Maria dolce

Ambrogio Lorenzetti, 1290–1348, Castiglione d'Orcia, Pfarrkirche (Foto Mayr)

 

Caterina von Siena und die Mutter des Herrn (1)

Alle großen Orden leben in einer innigen Beziehung zur Mutter des Herrn. Bei den Zisterziensern ist die Verehrung durch den hl. Bernhard von Clairvaux bekannt. Bei Franziskus seine Beziehung zur Portiuncula Kapelle und dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Die Karmeliter führen ihre Entstehung auf den Berg Karmel zurück, wo sich Einsiedler um eine Marienkapelle niedergelassen haben, dann nach dem Einfall der Sarazenen nach Europa auswanderten und wo hier dem 1. Ordensgeneral, dem hl. Simon Stock, die Muttergottes erschien und ihm das Ordenskleid, das braune Skapulier übergab. Und auch der Dominikanerorden ist von Anfang an zutiefst marianisch geprägt.

In Caterinas Hauptwerk, dem Dialog (Kapitel 158) heißt es vom hl. Dominikus (Es spricht Gott Vater): „Er [Dominikus] war ein Licht, das Ich durch Maria in die Welt gebracht habe – eingesetzt in den mystischen Leib der heiligen Kirche, um die Irrlehren auszurotten. Warum sage Ich durch Maria? Weil Maria ihm sein Ordenskleid gegeben hat – eine Aufgabe, die Meine Güte ihr anvertraut hatte.“[2]

Wenn man die Schriften Caterinas insgesamt überblickt, hat man allerdings den Eindruck, dass das marianische Thema wenig in Erscheinung tritt. Nur drei Briefe befassen sich etwas ausführlicher damit (Br. 30 an die Nonnen im Kloster Santa Marta in Siena; Brief 342 an Mariano und Brief 144 an Monna Paola, wobei die beiden letztgenannten inhaltliche Kopien des ersten sind). Auch der Dialog bringt wenig, aber dafür Bedeutungsvolles (Kapitel 139), und unter den 26 erhaltenen Gebeten sind es gerade einmal zwei: Gebet 18, entstanden am Fest „Maria Verkündigung“, und Gebet 23 über die „Sündenlosigkeit Mariens“.

Bei näherem Hinsehen aber wird deutlich, dass diese erste Diagnose nicht stimmt. Denn obwohl Caterinas Blick in all ihren Schriften vor allem auf Christus und seine Kirche gerichtet ist, leuchtet die Mutter des Herrn doch immer wieder auf wie das Funkeln von kleinen verstreuten Diamanten, die ihnen gerade dadurch einen besonderen Liebreiz verleihen. Es sind nicht jene gefühlvollen Ausschmückungen, wie wir sie aus der marianischen Literatur der Barockzeit oder des 19. Jahrhunderts kennen – Caterinas Ausdrucksweise ist anders. Ihre Sprache ist bilderreich und streng dogmatisch, aber vielleicht gerade dadurch noch tiefer und gehaltvoller. Jedenfalls war die Verehrung Mariens bei Caterina sehr innig und von großer Ehrfurcht getragen. Und das entsprach damals auch dem allgemeinen Lebensgefühl der Menschen.

Sienas Hauptfest und Nationalfeiertag war der 15. August, Maria Himmelfahrt. Ihr zu Ehren wurde der herrliche weiße Dom gebaut, das Wahrzeichen der Stadt. In Siena wurde zwar die Oberhoheit des Kaisers anerkannt und auch der Tribut gezahlt, doch die eigentliche Herrscherin war die Madonna. Die Opfergaben waren vor allem Kerzen in allen Größen. Ihr zu Ehren wurde der Palio abgehalten, ein Pferderennen, bei dem die einzelnen Contraden der Stadt miteinander wetteiferten.

Dante Alighieri hat in Beatrice das Idealbild der reinen Frau besungen, was letztlich eine Huldigung an die allerseligste Jungfrau war. Die Marienverehrung entsprach den Gefühlen des Menschenherzens und gewährte allen, die in Not waren, Trost und Erleichterung. Diese Verehrung fand Ausdruck besonders in der Kunst. Vor allem in der Malerei. Damit stieg auch die allgemeine Achtung vor der Frau. Dies wirkte sich aus auf die Sitten der Menschen, seine Gefühle und auf die Nächstenliebe. Caterina ist in dieser Atmosphäre aufgewachsen und hat von Kindheit an diese Liebe zur Muttergottes eingeatmet und in sich aufgenommen.

 

Caterinas geistliches Leben hat mit der Verehrung Mariens seinen Anfang genommen.

Thomas von Siena (Caffarini) beginnt sein Ergänzungswerk zu Raimunds Legenda mit folgenden Worten: „Es ist wissenswert, dass die Jungfrau, als sie noch ein kleines Kind war und erst im fünften Lebensjahr stand, die jungfräuliche Gottesmutter verehrte und überall, wo sie ihr Bild fand, „Ave Maria" sagte. Einmal, als sie diesen Gruß sprach, wurde sie von der Erde emporgehoben“ (Supplementum I, 1, 1). Was er hier im ersten Teil seines Werkes bringt, sind im Wesentlichen die Aufzeichnungen von Caterinas ersten Beichtvater Tommaso dalla Fonte (und Bartolomeo Dominici). Die Originalschrift ist nicht mehr erhalten. Raimund hatte sie gekannt (und Auszüge entnommen). Caffarini hat sie ebenfalls gekannt und sie als Ganzes wiedergegeben.

Auf diese Aufzeichnungen geht auch jene bekannte Darstellung zurück, wo Caterina das Jesuskind in ihren Armen hält: „Einmal, in der Nacht der Geburt des Herrn, kam die Jungfrau [Caterina] mit großer Andacht in die Kirche zum Ort der Mantellatinnen und stellte sich dort ganz in die Nähe des Altars. Da sah sie in einer Ekstase, wie die selige Jungfrau ihren Sohn zur Welt brachte und ihr (Caterina, auf diese Weise) das ganze ewige Leben erworben worden sei. Dann reichte ihr die selige Jungfrau ihren Sohn, und sie empfing ihn in ihren Armen und beugte ihr Antlitz über das Antlitz des Kindes, wie es eine Mutter bei ihrem Kind zu tun pflegt. Und sie bemerkte, dass das Kind auf der Brust das Zeichen eines Kreuzes trug“ (Supplementum II, 6, 51). Ein wenig später wird noch berichtet, wie Caterina einmal aufgrund einer Schwäche bei der hl. Messe von der hl. Jungfrau Maria gestützt wurde (Supplementum II, 6, 52).

Caterina wurde am 25. März 1347 geboren, am Tag der Verkündigung, dem Tag der Inkarnation. Dieser Tag war zugleich der Beginn des neuen Jahres im sienesischen Kalender. Damals fiel dieser Tag mit dem Palmsonntag zusammen. Caterina taucht also, so könnte man sagen, in eine liturgische Atmosphäre ein, die das ganze christologische Geheimnis umfasst: von der Menschwerdung bis zu seiner Passion und Auferstehung.

Caterinas Geburtstag ist also der Tag des Ave Maria – ein Gebet, das sie Zeitlebens begleitet und prägt.[3] Schon als Kind hegte sie eine innige Verehrung zur heiligen Jungfrau. Ihre Mutter Lapa bezeugt, dass sie vor jedem Bildnis Mariens die hl. Jungfrau gegrüßt habe und oftmals beim Hinaufsteigen der Treppe im Haus an jeder Stufe ein „Ave Maria“ betete. Nach der Christusvision über der Dominikanerkirche gelobte sie vor dem Bildnis Mariens ewige Jungfräulichkeit und vertraute sich dabei ganz ihrem Schutz an.

Raimund berichtet (R. 35): Eines Tages suchte sie einen einsamen Platz auf, wo sie niemand hören und sehen konnte, kniete mit größter Ehrfurcht und voll Demut nieder und sprach mit vernehmbarer Stimme zur heiligen Jungfrau: „O holdseligste und heiligste Jungfrau, Du hast als Erste unter den Frauen dem Herrn für immer Deine Jungfräulichkeit gelobt und geweiht, wodurch Du so gnadenvoll die Mutter des eingeborenen Sohnes Gottes geworden bist. Ich bitte Deine unaussprechliche Liebe:

Achte nicht auf meine Verdienste und schaue nicht auf meine Niedrigkeit, sondern gewähre mir voll Güte jene große Gnade: Gib mir den zum Bräutigam, den ich mit allen Fasern meines Herzens begehre, Deinen hochheiligsten Sohn, unseren einzigen Herrn Jesus Christus. Ich gelobe ihm und Dir, niemals einen anderen zum Bräutigam zu nehmen, sondern ihm, so gut ich kann, für immer meine Jungfräulichkeit unversehrt zu bewahren.“

20 Jahre später wird diese Bitte in der „mystischen Hochzeit“ auf außergewöhnliche Weise erfüllt. Es ist wieder die allerseligste Jungfrau selbst, die dabei die Hand Caterinas nimmt und sie ihrem Sohn entgegenreicht, damit er ihr den Ring, das Symbol des Glaubens und der Reinheit, übergeben kann, was ihren Titel „Sponsa Christi“ für immer bestätigen wird. Und weil sie eine wahre Braut war, die das ganze Leben ihres Bräutigams teilen wollte, verließ sie dann die (selige) Einsamkeit ihrer Zelle, um in die Welt zu treten und hier für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen zu wirken.

Und wieder war es die Mutter des Herrn, die zusammen mit ihrem göttlichen Sohn Caterina der Fürsorge und dem Beispiel der hl. Maria Magdalena anvertraut hat. Bei ihren Visionen waren neben dem Herrn zumeist auch seine heiligste Mutter dabei. Und später, als Caterinas Leben „aus dem Rahmen des allgemein üblichen“ fiel und sie deshalb Missverständnisse und böswillige Urteile und Kritiken ertragen musste, war es erneut die Gottesmutter, die für Caterina intervenierte, indem sie ihr den seligen Raimund von Capua als Leiter (Rektor) gab, der selbst ein großer Verehrer Mariens war und bereits eine theologische Abhandlung über das Magnificat verfasst hatte.

In ihren Briefen erinnert sie Raimund mehrmals daran, dass er ihr – auf ihre Bitten hin – eigens von der Gottesmutter als Beichtvater gegeben wurde.[4] Sie möchte ihn als „treuen Diener und Bräutigam der Wahrheit und der lieben Maria sehen“ (ein Ausdruck, der übrigens nur hier vorkommt, denn nirgendwo nennt sie sonst jemand „Bräutigam Mariens“) und sie erinnert ihn an die Gnaden, die er „einst und jetzt wieder von Gott und von jener süßen Mutter Maria erhalten“ hat (Brief 333). Und in ihrem letzten Brief zwei Monate vor ihrem Sterben rät sie ihm (Brief 373): „Geht oft zu Maria! … Wenn ihr etwas vorhabt – geht zuerst zu ihrem Bild und vertraut euch ihr an!“

Die Gottesmutter ist es auch, die Caterina nach ihrem Tod in der Herrlichkeit des Himmels in Empfang nimmt – nach der Vision der römischen Frau Semia, über die Raimund ausführlich berichtet: „Die Himmelskönigin empfing sie mit ausgebreiteten Armen und sagte: Sei willkommen, meine innig geliebte Tochter Caterina! Sie hob sie auf und reichte ihr den Friedenskuss.

Nachdem Caterina die Himmelskönigin aufs Neue verehrt hatte, trat sie auf deren Geheiß zu den anderen Jungfrauen, und jede von ihnen empfing sie mit großer Freude und tauschte mit ihr den Kuss des Friedens“ (Legenda Maior 373).

Dieser Eintritt Caterinas in die friedliche Herrlichkeit des Himmels nach ihrem kurzen und schmerzvollen Leben erinnert uns an einen weiteren Eintritt in den gesegneten Frieden, nämlich an die Seele von Niccolò Toldo, der durch die Anwesenheit Caterinas und das Gebet zur Allerseligsten Jungfrau aus der Verzweiflung gerissen wurde.

In dem berühmten Brief 273 an Raimund von Capua berichtet Caterina: „Ich erwartete ihn also am Richtplatz und verweilte dort unter beständigem Gebet und in der Gegenwart Mariens und der jungfräulichen Märtyrerin Katharina. Noch bevor er ankam, kniete ich nieder und legte meinen Hals auf den Block, erlangte aber nicht, was ich so sehnsüchtig begehrte. Darauf erhob ich mich und sagte in heißem Flehen: Maria! Und ich bat sie um die Gnade, dass sie ihm in jenem letzten Augenblick Licht und Herzensfrieden geben und ihn dann an sein Ziel führen möge.“ – Was ihr offensichtlich zugesichert wurde. Denn es heißt weiter in ihrem Bericht: „Die süße Verheißung, die mir zuteil wurde, erfüllte mein Herz so sehr, dass ich keinen Menschen mehr wahrnahm, obwohl eine große Volksmenge dort versammelt war.“ Und nun sieht sie in einer Vision, wie die Verheißung Mariens erfüllt wurde: „O wie unsagbar süß war es, die Güte Gottes zu betrachten! Mit welcher Zärtlichkeit und Liebe erwartete sie jene Seele, als sie vom Leib getrennt wurde – indem sich ihr das Auge seines Erbarmens zuwandte – und dann in die Seitenwunde einzog, gebadet im eigenen Blute, das durch das Blut des Gottessohnes aufgewertet worden war. … Er (aber, Niccolò Tuldo) wandte sich um wie eine Braut, wenn sie an der Schwelle ihres Bräutigams angekommen ist, genauso drehte er sein Haupt und blickte zurück, um die zu grüßen, die ihn begleitet hatte, und ihr dadurch ein Zeichen des Dankes zu geben.“ Dieser Friede erfüllt auch das Herz Caterinas: „Und meine Seele ruhte in Frieden“.

Diese Geschichte über Niccolo Tuldo und sein seliges Ende gibt uns Gelegenheit, darüber zu sprechen, wie Caterina die Gottesmutter gesehen hat. Das heißt, welche Position die allerseligste Jungfrau einnimmt in der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, jener grundlegenden „Wahrheit“, die Caterina so sehr fasziniert:

 

Caterinas spiritueller Blick auf die Mutter des Herrn

Caterina betrachtet die allerseligste Jungfrau aufgrund ihrer Gottesmutterschaft als jene Gestalt, die Christus am ähnlichsten ist (vgl. etwa Brief 30 an die Nonnen von Santa Marta in Siena). Deshalb nennt sie auch ihren heiligsten Namen – so wie den Namen Jesu – nie ohne die Beifügung eines Adjektives: die heiligste, die sanfte, die süße, die liebreichste Mutter usw.

Alle „Briefe“ beginnen: Im Namen des gekreuzigten Herrn Jesus Christus und der lieben Jungfrau Maria (Maria dolce). Und am Schluss, wenn es heißt: Geliebter Jesus, Jesus, die Liebe – erfolgt oft der Zusatz: „und die süße Maria“ oder einfach nur der Name „Maria“.

Im „Dialog“ kommt der Name Mariens nur wenige Male vor. Aber dafür an entscheidenden Stellen.

Die erste Nennung ihres Namens dient dazu, den Tag zu beschreiben, an dem Caterina ihr Meisterwerk, den „Dialog“ mit Gott begonnen hat: Es war der „Tag Mariens“ (ein Marienfesttag oder ein Samstag). Ein anderes Mal wird der Ort angezeigt, an dem sie in der Kirche auf wundersame Weise die Eucharistie empfängt: „am Marienaltar“.

An einer weiteren Stelle erscheint die Mutter des Herrn im Zusammenhang mit der Armut ihres Kindes, an der sie auch Anteil genommen hat (Dialog 151). Und zwar „aus Ehrfurcht gegenüber Sohn“ wie sie dann ein Jahr später in einem Brief schreiben wird (Brief 363 an Andrea Vanni).

Auch zwei historische Ereignisse werden im Dialog erwähnt, die mit der Mutter des Herrn in Verbindung stehen: das eine ist die Gründung des Dominikanerordens (was eingangs bereits erwähnt wurde), und das andere ist die Gründung des Dominikanerinnenklosters in Montepulciano durch die hl. Agnes (vgl. Dialog 149): „Sie hat mit lebendigem Glauben im Auftrag Mariens als armes Mädchen ohne irgendeinen weltlichen Besitz ein Kloster gegründet. Du weißt, dass an dem Ort zuvor ein Bordell war. Sie dachte nicht: Wie werde ich das schaffen? Sondern mit Hilfe Meiner Vorsehung hat sie sehr bald daraus einen heiligen Ort gemacht, einen Konvent für Ordensfrauen.“[5]

Die wichtigste marianische Stelle im „Dialog“ ist aber jene, wo Caterina vom himmlischen Vater über die geheimnisvollen Wege seiner Vorsehung belehrt wird und dabei die Rolle Mariens in einem ungewöhnlichen aber ausdrucksstarken Bild zum Ausdruck bringt.

a) Maria als Köder Gottes

Für Caterina ist klar: Wenn Gott vom Himmel herabkam, um sich mit unserem Fleisch und Blut untrennbar zu verbinden, dann hat er sich dadurch mit der ganzen Menschheit vermählt, dann ist die ganze Menschheit seine geliebte Braut, für die er den Preis seines Blutes bezahlte, um sie dem ewigen Tod und den Händen des Teufels zu entreißen. (Im Brief an Bartolema della Seta, Brief 221, spricht Caterina dieses Gebet: „Oh erhabene und unermessliche Liebe, wie sehr liebst Du diese Braut, die Menschheit! O Leben, durch das alles lebt! Du hast sie aus den Händen des Teufels befreit, der sie als seinen Besitz betrachtete. Du hast sie seinen Händen entrissen, indem Du den Teufel mit der Angel der Menschheit gefangen nahmst und sie mit Deinem Fleisch vermähltest. (Bei Deiner Beschneidung) hast Du Dein Blut als Anzahlung gegeben, und am Ende, als Dein Leib aufgerissen wurde, hast Du den vollständigen Preis bezahlt“.

Alle Geschehnisse und Ereignisse der Welt sind geheimnisvoll verknüpft mit der Vorsehung Gottes, der alles dazu benützt, um die Herzen der Menschen an sich zu ziehen. Selbst das, was die Menschen für Grausamkeit halten, wobei auf einen bestimmten Fall, auf eine Verurteilung, angespielt wird (Dialog 139), von der manche meinen, dass es sich um das Schicksal des jungen Perugianers Niccolo Tuldo handeln würde.

(Doch Caterinas Brief 273 an Raimund von Capua, in dem sie von der Toldo-Affäre berichtet,entstand bereits zwei Jahre zuvor. Zudem wird bei Niccolò di Toldo in keiner Weise eine Verehrung Marias erwähnt, die aber gerade hier in diesem „Fall” das besonders hervorgehobene Kennzeichen ist als ein Eingreifen Mariens für das Seelenheil des Verurteilten. Der hier vorliegende „Fall” ist vermutlich einer von vielen, über die sonst nirgends näher berichtet wird. Nach dem Zeugnis des Simone da Cortona hat Caterina oftmals die Verurteilten auf dem Weg zur Hinrichtung begleitet und sie zuvor im Kerker besucht, wo sie bemüht war, ihre Seelen mit Gott zu versöhnen, „und dies geschah häufig” Prozess, S. 687.) Kurzum im Dialog wird deutlich, dass Gott dies zugelassen hat im Zusammenhang mit einer Verehrung der Mutter des Herrn: „Du sollst wissen, dass Ich diesen Unglücksfall zugelassen habe, um ihn vor der ewigen Verdammnis zu retten, in der du ihn gesehen hast, damit er das Leben habe durch sein eigenes Blut im Blute Meiner Wahrheit, Meines eingeborenen Sohnes. Denn Ich hatte die Verehrung und die Liebe nicht vergessen, die er Maria, der liebsten Mutter Meines eingeborenen Sohnes, entgegengebracht hatte.“

Was hier im Dialog vom himmlischen Vater aufgezeigt wird: nämlich die Kraft und Macht, die der allerseligste Jungfrau aufgrund ihrer Gottesmutterschaft gewährt wird, geschieht so natürlich selbstverständlich, dass man Gefahr läuft, die universelle Bedeutung dieser Stelle nicht zu spüren.

Ich möchte deshalb noch etwas näher darauf eingehen: Weil sie die Mutter des Gottessohnes ist, wird ihr vom himmlischen Vater gewährt, dass jeder, der ihr gegenüber die gebührende Ehrfurcht hat, jeder Gefahr des Teufels entgeht und vor der Verdammnis bewahrt bleibt. Das heißt, die Gottesmutter ist mit der Aufgabe betraut, jeden, der sich an sie wendet, ob gut oder schlecht, vor den Feindseligkeiten des Teufels zu schützen – was in der Phantasie der mittelalterlichen Erzähler über die Wunder „Mariens“ vielfach so dargestellt wurde, dass sie gerade die schlimmsten ihrer Kinder bevorzugt hat, um sie den Fängen des Teufels zu entreißen. Berühmtes Beispiel dafür ist Bonconte da Montefeltro. Bonconte war Anführer der Ghibellinen und wurde in einer Schlacht getötet, danach wurde sein Leib von den Fluten weggespült. Dante, der auf der Gegenseite kämpfte, verewigte ihn in seiner Dichtung als reuigen Sünder, der durch die Anrufung des Namens „Maria“ gerettet wird. Durch Dante Aleghieris Darstellung im V. Gesang des Fegefeuers wurde diese Szene berühmt: Ein Teufel bereitet sich darauf vor, Boncontes Seele in die Hölle zu bringen, aber das letzte Wort des Sterbenden Anführers war eine Anrufung des Namens Maria. Dies ist genug, um ihn  zu retten: Ein Engel begleitet die Seele ins Fegefeuer und der Teufel kann sich nur rächen, indem er den leblosen Körper von den Fluten des Flusses wegspülen lässt.

Diese mütterliche Eigenschaft Mariens, die in der volkstümlichen Tradition so lebendig ist, begegnet uns gerade hier im Dialog in einer zentralen Position. Denn gerade im großen Werk der göttlichen Vorsehung für die Erlösung des Menschen – (und das ist ja ein Hauptthema des Dialogs) – begegnet uns die Mutter des Herrn als ein Element von großer Bedeutung. Die biblische Frau aus dem Protoevangelium, die der Schlange den Kopf zertritt und die dann im Heilsplan der Erlösung eine so große Rolle spielt, wird hier mit diesem Beispiel in den Mittelpunkt gestellt.

Im „Dialog“ wird damit festgelegt, dass die unbesiegbare Kraft Mariens, wie alle ihre Privilegien, ihr gegeben werden „aus Ehrfurcht vor dem Wort“, denn sie ist „die süße Mutter“ des eingeborenen Sohnes Gottes. Zudem wird in der Stelle aus dem Dialog, auf den wir uns hier beziehen, ein ganz besonderer Aspekt, den die Gottesmutter im Plan der Vorsehung innehat, bildkräftig hervorgehoben: Sie besitzt durch ihre Reinheit und Schönheit, durch ihre Liebenswürdigkeit und ihre Milde und durch ihre mütterliche Liebe für den Menschen eine nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft. Im Dialog sagt der himmlische Vater daher: „Sie ist wie ein Köder, den Meine Güte ausgelegt hat, um Meine Geschöpfe zu fangen“ (Dialog 139).

Dieses Bild eines „Köders“, der nicht mit einem Angelhaken verbunden ist, gibt es nur hier an dieser Stelle. In allen anderen Fällen ist der Köder – um den Teufel zu fangen bzw. zu entmachten – die menschliche Natur Christi, in der der „Angelhaken seiner Gottheit“ verborgen war. (Mit dem Bild des Köders, unter dem sich der Angelhaken verbirgt, beharrt Caterina auf der Realität der unsichtbaren göttlichen Macht, die in der Menschennatur Christi wirkt. Aber der Köder bewirkt ein Zweifaches: er besiegt den Teufel, und er zieht den Menschen an sich, um zu lieben. Vgl. Dialog 135: „Mit dem Köder eurer Menschheit und mit dem Angelhaken Meiner Gottheit habe Ich den Teufel gefangen, der Meine Wahrheit nicht erkennen konnte.“ Und in Brief 196 an Papst Gregor XI.: „Da Gott nun sah, wie sehr das Menschengeschlecht zum Lieben bereit ist, warf er nach uns die Angel der Liebe aus und gab uns das Wort, seinen eingeborenen Sohn. Und der Sohn nahm unsere Menschennatur an, um so den großen Frieden zu bringen.“ Dieses Bild vom „Angelhaken der Gottheit“, der im „Köder der Menschheit“ versteckt war, wurde bereits von altchristlichen und mittelalterlichen Schriftstellern verwendet (Origenes, Gregor von Nyssa, Rufinus, Gregor der Große).

Bei Caterina findet sich das Bild noch in Dialog 135: „Mit dem Köder eurer Menschheit und mit dem Angelhaken Meiner Gottheit habe Ich den Teufel gefangen.” Und ebenso in Brief 136 an Bischof Angelo Ricasoli, in Brief 221 an Sr. Bartolomea della Seta, in Brief 257, an Conte di Monna Agnola und in Brief 293 an Kardinal Simone (Pedro) di Luna. Aber es gilt auch umgekehrt: In Dialog 71 fängt der Teufel die Seele „mit dem Angelhaken ihrer eigenen geistlichen Freuden“.

b) Maria als – „Miterlöserin“ / Gehilfin des Erlösers

Die Gottesmutter steht für Caterina im Zentrum der Heilsgeschichte, denn die Menschwerdung Gottes beginnt mit ihr: Sie ist das fruchtbare Land, das liebliche Ackerfeld, die gesegnete Erde, in die der Same des Wortes gesät wurde; Sie ist die Pflanzung, die uns die Blüte des geliebten Jesus schenkt; sie ist auch ein Buch, und in dieses Buch hat die Hand des Heiligen Geistes die Weisheit des Vaters eingeschrieben, das ewige Wort und so haben wir aus ihr die Lehre des Lebens. Caterina spricht von der „Lehre Mariens und jener des Sohnes“ (Brief 104).

Die Verbindung, die aufgrund der Gottesmutterschaft zwischen Maria und Jesus besteht wird von Caterina auch ausgedrückt durch die Verwendung gleichen Figuren und Bilder: Wenn sie etwa Jesus als „Feuerwagen“ bezeichnet (Brief 112, 35, Dialog 58), dann verwendet sie diese Metapher auch für Maria: „Sie ist … ein wahrer Feuerwagen, der das Wort Gottes in sich empfangen und uns das Feuer der Liebe gebracht hat, denn er ist die Liebe selbst“ (Brief 184, Gebet 18).

Durch ihre Gottesmutterschaft ist auch ihre Seele in vollkommener Harmonie mit der Seele ihres Sohnes, d.h. ihr Wille ist eins mit dem ihres Sohnes, der in allem den Willen des Vaters erfüllt – bis hinein in seine Passion.

In einem Brief an die Augustinerinnen von Santa Marta in Siena (Brief 30) wird die Mitwrkung Mariens am Erlösungswerk ihres Sohnes mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: „Der Leib des Sohnes wurde durchbohrt, und so geschah es auch mit seiner Mutter, denn sein Fleisch war das ihrige. Darum war es ganz natürlich, dass sie seinen Schmerz als den ihren empfand, denn aus ihr hatte er ja sein Fleisch angenommen.“ Aber noch viel tiefer ist ihre geistliche Teilnahme an der Passion durch die Vereinigung ihres Willens mit dem Willen des himmlischen Vaters: „Aber – o Feuer der Liebe! – ich sehe hier noch eine andere Vereinigung: Er hat die Gestalt des Fleisches angenommen, und sie bekam – gleich einem warmen Wachs – seine Sehnsucht und Liebe nach unserem Heil in sich eingeprägt durch das Siegel des Heiligen Geistes. Denn durch dieses Siegel ist das ewige göttliche Wort Fleisch geworden.“ Und weiter heißt es: „Wie ein barmherziger, ausgebreiteter Baum empfängt sie in ihrem Innern die Seele des Sohnes, die nach dem Willen des Vaters geopfert, verwundet und durchbohrt wurde. Und wie ein veredelter Baum wird sie vom Schwert des Hasses und der Liebe verwundet.“

Schwert des Hasses und der Liebe. Das Schwert der Liebe (die Bereitschaft, das eigene Leben aus Liebe zu geben, die Prophezeiung des greisen Simeon: auch deine Seele wird ein Schwert durchbohren), und das Schwert des Hasses (der Hass auf die Sünde), beides ist in Jesus und Maria nun da: „Hass und Liebe haben sich jetzt in der Mutter und im Sohn dermaßen gesteigert, dass der Sohn seinem Tod förmlich entgegeneilt, weil er sich danach sehnt, uns das Leben zu geben.

Der Hunger und die Sehnsucht, seinem Vater zu gehorchen, sind in ihm so groß, dass er ohne Rücksicht auf sich selbst dem Kreuz zustrebt. Und seine liebste, mildeste Mutter tut dasselbe.“

Der Wille Mariens ist so sehr mit dem Willen des himmlischen Vaters vereint, dass sie auch will, was der Vater will. Und da der Vater (aus Liebe zu den Menschen) den Tod des Sohnes will, will auch Maria den Tod ihres Sohnes. Sie ist bereit dabei mitzuhelfen, ja sich sogar zu einer Leiter zu machen, um den Sohn ans Kreuz zu heben: „Bereitwillig opfert sie die natürliche Liebe zu ihrem Sohn. Und zwar nicht nur, indem sie ihn nicht vom Tod abhält (wie es jede Mutter tun würde), sondern sie ist sogar bereit, sich selbst zur Leiter zu machen; sie will, dass er stirbt.“ Und Caterina kommentiert dazu: „Das ist gar nicht überraschend, und zwar deshalb, weil sie nämlich vom Pfeil der Liebe für unser Heil verwundet worden ist.“ (Vgl. dazu auch II. Vat. Konzil, LG 58: „Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Kreuz, wo sie nicht ohne göttliche Absicht stand, heftig mit ihrem Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte.”)

Was Caterina hier ausspricht (mit der Liebe Mariens bis zum Äußersten), hat sie selbst auch zu leben versucht, da sie ebenfalls „durch den Pfeil der Liebe“ verwundet wurde und bereit war, für Christus alles aufzugeben. Die Gottesmutter war für Caterina hier das große Beispiel. Auch in ihrer Bereitschaft nach der Himmelfahrt des Sohnes die Gemeinschaft der Apostel und der Jünger Jesu aufzugeben und sie für ihr Missionswerk ziehen zu lassen.

Ihrer Mutter Lapa legte sie dieses Beispiel Mariens ans Herz, wenn sie die Trennung von ihrer Tochter allzu heftig beklagte (Brief 240 an Lapa): „Ich möchte, dass Du das von der lieben Mutter Maria lernst, die uns zur Ehre Gottes und zu unserm Heil ihren Sohn geschenkt hat, der am Holz des heiligsten Kreuzes starb. Als Maria nach der Himmelfahrt ihres Sohnes allein zurückblieb, war sie bei den heiligen Jüngern. Und wir stellen uns vor, dass sie einander getröstet und ermutigt haben. Maria stimmte aber trotzdem zu und wollte, dass die Jünger zum Lob und Ruhm ihres Sohnes und für das Heil der ganzen Welt hinauszogen, obwohl es für alle schwer war. Sie litt lieber unter dem Abschiedsschmerz, als dass sie sich ihres Daheimbleibens freuen wollte, und das nur auf Grund ihrer Liebe zur Ehre Gottes und für unser Heil. Ich will, dass Du von ihr lernst, liebste Mutter.“

Und in einem weiteren Brief (Brief 117 an Lapa): „Obwohl die Jünger sie unsagbar liebten, verließen sie Maria voll Freude und nahmen alle Schwierigkeiten und Leiden zur Ehre Gottes auf sich. Sie traten vor die Herrscher und erlitten vielfache Verfolgungen. Und wenn Du sie gefragt hättest: Warum habt ihr Maria verlassen und ertragt alles so voller Freude, so hätten sie geantwortet: Weil wir uns selbst losgelassen haben und weil wir verliebt sind in die Ehre Gottes und in die Rettung der Seelen.“

Durch ihre Teilnahme an der Sendung Christi und insbesondere an seiner Passion zögert Caterina nicht, in Maria die Miterlöserin des Menschengeschlechtes zu sehen: „O Maria, du Erlöserin des Menschengeschlechts – denn die Welt wurde erlöst, da im [göttlichen] Wort dein eigenes Fleisch gelitten hat. Christus erlöste uns durch seine Passion und du durch deinen Schmerz an Leib und Geist“ (Gebet 18, wörtlich ital: ricomperatrice, lat. redemtrix – Erlöserin / corredemptrix – „Miterlöserin“).

Diese intime Anteilnahme am Leides des Sohnes mit Leib und Seele ist eine Frucht ihrer göttlichen Mutterschaft: „O Maria, du Feuerwagen, du hast das Feuer getragen, das unter der Asche deines Menschseins verborgen und verhüllt war“ (Gebet 18).

Gott wollte die Erlösung der Menschheit abhängig machen vom freien Ja dieser reinen und ganz heiligen Jungfrau, die er zu seiner Mutter erwählte. In der freien Zustimmung des Willens zum Willen des Vaters – wie es eben beispielhaft in Maria geschah – sieht Caterina die Wiederherstellung der menschlichen Natur zur Fülle ihrer Würde. (Gebet 18): „An dir, o Maria, wurde heute unsere menschliche Stärke und Freiheit offenbart, denn nachdem der so große und erhabene Ratschluss feststand, wurde der Engel zu dir gesandt, um dir das Geheimnis des göttlichen Ratschlusses zu verkünden und deinen Willen zu erkunden. Nicht eher kam der Sohn Gottes in deinen Schoß herab, bevor du nicht die Zustimmung deines Willens gegeben hattest. Er wartete am Tor deines Willens, damit du ihm öffnetest, denn er wollte in dich kommen. Aber er wäre niemals eingetreten, wenn du ihm nicht geöffnet hättest mit den Worten: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“

In Maria offenbart sich für Caterina der Adel und die Würde des Menschen und seine unantastbare Freiheit, da Gott selbst wie ein Bettler an ihre Tür klopft und ihre freie Zustimmung zur Menschwerdung seines Sohnes erwartet. Die Kraft und die Freiheit des Willens werden damit klar ersichtlich. „Die ewige Gottheit, o Maria, klopfte an deine Pforte, doch wenn du sie nicht geöffnet hättest, diese Tür deines Willens, wäre Gott nicht Fleisch geworden in dir.“

Aus dem bisher erwähnten könnte es scheinen, als ob Caterinas Blick auf Maria ausschließlich auf diese strenge Einheit mit dem göttlichen Willen ausgerichtet war. Aber das stimmt nicht. Gott wollte, dass sie die Mutter seines Sohnes wird. Und das heißt, Er wollte, dass sie „Mutter“ wird. Und Caterina, in der die Mütterlichkeit selbst so ausgeprägt vorhanden war, sah auch in der allerseligsten Jungfrau diese zarte Schönheit und Poesie der Mutterschaft. „O selige, liebreiche Maria! Du hast uns die Blüte des geliebten Jesus geschenkt“ (Brief 144 an Monna Paola).

Mitfühlend und in Anspielungen auf die Mütterlichkeit Mariens schreibt Caterina an eine Dirne in Perugia: „Wende Dich an die süße Maria, die Mutter des Mitleids und der Barmherzigkeit. Sie wird Dich vor ihren Sohn führen und ihm für Dich ihre Brust zeigen, mit der sie ihn gestillt hat, und ihn so geneigt machen, Dir gegenüber barmherzig zu sein“ (Brief 276).

In einem Brief an eine marianische Männerkongregation erinnert sie die Mitglieder: sie mögen der Gottesmutter mit ganzem Herzen Dienen und die Sünde der Unkeuschheit meiden. „Denn es wäre unpassend, Maria, der allzeit reinen, in Unreinheit zu dienen“ (Brief 184 an die Gesellschaft der Jungfrau Maria).

Einen Schwesternkommunität rät sie, sich der Gottesmutter zu weihen.

Einem ihr gut bekannten Rechtsanwalt in Florenz rät sie, er möge täglich das Offizium der Jungfrau Maria beten.

Auch dem Söldnerführer Alberigo (Brief 347) empfiehlt sie vor der Verteidigungsschlacht gegen die Truppen des Gegenpapstes (Clemens VII.), er möge auf der Hut sein, dass kein Verrat entsteht. Deshalb will ich, schrieb sie ihm, „dass Ihr und alle anderen Euch jeden Morgen und jeden Abend als erstes der süßen Mutter Maria empfehlt und sie bittet, Eure Fürsprecherin und Beschützerin zu sein, und dass sie es nicht zulasse, dass Euch ein Unrecht geschehe und Ihr untergehen könntet.“ (Der Kampf ging übrigens siegreich aus). In einem Brief an den Papst kommt sie darauf zu sprechen, dass er diesen Sieg und seine Rückkehr in den Vatikan der „überaus liebenswürdigen Mutter Maria“ verdanke“ (Brief 351). Sie ist „ein Gefäß der Demut“, ein „friedvolles Meer“, die „Verwalterin der Barmherzigkeit“ und die Fürsprecherin, da Gott „ihr nichts verweigern kann“ (Gebet 18).

Als Raimund von Capua am 29. April 1380, am Todestag Caterinas, nach Bologna aufbrach, um am dortigen Generalkapitel der Dominikaner teilzunehmen, wo er schließlich zum Generalmagister der römischen Obödienz gewählt werden sollte, bekam er vor einem Bild Mariens Kenntnis vom Tod seines heiligen Beichtkindes (R 368): Als er nach der Messe in den Schlafsaal zurückkehren wollte,

um sein Gepäck für die Reise vorzubereiten, kam er an einem Bild Mariens vorbei. Wie gewohnt blieb er kurz stehen, um ein Ave Maria zu beten: „Da ertönte plötzlich eine Stimme, ohne den geringsten Laut in der Luft. Es waren Worte, die nicht für das leibliche, sondern für das geistige Ohr bestimmt waren und die ich doch deutlicher hören konnte, als wenn sie durch den Klang einer äußeren Stimme zu mir gedrungen wären: Sei ohne Furcht, fürchte nichts! Ich bin hier für dich; ich bin im Himmel für dich da. Ich werde dich beschützen und bewahren. Sei getrost und fürchte nichts, ich bin hier für dich.“

W. S.

 

Anmerkungen:

[1] Vortrag vor Ordensschwestern unter teilweiser Einbeziehung eines Beitrags von Giuliana Cavallini, Maria nella prospettiva cateriniana, in: Maria, Caterina, e altri (Quaderni del Centro Nazionale di Studi Cateriniani 3), Roma 1989, 75–97

[2] (Vgl. Jacobus de Voragine, Legenda aurea, S. 1417: Magister Reginald hatte sich entschlossen, in den Predigerorden einzutreten, als er mit hohem Fieber krank darniederlag. Da erschien ihm die heilige Jungfrau und salbte ihn geheimnisvoll: „Darauf zeigte sie ihm ein Ordenskleid: ‚Siehe’, sagte sie, ‚das ist das Kleid deines Ordens.’ Gleichzeitig hatte der heilige Dominikus, während er im Gebet verharrte, genau dieselbe Erscheinung.” Drei Tage später war Reginald wieder gesund, und das bisherige

Leinen-Chorhemd wurde nun ersetzt durch das Woll-Skapulier, das die Muttergottes ihm gezeigt hatte.)

[3] In einem Brief an ihren Sekretär Neri di Landoccio (Br. 228) bemerkt sie am Schluss, sie habe vom Papst einen vollkommenen Ablass erhalten, mit der Verpflichtung, „jeden Freitag 33 Paternoster und 33 Ave Maria sowie weitere 72 Ave Maria zu beten“.

[4] Vgl. Br. 226, 211, 373; Auch Supplementum III, 6, 1: „Als der erste Beichtvater sah, dass der ihm anvertraute Schatz für seine Kräfte zu groß war, überließ er ihn – wie der Herr es wollte und die Gottesmutter es besonders bewirkte – einem anderen Beichtvater, der durch Wissenschaft und Lebensführung angesehen war. Es war Bruder Raimund von Capua, ebenfalls aus dem Predigerorden, den auch die Gottesmutter der Jungfrau verheißen hatte, als sie ihr einige Zeit davor erschienen war.“)

[5] Agnes, um 1268 nahe von Montepulciano als Tochter der reichen Familie Segni geboren, trat 9-jährig gegen den Willen der Eltern in das Franziskanerkloster del Sacco ein. Mit ihrer ehemaligen Novizenmeisterin wurde sie zur Klostergründung nach Procena gesandt (bei Viterbo), wo sie mit 15 Jahren kraft päpstlicher Dispens Äbtissin wurde. Auf Drängen der Einwohner von Montepulciano (und durch göttliche Inspiration bestärkt) gründete sie ein Kloster für Dominikanerinnen, das sie bis zu ihrem Tod (1317) als Priorin leitete. Raimund von Capua, der hier einige Jahre als Kirchenrektor tätig war, schrieb in dieser Zeit die Biographie der Gründerin. Sie wurde im Jahre 1726 von Papst Benedikt XIII. heiliggesprochen. Caterina war gerne hier. 5 Briefe an die Schwestern sind uns noch erhalten.)