichen Kraft, die Legionen von Märtyrern hervorgebracht hat, können sie dann die täglichen Kämpfe und Opfer leichter auf sich nehmen, wenn nötig sogar unter Einsatz des eigenen Lebens im Dienste der christlichen Tugend und des Reiches Gottes. Sie werden von jener glühenden Liebe erfüllt werden, die den heiligen Johannes Chrysostomus ausrufen ließ: „Lasst uns von diesem Tisch aufstehen wie flammensprühende Löwen – schrecklich für den Teufel – wenn wir bedenken, wer unser Haupt ist und welche unendliche Liebe er für uns gehegt hat . . . Wenn dieses Blut würdig empfangen wird, vertreibt es die Teufel und ruft die Engel und den Herrn der Engel selbst an unsere Seite ... Dieses vergossene Blut reinigt die ganze Welt ... Es ist der Preis des Universums, durch dieses Blut hat Christus die Kirche erkauft ... Ein solcher Gedanke müsste unsere Leidenschaften zügeln. Wie lange noch bleiben wir an dieser gegenwärtigen Welt haften? Wie lange noch bleiben wir träge? Wie lange noch säumen wir, an unser Heil zu denken? Lasst uns die Wohltaten erwägen, die der Herr uns erwiesen hat, lasst uns dankbar sein, preisen wir ihn, nicht nur durch den Glauben, sondern ebenso auch durch die Werke”.[8]
Ach, wenn die Christen doch nur öfter über die väterliche Ermahnung des ersten Papstes nachdächten: „Wandelt in Furcht in der Zeit eurer Pilgerschaft. Ihr wisst doch, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blute Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel” (1 Petr 1,17–19). Wenn sie doch der Ermahnung des Völkerapostels mehr Gehör schenken würden: „um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden, verherrlicht also Gott in eurem Leib! (1 Kor 6,20). Wenn alle doch auf diese Mahnungen hören wollten! Um wie viel würdiger, um wie viel erbaulicher wäre ihr Lebenswandel, um wie viel heilsamer wäre die Präsenz der Kirche Christi für die Welt! Und wenn alle Menschen den Einladungen der Gnade Gottes folgen würden, der will, dass alle gerettet werden (vgl. 1 Tim 2,4), da er alle durch das Blut seines eingeborenen Sohnes erlösen wollte – weshalb er alle dazu aufruft, Glieder des einen mystischen Leibes zu sein, dessen Haupt Christus ist –, um wie viel brüderlicher wären dann die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen, den Völkern und den Nationen; wie viel friedlicher, wie viel würdiger wäre dann das gesellschaftliche Zusammenleben, das Gott und der menschlichen Natur, die nach dem Bild und Gleichnis des Allerhöchsten (vgl. Gen 1,26) geschaffen wurde, entspricht!
Wir müssen diese erhabene Berufung betrachten, zu der der heilige Paulus die aus dem auserwählten Volk stammenden Gläubigen einlädt, die allzu sehr an den Einrichtungen des Alten Testamentes hingen, obwohl dieses nur ein schwaches Abbild und Vorbild des Neuen Testamentes war: „Ihr aber seid zum Berge Sion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind, zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines Neuen Bundes, Jesus, und zum Blute der Besprengung, das mächtiger redet als das Blut Abels“ (Hebr 12,22–24).
In der vollen Zuversicht, Ehrwürdige Brüder, dass Unsere väterlichen Ermahnungen – die ihr dem Klerus und den euch anvertrauten Gläubigen in der Weise, die euch am geeignetsten erscheint mitteilen werdet – nicht nur bereitwillig, sondern auch mit glühendem Eifer in die Praxis umgesetzt werden, erteilen Wir euch als Zeichen himmlischer Gnaden und als Unterpfand Unseres besonderen Wohlwollens aus überströmendem Herzen den Apostolischen Segen, jedem einzelnen von euch und allen euren Herden, besonders aber jenen, die Unserer Aufforderung großmütig und mit vollem Einsatz nachkommen werden.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 30. Juni 1960, dem Vorabend des Festes des Kostbaren Blutes unseres Herrn Jesus Christus, im zweiten Jahr Unseres Pontifikats. Johannes XXIII. PP
[1] Mediator Dei, AAS. XXXIX, 1947, S. 54.
[2] AAS. XVIII, 1886, S. 504.
[3] Annum Sacrum, Acta Leonis, 1899, Bd. XIX, S. 71 ff.; Miserentissimus Redemptor, AAS. 1928, Bd. 20, S. 165 ff; Haurietis aquas, AAS. 1956, Bd. 48, S. 309 ff.
[4] Decret Redempti sumus, 10. August 1849; vgl. Arch. d. Ritenkongregation, Dekrete 1848–1849, 209.
[5] AAS. 1960, Bd. 52, S. 412–413.
[6] Hymnus Adoro te devote.
[7] Bulle Unigenitus Dei Filius, 27. Januar 1343; Denz. 1025.
[8] In Ioannem, Homil. XLVI; PG, LIX, 260–261.
(AAS 52 (1960) 545–550)